Aktenzeichen: 5 BL 132/00 OLG Hamm
Leitsatz: Zum wichtigen Grund, wenn u.a. umfangreiche Ermittlungen im Ausland zu führen sind.
Senat: 5
Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG
Stichworte: Haftprüfung durch das OLG, wichtiger Grund, besonderer Umfang der Ermittlungen, Ermittlungen im Ausland, Abtrennung, Teilanklage
Normen: StPO 121
Beschluss: Strafsache gegen Z.B. und Ö.C. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).
Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger beschlossen:
Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird für beide Angeschuldigte angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird jeweils dem nach allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
Die Angeschuldigten sind in der vorliegenden Sache am 21. Januar 2000 vorläufig festgenommen und aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 22. Januar 2000 (80 Gs 97/00) an diesem Tage in Untersuchungshaft genommen worden, die seitdem ununterbrochen vollzogen wird.
Dem zwischenzeitlichen Ermittlungsstand entsprechend ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 22. Januar 2000 durch den erweiterten Haftbefehl des Landgerichts Dortmund vom 19. Juni 2000 abgeändert und neu gefasst worden. Dieser neue, auch weiterhin auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte Haftbefehl ist den Angeschuldigten am 28. Juni 2000 verkündet worden. In diesem Haftbefehl, der damit die Grundlage des vorliegenden Haftprüfungsverfahrens bildet, wird den Angeschuldigten zum einen zur Last gelegt, am 21. Januar 2000 in Barendrecht/Niederlande gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben, indem sie dem anderweitig verfolgten A.K. 94 kg Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 23,4 bis 56,3 % Heroinhydrochlorid übergaben. Ferner wird den Angeschuldigten vorgeworfen, am 21. Januar 2000 in Castrop-Rauxel durch jeweils eine weitere selbständige Handlung gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben. So soll der Angeschuldigte B. entgegen § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 d WaffG die tatsächliche Gewalt über eine vollautomatische Selbstladewaffe (Maschinenpistole des Modells UZI, Kaliber 9 mm) ausgeübt und der Angeschuldigte C. entgegen § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c WaffG einen Schießkugelschreiber, Kaliber 6,35 mm Browning in Besitz gehabt haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des neugefassten Haftbefehls Bezug genommen.
Diese Vorwürfe sind Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 14. Juni 2000, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zusammenfasst.
Die Angeschuldigten sind der ihnen zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den in der Anklageschrift zutreffend zusammengestellten Beweismitteln, auf die insoweit Bezug genommen wird.
Es besteht bei beiden Angeschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Beide Angeschuldigte müssen im Falle ihrer Verurteilung insbesondere unter Berücksichtigung der Menge des sichergestellten Heroins von 94 kg mit der Verhängung einer langjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Der hierdurch begründete Fluchtanreiz macht es bei beiden Angeschuldigten wahrscheinlich, dass sie sich im Falle ihrer Freilassung dem Strafverfahren durch Flucht entziehen werden. Hinsichtlich des Angeschuldigten B. wird die Gefahr, dass er sich dem Strafverfahren entziehen wird, noch durch den Umstand verstärkt, dass er im Inland keine tragfähigen sozialen Bindungen unterhält. Der Angeschuldigte B. verfügt in der Bundesrepublik Deutschland nicht über einen festen Wohnsitz. Er hat nach eigenen Angaben bis zu seiner vorläufigen Festnahme als Außenleiter für ein ausländisches Unternehmen mit Sitz in der Türkei gearbeitet. Auch die Ehefrau und die beiden minderjährigen Kinder des Angeschuldigten B. leben in der Türkei.
Der Angeschuldigte C. verfügt zwar über familiäre Bindungen in Deutschland, da seine Eltern, Geschwister, die getrenntlebende Ehefrau mit den vier gemeinsamen Kindern sowie seine Lebensgefährtin in Castrop-Rauxel leben. Der Angeschuldigte hat sich in der Vergangenheit jedoch häufig in der Türkei aufgehalten, so dass er über genügende Kontakte in der Türkei verfügt, um die angesichts der hohen Straferwartung im Falle seiner Freilassung zu erwartende Flucht in die Türkei vorzubereiten und durchzuführen.
Der begründeten Fluchtgefahr kann bei beiden Angeschuldigten auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO wirksam begegnet werden.
Die bisher gegen die Angeschuldigten vollzogene Untersuchungshaft und deren Fortdauer stehen nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Verurteilungsfall zu erwartenden Freiheitsstrafe.
Auch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO sind jeweils erfüllt. Wichtige Gründe im Sinne dieser Vorschrift haben ein Urteil bislang nicht zugelassen; sie rechtfertigen aber, die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten. Das Strafverfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Es handelt sich bei dem umfangreichen Verfahren um einen Ausschnitt aus einem größeren Ermittlungskomplex im Bereich der internationalen Betäubungsmittelkriminalität. Bereits zur Aufklärung der Tatvorwürfe, die Gegenstand des Haftbefehls und der Anklage sind, waren intensive und zeitaufwendige Ermittlungen erforderlich. Aus dem Umstand, dass die den Angeschuldigten vorgeworfenen Heroinübergabe in den Niederlanden stattfand und der mutmaßliche Abnehmer A.K. mit dem Heroin bis zu seiner Wohnung in Gent/Belgien fuhr, wo das Rauschgift nach Mitteilung der belgischen Polizei noch am Tattage sichergestellt wurde, ergab sich die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den niederländischen und belgischen Strafverfolgungsbehörden. Die Staatsanwaltschaft in Dortmund hat sich mit den erforderlichen Rechtshilfeersuchen bereits am 3. Februar 2000 an den zuständigen Bundesanwalt in Belgien und an die Staatsanwaltschaft in Rotterdam gewandt. Gleichzeitig wurde ein Rechtshilfeersuchen an die französischen Strafverfolgungsbehörden mit der Bitte um Durchsuchung der Wohnung des Angeschuldigten B. in Frankreich vorbereitet. Nachdem die niederländischen Strafverfolgungsbehörden der Kriminalpolizei in Deutschland die angeforderten Observationsberichte bereits Mitte Februar 2000 zur Verfügung gestellt hatten, wurde das vollständige Protokoll über die im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz vom 21. Januar 2000 in den Niederlanden durchgeführten Maßnahmen, darunter ein Bericht über Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen bei dem Verdächtigen A.C., von den niederländischen Strafverfolgungsbehörden erst am 9. Mai 2000 erstellt und dann der Staatsanwaltschaft in Dortmund übermittelt. Die Erledigung des an die belgischen Strafverfolgungsbehörden gerichteten Rechtshilfeersuchens steht trotz mehrfacher Erinnerungen seitens der Staatsanwaltschaft Dortmund nach wie vor aus, so liegen insbesondere ein Wiegebericht und ein chemisches Gutachten zur Qualität des sichergestellten Heroins noch nicht vor, auch das bei den belgischen Behörden angeforderte DNA-Gutachten zur Vergleichsuntersuchung der an dem sichergestellten Heroin und der Verpackung gesicherten Spuren steht noch aus. Im Zuge der im Inland durchgeführten Ermittlungen mussten die am Tattage sichergestellten Waffen untersucht werden. Der daktylokopische Spurenbericht hinsichtlich der an der Tragetasche, in der sich die Maschinenpistole befand, gesicherten Finger- und Handflächenspuren lag erst am 7. April 2000 vor. Dass insoweit ergänzend in Auftrag gegebenen DNA-Gutachten, aus dem sich weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Zuordnung der sichergestellten Waffen zu den Angeschuldigten ergeben könnten, steht noch aus.
Bei der Frage, ob die Ermittlungen mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durchgeführt worden sind, ist aber auch von Bedeutung, dass aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere mit Rücksicht auf die Menge des sichergestellten Heroins und die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Angeschuldigten im Rahmen eines bandenmäßig organisierten, gewerbsmäßig betriebenen Heroinschmuggels bereits in der Vergangenheit mehrfach an der unerlaubten Einfuhr größerer Mengen von Betäubungsmitteln beteiligt waren. So bestand und besteht nach wie vor der Verdacht, dass unter Mitwirkung der Angeschuldigten in der Zeit vom 7. bis zum 13. Dezember 1999 eine größere Menge Rauschgift von der Türkei aus mit einem LKW nach Rotterdam/Niederlande verbracht worden ist, welches anschließend von den Angeschuldigten nach Castrop-Rauxel weiter transportiert und dort an einen Abnehmer übergeben wurde. Es war daher sachgerecht, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auch nach der Inhaftierung der Angeschuldigten nicht von vornherein auf die Tat vom 21. Januar 2000 beschränkten, sondern darum bemüht waren, durch weitere Ermittlungen dem Verdacht weiterer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nachzugehen. In diesem Zusammenhang waren umfangreiche Zeugenbefragungen und zeitaufwendige Auswertungen der übermittelten Telefonverbindungsdaten erforderlich, die sich bis Ende Mai 2000 hinzogen. Als absehbar war, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse noch nicht ausreichen würden, um kurzfristig Anklage auch in Bezug auf weitere Verstöße der Angeschuldigten gegen das Betäubungsmittelgesetz erheben zu können, hat die Staatsanwaltschaft in Dortmund dann unter dem 8. Juni 2000 das Verfahren insoweit abgetrennt und zeitnah unter dem 14. Juni 2000 Anklage in der vorliegenden Sache erhoben. Mit dieser Vorgehensweise hat die Staatsanwaltschaft dem Beschleunigungsgebot ausreichend Rechnung getragen.
Nachdem die Anklage bei dem Landgericht in Dortmund eingegangen war, ist diese auf Veranlassung des Vorsitzenden den Angeschuldigten bereits am 23. Juni 2000, in türkischer Übersetzung am 29. Juni 2000, zugestellt worden. Über eine Eröffnung des Hauptverfahrens hat die Strafkammer deshalb noch nicht entschieden, weil den Verteidigern zuvor auf entsprechenden Antrag Akteneinsichten gewährt worden ist.
Bei dieser Sachlage sind dem Beschleunigungsgebot zuwiderlaufende Verfahrensverzögerungen, die zur Aufhebung des Haftbefehls führen müssten, nicht ersichtlich. Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft war daher anzuordnen.
Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 2 StPO.
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