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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws-L- 11/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, wie Vorstrafen bei der nachträglichen Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu berücksichtigen sind und zur Berücksichtigung sonstiger Umstände.

Senat: 1

Gegenstand: Strafvollstreckungssache

Stichworte: Nachträgliche Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, Berücksichtigung von Vorstraftaten, subjektive Momente, brutale Tatausführung

Normen: StGB 57a

Beschluss: Strafvollstreckungssache
gegen W.K.
wegen Mordes (hier: Strafaussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 25. Juli 2000 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 28. Juni 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.10.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass die aus Gründen der besonderen Schwere der Schuld gebotene Vollstreckungsdauer auf 18 Jahre festgesetzt wird.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Verfahrens. Jedoch wird die Beschwerdegebühr um 2/3 ermäßigt. Die Staatskasse trägt auch 2/3 der dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Gründe:
Das Landgericht Dortmund hat den Verurteilten am 8. November 1985 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilte hatte am 19.09.1984 einen Juwelier mit 10 wuchtigen Hammerschlägen gegen den Kopf getötet, um eine andere Straftat, nämlich die Mitnahme von Bargeld zu ermöglichen. Hinsichtlich des Tatgeschehens im Einzelnen wird auf die Gründe der Entscheidung des Schwurgerichts vom 8. November 1985 zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Am 27. September 2001 werden 15 Jahre dieser lebenslangen Freiheitsstrafe verbüßt sein.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 28. Juni 2000 die bedingte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung bereits nach einer Strafverbüßung von 15 Jahren abgelehnt und wegen der besonderen Schuldschwere im Rahmen einer vollstreckungsrechtlichen Gesamtschau die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe auf 25 Jahre festgesetzt. Sie hat dabei berücksichtigt, dass sich der Verurteilte bereits vor dieser Tat aufgrund schwerer Gewaltdelikte mehrere Jahre im Strafvollzug befunden hat und das Tatopfer außerdem mit "beispielloser Brutalität" getötet habe. Schließlich habe es der Verurteilte nicht bei einem Schlag mit dem Hammer bewenden lassen, sondern mit absolutem Tötungswillen mindestens zehnmal mit erheblicher Wucht zugeschlagen. Die anschließende Durchsuchung des Verkaufsraumes des Juweliergeschäfts belege die "Kaltblütigkeit" der Tatausführung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten. Er ist der Auffassung, dass eine besondere Schwere der Schuld nicht vorliege und deshalb eine weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe über 15 Jahre hinaus nicht geboten sei. Die von der Strafvollstreckungskammer herangezogenen Kriterien seien zur Begründung der Schuldschwere unzulässig. Schließlich habe die Strafvollstreckungskammer aber auch die erst in jüngster Zeit gewonnene Erkenntnis unberücksichtigt gelassen, dass ein tief sitzender Hass gegen seinen Vater, der ihn früher sexuell missbraucht habe, die "Motivlage in der Tötungssituation" erheblich beeinflusst habe. Zugunsten eines Verurteilten seien aber auch Umstände dar Tat zu berücksichtigen, die dem Tatgericht noch nicht bekannt gewesen seien.

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg und führt im Rahmen einer gesamtvollstreckungsrechtlichen Würdigung zur Festsetzung der aus Gründen der Schuldschwere gebotenen Mindestverbüßungsdauer auf 18 Jahre.

Bei Verurteilten, deren Schuldschwere noch nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, durch das Schwurgericht gewichtet ist, darf das Vollstreckungsgericht bei der Bewertung der Schuld nur das dem Urteil zugrunde liegende Tatgeschehen einschließlich der dazu festgestellten Umstände berücksichtigen, weil in diesen sogenannten Altfällen in einem wegen Mordes auf lebenslange Freiheitsstrafe erkennenden Urteil nur diese festgestellt werden mussten und auch nur insoweit eine revisionsrechtliche Überprüfung möglich war. Weitergehende subjektive Kriterien, die nicht der Annahme eines Mordmerkmals dienten, mussten deshalb nicht notwendig in den Urteilsgründen enthalten sein. Die Übertragung derartiger Erwägungen auf eine Schuldbewertung durch das Vollstreckungsgericht kann deshalb nicht in Betracht kommen (vgl. BVerfG NStZ 99, 101 f). Daraus folgt, dass alle subjektiven, die Tatschuld über das Mordmerkmal hinaus prägenden Gesichtspunkte in der Regel außer Betracht zu bleiben haben, weil derartige Urteilsaussagen nicht in einem Begründungszusammenhang erfolgen, die die Schuld des Täters im Hinblick auf die nach § 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB zu treffende Entscheidung gewichten. Der Senat hat in diesem Zusammenhang auch bereits wiederholt festgestellt, dass insoweit die vom Tatgericht festgestellten Vorstraftaten eines Verurteilten nicht schlechthin nachteilig berücksichtigt werden dürfen, weil nicht schon deren schlichte Existenz bei der Bemessung der Schuldschwere Berücksichtigung finden darf (vgl. Senatsentscheidung vom 17. Juni 1993 - 1 Ws - L - 7/93 -; Senatsentscheidung vom 21. Oktober 1993 - 1 Ws - L - 17/93 OLG Hamm -; 1 Ws (L) 8/97; OLG Karlsruhe, ZfStrVO 93, 374).

Der Senat hält an dieser Auffassung grundsätzlich fest. Sie ist jedoch im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) modifiziert zu betrachten. So dürfen die Strafvollstreckungsgerichte zwar nicht schon eine Vorstrafe als solche schulderhöhend berücksichtigen, sie sind aber nicht gehindert, bei der Bewertung der Schuldschwere die sich aus der Vorstraftat einerseits und der Mordtat andererseits ergebende Geneigtheit des Verurteilten zur Gewalt in Rechnung zu stellen und die Mordtat als eine die Warnfunktion früherer Verurteilungen wegen Gewalttaten missachtende weitere, nicht zu überbietende Steigerung der Gewaltbereitschaft als besonders schulderschwerend zu werten. So liegt der Fall hier. Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung danach insoweit zutreffend berücksichtigt, dass der Verurteilte erst am 24. Februar 1981 wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden war und er alsbald nach seiner Entlassung aus der Strafhaft die der Verurteilung wegen Mordes zugrunde liegende Straftat begangen hat. Bereits aus diesem Umstand folgt, dass die Strafvollstreckungskammer zu Recht eine besondere Schwere der Schuld angenommen hat.

Schuldsteigernd war weiterhin die aus dem äußeren Tatablauf herzuleitende besondere Brutalität der Tatausführung zu berücksichtigen, die sich aus der Feststellung des Schwurgerichts ergibt, dass der Verurteilte mindestens zehnmal mit der stumpfen wie mit der spitzen Seite des Hammers mit absolutem Tötungswillen und mit größter Wucht auf den Kopf des Opfers eingeschlagen und damit mehr getan hat, als zum bloßen Erfüllen des Tötungstatbestandes erforderlich gewesen ist.

Die Berücksichtigung dieser objektiven Tatumstände ist zulässig (vgl. BVerfG NJW 1993, 1124, 1125) und wird auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.09.1998 (NStZ 1999, 101) im Ergebnis nicht infrage gestellt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall die besondere Brutalität der Tatausführung nicht als berücksichtigungsfähig bezeichnet. Dies aber nur deshalb, weil sich nach seiner Auffassung gerade in dieser brutalen Vorgehensweise des Täters das vom Schwurgericht allein angenommene Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verwirklicht hatte. Insoweit durfte sich die Brutalität folgerichtig nicht nochmals schuldsteigernd auswirken.

Sofern die Strafvollstreckungskammer allerdings in Ansehung der Anzahl der Hammerschläge darüber hinaus insofern eine zusätzliche Schuldsteigerung angenommen haben sollte, als sie - unter Zergliederung des einheitlichen Tatgeschehens - anders als das Schwurgericht von einer mehraktiven Tötungshandlung ausgegangen sein sollte, wäre dies unzulässig (BVerfG a.a.O.).

Trotz der vorgenannten schuldsteigernden Umstände hält der Senat auch unter Berücksichtigung des günstigen Vollzugsverlaufes die von der Strafvollstreckungskammer festgesetzte Mindestverbüßungsdauer von 25 Jahren für erheblich übersetzt. Nach Auffassung des Senats ist vielmehr der weitere Vollzug der Freiheitsstrafe bis zum Ablauf von 18 Jahren geboten.

Soweit der Verurteilte Ausführungen zu der der Tat zugrunde liegenden Motivlage macht und dabei auf neu hervorgetretene Umstände verweist, kann dies schon deshalb keine Berücksichtigung finden, weil das Schwurgericht Feststellungen zum Tatmotiv getroffen hat und hiervon abweichende oder diese verändernde Feststellungen im Vollstreckungsverfahren unabhängig davon, ob sie sich günstig oder ungünstig für den Verurteilten auswirken würden, nicht zulässig sind (vgl. Senatsbeschluss 1 Ws (L) 10/2000 vom 12.09.2000).


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