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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 151/00 OLG Hamm

Leitsatz: Unter einem "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Handlung zu verstehen, die an Bedeutung und Gefährlichkeit den in Nr. 1 und 2 des § 315 b StGB genannten Begehungsformen gleichkommt. Darunter kann auch die Abgabe eines Schusses mit einer mit Platzpatronen geladenen Gaspistole fallen, wenn ein Fahrer durch den Knall des Schusses so in Schrecken versetzt wird, dass er deswegen andere Verkehrsteilnehmer oder auch sich selbst in Gefahr bringt.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Schusswaffengebrauch, Gaspistole

Normen: StGB 315 c

Beschluss: Urteil
Strafsache gegen H.U.
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr

Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Marl vom 22.11.1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 24.05.2000, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
als Vorsitzender,
Richterin am Oberlandesgericht
und Richterin am Amtsgericht
als beisitzende Richter ,

Oberstaatsanwalt
als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde am 22.11.1999 vom Amtsgericht
- Schöffengericht - Marl wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Außerdem wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von noch neun Monaten verhängt.

Zur Person des Angeklagten stellte das Amtsgericht fest:

"Der Angeklagte ist als Dreher tätig. Sein Arbeitsplatz befindet sich in Remscheid. Zz. erzielt er ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von ca. 3.200,00 DM. Er lebt mit seiner Verlobten zusammen, die ein Einkommen in Höhe von 1.100,00 DM erzielt.

Auf einen Kredit zahlt der Angeklagte monatlich 350,00 DM ab, die Kreditsumme beträgt noch 10.000,00 DM.

Der Angeklagte ist bereits strafrechtlich und verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten.

Am 11.11.1993 sah die Staatsanwaltschaft Essen in einem Verfahren wegen Sachbeschädigung gem. § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung ab, am 09.01.1997 wurde er jedoch durch das Amtsgericht Marl wegen Erwerbes und Handels mit Betäubungsmitteln sowie Diebstahls zu einem Freizeitarrest und einer richterlichen Weisung verurteilt, darüber hinaus wurde er verwarnt.

Am 25.06.1998 schließlich verurteilte ihn wiederum das Amtsgericht Marl wegen Sachbeschädigung und Diebstahls zu einer Geldauflage.

Verkehrsrechtlich wurde er durch Bußgeldbescheid vom 06.01.1998 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geldbuße von 120,00 DM belegt. Durch Bußgeldbescheid vom 19.08.1998 ebenfalls wegen Über-schreitend der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften, diesmal um 25 km/h, zu einer Geldbuße von 80,00 DM."

Bezüglich der Tat traf das Amtsgericht folgende Feststellungen:

"Am 07.04.1999 gegen 16:30 Uhr befuhr der Angeklagte mit seinem PKW Opel Kadett (amtliches Kennzeichen RE-RC 344) in Marl die Bergstraße. Vor ihm fuhr der PKW mit dem amtlichen Kennzeichen RE-DP 1992, gefahren von der Zeugin J., auf dem Beifahrersitz befand sich der Zeuge H.. Da der Zeuge H. der Meinung war, der Angeklagte fahre zu nah auf, drehte er sich um und zeigte ihm den ausgestreckten Mittelfinger. Der Angeklagte wechselte mit seinem Fahrzeug daraufhin auf den rechten Fahrstreifen, kurz vor der Kreuzung Bergstraße/Herzlia Allee befand er sich rechts neben dem Fahrzeug der Zeugin J. und des Zeugen H.. Beide Fahrzeuge fuhren zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit zwischen 20 und 30 km/h. Als der Zeuge H. die Seitenscheibe herunterdrehte, um ein Zigarettenstummel hinauszuwerfen, langte der Angeklagte in sein Handschuhfach, in dem sich eine mit Platzpatronen geladene Gaspistole befand und gab mit dieser Pistole in das innere des neben ihm fahrenden Fahrzeuges durch das geöffnete Fenster wenigstens einen Schuss ab. Der Knall war geeignet, die Fahrerin, die Zeugin J., so zu erschrecken, dass sie einen Fahrfehler begehen und dadurch einen Unfall hätte verursachen können."

Nach Auffassung des Amtsgerichts nahm der Angeklagte billigend in Kauf, dass der Schuss geeignet war, die Fahrerin so zu erschrecken, dass sie einen Unfall hätte verursachen können, wobei das Gericht nicht davon ausging, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, einen Unfall herbeizuführen. Das Amtsgericht sah in dem Verhalten des Angeklagten daher einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Ziffer 3, Abs. 2, 22, 23 StGB und führte zur Strafzumessung aus:

"Bei der Strafzumessung sprach zugunsten des Angeklagten, dass er die Tat zumindest teilweise zugestanden hat. Weiter spricht für ihn, dass er einschlägig noch nicht in Erscheinung getreten ist, gegen ihn spricht jedoch, dass er auch auf verkehrsrechtlichem Gebiet bereits aufgefallen ist und sich dabei nicht als sorgfältiger Fahrer gezeigt hat.

Vor allem spricht aber die Begehungsweise gegen den Angeklagten. Er hat aus nichtigem Anlass zu Wild-West-Methoden gegriffen um sein vermeintliches Recht zu suchen oder Rache zu nehmen.

Dabei hat der Angeklagte die Rechtsgüter anderer völlig negiert, so dass zur Erreichung der Strafzwecke der Spezialprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung hier nur die Verhängung einer fühlbaren Freiheitsstrafe in Betracht kommt.

Das Gericht ist dabei der Auffassung, dass eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowohl tat- als auch schuldangemessen ist.

Gründe, die gegen eine Strafaussetzung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich, vielmehr lebt der Angeklagte in gesicherten beruflichen und persönlichen Verhältnissen.

Der Angeklagte hat sich als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges erwiesen.

Nach Überzeugung des Gerichtes kann frühestens nach Ablauf von noch 9 Monaten erprobt werden, ob er nunmehr als verantwortungsvoller Kraftfahrer angesehen werden kann. Die Fahrerlaubnis war ihm daher zu entziehen, der Führerschein war einzuziehen und eine entsprechende Sperre für deren Wiedererteilung festzusetzen
(§ 69, 69 a StGB)."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte am 26.11.1999 Rechtmittel eingelegt und dieses nach Übersendung des vollständigen Urteils am 06.12.1999 mit am 09. 12.1999 eingegangen Schriftsatz als Revision bezeichnet mit dem Antrag, "das Urteil des Amtsgerichts Marl vom 22.11.99 aufzuheben und den Angeklagten, soweit er nach § 315 b I Ziff. 2, II, 22, 23, 69, 69a StGB, 465 StPO verurteilt wurde, freizusprechen." Zur Begründung wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und gemäß §§ 341, 344 und 345 StPO in zulässiger Weise eingelegte und begründete Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Die formelle Rüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig. Die materielle Rüge erweist sich nach Auffassung des Senats als zulässig, aber unbegründet.

Einen von der Revision behaupteten Verstoß gegen die Denkgesetze lässt das Urteil nicht erkennen. Die Feststellung, der Angeklagte habe "mit dieser Pistole in das innere des neben ihm fahrenden Fahrzeuges durch das geöffnete Fenster wenigstens einen Schuss" abgegeben, ist, wie sich aus dem davor stehenden Teil des Satzes ("eine mit Platzpatronen geladene Gaspistole") ergibt, ersichtlich so aufzufassen, dass nicht darauf abgestellt wird, es seien durch den Schuss Patronenteilchen auch in das Wageninnere gelangt, sondern dass der Angeklagte mit der Waffe in Richtung auf das Innere des Fahrzeuges zielte. Dass der Knall der Pistole, in unmittelbarer Nähe des Fahrzeuges der Zeugen während der Fahrt abgegeben, geeignet war, die Fahrerin zu erschrecken, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Die Abgabe des Schusses kann auch aus Sicht des Angeklagten nur den Zweck gehabt haben, die Insassen des neben ihm fahrenden Fahrzeuges zu erschrecken; ansonsten hätte er es bei dem Zeigen der Pistole belassen können.

Die Ausführungen des Amtsgerichts, die Tathandlung als einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu bewerten, sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Unter einem "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Handlung zu verstehen, die an Bedeutung und Gefährlichkeit den in Nr. 1 und 2 des § 315 b StGB genannten Begehungsformen gleichkommt. Darunter fällt die Abgabe eines Schusses, wenn ein Fahrer durch den Knall des Schusses so in Schrecken versetzt wird, dass er deswegen andere Verkehrsteilnehmer oder auch sich selbst in Gefahr bringt. Wird ein Schuss in Richtung auf ein im fließenden Verkehr befindliches Fahrzeug derart abgegeben, dass der Führer dieses Fahrzeuges den Schussvorgang und die Schussrichtung erkennt, so wird dies regelmäßig zu einer konkreten Gefährdung führen, und zwar selbst dann, wenn der Schuss den Fahrer und selbst das Fahrzeug nicht trifft und noch nicht einmal treffen soll. Auch die Bedrohung eines Verkehrsteilnehmers mit einer Schusswaffe, die von diesem nur optisch wahrgenommen werden kann und soll, kann ausreichen, um einen ebenso gefährlichen Eingriff im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bejahen (BGHSt 25 Seite 306, 307f).

Dementsprechend reicht nach Auffassung des Senats auch die Benutzung einer mit einer Platzpatrone geladenen Gaspistole aus, insbesondere wenn sie aus einem neben dem bedrohten Verkehrsteilnehmer fahrenden PKW in Richtung auf das Innere des nebenherfahrenden Fahrzeuges abgefeuert wird, um einen gefährlichen Eingriff anzunehmen. Der bedrohte Verkehrsteilnehmer kann in der nur wenige Sekunden andauernden Situation unmöglich erkennen, dass es sich lediglich um eine mit Platzpatronen geladene Gaspistole handelt, mit der auf ihn gezielt und geschossen wird. Auch führt der Umstand, dass es sich lediglich um einen Schuss handelte, zu keiner anderen Beurteilung, denn eine Waffe ist regelmäßig mit mehreren Schüssen Munition geladen und der bedrohte Verkehrsteilnehmer hat keinerlei Grund anzunehmen, dass nicht weitere Schüsse unmittelbar folgen werden.

Die Tat ist geeignet, den Fahrer eines Fahrzeuges derart in Angst und Schrecken zu versetzen, dass ein (möglicherweise folgenschwerer) Fahrfehler die Folge ist, sei es durch ein reflexartiges Ausweichmanöver durch Verreißen des Lenkrades, eine abrupte Vollbremsung oder volle Beschleunigung. Diese nach Zeit, Ort und Begleitumständen genau eingegrenzte, konkrete Gefährdung nahm der Angeklagte billigend in Kauf, als er mit der Pistole in Richtung des neben ihm fahrenden Fahrzeuges schoss. Dies gilt auch, wenn er lediglich beabsichtigte, dem Beifahrer einen gehörigen Schrecken einzujagen; denn damit nahm er auch billigend in Kauf, dass der Beifahrer reflexartig reagiert und dadurch in verkehrsgefährdender Weise auf die Fahrerin einwirkt. Der Angeklagte hat sich somit, wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.

Soweit das Amtsgericht ausführt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, einen Unfall herbeizuführen, liegt ein Widerspruch nicht vor. Mit diesen Ausführungen wird vielmehr lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Voraussetzungen der Strafschärfung nach § 315 b Abs. 3 Verbindung mit § 315 Abs. 3 StGB nicht vorliegen.

Schließlich begegnen auch die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung keinen Bedenken; die Länge der ausgesprochenen Sperrfrist ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Führerschein aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Marl vom 19.07.1999 seit dem 06.08.1999 in amtlicher Verwahrung befindet, nicht zu beanstanden.

Die Revision war daher mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.


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