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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 BL 189/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Verneinung eines wichtigen Grundes für die Fortdauer der Untersuchungshaft

Senat: 1

Gegenstand: Haftprüfung, BL 6

Stichworte: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, wichtiger Grund, frühes Geständnis des Angeklagten, Aufhebung des Haftbefehls

Normen: StPO 121

Beschluss: Strafsache
gegen M.H.,
wegen schweren Raubes, (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß §§ 121, 122 StPO).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24.10.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Olpe vom 14. April 2000 (52 Gs 19/2000) wird aufgehoben.

Gründe:
Gegen den Angeschuldigten besteht der Haftbefehl des Amtsgerichts Olpe vom 14. April 2000 (52 Gs 19/00). Ihm wird darin zur Last gelegt, sich der schweren räuberischen Erpressung schuldig gemacht zu haben. Im Einzelnen wird ihm vorgeworfen, am 12. April 2000 in Lennestadt-Altenhundem maskiert und mit einem Küchenmesser mit einer ca. 20 cm langen Klinge bewaffnet in die DEA-Tankstelle in Lennestadt-Altenhundem eingedrungen und die Kassiererin M.P. unter Vorhalt dieser Waffe zur Herausgabe von etwa 800,- bis 900,- DM Bargeld genötigt zu haben.

Der Angeschuldigte ist dieser Tat aufgrund seiner eigenen geständigen Einlassung sowie des Ermittlungsergebnisses im übrigen dringend verdächtig. Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 212 Abs. 2 Ziffer 2 StPO), weil der Angeschuldigte mit einer empfindlichen - vollstreckbaren - Freiheitsstrafe zu rechnen hat und im Übrigen mit dem Widerruf der Bewährung einer gegen ihn am 8. Dezember 1998 verhängten einjährigen Freiheitsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs zu rechnen ist. Der Angeschuldigte verfügt schließlich auch nicht über soziale Bindungen, die die Fluchtgefahr ausräumen könnten.

Gleichwohl war der Haftbefehl aufzuheben, weil dem Beschleunigungsgebot des § 121 Abs. 1 StPO nicht genügt wurde. Das ergibt sich aus folgenden Umständen:

Der Angeschuldigte hat die ihm zur Last gelegte Tat bereits anlässlich seiner Vorführung am 14. April 2000 in vollem Umfang eingeräumt. Einem Vermerk der Kreispolizeibehörde Olpe (Sachbearbeiter: Herr G.) vom gleichen Tage ist außerdem zu entnehmen:

"Der Beschuldigte gab an, auch am Donnerstag tagsüber dem Alkohol reichlich zugesprochen zu haben (seit zwei Jahren würde er dies tagtäglich tun). Seine Worte: "Ich komme täglich auf gute 2 o/oo. Heute bin ich aber von den Beamten beim Weitertrinken gestört worden!" Dennoch war er außergewöhnlich gut in der Lage, dem Gespräch zu folgen. Ein durchgeführter Alcotest um 21.45 Uhr zeigte den Wert von 1,83 o/oo."

Irgendwelche Ermittlungen zur Sache wurden in der Zeit bis zur Anklageerhebung am 13. Juni 2000 nicht mehr getätigt. Lediglich dem Verteidiger des Angeschuldigten wurden auf seinen Antrag hin die Verfahrensakten mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 10. Mai 2000 übersandt. Die Akten gelangten - ohne ergänzende Stellungnahme des Angeschuldigten - am 24. Mai 2000 wieder zur Staatsanwaltschaft Siegen zurück. Erst nach Zustellung der unter dem 13. Juni 2000 erstellten Anklage hat der Verteidiger des Angeschuldigten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeschuldigten und seiner möglichen Unterbringung nach § 64 StGB beantragt. Die zuständige Strafkammer hat dem Antrag entsprochen, jedoch ist das Gutachten bislang - jedenfalls bis zur Übersendung der Akten an den Senat - nicht eingegangen.

Diese Verfahrensweise verletzt das Beschleunigungsgebot des § 121 Abs. 1 StPO. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG garantiert die Freiheit der Person. In diesem Grundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angesiedelt (BVerfGE 46, 194). Dem trägt § 121 Abs. 1 StPO insoweit Rechnung, als der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Vorschrift des
§ 121 Abs. 1 StPO lässt deshalb nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist eng auszulegen (vgl. zuletzt BVerfG NStZ-RR 99, 12 m.w.N.). Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte müssen deshalb ihrerseits alle zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und das Urteil herbeizuführen. Diesem Erfordernis wird nicht Genüge getan, wenn etwa die Anklageschrift mit wochenlanger Verzögerung erhoben wird oder die Einholung ersichtlich notwendiger weiterer Beweismittel unterlassen wird.

So liegt der Fall hier. Der Angeschuldigte war von Anfang an geständig. Bereits bei seiner Festnahme lagen deutliche Anhaltspunkte vor, die auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit des Angeschuldigten hinwiesen. Nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft am 20. April 2000 hat diese aber - abgesehen von der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger des Angeschuldigten sowie der Anforderung von Verfahrensakten eines anderen früher gegen den Angeschuldigten anhängigen Verfahrens keine weiteren Ermittlungen bis zur Anklageerhebung durch-
geführt, insbesondere es aber auch unterlassen, unverzüglich die ersichtlich gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit und Unterbringung nach § 64 StGB zu veranlassen.

Unter diesen Umständen ist es mit dem Beschleunigungsgebot nicht vereinbar, wenn die Staatsanwaltschaft erst unter dem 13. Juni 2000 Anklage erhebt. Bereits aus diesem Grund kann der Haftbefehl deshalb keinen Bestand mehr haben. Damit kann dahinstehen, ob auch die Strafkammer schon vor Eingang eines Sachverständigengutachtens über die Eröffnung des Hauptverfahrens hätte entscheiden und Hauptverhandlungstermin anberaumen können.


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