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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 BL 94/2000 OLG Hamm

Leitsatz: zum Begriff "derselben Tat" und zum "wichtigen Grund" bei erheblich verzögerter Anklageerhebung.

Senat: 4

Gegenstand: BL6

Stichworte: verspätete Vorlage, zwei Haftbefehle, Berechnung der Vorlagefrist, eine Tat i.S.d. § 121 StPO, Dauer der Untersuchungshaft fast 11 Monate, wichtiger Grund, Aufhebung, dieselbe Tat, Reservehaltung, Verzögerungen bei Anklageerhebung, Zeit vom Abschluss der Ermittlungen bis Anklageerhebung, Abwarten von Verfahren gegen Mitbeschuldigte

Normen: StPO 121 Abs. 1

Beschluss: Strafsache gegen D.B.,
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Warendorf vom 16. August 1999 (7 Gs 278/99) in der Fassung des Beschlusses der 7. Strafkammer des Landgerichts Münster vom 17 Mai 2000 (7 KLs 35 Js 121 - 8/00) wird aufgehoben.

Gründe:
I. Der Angeklagte befand sich zunächst in dem Verfahren 37 Js 701/99 StA Münster aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Warendorf vom 30. Juli 1999 (7 Gs 343/99) in Untersuchungshaft. Gegenstand jenes Verfahrens ist der Vorwurf, der Angeklagte habe am 28. Juli 1999 gemeinschaftlich mit anderen versucht, von seinen damaligen Angestellten G., D. und P. mit Waffengewalt die Rückgabe von 250.000,- DM zu erzwingen, die ihm aus seinem mutmaßlichen Drogengeld-Depot am 28. Juni 1999 entwendet worden waren. Jener Haftbefehl ist mit Beschluss des Amtsgerichts Warendorf vom 6. Dezember 1999 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Münster (37 Js 701/99, jetzt 64 Js 257/00) aufgehoben worden. Bereits am 30. November 1999 war der Angeklagte auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft aus jener Untersuchungshaft entlassen worden.

Seit diesem Tage befindet sich der Angeklagte für das dem Senat vorgelegte Verfahren 50 Js 839/99 StA Münster aufgrund des bereits am 16. August 1999 erlassenen Haftbefehls des Amtsgerichts Warendorf (7 Gs 278/99) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Dieser Haftbefehl, der dem Angeklagten am 25. August 1999 verkündet und für den am 26. August 1999 Überhaft notiert worden war, ist auf den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen (Tatzeit: 14. April bis Mitte Juni 1999) gegründet. Die hierauf bezogenen strafrechtlichen Ermittlungen (zunächst durch das Zollfahndungsamt Düsseldorf) liefen seit dem 10. Juni 1999.

Die Staatsanwaltschaft Münster hatte davon spätestens ab dem 18. Juni 1999 Kenntnis.
In einem weiteren Verfahren legt die Staatsanwaltschaft Münster dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 16. Februar 2000 (35 Js 121/00) zur Last, in Münster am 10. Januar 1998 gemeinsam mit dem Mitangeklagten S.B. mit Waffengewalt das Restaurant "Roadhouse" in Münster, Rudolf-Wiesel-Straße 5, überfallen und ca. 1.000,- DM erbeutet zu haben. Die Anklage ist durch Beschluss des Landgerichts Münster vom 12. April 2000 zugelassen worden. Mit Verfügung vom selben Tage hat der Vorsitzende der Strafkammer Hauptverhandlungstermin auf den 31. Juli 2000 mit Fortsetzung am 2. und 7. August 2000 bestimmt. Mit Beschluss vom 2. Mai 2000 hat die Strafkammer die Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zu der Frage angeordnet, ob die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgehoben oder vermindert war.

In dem Verfahren 50 Js 839/99 StA Münster (in dem sich der Angeklagte seit dem 30. November 1999 in Untersuchungshaft befindet) hat die Staatsanwaltschaft Münster unter dem 7. April 2000 Anklage wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erhoben. Über die in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Warendorf vom 16. August 1999 aufgeführten fünf Fälle hinaus wird dem Angeklagten damit zur Last gelegt, in Münster und anderen Orten in der Zeit von März 1998 bis Ende Juni 1999 in insgesamt 17 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, davon soll er in einem Fall Betäubungsmittel in nicht geringer Menge ohne Erlaubnis eingeführt haben. Das Landgericht hat diese Anklage durch Beschluss vom 17. Mai 2000 zugelassen und das Verfahren mit dem o.g. Verfahren 35 Js 121/00 StA Münster, dessen Aktenzeichen jetzt führt, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Beschluss von dem selben Tage hat das Landgericht den Haftbefehl des Amtsgerichts Warendorf vom 16. August 1999 im Sinne der Vorwürfe der verbundenen Verfahren dem gegenwärtigen Verfahrensstand angepasst und neu gefasst. Dieser Haftbefehl ist dem Angeklagten am 29. Mai 2000 verkündet worden. Mit Verfügung vom 18. Mai 2000 hat der Vorsitzende der Strafkammer weitere Zeugen aus dem Verfahren der Anklage vom 7. April 2000 zu der bereits anberaumten Hauptverhandlung geladen.

Das Landgericht hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich (Beschluss vom 17. Mai 2000) und hat die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.

II.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Warendorf vom 16. August 1999 in der Fassung des Beschlusses der 7. Strafkammer des Landgerichts Münster vom 17. Mai 2000 war aufzuheben.

Zwar besteht bezüglich der Tatvorwürfe aus den Anklagen der Staatsanwaltschaft Münster vom 16. Februar 2000 und vom 7. April 2000, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zusammenfassen, nach wie vor dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten. Angesichts der Höhe der zu erwartenden Strafe und im Hinblick auf die familiären sowie beruflichen Verhältnisse des Angeklagten und des Umstandes, dass er versucht hat, auf Zeugen unlauter einzuwirken, bestehen gegen ihn auch die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 u. 3 StPO). Insoweit wird auf den Inhalt der genannten Anklagen und des Haftbeschlusses des Landgerichts Münster vom 17. Mai 2000 verwiesen.

Es fehlt jedoch an einer der besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Hiernach darf, solange kein auf eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel erkennendes Urteil ergangen ist, der Vollzug der Untersuchungshaft "wegen derselben Tat" über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Das ist hier nicht der Fall da das Ermittlungsverfahren (50 Js 839/99 StA Münster) bis zur Anklageerhebung am 7. April 2000 nicht. mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden ist.

III.
Die Akten sind dem Senat deutlich verspätet vorgelegt worden. Zwar wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Warendorf vom 16. August 1999 (7 Gs 278/99 = 50 Js 839/99 StA Münster; inzwischen Neufassung gemäß Beschluss des Landgerichts Münster vom 17. Mai 2000) erst seit dem 30. November 1999 - bei Vorlage der Akten an den Senat also gut 6 Monate lang - vollzogen. Vorher befand der Angeklagte sich aber bereits aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Warendorf vom 30. Juli 1999 seit diesem Tag - also schon weitere 4 Monate lang - in Untersuchungshaft. Beide Haftbefehle betreffen "dieselbe Tat" i.S.d. § 121 StPO. Deshalb ist die Dauer der Untersuchungshaft seit dem 30. Juli 1999 der Fristberechnung zur Vorlage nach § 121 Abs. 2 StPO zugrunde zu legen.

Der Begriff "derselben Tat" in § 121 StPO ist nach nahezu einhelliger Meinung weit auszulegen und stimmt nicht mit dem des § 264 StPO überein. Um dem Schutzzweck der Vorschrift, die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur ausnahmsweise zuzulassen, genügend Rechnung zu tragen und die "Reservehaltung" von Tatvorwürfen zu verhindern, die den Erlass eines weiteren oder die Erweiterung des bestehenden Haftbefehls rechtfertigen, erfährt der Tatbegriff i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO eine Erweiterung in dem Sinne, dass dazu alle Taten zählen, die bei Erlass des Haftbefehls bekannt gewesen sind und deshalb in die Haftanordnung hätten aufgenommen werden können. Keine Rolle spielt es, ob sie Gegenstand verschiedener Ermittlungsverfahren sind (vgl. zur Frage der Tatidentität insgesamt z.B. Boujong in KK zur StPO, 4. Aufl., RN 10 und 11 zu § 121; Kleinknecht/Meyer-Goßner, ' StPO, 44. Aufl., § 121 Rdnr. 11 ff. und Pfeiffer, StPO, 2. Aufl., RN 4 zu § 121, jeweils m.w.N.). Die Voraussetzungen "derselben Tat' in dem aufgezeigten Sinne liegen hier angesichts der unter I. aufgeführten Daten vor und werden auch in der ergänzenden Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Juni 2000 nicht bezweifelt. Als das Amtsgericht Warendorf den Haftbefehl vom 30. Juli 1999 erlassen hat, waren die dem Haftbefehl vom 16. August 1999 zugrunde liegenden Taten bereits bekannt; spätestens am 16. August 1999 hätte der zunächst erlassene Haftbefehl um diese Vorwürfe erweitert werden können (vgl. zur Tatidentität auch Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 1995 in 4 BL 360/95 sowie vom 30. Oktober 1997 in 4 BL 383/97).

Es kann dahinstehen, ob angesichts des Ausmaßes der Fristüberschreitung allein die verspätete Vorlage der Sache unter Beschleunigungsgesichtspunkten i.S.d. §§ 121, 122 StPO zur Aufhebung des Haftbefehls führen könnte. Jedenfalls ist das Ermittlungsverfahren 50 Js 839/99 nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung zur Anklage gebracht worden.

Dazu ergibt sich aus den dem Senat vorgelegten Doppelakten und den von ihm veranlassten weiteren Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft vom 28. Juni 2000 und der Staatsanwaltschaft Münster vom 26. Juni 2000, dass in dem Verfahren 50 Js 839/99 (Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz) der bereits vom 20. Dezember 1999 datierende Ermittlungsbericht der Zentrale Kriminalitätsbekämpfung - Kommissariat 11 - in Beckum mit Begleitschreiben vom 31. Januar 2000 an die Staatsanwaltschaft Münster abgesandt worden und dort erst am 10. Februar 2000 eingegangen ist. Hierauf ist erst unter dem 7. April 2000 Anklage erhoben worden. Ein derartiger Zeitablauf zwischen Abschluss der Ermittlungen und Anklageerhebung entspricht auch unter Berücksichtigung des Umfangs des Ermittlungsverfahrens und der abschließend zu sichtenden - an sich übersichtlich vorgelegten - Unterlagen sowie der zu beurteilenden Zeugenaussagen bzw. Einlassungen anderweitig verfolgter (Mit-)Täter nicht mehr dem besonderen Beschleunigungsgebot in einer Haftsache, in der sich der Angeklagte seit dem 30. Juni 1999 (also seinerzeit schon mehr als 6 Monate) in, Untersuchungshaft befindet. Die besondere Eilbedürftigkeit einer alsbaldigen Anklageerhebung lag damit auf der Hand.

Soweit die Staatsanwaltschaft Münster in ihrer Stellungnahme vom 26. Juni 2000 darauf abhebt, der Ausgang der gegen anderweitig verfolgte Personen anhängigen Strafverfahren hätte abgewartet werden müssen, ist dies kein tragfähiger Grund dafür, die Anklageerhebung in einer Haftsache so lange aufzuschieben. Die Angaben der mit dem vorliegenden Tatgeschehen sich befassenden Aussagen anderweitig verfolgter Personen waren im übrigen Ende 1999 im Wesentlichen ausermittelt. Schließlich waren der Zeuge H. bereits am 13. Dezember 1999 und der Zeuge S. bereits am 17. Januar 2000 rechtskräftig verurteilt. Aus welchen Gründen die Akten mit dem Abschlussbericht vom 20. Dezember 1999 erst am 10. Februar 2000 bei der Staatsanwaltschaft Münster eingegangen sind, ist den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen und wird auch nicht durch die Stellungnahmen der Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft Münster vom 28. Juni 2000 erhellt.

Vor diesem Hintergrund war mangels eines gesetzlichen Grundes für die weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft der Haftbefehl ungeachtet der gegen den Angeklagten bestehenden erheblichen Tatvorwürfe aufzuheben.


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