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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 371/00 OLG Hamm

Leitsatz: Entfernt sich der Angeklagte vor dem Abschluss der Urteilsverkündung aus dem Sitzungssaal ist das Urteil nicht (insgesamt) in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden mit der Folge, dass die Berufungseinlegungsfrist für ihn gemäß § 314 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils in Lauf gesetzt wird.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Urteilsverkündung in Anwesenheit des Angeklagten, Beweiskraft des Protokolls, Entfernen des Angeklagten während der Urteilsverkündung

Normen: StPO 314, StPO 322, StPO 274

Beschluss: Strafsache gegen I.N.
wegen Betruges

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 05.10.2000 gegen den Beschluss der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 18.09.2000 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
I.
Das Landgericht Bielefeld hat mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 16.12.1998, durch das der Beschwerdeführer wegen Betruges oder wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 25,- DM verurteilt worden war, als unzulässig verworfen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich aus der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 16.12.1998 mit der Beweiskraft des § 274 StPO ergebe, dass das amtsgerichtliche Urteil in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden sei. Das am 08.01.1999 beim Landgericht eingegangene Rechtsmittel des Angeklagten, das mit Schriftsatz vom 10.02.1999 als Berufung bezeichnet worden war, sei daher verspätet eingelegt worden.

Gegen den ihm über seinen Verteidiger am 28.09.2000 zugestellten Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner am 05.10.2000 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangenen sofortigen Beschwerde. Mit weiterem Schriftsatz vom 12.10.2000 hat der Verteidiger die Beschwerde näher begründet und hierzu ausgeführt, dass das Urteil tatsächlich in Abwesenheit des Angeklagten verkündet worden sei. Er beantrage daher hilfsweise, das Protokoll vom 16.12.1998 dahin zu ergänzen, dass die Urteilsverkündung in Abwesenheit des Angeklagten und des Verteidigers erfolgt sei.

Der Senat hat den letztgenannten Schriftsatz dem Amtsgericht Bielefeld zur Herbeiführung dienstlicher Äußerungen der Urkundspersonen dazu übersandt, ob das Urteil entgegen dem Sitzungsprotokoll in Abwesenheit des Angeklagten verkündet worden sei.

Die Richterin am Amtsgericht K. hat daraufhin in ihrer dienstlichen Äußerung vom 30.10.2000 erklärt, dass der Angeklagte nach ihrer Erinnerung den Sitzungssaal nach Verlesung des Urteilstenors noch während der Urteilsbegründung verlassen habe. Sie sei sich jedoch sicher, dass der Verteidiger bis zum Schluss anwesend gewesen sei und ausdrücklich auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet habe.

Die Justizangestellte L. hat in ihrer dienstlichen Äußerung erklärt, dass sie nicht mehr sagen könne, ob der Angeklagte nach Verkündung des Tenors den Saal verlassen habe. Sie sei sich jedoch sicher, dass der Verteidiger bis zum Schluss anwesend gewesen sei und auf Rechtsmittelbelehrung verzichtet habe.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben, da das Landgericht die Berufung des Angeklagten zu Unrecht gemäß § 322 Abs. 1 StPO als unzulässig, weil verspätet eingelegt, verworfen hat.

Aufgrund der dienstlichen Äußerung der Richterin am Amtsgericht K. als einer der beiden Urkundspersonen steht nunmehr fest, dass das Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bielefeld am 16.12.1998 in einem Punkt unrichtig ist. Entgegen dem Inhalt des Protokolls hatte der Angeklagte danach nämlich bereits nach der Verlesung des Urteilstenors während der laufenden Urteilsbegründung und damit vor Abschluss der Urteilsverkündung den Sitzungssaal verlassen und sich so aus der Hauptverhandlung entfernt.

Diese Erklärung der Amtsrichterin führt zunächst dazu, dass dem Protokoll hinsichtlich des vorgenannten Punktes die sich aus § 274 StPO ergebende Beweiswirkung nicht mehr zukommt. Die Amtsrichterin ist mit ihrer Erklärung von dem Inhalt des Protokolls hinsichtlich dieses Vorgangs - Anwesenheit des Angeklagten während der gesamten Urteilsverkündung - ausdrücklich und eindeutig abgerückt. Der Inhalt des Protokolls ist insoweit durch die Unterschrift der Vorsitzenden nicht mehr gedeckt und die Beweiskraft des Protokolls, soweit sie den erwähnten Punkt betrifft, aufgehoben (BGHSt 4, 364, 365; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 1 - Beschluss vom 18.09.1987; OLG Jena, NStZ-RR 1997, 10).

Infolge des Wegfalls der Beweiskraft des Protokolls in dem vorgenannten Punkt hatte der Senat insoweit in freier Beweiswürdigung zu entscheiden (BGH, a.a.O.). Hier sieht der Senat aufgrund der dienstlichen Äußerung der Amtsrichterin den Vortrag der Beschwerde, das Urteil sei - jedenfalls nicht insgesamt - in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden, als erwiesen an. Hierfür spricht neben der nunmehr eingeholten dienstlichen Äußerung der Amtsrichterin vor allem ihr bereits im Rahmen der Verfügung über die Urteilszustellung gefertigter Vermerk, nach dem das Urteil ebenfalls in Abwesenheit des Angeklagten verkündet worden war.

Bei einer solchen Sachlage darf die Berufung des Angeklagten nicht als unzulässig, weil verspätet, verworfen werden. Da der Angeklagte sich vor dem Abschluss der Urteilsverkündung entfernt hatte, war das Urteil des Amtsgerichts nicht (insgesamt) in Anwesenheit des Angeklagten verkündet worden mit der Folge, dass die Berufungseinlegungsfrist für ihn gemäß § 314 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils in Lauf gesetzt wurde (vgl. BGHSt 15, 263, 265; 25, 234). Erforderlich ist dabei entweder die Zustellung des Urteils an den Angeklagten selbst oder aber gemäß § 145 a Abs. 1 StPO an den Verteidiger, § 232 Abs. 4 StPO. Da der Verteidiger hier eine ausdrückliche Zustellungsvollmacht vorgelegt hatte, wurde die Berufungsbegründungsfrist vorliegend mit der Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 05.02.1999 in Lauf gesetzt. Die Einlegung des Rechtsmittels mit Schriftsatz vom 07.01.1999 - beim Amtsgericht eingegangen am 08.01.1999 - war daher in jedem Fall rechtzeitig.

Darauf, ob der Verteidiger während der gesamten Urteilsverkündung anwesend war, kommt es dagegen nicht an. Die Anwesenheit des Verteidigers bei der Urteilsverkündung ist für den Fristbeginn nämlich ohne Bedeutung (BGHSt 25, 234; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 341 Rdnr. 10 u. § 314 Rdnr. 7, je m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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