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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 707/00 OLG Hamm; 3 Ws 227/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, wann das Berufungsgericht bei Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung verpflichtet ist, (weitere) Aufklärung zu betreiben, wenn sie sich mit ärztlichen Auskünften über den Gesundheitszustand des Angeklagten nicht begnügen will.

Senat: 3

Gegenstand: Revision, Beschwerde

Stichworte: Berufung, Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung, ärztliches Attest, Aufklärungspflicht des Gerichts

Normen: StPO 329

Beschluss: Strafsache gegen I.N.,
wegen Betruges.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIV. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2000 sowie auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 4. April 2000 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der XIV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 29. Februar 2000 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01.08.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Die sofortige Beschwerde und der Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer XIV des Landgerichts Bielefeld vom 29. Februar 2000 sind gegenstandslos.

Gründe:
Das Amtsgericht Bielefeld hatte den Angeklagten am 16. Dezember 1998 in seiner und seines Verteidigers Anwesenheit (vgl. Protokoll Bl. 100 d.A.) wegen Betruges oder wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen von je 25,- DM verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger am 7. Januar 2000 und somit verspätet Rechtsmittel eingelegt. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 1999 hat er das Rechtsmittel als Berufung bezeichnet. Daraufhin hat das Berufungsgericht Termin zur Berufungshauptverhandlung anberaumt auf den 27. Januar 2000. Mit Fax und Schreiben vom 25. Januar 2000, beide eingegangen bei Gericht am 26. Januar 2000, hat der Verteidiger um Terminsaufhebung gebeten mit der Begründung, dass der Angeklagte erkrankt und nicht in der Lage sei, vor dem 28. Januar 2000 Gerichtstermine wahrzunehmen. Zugleich hat er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes Axel M.P. beigefügt und den Arzt namens des Angeklagten von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Im Rahmen eines Telefonats der Kammervorsitzenden mit dem Verteidiger vom 26. Januar 2000, in dem sie erklärte, dass der Angeklagte bisher nicht als entschuldigt angesehen werden könne, bat der Verteidiger um Einholung einer telefonischen Auskunft bei dem behandelnden Arzt P. dazu, dass es dem Angeklagten infolge seiner Erkrankung unzumutbar sei, am folgenden Tag den Gerichtstermin wahrzunehmen. Ausweislich des Vermerks der Vorsitzenden erklärte der Arzt P. auf telefonische Rückfrage, dass er am Telefon keine Auskunft erteilen würde. Hiervon hat die Vorsitzende ausweislich ihres Vermerks den Verteidiger am selben Tage informiert.

Zum Hauptverhandlungstermin am 27. Januar 2000 ist der Angeklagte nicht erschienen, wohl aber sein Verteidiger. In der Hauptverhandlung wurde der Inhalt des genannten Verteidigerschreibens sowie der Vermerk der Vorsitzenden vom 26. Januar 2000 bekannt gegeben. Es erging das Urteil des Landgerichts, mit dem die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 16. Dezember 1998 verworfen worden ist. In der Begründung dieses Urteils ist ausgeführt, dass die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die als Diagnose die Eintragung "M 5 U. 5" enthalte, ohne nähere Erläuterung unbrauchbar sei und dass die erfolgte telefonische Nachfrage der Vorsitzenden beim behandelnden Arzt des Angeklagten ergebnislos verlaufen sei, da der Arzt, obwohl auf die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Angeklagten hingewiesen, die Auskunft ohne jegliche Angabe von Gründen verweigert habe. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten zum Gesundheitszustand des Angeklagten wie Untersuchung durch einen Amtsarzt oder Vernehmung des die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellenden Arztes hat die Kammer "wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit" als nicht gegeben erachtet. Ein Aufsuchen des Angeklagten durch die Polizei hat die Strafkammer "wegen des nach außen entstehenden negativen Eindrucks" als "für den Angeklagten nicht zumutbar" erachtet. Ergänzend hat die Kammer weiter ausgeführt, dass ohnehin ein Polizeibeamter kaum beurteilen könne, ob es einem Angeklagten infolge Krankheit unzumutbar sei, vor Gericht zu erscheinen, wenn es sich nicht um eine nach außen getretene und für einen Laien eindeutig erkennbare Erkrankung handele.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, mit der er unter näheren Ausführungen rügt, dass die Strafkammer ihre Aufklärungspflicht verletzt habe. Diese formelle Rüge ist den Formerfordernissen entsprechend erhoben worden. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Angesichts des Vorbringens der Verteidigung am Tage vor der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte in der Zeit vom 25. bis zum 28. Januar 2000 arbeitsunfähig erkrankt sei, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes vorlegte und des weiteren mitteilte, nach telefonischer Auskunft des Arztes sei der Angeklagte gesundheitlich nicht in der Lage, Gerichtstermine wahrzunehmen, war die Strafkammer verpflichtet, weitere Aufklärung zu betreiben, wenn sie sich mit diesen Auskünften nicht begnügen wollte. Mit einem Telefonat mit dem behandelnden Arzt am Tage vor der Hauptverhandlung, bei dem sich ergab, dass der Arzt am Telefon keine Auskunft erteilen wollte - dies ergibt sich zwar nicht aus dem angefochtenen Urteil selbst, wohl aber aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Vermerk der Vorsitzenden -, den der Senat aufgrund der zulässigen formellen Rüge des Angeklagten zur Kenntnis nehmen durfte - durfte sich die Strafkammer keinesfalls begnügen. Die Kammer hätte ggf. die Hauptverhandlung unterbrechen oder auch vertagen müssen, um eine entsprechende Auskunft des behandelnden Arztes, sei es schriftlich oder aber durch Vernehmung als Zeuge - ggf. unter Anwendung der mit der Strafprozessordnung zur Verfügung stehenden Mittel - herbeizuführen. Zudem sprach nichts gegen eine amtsärztliche Untersuchung des Angeklagten. Die "Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit" ist keinesfalls ein Argument gegen die gebotene Aufklärung.

Die Strafkammer, die ausweislich der Urteilsgründe selbst davon ausgegangen ist, dass nicht überprüft worden ist, ob der Angeklagte entschuldigt war, hätte nach alledem die Berufung des Angeklagten nicht verwerfen dürfen, sondern sich die für erforderlich gehaltene Überzeugung durch die zu Gebote stehenden Aufklärungsmaßnahmen verschaffen müssen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 329 Randziffer 48 m.w.N.). Der zutreffend gerügte Aufklärungsmangel seitens der Kammer führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen, das auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben wird.

Vorsorglich wird für die erneute Hauptverhandlung darauf hingewiesen, dass - ausgehend von der Sitzungsniederschrift vom 16. Dezember 1998 - das Rechtsmittel der Berufung verspätet eingelegt war.

Da die Revision des Angeklagten erfolgreich ist, erweist sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die sein Wiedereinsetzungsgesuch ablehnende Entscheidung der Strafkammer vom 29. Februar 2000 als prozessual überholt und ist damit gegenstandslos (vgl. OLG Hamm, 2 Ss 394/98 v. 08.04.1998).


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