Aktenzeichen: 4 Ss OWi 754/00 OLG Hamm
Leitsatz:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 28. April 2000 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 04.10.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 und 6 OWiG beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Steinfurt zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Steinfurt hat den Betroffenen "wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 41 Nr. 2, 49 StVO in Verbindung mit _24 StVG" zu einer Geldbuße von 600,- DM verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat "die Führung von Kraftfahrzeugen aller Art im öffentlichen Straßenverkehr" untersagt. Es hat ferner angeordnet, dass das Fahrverbot erst wirksam werde, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Hierzu hat der Tatrichter u.a. folgende Feststellungen getroffen:
"Am Dienstag, dem 5. Oktober 1999 befuhr der Betroffene mit dem Pkw NOH-XK 11 gegen 12.52 Uhr die Bundesstraße 54 in Steinfurt und Nordwalde außerhalb geschlossener Ortschaft. Die Bundesstraße 54 ist Kraftfahrtstraße und dreispurig ausgebaut. Streckenweise abwechselnd sind für den Verkehr in südöstlicher Richtung zwei Fahrstreifen und für den Verkehr in nordwestlicher Richtung ein Fahrstreifen und sodann - im Wechsel - zwei Fahrstreifen für den Verkehr in nordwestlicher und ein Fahrstreifen für den Verkehr in südöstlicher Richtung vorgesehen. In einem in seiner Fahrtrichtung einspurigen Bereich hielt der Betroffene über eine Strecke von mindestens 500 Metern vorsätzlich eine Geschwindigkeit von (mindestens) 154 km/h ein."
Zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Bewertung des Geschehens heißt es in dem Urteil:
"Der Betroffene lässt sich dahin ein, in einem einspurigen Bereich habe er vor sich einen Personenkraftwagen und davor einen Lastkraftwagen gehabt. Als die Straße zweispurig geworden sei, sei er nach links hinausgeschert, um den Lastkraftwagen zu überholen.
Dabei habe er einen Augenblick kurz verhalten, damit sein Vordermann mit seinem Pkw den Lkw auch überholen könnte. Als dieser nicht zum Überholen ausgeschert sei, habe er dann beide Fahrzeuge überholt und dabei nicht auf seine Geschwindigkeit geachtet.
Die Richtigkeit dieser Einlassung kann dahinstehen. Denn für diesen zweispurigen Bereich hat das Gericht ohnehin keine, insbesondere den Betroffenen belastenden Feststellungen getroffen.
Aus der Bekundung des Zeugen D. in Verbindung mit der Video-Aufnahme, die der Zeuge D. gefertigt hat und die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist, ergibt sich, dass der Betroffene über eine Messstrecke von wenigstens 500 m mit wenigstens 154 km/h gefahren ist. Von der aufgezeichneten und abgelesenen Geschwindigkeit von (mindestens) 162 km/h hat das Gericht einen Sicherheitsabzug von 5 % vorgenommen, so dass eine nachgewiesene Geschwindigkeit von 154 km/h und damit eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 54 km/h feststeht.
Der Betroffene hat vorsätzlich gehandelt. Ihm ist bekannt, dass die höchstzulässige Geschwindigkeit sich auf 100 km/h beläuft. Er hat innerhalb der Messstrecke - was bei den Feststellungen zur Höhenüberschreitung nicht gewertet worden ist - die abzulesende Geschwindigkeit sogar noch von 162 km/h auf 169 km/h erhöht. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Betroffene seine Geschwindigkeit nicht versehentlich, sondern bewusst, vorsätzlich, erhöht hat. Seine weitere Einlassung übrigens, er habe nach dem Überholen des Personenkraftwagens und des Lastkraftwagens seine Geschwindigkeit nur allmählich ermäßigt, ist hiermit auch widerlegt.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene vorsätzlich gegen § 41 II StVO verstoßen und damit nach §§ 49 StVO, 24 StVG ordnungswidrig gehandelt."
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, "die Rechtsbeschwerde als unbegründet mit der Maßgabe zu verwerfen, dass dem Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 41 Nr. 2, 49 StVO i.V.m. § 24 StVG eine Geldbuße auferlegt und ihm die Führung von Kraftfahrzeugen aller Art im öffentlichen Straßenverkehr für die Dauer von einem Monat untersagt wird."
II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat mit der Sachrüge - jedenfalls vorläufig Erfolg.
Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch nicht.
1. Die Urteilsgründe reichen für die vom Rechtsbeschwerdegericht vorzunehmende Nachprüfung nicht aus, ob das Amtsgericht die dem Betroffenen vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in rechtsfehlerfreier Weise festgestellt hat. Hierzu ist es zunächst erforderlich, dass in den Urteilsgründen die zur Feststellung der Geschwindigkeit angewendete Messmethode mitgeteilt wird und sich darüber hinaus aus ihnen ergibt, ob mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigt worden sind. Da die verschiedenen Messmethoden - und damit ihr vom Tatrichter zu beurteilender Beweiswert - in ihrer Zuverlässigkeit voneinander abweichen können, genügt die bloße Angabe der Messstrecke und die als erwiesen erachtete Geschwindigkeit nicht. Vielmehr muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, sowohl das angewandte Messverfahren als auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert bilden die Grundlage einer ausreichenden und nachvollziehbaren Beweiswürdigung (vgl. BGH NZV 1993, S. 485, 487; OLG Düsseldorf NZV 1992, 41). Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil nicht. Es teilt zwar die Geschwindigkeit, die Messstrecke sowie einen Toleranzabzug mit. Es fehlen jedoch jegliche Angaben zur Messmethode und zum Abstand des nachfolgenden Polizeifahrzeuges sowie dazu, ob dieser während des Nachfahrens gleich geblieben ist oder sich verändert hat. Diese Angaben wären erforderlich gewesen, um prüfen zu können, ob der vorgenommene Sicherheitsabzug von 5 % ausreichend war, oder ob ein höherer Sicherheitsabzug erforderlich gewesen wäre. Dass eine "Video-Aufzeichnung" von dem Vorfall gefertigt worden ist, lässt einen hinreichend sicheren Rückschluss auf die Messmethode nicht zu.
2. Darüber hinaus lassen die Urteilsfeststellungen auch nicht zweifelsfrei erkennen, ob dem Betroffenen zur Last gelegt wird, gegen die auf Bundesstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 StVO geltende Geschwindigkeitsbegrenzung oder gegen eine gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 7 Zeichen 274 - StVO angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung verstoßen zu haben. Die Straße ist in den Feststellungen einerseits als "Bundesstraße", andererseits aber auch als dreispurig ausgebaute "Kraftfahrtstraße" mit streckenweise wechselnden zwei bzw. einem Richtungsfahrstreifen bezeichnet. Bei einer Kraftfahrtstraße käme eine höhere zulässige Geschwindigkeit als 100 km/h jedenfalls in Betracht (vgl. § 18 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 StVO). Feststellungen dazu, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung durch Verkehrszeichen (Zeichen 274) angeordnet war - hierfür spricht die in der rechtlichen Würdigung mitgeteilte Vorschrift des § 41 Abs. 2 StVO -, fehlen allerdings ebenso wie nähere Angaben zur Beschaffenheit der Straße (Breite, Mittelstreifen, bauliche Einrichtungen, Seitenstreifen etc.). Damit ist bereits die Anknüpfungsgrundlage für die Frage einer schuldhaften - vorsätzlichen oder fahrlässigen - Geschwindigkeitsüberschreitung offen.
Soweit der Betroffene nämlich eine durch Zeichen 274 begrenzte Höchstgeschwindigkeit überschritten haben sollte, fehlt es für die Bejahung vorsätzlichen Handelns an jeglichen Feststellungen zur Art und Weise der Beschilderung, zur Kenntnis des Betroffenen hiervon und zu der Frage, ob er sich des tatsächlichen Ausmaßes der gefahrenen Geschwindigkeit bewusst gewesen ist.
Auch bei einem Verstoß gegen die auf Bundesstraßen nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO geltende Höchstgeschwindigkeit lässt das festgestellte Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung allein nicht den Schluss zu, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat. Insoweit lässt das Urteil bereits jegliche Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen vermissen, infolge des Überholmanövers abgelenkt gewesen zu sein und dabei nicht auf seine Geschwindigkeit geachtet zu haben. Anknüpfungspunkte und eine tragfähige Grundlage für die vom Amtsgericht gewonnene Überzeugung, der Betroffene habe gleichwohl die Höchstgeschwindigkeit bewusst und gewollt überschritten, ergeben sich aus dem Urteil nicht. Auch hierzu wären weitere Feststellungen z.B. zur Beschaffenheit der örtlichen Verhältnisse, der Verkehrssituation und eventueller Ortskenntnisse des Betroffenen erforderlich gewesen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Dieses hat auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden, da deren Erfolg i.S.d. § 473 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gegenwärtig noch nicht feststeht.
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