Aktenzeichen: 3 Ss 1056/00 OLG Hamm
Leitsatz: Der Angeklagte ist nicht zu einer Glaubhaftmachung oder gar zu einem Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe für sein Ausbleiben im Berufungshauptverhandlungstermin verpflichtet; der Angeklagte hat nur Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht kennen kann, mitzuteilen und dem Gericht eine Überprüfungsmöglichkeit zu geben.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Verwerfung der Berufung wegen Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin, Begriff der genügenden Entschuldigung, Überprüfung der Entschuldigung, Amtsaufklärungspflicht des Gerichts
Normen: StPO 329, StPO 344
Beschluss: Strafsache gegen B.B.,
wegen Betruges
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 19.06.2000 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 19.06.2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Lübbecke hatte den Angeklagten wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70,- DM verurteilt.
Die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei dem Termin zur Berufungshauptverhandlung ungeachtet der durch die Urkunde vom 08.05.2000 nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Zwar habe er durch seinen Verteidiger mitteilen lassen, dass er erkrankt sei. Dieses Vorbringen sei jedoch nicht glaubhaft gemacht worden.
Gegen das dem Verteidiger am 21.06.2000 zugestellte Berufungsurteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23.06.2000, der bei den Bielefelder Justizbehörden am 26.06.2000 eingegangen ist, Revision eingelegt. Gleichzeitig hat der Angeklagte ein ärztliches Attest vom 19.06.2000 überreicht und in seiner Revisionsschrift hierzu ausgeführt, dass der Arzt dem Angeklagten für den Terminstag aufgrund einer chronischen Erkrankung Reiseunfähigkeit attestiert habe.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld.
Die Revisionsschrift des Angeklagten vom 23.06.2000 - der weitere Schriftsatz des Angeklagten vom 09.08.2000 ist außerhalb der Revisionsbegründungsfrist beim Landgericht eingegangen und konnte daher nicht mehr berücksichtigt werden - genügt noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. An die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe den Begriff der nicht genügenden Entschuldigung in § 329 Abs. 1 StPO verkannt, sind nämlich keine strengen Anforderungen zu stellen. Sofern sich aus dem Verwerfungsurteil ergibt, dass der Angeklagte Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, reicht es zur Begründung der Verfahrensrüge aus, wenn der Angeklagte ausführt, das Berufungsgericht habe das Ausbleiben nicht als unentschuldigt ansehen dürfen (OLG Köln, VRS 75, 113, 115 m.w.N.).
Hier ergibt sich aus dem Verwerfungsurteil, dass der Angeklagte Entschuldigungsgründe vorgebracht hatte, die aber nach Ansicht des Landgerichts nicht hinreichend glaubhaft gemacht waren. Aus der Revisionsschrift vom 23.06.2000 ergibt sich demgegenüber zum einen der unbedingte Anfechtungswille des Angeklagten hinsichtlich des Verwerfungsurteils und zum anderen auch die Angriffsrichtung seines Rechtsmittels, nämlich die zu Unrecht erfolgte Verwerfung der Berufung trotz tatsächlich gegebener Reiseunfähigkeit des Angeklagten.
Die Verfahrensrüge greift auch durch. Da das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Verwerfungsurteils zur Frage der Entschuldigung gebunden ist und diese Feststellungen nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen kann (BGH, NJW 1979, 2319; NJW 1987, 1776), müssen in einem Verwerfungsurteil eventuelle Gründe, die das Ausbleiben des Angeklagten entschuldigen könnten, mitgeteilt und erörtert werden (OLG Köln, VRS 75, 113, 115 m.w.N.). Die Gründe des Urteils müssen dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglichen, ob das Berufungsgericht alle ihm bekannten und erkennbar als Entschuldigungsgründe in Betracht kommenden Umstände fehlerfrei und erschöpfend gewürdigt hat (OLG Hamm, NJW 1963, 65; OLG Frankfurt, NJW 1970, 959; KG, StV 1987, 11; OLG Köln, VRS 75, 113, 115).
Insbesondere dann, wenn der Angeklagte sich mit Krankheit entschuldigt hat, bedarf es der Mitteilung der vorgebrachten Gründe oder der vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen, um überprüfen zu können, ob das Landgericht aufgrund des Vorbringens des Angeklagten oder aufgrund seiner eigenen Feststellungen zu Recht davon ausgehen konnte, dass dem Angeklagten nach Art und Wirkung der Krankheit sowie nach dem Umfang der von ihr ausgehenden Beeinträchtigung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung zumutbar war (OLG Köln, VRS 75, 113, 115 m.w.N.). Die Begründung des angefochtenen Urteils lässt vielmehr besorgen, das Landgericht habe verkannt, dass es nicht entscheidend ist, ob sich ein Angeklagter entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 240; OLG Köln, VRS 75, 113, 116; vgl. bereits BGH NJW 1962, 2020 = BGHSt 17, 391).
Der Angeklagte ist nämlich nicht zu einer Glaubhaftmachung oder gar zu einem Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet; der Angeklagte hat nur Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht kennen kann, mitzuteilen und dem Gericht eine Überprüfungsmöglichkeit zu geben (OLG Köln, VRS 75, 113, 116 m.w.N.). Liegt ein konkreter Hinweis für einen Entschuldigungsgrund vor, ist das Landgericht vielmehr gehalten, dem im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachzugehen (OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 240 m.w.N.; OLG Düsseldorf, VRS 71, 292, 293; OLG Köln, VRS 75, 113, 116, je ebenfalls m.w.N.). Zweifel an der genügenden Entschuldigung dürfen dabei nicht zu Lasten des Angeklagten gehen; vielmehr muss das Gericht sich von Amts wegen die volle Überzeugung davon verschaffen, dass der Angeklagte verhandlungsfähig und ihm das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar ist (OLG Köln, VRS 75, 113, 116 m.w.N.).
Diesen in der obergerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Begriff der genügenden Entschuldigung sowie die sich daran anknüpfende Aufklärungspflicht hat das Landgericht vorliegend verletzt. Das Landgericht hat sich nämlich erkennbar damit begnügt, allein die Frage der hinreichenden Glaubhaftmachung des vorgebrachten Entschuldigungsgrundes zu überprüfen. Auf diese Glaubhaftmachung kam es aber nach den vorstehenden Grundsätzen bereits nicht an, und zwar selbst dann, wenn der Angeklagte, was den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnommen werden kann, kein Attest zur Unterstützung seines Vortrages beigebracht hätte. Die Vorlage eines solchen Attestes mag zwar wünschenswert gewesen sein, allein aus seinem Fehlen kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass das Entschuldigungsvorbringen des Angeklagten nicht der Wahrheit entspricht und er deshalb nicht genügend entschuldigt ist (OLG Hamm, a.a.O.).
Den Blick auf die ihm obliegende Aufklärungspflicht hat sich das Landgericht erkennbar bereits dadurch verstellt, dass es allein auf die nicht genügende Glaubhaftmachung der Erkrankung durch den Angeklagten selbst abgestellt hat, ohne sich erkennbar der gebotenen Amtsaufklärung überhaupt bewusst zu sein.
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