Aktenzeichen: 4 Ws 511/96 OLG Hamm
Leitsatz: Bei der in § 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO getroffenen Regelung, wonach zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Entschädigung für eine notwendige Zeitversäumnis nach den Vorschriften, die für die Entschädigung von Zeugen gelten, gehört, handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung.
Senat: 4
Gegenstand: Beschwerde, Kostenbeschwerde
Stichworte: Kostenbeschwerde, notwendige Auslagen des freigesprochenen Angeklagten, Reisekosten, Abwesenheitsgelder, auswärtiger Verteidiger, Kostenfestsetzungsbeschluß, Informationsfahrten, Besprechungstermine, Zeitverlust
Normen: StPO 464 a Abs. 2 Nr. 2; BRAGO 28, ZPO 91 a Abs. 2
Beschluss: Strafsache gegen F.H.,
wegen Betruges und Vortäuschens einer Straftat,
(hier: notwendige Auslagen des teilweise freigesprochenen Angeklagten).
Auf die sofortige Beschwerde (Durchgriffserinnerung) des früheren Angeklagten vom 17. September 1996 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Rechtspflegers des Landgerichts Münster vom 11. September 1996 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29.04.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass die dem früheren Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden weiteren notwendigen Auslagen auf 13,60 DM (in Worten: dreizehn 60/100 Deutsche Mark) festgesetzt werden.
Der frühere Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Der frühere Angeklagte ist durch Urteil der 11. großen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 11. Oktober 1995 wegen Betruges und wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 90,00 DM verurteilt, von den gegen ihn mit der Anklage erhobenen Vorwürfen der schweren Brandstiftung in zwei Fällen und der Beihilfe zum Betrug hingegen freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten sind im Umfang seiner Verurteilung diesem und, soweit Freispruch erfolgte, der Staatskasse auferlegt worden. Der frühere Angeklagte hat beantragt, die ihm von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 6.753,15 DM nebst Zinsen festzusetzen. Mit dem angefochtenen Beschluss, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Rechtspfleger des Landgerichts Münster die notwendigen Auslagen auf 5.870,20 DM nebst Zinsen seit Antragstellung festgesetzt. Gegen die im Rahmen der Festsetzung seiner notwendigen Auslagen vorgenommenen Absetzungen wendet sich der frühere Angeklagte mit seiner Erinnerung, der der Rechtspfleger und die Strafkammer des Landgerichts Münster nicht abgeholfen haben.
Zu dem Rechtsmittel des früheren Angeklagten hat der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts wie folgt Stellung genommen:
"Die nunmehr als sofortige Beschwerde geltende Erinnerung ist zulässig gemäß §§ 464 b Satz 3 StPO; 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO; 11 Abs. 2 Satz 5 RPflG.
Ich halte sie nur zu einem geringen Teil für begründet.
Der Betroffene hat Gebühren des Rechtsanwalts K. für die Vertretung im Hauptverfahren zur Festsetzung gegen die Landeskasse geltend gemacht.
Der zunächst tätige Rechtsanwalt D. hatte mit Schriftsatz vom 06.12.1993 die Vertretung des Beschuldigten angezeigt (Bd. III Bl. 403).
Rechtsanwalt K. war nach der Niederlegung des Mandats durch Rechtsanwalt D. seit dem 30.05.1995 im Strafverfahren tätig (Bd. III Bl. 527).
Zuvor war die Anklageschrift vom 28.02.1995 am 21.03.1995 bei dem Landgericht Münster eingegangen (Bd. III Bl. 494). § 134 Abs. 1 Satz 1 BRAGO stellt für das anzuwendende Gebührenrecht auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung ab. Nach dieser Vorschrift ist für die Vergütung des Verteidigers Rechtsanwalt D. das vor dem 01.07.1994 geltende Gebührenrecht maßgeblich. Entgegen der von dem Beschwerdeführer geäußerten Ansicht, nach Anklageerhebung beginne ein neuer Verfahrensabschnitt, der in den Geltungsbereich des neuen Rechts falle, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 134 Abs. 1 BRAGO für die gesamte erste Instanz auf den Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Das ergibt sich insbesondere aus Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift. Ist der Rechtsanwalt in dem (nach "altem" Recht abzurechnenden) Rechtszug bereits tätig, ist die Vergütung für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach dem 01.07.1994 eingelegt wurde, nach neuem Recht zu bemessen.
Daraus folgt, dass das erstinstanzliche Verfahren einheitlich nach dem bisher geltenden Recht abzurechnen ist. Wäre Rechtsanwalt D. weiterhin tätig gewesen, hätte ihm - unabhängig von dem Datum der Anklageerhebung - für das gesamte erstinstanzliche Verfahren eine Vergütung nach dem vor dem 01.07.1994 geltenden Recht zugestanden.
In Abgrenzung dazu wäre Rechtsanwalt K., der nach diesem Zeitpunkt beauftragt wurde, für seine Tätigkeit im Hauptverfahren nach geltendem Recht zu vergüten.
Im Ergebnis würde der Landeskasse als erstattungspflichtiger Partei daher durch den Verteidigerwechsel ein höherer Erstattungsbetrag auferlegt werden, als wenn der vor dem 01.07.1994 beauftragte Verteidiger durchgehend tätig gewesen wäre.
§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO verweist für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Vergütung des Rechtsanwalts des Freigesprochenen auf die Grundsätze des § 91 ZPO. Nach § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO sind dem Erstattungspflichtigen die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit aufzuerlegen, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Anwalts ein Wechsel eintreten mußte.
Gründe, die einen Anwaltswechsel zwingend erforderlich erscheinen lassen, sind nicht dargetan worden.
Zwar hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall lediglich die Kosten eines Anwalts geltend gemacht, jedoch fallen hier Mehrkosten an, weil der zweite Anwalt wegen der Anwendung des neuen Gebührenrechts höhere Gebühren berechnen kann.
Diese Mehrkosten braucht der erstattungspflichtige Gegner nach der Grundaussage des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO bei nicht notwendigem Anwaltswechsel nicht zu erstatten (LG Berlin, JurBüro 1988, 754).
Die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Berechnung der Gebühren ist daher nicht zu beanstanden.
Hinzuzusetzen sind die notwendigen Parteiauslagen aus Anlaß von Gerichts- und Besprechungsterminen.
Dabei muß darauf abgestellt werden, dass bei einer Anklage nur wegen der Verurteilungstaten das Verfahren vor dem Amtsgericht Warendorf stattgefunden hätte und daher Reisen nach Münster nicht notwendig gewesen wären.
Für die Berechnung der Auslagen verweist § 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO, 91 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO auf die Vorschriften des ZSEG.
Der Beschwerdeführer macht Fahrtkosten geltend, die aus Anlaß seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung entstanden sind. Hierfür sieht § 9 Abs. 3 Nr. 2 ZSEG die Erstattung von 0,40 DM pro gefahrenem Kilometer vor.
Der Angeklagte hat an sieben Hauptverhandlungsterminen teilgenommen.
Gegen die Landeskasse ergibt sich daher ein Erstattungsanspruch in Höhe von 7 x 0,40 DM = 151,20 DM.
Weiterhin wird eine Aufwandsentschädigung für jeden Hauptverhandlungstermin geltend gemacht.
Sie bemißt sich gemäß § 10 ZSEG. Die Folgetermine am 13., 20., 27.09.1996 sowie am 06. und 11.10.1996 haben mit An- und Heimreise jeweils länger als acht Stunden gedauert. Der Termin am 09.10.1996 hat lediglich 1 Stunde und 47 Minuten gedauert.
§ 10 Abs. 2 Satz 1 ZSEG sieht eine Entschädigung in Anlehnung an die Aufwandsentschädigung für Richter in der Reisekostenstufe B vor. Diese beträgt pro Hauptverhandlungstermin bei einer Abwesenheit von acht bis zwölf Stunden 14,- DM (§ 9 Abs. 3, 2. Alt. LRKG).
Erstattungsfähig ist daher eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 5 x 14,00 DM = 70,00 DM zzgl. 6,00 DM (Mindestsatz) für den Termin vom 09.10.1996.
Ebenfalls erstattungsfähig sind die Fahrtkosten zu zwei Informationsgesprächen mit dem am Prozeßort ansässigen Verteidiger, die in dem angefochtenen Beschluss zutreffend mit 2 x 54 km x 0,40 DM = 43,20 DM ermittelt wurden (§ 9 Abs. 3 Nr. 2 ZSEG).
Zu den notwendigen Auslagen des Freigesprochenen gehört darüber hinaus die Entschädigung für eine notwendige Zeitversäumnis (§ 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO).
Auch insoweit wird auf die Vorschriften des ZSEG verwiesen. Streitig ist, ob es sich hierbei um eine Rechtsgrund- oder lediglich um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Nach Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl., RdNr. 6 zu § 464 a m.w.N. bedeutet die Verweisung auf das ZSEG, dass Verdienstausfall nur zu entschädigen ist, wenn er infolge Heranziehung durch das Gericht oder die StA entstanden ist (§ 1 Abs. 1 ZSEG).
Dieser Auffassung schließe ich mich an.
Nicht erstattungsfähig ist daher die Zeitversäumnis aus Anlaß der Informationsreisen zum Verteidiger.
Die gegenteilige Auffassung sieht in § 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO lediglich eine Rechtsfolgenverweisung, so dass nur die Umfang und Höhe der Entschädigung des Zeugen regelnden Vorschriften des ZSEG Anwendung finden (Löwe-Rosenberg, StPO, RdNr. 26 zu § 464 a und Kleinknecht/Meyer, a.a.O., jeweils m.w.N.).
Folgt man dieser Auffassung, wäre dem Beschwerdeführer ein aus Anlaß der Besprechungstermine mit seinem Prozeßbevollmächtigten entstandener Verdienstausfall zu erstatten (so auch unter Aufgabe seiner früheren Auffassung, Beschluss des 2. Strafsenats des OLG Hamm vom 20.03.1996, 2 Ws 624/95).
In diesem Rahmen wäre dann aber auch die Frage der Notwendigkeit dieser Besprechungen nach Zahl und Dauer zu prüfen.
Dieser Auffassung vermag ich nicht zu folgen.
Eine solche Auslegung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Eine Beschränkung der Verweisung auf die Vorschriften des ZSEG, die die Höhe der Entschädigung regeln, hätte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen können. Auch die amtliche Begründung (BT-Drucks. V/2600, 2601, S. 19, 20) spricht gegen eine Rechtsfolgenverweisung. Sie führt aus, § 464 a Abs. 2 StPO solle die "Zweifelsfragen entscheiden, ob und in welchem Rahmen die Zeitversäumnis zu entschädigen ist".
Erstattungsfähig ist dagegen der aus Anlaß der Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine entstandene Verdienstausfall, §§ 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. 2 Abs. 1 Satz 1 ZSEG. Rechtsanwalt K. hat für seinen Mandanten nicht näher bezifferten Verdienstausfall für sieben Hauptverhandlungstermine geltend gemacht.
Beigefügt wurden Fotokopien von Verdienstbescheinigungen (Bd. V Bl. 979 ff., aus denen kein Abzug infolge der Abwesenheit vom Dienst während der Hauptverhandlungstermine erkennbar ist. In seinem Erinnerungsschreiben trägt Rechtsanwalt K. vor, sein Mandant habe für die jeweiligen Hauptverhandlungstermine offenbar bezahlten Urlaub genommen (Bd. V Bl. 998). Eine Verkürzung des zur Erholung dienenden Urlaubs stellt einen "immateriellen Nachteil" dar, für den das Gesetz nur die Entschädigung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 ZSEG vorsieht (vgl. Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 19. Aufl., RdNrn. 14.1, 14.2 zu § 2).
Zu Recht sind daher pro Stunde nur 4,00 DM festgesetzt worden. Der Rechtspfleger hat in dem angefochtenen Beschluss einen Zuschlag für An- und Abreise zu den Terminen angesetzt. Gegen einen Zeitaufwand von insgesamt 50 Stunden habe ich keine Bedenken.
Die festgesetzte Nachteilsentschädigung in Höhe von 50 x 4,00 DM = 200,00 DM ist m.E. nicht zu beanstanden.
Die Summe der gegen die Landeskasse festzusetzenden notwendigen Parteiauslagen beträgt demnach 470,40 DM."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Anders als der 2. Senat des hiesigen Oberlandesgerichts in seiner Entscheidung vom 20. März 1996 - 2 Ws 624/95 OLG Hamm versteht er die in § 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO getroffene Regelung, wonach zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Entschädigung für eine notwendige Zeitversäumnis nach den Vorschriften, die für die Entschädigung von Zeugen gelten, gehört, als Rechtsgrundverweisung. Die - insbesondere neuere Rechtsprechung, wonach es sich bei der Verweisung in § 464 a Abs. 2 Nr. 1 StPO um eine Rechtsfolgenverweisung handeln soll, findet nach Auffassung des Senats schon in dem Text der Bestimmung, der Ausgangspunkt jeder Auslegung ist, keine hinreichende Stütze. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. Januar 1997 geben insoweit zu anderer Beurteilung keinen Anlaß.
Da die Summe der gegen die Staatskasse festzusetzenden notwendigen Parteiauslagen mithin nicht wie vom Rechtspfleger festgesetzt 456,80 DM, sondern 470,40 DM beträgt, waren dem früheren Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattende weitere notwendige Auslagen in Höhe von 13,60 DM festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO; sie berücksichtigt den nur geringen Erfolg der sofortigen Beschwerde.
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