Aktenzeichen: 3 Ws 293/00 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Gewährung einer Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen bei Einstellung des Verfahrens in de Revisionsinstanz wegen eines Verfahrenshindernisses.
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, Eigenes Verschulden, Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, grobes Mitverschulden
Normen: StREG 5
Beschluss: Strafsache gegen W.R.
wegen Betruges, (hier: Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen)
Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten vom 27. Juli 2000 gegen den Beschluss der 9. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 12. Juli 2000 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26.09.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des früheren Angeklagten verworfen.
G r ü n d e :
Der frühere Angeklagte wurde durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 31. August 1998 wegen tateinheitlich begangenen vierfachen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten durch Urteil vom 21.10.1999 auf und stellte das Verfahren ein, weil die Strafverfolgung verjährt war. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen blieb dem Landgericht Bielefeld vorbehalten.
Durch Beschluss der 9. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 12.07.2000 wurde festgestellt, dass der Angeklagte für den Schaden, den er durch die Beschlagnahme von Unterlagen aus seiner Wohnung und aus den Geschäftsräumen der Firma MRP seit dem 22. Oktober 1999 erlitten hat, aus der Staatskasse zu entschädigen sei. Eine weitergehende Entschädigung nach Einstellung des Verfahrens hat die Kammer abgelehnt. Gegen diese Entscheidung, die dem Verteidiger des früheren Angeklagten am 26.07.2000 zugestellt worden ist, wendet sich der frühere Angeklagte mit seiner am 28.07.2000 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangenen Beschwerde vom 27.07.2000.
Die gemäß § 8 Abs. 3 StrEG statthafte und gemäß § 311 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Eine Entschädigung für die Beschlagnahme der Unterlagen am 8. September 1995 bei der B. AG i.K. hat die Kammer bereits zu Recht deshalb abgelehnt, weil ein Eingriff in eigene Rechte des früheren Angeklagten nicht vorliegt.
Auch eine Entschädigung für die am 8. September 1994 aufgrund des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. August 1994 in seiner Wohnung bzw. aufgrund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr im Verzuge - durch Beschluss vom 9. September 1994 gerichtlich bestätigt - in dem Büro der Firma MPR erfolgten Beschlagnahmen, hat die Strafkammer mit zutreffenden Gründen abgelehnt. Ein Entschädigungsanspruch des früheren Angeklagten ist gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen, denn der Angeklagte hat - wie die Strafkammer zutreffend ausgeführt hat - die vorgenannten Maßnahmen zur Zeit ihrer Anordnung und Aufrechterhaltung aufgrund eigenen zurechenbaren Verhaltens grob fahrlässig herbeigeführt.
Die Ausschlussbestimmung des § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG beruht auf dem Grundgedanken des § 254 BGB. Diesem wiederum liegt die Erwägung zugrunde, dass derjenige, der die Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Kürzung seines Schadensersatzanspruchs hinnehmen muss. Dies gilt im Strafverfahren dann, wenn der Beschuldigte durch eigenes ihm zurechenbares Verhalten den Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, verursacht oder mitverursacht hat. Dadurch hat er gleichzeitig die wegen dieses Verdachts ergriffenen Strafverfolgungsmaßnahmen und den damit verbundenen Schaden schuldhaft verursacht oder mitverursacht. Grobe Fahrlässigkeit ist dabei dann anzunehmen, wenn die "im Verkehr erforderliche Sorgfalt
in besonders schwerem Maße verletzt wird" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) oder "wenn nicht das bedacht wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste" (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Rdnr. 9 zu § 5 StrEG; Dieter Meyer, StrEG und Auslagenerstattung, 4. Aufl. 1997, Rdnr. 47 zu § 5; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Mai 1972 - 4 Ws 101/72 -). Nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zur Position und zum Verhalten des Angeklagten bei Anordnung der Maßnahme, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (Abschnitt C des Beschlusses vom 12.07.2000, Blatt 3 bis Blatt 6), steht fest, dass der Angeklagte grob fahrlässig den wesentlichen Ursachenbeitrag zu den Strafverfolgungsmaßnahmen geleistet hat. Aufgrund der Angaben des gesondert Verfolgten K.S. insbesondere vom 14. Juni 1994 und vom 10. und 23. August 1994 und vom 11.07.1995 steht fest, dass der frühere Angeklagte wusste und initiiert hatte, dass zum Ausgleich der schweren Verluste des Unternehmens im operativen Bereich bereits der bloße Auftragsbestand als tatsächlicher Forderungsbestand deklariert an die Firma P. verkauft wurde; gleichzeitig bestand der dringende Verdacht, dass der frühere Angeklagte als Generalbevollmächtigter das Budget so manipulierte, dass ein ausgeglichenes Ergebnis oder nur leichte Verluste gezeigt und so - auch mit verschleierten Bilanzen - Banken getäuscht wurden, um Kreditmittel zu beschaffen. Durch Vorspiegelung einer soliden Ertragslage hat der frühere Angeklagte vier Beteiligungsgesellschaften verschiedener deutscher Großbanken zu atypischen stillen Beteiligungen in Höhe von insgesamt 30 Millionen DM am Kapital der B. AG - der Muttergesellschaft des Konzerns - bewegt und in dieser Höhe betrügerisch geschädigt. Wie sich im Einzelnen aus den Gründen des - wegen Strafverfolgungsverjährung aufgehobenen - Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 31. August 1998 ergibt, war zur Durchführung einer neuerlichen Kapitalerhöhung im Jahre 1989 die Beteiligung der Deutschen Beteiligungs AG Unternehmensbeteiligungsgesellschaft (DBAG), der Deutschen Beteiligungsgesellschaft mbH (DBG), der West KB sowie der BDW Beteiligungsgesellschaft für die Deutsche Wirtschaft mbH & Co. KG, die großes Interesse an einer Beteiligung bekundet hatten, mit der B. AG erfolgreich verhandelt worden. Der frühere Angeklagte war über die Zielrichtung und den Umfang der geplanten Kapitalerhöhung von 30 Millionen DM vollumfänglich informiert und unterstützte dieses Vorhaben. Ihm war das den vorgenannten Beteiligungsgesellschaften zur Verfügung gestellte Material hinsichtlich der Ertragslage der Firma, die ganz eklatant falsch dargestellt wurde, bekannt. Gerade die falsche Darstellung der Ertragslage gegenüber den Vertretern der Beteiligungsgesellschaften diente nach dem Willen des Angeklagten zur betrügerischen Täuschung. Die eklatanten Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Umsatz und damit auch den Ertragszahlen und den der Beteiligungsgesellschaften im Rahmen der Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen oder auch darüber hinaus vorgelegten unterjährigen Erfolgszahlen und insbesondere denjenigen des Prüfungsberichtes über den Konzernabschluss der B. AG zum Ende des Jahres 1988 waren dem früheren Angeklagten als Mitglied der Geschäftsleitung genau bekannt. Dennoch scheute er sich nicht, die Ertragslage der B.gruppe nach außen, d.h. mit Ausnahme des engsten Führungskreises, bestehend aus den gesondert Verfolgten B. und S. sowie ihm selbst, auch gegenüber allen eigenen Mitarbeitern, in einem positiven Licht darzustellen. In einer Rede auf einer B.tagung im Dezember des Jahres 1988 in Borgholzhausen präsentierte er die Umsatzentwicklung der B.gruppe beginnend mit dem Jahre 1981 bis zum Jahre 1988, wobei zwischen den Jahren 1984 und 1988 ein sprunghafter Anstieg von seinerzeit 45,8 Millionen auf 185 Millionen DM zum Ende des Jahres 1988 zu verzeichnen war. Dabei war dem früheren Angeklagten bekannt, dass das sprunghafte Steigen der Umsatzzahlen seinen Grund lediglich in dem ebenfalls sprunghaften Anstieg der durch die Geschäftstätigkeit der verschiedenen B.firmen erwirtschafteten Verluste begründet lag, die durch Einbuchen nicht existenter Forderungen in entsprechender Höhe ausgeglichen werden mussten, um eine ausgeglichene Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung darstellen zu können. Dem Angeklagten war auch bekannt, dass S. durch das von ihm so bezeichnete "P.geschäft" der Firma Liquidität in der erforderlichen Höhe verschaffte, wobei der frühere Angeklagte allerdings abweichend von der tatsächlichen Durchführung davon ausging, dass S. das von der Firma P. durch Betrug erlangte Geld lediglich dazu einsetzte, um Devisenerträge zum Verlustausgleich zu erwirtschaften. Spätestens zum Ende des Jahres 1988 war dem früheren Angeklagten klar, dass der Fortbestand der gesamten B.gruppe letztlich nicht mehr vom Erfolg oder Misserfolg der von ihr betriebenen Geschäfte abhing, sondern allein von der Art und Weise der Präsentation der wirtschaftlichen Lage der Gruppe nach außen, um den benötigten Geldgebern, im vorliegenden Fall den Beteiligungsgesellschaften, weiterhin das Bild eines lohnenden Investitionsobjektes vorgaukeln zu können. So setzte der frühere Angeklagte gemeinsam mit B. und S. die Planzahlen, z.B. am 23.01.1989 für die Jahre 1989 bis 1991, willkürlich in einer Höhe fest, die es S. ermöglichen sollte, den tatsächlich aufgelaufenen Kosten entsprechend, deren Höhe nicht verändert wurde, einen die Planzahlen noch übersteigenden Umsatz ausweisen zu können, ohne dass dies wegen der Größenordnung der Abweichung schon auf den ersten Blick als unstimmig erscheinen musste. Die dem Aufsichtsrat vorgelegten unterjährigen Erfolgszahlen ließ S. aus diesem Grunde auch stets unabhängig von der realen Umsatzlage ausschließlich orientiert an den vorgegebenen Planzahlen festsetzen. Dies war dem früheren Angeklagten klar. Er erhielt die von ihm als falsch bekannten Berichte jeweils vor den entsprechenden Aufsichtsratssitzungen, um sie vor der Präsentation zur Kenntnis nehmen zu können.
Durch die ihnen vorgelegten unrichtigen Ist-Zahlen, insbesondere für die Jahre 1988 und 1989, und die Aussage, dass es sich bei den ausgewiesenen Ergebnissen stets noch zum überwiegenden Teil um Gewinne handele, die die B.gruppe im Rahmen ihrer eigentlichen Geschäftstätigkeit, dem Sportbodenbau und dem Handel mit Baustoffen und Zubehör für Sportanlagen, erwirtschaftet habe und die nur im Übrigen zu einem kleineren Teil aus dem sogenannten Devisengeschäft anfielen, behielten bzw. gewannen die vier Beteiligungsgesellschaften ein positives Bild von der wirtschaftlichen Lage der B.gruppe, insbesondere i.S. einer gefestigten Gewinnerwartung für die Zukunft, und entschlossen sich, sich an der geplanten Kapitalerhöhung zu beteiligen. Zusammenfassend wurde die Firma B. als ein prosperierendes, wachstumsstarkes und gut situiertes Unternehmen mit erheblichem Gewinnaussichten und damit als eine Investitionsmöglichkeit mit angemessener Renditeerwartung eingestuft. Die vier Beteiligungsgesellschaften vereinbarten aus diesem Grunde jeweils durch Vertrag vom 07.12.1989 die Errichtung einer stillen Gesellschaft mit der B. AG. Die Verträge enthielten bis auf die Bestimmungen über die Höhe der Einlage des Beteiligungsentgeltes und des Auseinandersetzungsguthabens gleichlautende Vereinbarungen. Die DBAG, die DBG, die West KB und die BDW verpflichteten sich jeweils, eine Einlage in Höhe von 5, 7,5,
7,5 bzw. 10 Millionen DM bis zum 11.12.1989 in Geld zu er-
bringen. Die stille Beteiligung war jeweils befristet bis zum 31.12.1994. Die Einlagen wurden vereinbarungsgemäß sämtlich am 11.12.1989 erbracht. Im Gegenzug haben die Beteiligungsgesellschaften die vertraglich vereinbarten Beteiligungsentgelte bis einschließlich 1993 auch erhalten. Die Einlagen waren damit - wie dem früheren Angeklagten klar war - im Hinblick auf die hohen Verluste, die die B.gruppe erwirtschaftete und die nach der Vorstellung des früheren Angeklagten nur dadurch ausgeglichen werden konnten, dass S. durch den Verkauf von Luftforderungen an P. Auszahlungen in Höhe von über 100 Millionen DM erlangte und damit Devisengeschäfte betrieb und jederzeit mit der Aufdeckung dieser Betrügereien gerechnet werden musste, so gut wie verloren. Tatsächlich hatten die Beteiligungsgesellschaften wegen des vereinbarten Rücktritts keine Aussichten, in dem Konkurs der B. AG noch Zahlungen auf ihre Rückforderungsansprüche zu erhalten.
Diese Feststellungen des - aufgehobenen - Urteils entsprechen nach zutreffender Überzeugung der Strafkammer und des Senates dem tatsächlichen Verhalten des früheren Angeklagten. Sie beruhen im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen S., der den früheren Angeklagten massiv belastet hat. Die Strafkammer hat zunächst Aussagen des Zeugen S. nach eingehender Würdigung für glaubhaft und seine Person für glaubwürdig erachtet. Dieser Würdigung schließt sich der Senat, dem eine Überprüfung lediglich anhand der Verfahrensakte möglich ist, an. Die Angaben des Zeugen S. über das Betrugssystem und das Ausmaß der dadurch entstandenen Folgen sind bestätigt worden durch die Erkenntnisse des Konkursverwalters Dr. Stange, teilweise ferner durch die Angaben der Zeugen M. und H. sowie der weiteren im Zuge des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung vernommenen zahlreichen Zeugen. Der Senat ist davon überzeugt, dass der frühere Angeklagte sich in zuvor geschilderter Weise tatsächlich verhalten hat. Damit hat er in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer acht gelassen, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor Schaden durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen. Für den früheren Angeklagten lag es auf der Hand, dass er durch sein vorbeschriebenes Verhalten die Gefahr von Strafverfolgungsmaßnahmen adäquat kausal verursachte. Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung des Verhaltens des Angeklagten kommt es nicht darauf an, ob das ursächliche Verhalten des Angeklagten in der ihm vorgeworfenen Tat selbst oder vor dieser lag oder ob es ihr nachfolgte ( vgl. Meyer, a.a.O., Rdnr. 35 zu § 5 m.w.N.; OLG Hamm, MDR 1975, 167 und 790).
Das Beschwerdevorbringen des früheren Angeklagten in seiner Beschwerdebegründungsschrift vom 18.09.2000 gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass. Soweit der Beschwerdeführer der Auffassung ist, es fehle an einer eigenen Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme durch den früheren Angeklagten, kann dem nicht gefolgt werden. Denn der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit trifft den Beschuldigten bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses schon wegen der Tatbegehung (vgl. BGH 29, 168, 172; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Anm. 9 zu § 5 StrEG). Insoweit ist nicht auf das prozessuale Verhalten des Beschuldigten, sondern auf sein gesamtes Verhalten abzustellen, insbesondere das Verhalten in der Tat selbst, soweit Feststellungen - wie hier - dazu möglich sind.
Die Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
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