Aktenzeichen: 2 BL 183/99 OLG Hamm
Leitsatz: Liegt in einem Verfahren, das weder bezüglich seines Umfangs noch wegen seines Schwierigkeitsgrades irgendwelche Besonderheiten aufweist, zwischen dem Eingang der Anklage und dem (zunächst anberaumten) Hauptverhandlungstermin ein Zeitraum von fast 4 ½ Monaten, ist die weitere Haftfortdauer nicht mehr i.S. des § 121 StPO gerechtfertigt.
Senat: 2
Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG
Stichworte: Haftprüfung durch das OLG, Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, wichtiger Grund, Eröffnungsbeschluss zwei Monate nach Akteneingang, Hauptverhandlung zwei Monate nach Eröffnungsbeschluss, Vertagung der Hauptverhandlung um zwei Monate wegen Nichterscheinens eines Zeugen
Normen: StPO 121, StPO 122
Fundstelle: StV 2000, 90; StraFo 2000, 69
Beschluss: Strafsache gegen I.P.,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).
Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seines Verteidigers beschlossen:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 7. April 1999 - 6 Gs 167/99 - wird aufgehoben.
Gründe:
Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache aufgrund des vorbezeichneten Haftbefehls seit dem 7. April 1999 ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Mit dem Haftbefehl und der unter dem 14. April 1999 erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen wird dem Angeklagten, zum Teil gemeinschaftlich handelnd, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, versuchte räuberische Erpressung und falsche Verdächtigung zur Last gelegt.
Wegen der Tatbegehung im einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt des Haftbefehls und der Anklageschrift Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.
Der Verteidiger hat die Aufhebung des Haftbefehls beantragt.
Die Voraussetzungen gemäß § 121 Abs. 1 StPO für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind nicht gegeben.
Zwar ist der Angeklagte der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
Auch die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr begegnet keinen Bedenken.
Gleichwohl unterliegt der an sich gerechtfertigte Haftbefehl der Aufhebung, da das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen, auf dem Freiheitsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG beruhenden Beschleunigung gefördert worden ist (vgl. BVerfGE 46, 194, 195 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten bzw. Angeklagten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert (vgl. BVerfGE 19, 342, 347; 20, 45, 49 f.; 36, 264, 270; 53, 152, 158 f.). Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nur in begrenztem Umfange eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 271).
Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch das Amtsgericht Lüdenscheid in diesem Verfahren nicht gerecht.
Nachdem die sehr zügig geführten Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Hagen bereits am 14. April 1999 mit der Erhebung der Anklage, eingegangen beim Amtsgericht am 19. April 1999, zum Abschluss gebracht worden sind und sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 21. April 1999, eingegangen beim Amtsgericht am 29. April 1999, für den Angeklagten gemeldet hatte, hat das Amtsgericht, ohne dass triftige Gründe ersichtlich sind, erst mit Datum vom 29. Juni 1999, also nach zwei Monaten über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und gleichzeitig Hauptverhandlungstermin auf den 1. September 1999 anberaumt, der auf Antrag des Verteidigers auf den 3. September 1999 verlegt worden ist. Dieser Termin musste wegen Nichterscheinens eines der Hauptbelastungszeugen vertagt werden; neuer Termin ist anberaumt auf den 3. November 1999.
Ein Zeitraum von fast 4 1/2 Monaten zwischen dem Eingang der Anklage und dem (zunächst anberaumten) Hauptverhandlungstermin ist bei einem Verfahren wie dem vorliegenden, das weder bezüglich seines Umfanges noch seines Schwierigkeitsgrades irgendwelche Besonderheiten aufweist im Hinblick auf den oben näher ausgeführten verfassungsrechtlich begründeten Anspruch des Angeklagten auf beschleunigte Aburteilung nicht mehr hinnehmbar, ohne dass es auf die weitere Verzögerung wegen der Vertagung des ursprünglich angesetzten Hauptverhandlungstermins ankäme.
Der Haftbefehl war daher aufzuheben (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 6. November 1997 - 2 BL 372/97; OLG Hamm, NJW 1968, 1203).
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".