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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 311/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Ablehnung eines Beweisantrages wegen Verschleppungsabsicht

Senat: 3

Gegenstand: Beweisantrag, Verschleppungsabsicht, Person des Antragstellers, fehlende Sachdienlichkeit

Normen: StPO 244 Abs. 3

Beschluss: Strafsache gegen 1. M.H.,
2. S.S.,
wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung.

Auf die Sprungrevisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld vom 3. Dezember 1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.04.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochten Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hat die Angeklagten am 3. Dezember 1999 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten S. außerdem wegen Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten H. hat das Jugendschöffengericht zwei Freizeitarreste und gegen den Angeklagten S. zwei Wochen Dauerarrest verhängt.

Zur Sache hat das Jugendschöffengericht folgende Feststellungen getroffen:

"Am Abend des 15. Januar 1999 gegen 23.00 Uhr fuhren die Zeugen D.A., S.R. und P.H. mit dessen Honda Civic Pkw GT-CW 295 zum Bowling-Center "Sportmühle" an der Gütersloher Straße in Bielefeld-Ummeln. Sie parkten das Fahrzeug vor dem Haus Queller Straße 194, weil sie befürchteten, es könne auf dem Parkplatz der Sportmühle"' durch andere Fahrzeuge beschädigt werden. Sie gegen zu Fuß zur "Sportmühle" und sahen dort den Angeklagten Michael H., der mit einem motorisierten Miniroller seines Bruders Heiko, einem sogenannten "Go Pad" auf dem Parkplatz hin und her fuhr. S.R. kannte Michael H. vom Sehen aus der Diskothek Theatron, wo er nach seinen Angaben in der Hauptverhandlung von Michael gelegentlich "blöd angemacht" worden war. Deshalb hielt S.R. Michael H. an und wollte ihn zur Rede stellen. Zu diesem Zeitpunkt standen D.A. und P.H. etwas entfernt in der Nähe des Eingangs der Sportmühle. Sie bemerken 2 Personen, einen Großen und einen Kleinen, die an einem weißen Opel Vectra standen, der in ihrer Nähe am Eingang der Sportmühle geparkt war. Es handelte sich um den Pkw des S.S., mit dem dieser an jenem Abend zur "Sportmühle", gefahren war. Plötzlich wurde P.H. von dem Kleinen, der bisher unbekannt geblieben ist, angerempelt, wodurch es zumindest zu einem Wortwechsel kam. Daraufhin ging D.A. dazwischen, um zu schlichten. Nunmehr rief der Große, bei dem es sich nach den getroffenen Feststellungen um S.S. handelte, mehrere Personen zur Hilfe, öffnete den Kofferraum seines Pkw und holte eine kurze Eisenstange und Knüppel heraus. Daraufhin liefen P.H. und D.A. weg. Während P.H. sich in einer Tannenschonung verstecken konnte, wurde D.A. von S.S.. und zwei weiteren Personen verfolgt. Gemeinsam mit S.R. lief er zum Haus Queller Straße 194, wo sie das Auto des P.H. geparkt hatten. S.R. hatte die Fahrzeugschlüssel und konnte in den Pkw einsteigen. Dabei verriegelte er die Fahrzeugtür von innen. Da der Pkw keine Zentralverriegelung hatte, gelang es D.A. nicht, an der Beifahrertür einzusteigen. Er erhielt von S.S.. einen Schlag mit einem Knüppel auf den Hinterkopf, wodurch er zu Boden ging. Nunmehr wurde er von mehreren Personen getreten und mit Knüppeln geschlagen. S.R. wollte seinem Freund helfen, fand jedoch den Verriegelungsknopf der Fahrertür nicht. Er kletterte deshalb durch das Fenster aus dem Pkw heraus und bekam ebenfalls einen Schlag mit einem Knüppel auf den Kopf, wobei auch seine Brille zu Bruch ging. Sodann liefen beide zum Haus Queller Straße 190 a, wo sie an die Terrassentür klopften. Nachdem ihnen von der Bewohnerin geöffnet worden war, wurde von dieser die Polizei benachrichtigt. Die Polizeibeamten durchsuchten den Pkw des S.S.., fanden jedoch keine Schlagwerkzeuge. Außerdem stellten sie nach einem Hinweis der Zeugin P. fest, dass beide Scheinwerfer am Honda Pkw des P.H. mit Schlagstöcken zerschlagen worden waren. Frau P. hatte aus dem Fenster ihrer Wohnung im Haus Queller Straße 194 geschaut und mehrere Personen beobachtet, von denen einer mit einer Stange oder einem Baseballschläger gegen die Windschutzscheibe des Pkw schlug und die Scheinwerfer zerstörte. Auf Anraten der Polizei fuhren die Zeugen A. und R. später zum Ev. Krankenhaus in Rheda, wo sie wegen Verdachts einer Gehirnerschütterung 3 Tage stationär verblieben. Bei D.A. wurde eine ca. 3 cm lange schräg verlaufende Platzwunde auf dem Hinterkopf festgestellt."

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Jugendschöffengericht folgendes ausgeführt:

"Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ist das Gericht überzeugt davon, dass Michael H. und S.S.. gemeinschaftlich handelnd die Körperverletzungen der Zeugen A. und R. begangen haben, S.S.. außerdem die Sachbeschädigung am Pkw des P.H.. Die Zeugen haben bereits unmittelbar nach der Tat bei der Polizei genaue Beschreibungen von Michael H. und S.S.. abgegeben; sie bei einer späteren Wahllichtbildvorlage eindeutig wiedererkannt und auch von anderen Besuchern der "Sportmühle" nachträglich erfahren, dass ein Michael und ein Sven die Hauptbeteiligten an den Vorfällen gewesen seien. D.A. hat S.S.. als denjenigen bezeichnet, der das Auto des P.H. beschädigt hatte.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestehen nicht. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb sie Michael H. und S.S.. zu Unrecht belasten sollten. Das von diesen in der Hauptverhandlung behauptete Alibi ist dagegen unglaubwürdig. Sie haben behauptet, schon kurz nach 22.00 Uhr mit dem Auto der Zeugin N.N., mit dem Michael H. zur "Sportmühle" gekommen sei, zu dieser gefahren zu sein, um mit ihr in die Diskothek Theatron zu fahren. Da die Zeugin bei ihrem Eintreffen noch unter der Dusche gestanden habe, hätten sie eine Weile Videofilme geschaut, seien gegen 00.00 Uhr wieder an der "Sportmühle" gewesen und dann zum Theatron gefahren. Die Zeugin N. hat zwar bestätigt, dass die beiden am späten Abend des Tattages zu ihr gekommen und von ihren Eltern hereingelassen worden seien, sie wisse jedoch weder, mit welchem Auto sie gefahren seien noch um wie viel Uhr sie angekommen seien. Dies könne um,22.30 Uhr gewesen sein. Auch ihre Eltern hätten sich die Uhrzeit nicht gemerkt."

Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten mit jeweils am 10. Dezember 1999 eingegangenen Schriftsätzen Rechtsmittel eingelegt und das Rechtsmittel nach Zustellung des Urteils jeweils am 11.01.2000 mit Schriftsätzen vom 1. Februar 2000, für den Angeklagten H. eingegangen bei den Bielefelder Justizbehörden am 2. Januar 2000, für den Angeklagten S. am 4. Februar 2000, als Revision bezeichnet und die Revision mit der Verletzung des formellen und des materiellen Rechts begründet.

Mit der Verfahrensrüge haben die Angeklagten übereinstimmend die Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO gerügt und ausgeführt, dass das Gericht zu Unrecht einen Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt habe, er sei lediglich aus Verschleppungsabsicht gestellt.

II. Die Revision beider Angeklagter hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld. Mit der Revision wird zu Recht die Zurückweisung des gestellten Beweisantrages zum dargetanen Alibi der Angeklagten durch Vernehmung der Zeugen W. und A.N. beanstandet. Die Angeklagten haben die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben. Die Revision führt zutreffend aus, dass die Zurückweisung eines Beweisantrages wegen Verschleppungsabsicht voraussetzt, dass das Gericht rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen kann, dass auch der Antragsteller sich dessen bewusst ist und den Antrag ausschließlich zur Verfahrensverzögerung gestellt hat (BGHSt 29, 149; BGH NStZ 98, 207). Das Gericht darf den Antrag nur ablehnen, wenn es die Verschleppungsabsicht des Antragstellers aufgrund der äußeren Umstände, insbesondere aufgrund des Prozessverhaltens des Antragstellers, sicher nachweisen kann. Hat ein Verteidiger den Beweisantrag gestellt, setzt dessen Ablehnung die Verschleppungsabsicht in seiner Person voraus (BGHSt, 21, 118). Die Begründung des Ablehnungsbeschlusses erfordert die Darlegung der indiziellen Umstände der Verschleppungsabsicht und ihre Gesamtwürdigung. Des weiteren setzt die Ablehnung voraus, dass eine nicht nur unerhebliche Verzögerung des Verfahrens eintreten würde (BGH NStZ 84, 230).

Die Begründung des Ablehnungsbeschlusses hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zum einen konnte das Tatgericht wegen des Verbotes der Beweisantizipation und der Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme bei Erlass des Ablehnungsbeschlusses nicht davon ausgehen, dass die Vernehmung der Zeugen W. und A.N. unmöglich den Eintritt einer den Angeklagten günstigen Wendung herbeiführen könne. Aufgrund einer eingehenden Befragung dieser Zeugen bestand die realistische Möglichkeit einer näheren Konkretisierung ihrer schriftlichen Angabe zum späten Abend des Tattages durchaus. Auch war diese Möglichkeit durch die Bekundung der Zeugin N.N., sowohl sie als auch ihre Eltern hätten sich die Uhrzeit nicht gemerkt, nicht ausgeschlossen, zumal Umstände, aufgrund derer diese Zeugin zur Wahrnehmung ihrer Eltern Aussagen zu treffen vermochte, weder ersichtlich noch im Ablehnungsbeschluss dargetan sind. Überdies fehlt es der Begründung des Ablehnungsbeschlusses an jeglicher Darlegung der Verschleppungsabsicht des antragstellenden Verteidigers, mithin der Darlegung von Umständen, aus denen auf die ausschließliche Absicht der Verfahrensverzögerung zu schließen war. Das Prozessverhalten des Verteidigers, der ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung seinen Beweisantrag bereits am vorangegangenen ersten Prozesstag gestellt und diesen nach Verlesung der schriftlichen Erklärung der Zeugen W. und A.N. am zweiten Prozesstag aufrechterhalten hat, bietet hierzu keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere ist in der Wahrnehmung des Rechts, die Zustimmung zu der Verlesung der schriftlichen Erklärung der Zeugen N. gemäß § 252 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zu erteilen, kein Umstand zu erkennen, der auf eine Verschleppungsabsicht schließen ließe. Des weiteren sind keine Umstände ersichtlich und dargetan, die eine nicht nur unwesentliche Verzögerung des Verfahrens durch die Vernehmung der ortsnah ansässigen Zeugen begründen könnten.

Aufgrund des festgestellten Mangels, auf dem das Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - zurückzuverweisen.
Das Jugendschöffengericht wird dabei ferner zu berücksichtigen haben, dass die bisherigen Feststellungen bezüglich des Angeklagten H. den Schuldspruch nicht tragen; insofern fehlt es an der Darlegung einer eigenen Tathandlung des Angeklagten H., die die Überprüfung ermöglicht, ob und inwieweit er sich an den körperlichen Auseinandersetzungen beteiligt hat, oder der Darlegung eines gemeinsamen Tatentschlusses der Mittäter, der zu einer Zurechnung der wechselseitigen Tatbeiträge führt.

Weil der Erfolg des Rechtsmittels i.S.d. § 473 StPO noch nicht feststeht, war dem Amtsgericht ferner die Kostenentscheidung vorzubehalten.


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