Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 76/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Die Strafvollstreckungskammer ist für die Entscheidung über ein Begehren eines Strafgefangenen, das allein darauf gerichtet ist, das Bestehen einer zur Aufrechnung berechtigenden Forderung der Justizvollzugsanstalt überprüfen zu lassen, nicht zuständig. Hierfür ist allein das Zivilgericht zuständig.
Senat: 1
Gegenstand: Strafvollzugssache
Stichworte: Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, Zivilgericht, Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung gegen Eigengeld
Normen: GVG 13, StVollzG 109
Beschluss: Strafvollzugssache betreffend den F.O.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden,
(hier: Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung).
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 7. Juni 2000 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 18. Mai 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes Westfalen-Lippe beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 452,33 DM festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bochum.
Am 20. Januar 1998 befand sich der Antragsteller in einer sogenannten Terminzelle in der Justizvollzugsanstalt Bochum. Dort soll er nach dem Vortrag der Justizvollzugsanstalt Bochum durch Schlagen und Treten gegen die Zellentür diese beschädigt haben. Zur Beseitigung des entstandenen Schadens sei ein Betrag von 452,33 DM aufzuwenden gewesen. Das wegen dieses Vorfalls beim Amtsgericht Bochum anhängige Strafverfahren 32 a Cs 54 Js 173/98 AK 69/98 ist gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Der Antragsteller bestreitet, einen Schaden verursacht zu haben. Er sei in der Zelle ohne irgendwelche Waffen gewesen. Es sei aus technischen Gründen nicht möglich, die Tür mit bloßen Händen so zu beschädigen, dass die behaupteten Schäden dadurch hervorgerufen werden könnten.
Die Justizvollzugsanstalt Bochum hat unter dem 3. April 1998 wegen dieses Schadensersatzanspruches gegenüber dem Gefangenen die Aufrechnung mit dem Anspruch auf Eigengeld erklärt. Der tatsächliche Zugriff auf das Eigengeld erfolgte am 21. Mai 1999.
Mit Schriftsatz vom 24. August 1999, eingegangen am 26. August 1999, hat der Antragsteller Klage vor dem Amtsgericht Bochum erhoben. Er beantragt, die Justizvollzugsanstalt Bochum zu verurteilen, an ihn 452,33 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1999 zu zahlen. Der Präsident des Justizvollzugsamtes Westfalen-Lippe hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Beschluss vom 31. Januar 2000 hat das Amtsgericht Bochum den Zivilrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bochum verwiesen. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat mit Beschluss vom 18. Mai 2000 festgestellt, dass der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bochum zur Aufrechnung befugt war. Soweit sich der Antragsteller gegen das Bestehen der Schadensersatzforderung des Antragsgegners wende, hat die Strafvollstreckungskammer das Verfahren bis zur rechtskräftigen zivilrechtlichen Entscheidung über den Bestand der Forderung ausgesetzt. Zur Begründung ist ausgeführt, soweit sich der Antragsteller gegen die Existenz einer Forderung des Antragsgegners gegen ihn wegen der Beschädigung der Zellentür wende, handele es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner form- und fristgerecht erhobenen Rechtsbeschwerde, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt. Diese hat der Senat zur Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache.
Die Strafvollstreckungskammer war für die getroffene Entscheidung nicht zuständig, da das Begehren des Antragstellers allein darauf gerichtet war, das Bestehen einer zur Aufrechnung berechtigenden Forderung der Justizvollzugsanstalt überprüfen zu lassen. Hierfür ist aber allein das Zivilgericht zuständig.
Bei der Frage, ob ein Gefangener im Fall der Sachbeschädigung von Justizeigentum gemäß § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 303 StGB zum Schadensersatz verpflichtet ist, handelt es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch, der gemäß § 13 GVG auch vor den Zivilgerichten geltend zu machen ist. Lediglich die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme von Hausgeld bzw. Eigengeld durch die Vollzugsbehörde wird mit einem Antrag nach § 109 StVollzG überprüft (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl., § 109 Rdnr. 5 m.w.N.; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 15. August 1986 - 1 Vollz (Ws) 155/85 -). Denn nach ganz einhelliger Meinung handelt es sich bei der im Wege der Aufrechnung angeordneten Einbehaltung des Hausgeldes bzw. Eigengeldes des Gefangenen, obwohl ihr im bürgerlichen Recht begründete Forderungen zugrunde liegen, um eine im Verfahren nach § 109 StVollzG nachprüfbare Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs, da sie die Verfügungsmöglichkeit des Gefangenen über das Hausgeld (§ 47 StVollzG) bzw. Eigengeld (§ 52 StVollzG) und damit über einen Teil seines Arbeitsentgeltes aus § 43 StVollzG berührt. Die das Hausgeld- bzw. Eigengeldkonto betreffenden Beziehungen zwischen der Vollzugsbehörde und dem Gefangenen sind nicht etwa privatrechtlicher, arbeitsrechtlicher Natur. Sie erwachsen vielmehr aus dem öffentlich-rechtlichen, im Strafvollzug geregelten und auch der Sache nach dem Gebiet des Strafvollzugs zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnisses des zur Arbeit verpflichteten Gefangenen (OLG Stuttgart, NStZ 1986, 47; Senatsbeschluss vom 18. August 1986 - 1 Vollz (Ws) 155/85 -; OLG Hamburg, ZfStrVo 1995, 370).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Strafvollstreckungskammer in dem Fall, dass sie die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme von Eigengeld durch die Vollzugsbehörde im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG überprüfen muss, berechtigt oder sogar verpflichtet ist, auch das materielle Bestehen einer Schadensersatzforderung zu überprüfen (so OLG München NStZ 1987, 45; OLG Dresden, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 2 Ws 60/98 -). Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass Gegenstand des Verfahrens ein der Vorschrift des § 109 StVollzG unterliegendes Begehren ist. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.
Das Begehren des Antragstellers ist hier allein darauf gerichtet, das Bestehen einer Schadensersatzforderung der Justizvollzugsanstalt gerichtlich überprüfen zu lassen. Der Sachvortrag des Antragstellers konzentriert sich im Wesentlichen darauf, die Existenz eines solchen Anspruches zu negieren. Er bestreitet, durch sein Verhalten einen Schaden verursacht zu haben. Gegenstand des Verfahrens ist das schadensstiftende Ereignis, zu diesem Punkt wird von beiden Seiten Beweis angetreten. Die Aufrechnungsbefugnis der Justizvollzugsanstalt im Übrigen wird nur am Rande erwähnt. Der Antragsteller hat z.B. keine Ausführungen dazu gemacht, ob die Vollzugsbehörde mit Rücksicht auf die besondere Situation im Vollzug und dadurch bedingte Aufrechnungsbeschränkungen von der Aufrechnung hätte absehen müssen. Ihm geht es allein darum, feststellen zu lassen, dass überhaupt kein Schadensersatzanspruch besteht. An diesen im Antrag eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen ist die Strafvollstreckungskammer gebunden.
Geht es dem Antragsteller aber allein um das Bestehen der zivilrechtlichen Schadensersatzforderung, so ist eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht begründet. Soweit das Oberlandesgericht Dresden (a.a.O.) die Strafvollstreckungskammer gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 GVG für verpflichtet hält, auch über die Aufrechnungsforderung zu entscheiden, geht auch das Oberlandesgericht Dresden davon aus, dass der Rechtsweg nach § 109 ff. StVollzG überhaupt eröffnet ist. Ein Gericht kann nämlich nur dann über rechtswegfremde Gesichtspunkte mitentscheiden, wenn der Rechtsweg zu ihm überhaupt gegeben ist. Dies ist vorliegend, wie bereits ausgeführt, indes nicht der Fall, da der Antragsteller nicht die Überprüfung einer Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzuges begehrt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass das Amtsgericht Bochum das Verfahren mit Beschluss vom 31. Januar 2000 an die Strafvollstreckungskammer verwiesen hat. Dieser Beschluss entfaltet keine Bindungswirkung, da § 17 a Abs. 2 S. 3 GVG lediglich die Verweisung in einen anderen Rechtsweg für bindend erklärt. Die Regelung gilt nicht für die sachliche Zuständigkeit innerhalb des gleichen Rechtsweges (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., §§ 17 ff. GVG Rdnr. 1).
Der Senat ist als Rechtsmittelgericht durch die Vorschrift des § 17 a Abs. 5 GVG auch nicht gehindert zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Nach dieser Bestimmung ist dem Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, die Prüfung, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, verwehrt. Voraussetzung dafür ist daher, dass das erstinstanzliche Gericht in der Hauptsache entschieden hat. Dies ist vorliegend aber gerade nicht der Fall, denn die Strafvollstreckungskammer hat sich für den allein geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch für unzuständig erklärt.
Die Strafvollstreckungskammer hat das Verfahren an das Amtsgericht Bochum in entsprechender Anwendung von § 17 a GVG zurückzuverweisen. Zwar liegt vom Wortlaut der Vorschrift ein Fall des § 17 a GVG nicht vor, da diese Vorschrift nur die Verweisung von einem Rechtsweg an einen anderen betrifft, die Strafvollstreckungskammer aber wie das zuständige Zivilgericht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören. § 17 a GVG ist aber auf diesen Fall entsprechend anzuwenden. Diese analoge Anwendung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, um die Orientierungsprobleme, die sich für den Rechtsuchenden aus der Aufgliederung der Rechtswege ergeben können, zu kompensieren. Zwischen der Geltendmachung der Rechtswidrigkeit von Vollzugsmaßnahmen und der Geltendmachung von Schadensersatz kann es zu Berührungen, Überschneidungen und damit auch typischerweise Abgrenzungsproblemen kommen. Da der Gefangene sich bevorzugt an die Strafvollstreckungskammer als das Gericht wenden wird, mit dem er sonst üblicherweise zu tun hat, wenn er sich gegen eine Maßnahme der Vollzugsanstalt wendet, liefe es der rechtschutzfreundlichen Tendenz des § 17 a GVG zuwider, wenn der Weg zu den Vollstreckungsgerichten für den Gefangenen zu einer Sackgasse würde (OLG Saarbrücken, NJW 1994, 1423, 1425).
Eine Verweisung durch den Senat selbst kommt nicht in Betracht. Sie muss vielmehr der Strafvollstreckungskammer vorbehalten bleiben. Dies ist durch die Struktur des revisionsrechtlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahrens einerseits und den Anforderungen an das Verweisungsverfahren andererseits vorgegeben. Eine Entscheidung über die Verweisung kann nur nach Anhörung der Parteien erfolgen (§ 17 a Abs. 2 S. 1 GVG). Für eine solche Anhörung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren kein Raum, weil es sich um eine tatsächliche Prozesshandlung handelt (OLG Saarbrücken, a.a.O.).
Im Ergebnis konnte die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer daher keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben und der Rechtsstreit zur Durchführung des Verweisungsverfahrens nach § 17 a GVG an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Amtsgericht Bochum zu prüfen haben wird, ob der Antragsteller sein Begehren im Wege der Zahlungsklage verfolgen kann. Dem könnte entgegenstehen, dass, vorausgesetzt ein Schadensersatzanspruch besteht dem Grunde nach, das Amtsgericht dann auch Gesichtspunkte prüfen müsste, die an sich in die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer fallen, wie z.B. die Frage, ob die Vollzugsbehörde mit Rücksicht auf die besondere Situation im Vollzug und die dadurch bedingten Aufrechnungsbeschränkungen von der Aufrechnung hätte absehen müssen. In diesem Fall müsste der Antragsteller nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis seinen Klageantrag auf eine negative Feststellungsklage ändern.
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