Aktenzeichen: 3 Ss OWi 678/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Für die Feststellung einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung muß dem tatrichterlichen Urteil sowohl zu entnehmen sein, dass der Betroffene sich bewusst gewesen ist, die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten, als auch, dass er die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch bemerkt hat.
Senat: 3
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung, hohe Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit, Schluss auf Vorsatz,
Normen: StVO 3
Beschluss: Bußgeldsache gegen R.S.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 12.04.2000 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richterinnen am Oberlandesgericht auf Antrag bzw. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 400,00 DM verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt wird.
Die Kosten des Rechtsmittels werden zu 1/4 der Landeskasse und zu 3/4 dem Betroffenen auferlegt. Dies gilt nicht hinsichtlich der Kosten, die für die Beauftragung des Sachverständigen Dipl.-Ing. Reuter angefallen sind. Diese Kosten trägt allein der Betroffene.
Die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse zu 1/4 auferlegt. Im Übrigen trägt der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst.
Gründe:
I.
Der Betroffene ist durch das angefochtene Urteil wegen vorsätzlicher Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 800,- DM verurteilt worden. Außerdem wurde gegen ihn für die Dauer von einem Monat ein Fahrverbot verhängt und bestimmt, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 16.06.1999 um 11.21 Uhr mit dem von ihm geführten PKW die L 770 in Petershagen außerhalb geschlossener Ortschaften in Fahrtrichtung Osten. Dabei überschritt er die durch Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Die mit einem Messgerät des Typs Traffipax/Speedophot-M gemessene Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen betrug 142 km/h. Unter Abzug eines Toleranzwertes von 5 km/h hat das Amtsgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 67 km/h festgestellt.
Der Amtsrichter ist von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen ausgegangen und hat diese Annahme wie folgt begründet:
"Schließlich ist das Gericht auch davon überzeugt, dass dem Betroffenen die Geschwindigkeitsüberschreitung bewusst war. Hierfür spricht ganz wesentlich die Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit. Der Betroffene ist im vorliegenden Fall fast doppelt so schnell gefahren, wie dies aufgrund der Verkehrsregelung erlaubt war. Selbst die außerhalb geschlossener Ortschaft im Regelfall geltende Geschwindigkeit von 100 km/h hat der Betroffene in einer Art und Weise überschritten, dass dies jedem Autofahrer auffällt, der auch nur die geringste Erfahrung im Autofahren hat. Auf den bereits in Bezug genommenen Lichtbildern sind zudem zwei weitere Fahrzeuge in Fahrtrichtung des Betroffenen erkennbar, anhand derer der Betroffene ohne weiteres auch sehen musste, dass er viel zu schnell fuhr. Es ist mehr als lebensfremd anzunehmen, sämtliche Fahrzeuge auf dieser Strecke seien mit einer derartigen Geschwindigkeit wie der Betroffene gefahren. Allein aufgrund dieser Tatsachen steht bereits fest, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat. Hieran bestehen für das Gericht keinerlei vernünftige Zweifel."
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend gemacht wird.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt lediglich zu einer Abänderung des Schuldausspruches dahingehend, dass gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 400,- DM und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt werden. Im Übrigen war die Rechtsbeschwerde entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Als rechtsfehlerhaft erweist sich das angefochtene Urteil nur insoweit, als das Amtsgericht von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen ausgegangen ist. Die von dem Amtsgericht festgestellte Überschreitung der durch Zeichen 274 angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 67 km/h rechtfertigt für sich allein noch nicht den Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen. Eine Geschwindigkeit, mit der der Fahrer eines Kraftfahrzeuges derart erheblich von der ihm bekannten zulässigen Höchstgeschwindigkeit abweicht, dass deren Überschreitung einem durchschnittlichen Kraftfahrer nicht hätte verborgen bleiben können, kann zwar ein gewichtiges Indiz für ein vorsätzliches Handeln darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 24.09.1998 - 3 Ss OWi 978/98 -; OLG Hamm DAR 1998, 281). Das Amtsgericht hat aber nicht festgestellt, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h bewusst wahrgenommen hat oder dass ihm diese Geschwindigkeitsbegrenzung bereits bekannt gewesen ist. Bekannt war dem Betroffenen allerdings die außerorts allgemein gültige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO.
Die Überschreitung dieser zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h war aber noch nicht derart erheblich, dass sie für sich allein den Rückschluss zuließe, jeder Kraftfahrer und damit auch der Betroffene hätte diese bemerken müssen. Die Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen lässt sich auch nicht damit begründen, aufgrund der wesentlich langsameren Fahrweise anderer Verkehrsteilnehmer hätte der Betroffene erkennen können, dass er viel zu schnell fuhr. Eine solche Schlussfolgerung würde nämlich zumindest voraussetzen, dass zum Zeitpunkt der Tatbegehung tatsächlich ausreichend Verkehr herrschte und dass die Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen so lange angedauert hat, dass diesem eine langsamerere Fahrweise anderer Verkehrsteilnehmer hätte auffallen müssen. Entsprechende Feststellungen sind durch das Amtsgericht nicht getroffen worden. Dies hat vielmehr lediglich festgestellt, dass der Betroffene mit seinem Fahrzeug zu dem Zeitpunkt, als die Geschwindigkeitsmessung erfolgt ist, zumindest zwei weitere Fahrzeuge auf der Fahrbahn befunden haben, die
- höchstwahrscheinlich - langsamer als der Betroffene gefahren sind.
Der Schuldausspruch kann daher, soweit dem Betroffenen daher ein vorsätzliches Handeln zur Last gelegt wird, keinen Bestand haben. Vielmehr ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen von einer fahrlässigen Überschreitung der durch Zeichen 274 angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h in Höhe von 67 km/h auszugehen. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass im Falle einer erneuten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht weitere Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Handelns führen könnten, da dafür erforderliche Beweismittel nicht zur Verfügung stehen. Der Senat hat daher von der Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht eine entsprechende Schuldspruchänderung vorgenommen. Der Senat hat außerdem den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils dahingehend abgeändert, dass der Betroffene zur Zahlung der Regelgeldbuße von 400,- DM, die nach Nr. 5.3.6. der Tabelle 1 a Ziffer c des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung von über 60 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vorgesehen ist, verurteilt wird. Der Amtsrichter ist nach den Gründen des angefochtenen Urteils bei der Bußgeldzumessung zunächst von dieser Regelgeldbuße ausgegangen, hat diese aber im Hinblick auf die von ihm angenommene vorsätzliche Handlungsweise des Betroffenen auf 800,- DM erhöht. Angesichts dessen kann ausgeschlossen werden, dass der Amtsrichter gegen den Betroffenen eine geringere Geldbuße als die Regelgeldbuße verhängt hätte, wenn er ein fahrlässiges Handeln des Betroffenen zugrunde gelegt hätte.
Ebenso schließt der Senat aus, dass das Amtsgericht in diesem Falle von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes, das die Bußgeldkatalogverordnung gemäß der o.g. Tabelle 1 a auch bei einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von über 60 km/h außerorts als Regelrechtsfolge vorsieht, abgesehen hätte. Der Amtsrichter ist nämlich im vorliegenden Falle ersichtlich von dem Vorliegen eines Regelfalles ausgegangen. Auch bei der Prüfung der Frage, ob vorliegend ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden könne, hat der Amtsrichter nicht maßgebend auf das von ihm angenommene vorsätzliche Handeln des Betroffenen abgestellt, sondern ausgeführt, dass besondere Umstände, die den Rückschluss auf ein nur geringeres Handlungsunrecht zuließen, nicht gegeben seien und insbesondere auch die persönlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnisse des Betroffenen, mit denen sich der Amtsrichter sodann eingehend beschäftigt hat, nicht geeignet seien, ein Absehen vom Regelfahrverbot zu rechtfertigen. Lediglich im Zusammenhang mit der Erörterung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Betroffenen, der als Berufsbetreuer tätig ist, hat der Amtsrichter ausgeführt, dass auch die Relation zu dem erwiesenen Verstoß, also die ganz erhebliche und vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, zu berücksichtigen sei. Auch die sich dann anschließende Erörterung der Frage, ob eine Erhöhung der Dauer des Regelfahrverbotes auf einen Zeitraum von zwei Monaten erforderlich sei, die ersichtlich mit Rücksicht auf die von dem Amtsgericht festgestellte vorsätzliche Begehungsweise erfolgt ist, lässt den Rückschluss zu, dass der Amtsrichter das einmonatige Regelfahrverbot auch dann verhängt hätte, wenn er von einem nur fahrlässigen Handeln des Betroffenen ausgegangen wäre.
Das angefochtene Urteil war daher in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang abzuändern. Im Übrigen war die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO.
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