Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 657/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zur erforderlichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei auch von der Staatsanwaltschaft eingelegter Berufung und einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, notwendige Verteidigung, Verhandlung ohne Verteidiger, mehr als ein Jahr

Normen: StPO 140 Abs. 2; StPO 338 Nr. 5

Beschluss: Strafsache gegen H.E.,
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 16. März 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03.08.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:
I. Der ganz erheblich und einschlägig vorbelastete Angeklagte ist durch das Amtsgericht Münster am 4. November 1999 wegen "vorsätzlicher Führung eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Gegen dieses Urteil hatten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Münster Berufung eingelegt. Letztere hat ihr Rechtsmittel mit der Berufungsrechtfertigung vom 15. November 1999 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Ziel dieses Rechtsmittels war danach die Verhängung einer angemessenen und zu vollstreckenden Freiheitsstrafe, die Bestimmung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis und die Einziehung des Pkw Mercedes des Angeklagten.

Mit Schriftsatz vom 14. März 2000, der am folgenden Tage beim Landgericht eingegangen ist, hat der Verteidiger des Angeklagten die Niederlegung des Mandats angezeigt. Am 16. März 2000 hat das Landgericht Münster mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten auf eine zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie auf eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren erkannt. Ein Verteidiger hat an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II. Die Revision hat mit der formgerecht erhobenen Rüge, die Hauptverhandlung habe ohne Verteidiger stattgefunden, obwohl die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der Tat geboten gewesen sei (§§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO), einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Frage, ob einem Angeklagten wegen der Schwere der Tat (§ 140 Abs. 2 StPO) ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Nach heute überwiegender und zutreffender Auffassung wird jedenfalls bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung in aller Regel ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht (vgl. hierzu OLG Frankfurt StV 1995, 628, 629; OLG Düsseldorf, VRS 89, 367, 368; BayObLG NJW 1995, 2738; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78; OLG Hamm, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21. Februar 1995 - 2 Ss 136/95 -; OLG Hamm, 5. Strafsenat, Beschluss vom 23. März 1999 - 5 Ss 223/99; OLG Hamm, 4. Strafsenat, Beschlüsse vom 31. August 1999 - 4 Ss 938/99 - und vom 6. April 2000 - 4 Ss 356/00 -). Der vorliegende Fall gibt für eine abweichende Beurteilung keine Veranlassung. Gegen den Angeklagten ist mit der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten eine Freiheitsstrafe verhängt worden, die die Grenze von einem Jahr sogar spürbar überschreitet. Als weiterer gewichtiger Nachteil, der hier mitzuberücksichtigen ist, ist außerdem die Verhängung der isolierten Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis zu beachten. Zudem hat Bedeutung, dass nicht nur über die Berufung des Angeklagten, sondern auch über die der Staatsanwaltschaft zu verhandeln war, so dass die Strafkammer bei der Bestimmung der Strafe nur an die sich aus § 46 Abs. 1 StGB ergebenden Grenzen gebunden war. Dabei spielt es für die Frage, ob dem Angeklagten wegen der Schwere der Tat ein Pflichtverteidiger beizuordnen war, naturgemäß allenfalls eine untergeordnete Rolle, dass das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, da die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung gerade das maßgebliche Kriterium für dieses Tatbestandsmerkmal darstellt. Hier kommt hinzu, dass die Staatsanwaltschaft eine deutliche Verschärfung der Rechtsfolgenentscheidung erstrebt hatte, wie sich aus ihrer Berufungsrechtfertigung ergibt. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass der unmittelbar vor der Hauptverhandlung erklärten Niederlegung des Mandats durch den Wahlverteidiger für die Frage der Notwendigkeit der Mitwirkung eines Verteidigers Bedeutung zukommt.

Danach war die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Hauptverhandlung gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der Tat zwingend geboten. Ohne Verteidiger durfte nicht verhandelt werden. Da der Verstoß gegen § 140 Abs. 2 StPO einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO darstellt, war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".