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Rechtsprechung

Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 390/00 (107/00) OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage der Zulässigkeit der Anordnung eines Auslieferungshaftbefehls nach § 34 IRG, wenn ein vorläufiger Auslieferungshaftbefehl noch nicht erlassen ist.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Auslieferungshaft, Auslieferungshaftbefehl, vorläufige Auslieferungshaft, vorläufiges Auslieferungshaftverfahren, vereinfachte Auslieferungshaft

Normen: IRG 34, IRG 41, IRG 15

Beschluss: Auslieferungssache
(vorläufiger Auslieferungshaftbefehl)

betreffend den italienischen Staatsangehörigen A.G., zur Zeit in dieser Sache aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Witten vom 30. November 2000 in der Justizvollzugsanstalt Bochum,

wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Italien zur Strafverfolgung,
hier: Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft).

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 6. Dezember 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht beschlossen :

Gegen den Verfolgten wird die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe:
Der Verfolgte ist auf Ersuchen der italienischen Behörden am 29. November 2000 in Witten festgenommen und am folgenden Tag dem Haftrichter des Amtsgerichts Witten vorgeführt worden; dieser hat gemäß § 22 Abs. 3 S. 2 IRG die Festhalteanordnung getroffen.

Da sich der Verfolgte nach Belehrung unter Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität zu Protokoll des Amtsgerichts Witten mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat, hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamm bereits am 6. Dezember 2000 aufgrund der ihr durch das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen übertragenen Befugnisse im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (Erlass vom 10. März 1999, JMBl. NW 1999, 73) im vereinfachten Verfahren die Auslieferung nach Italien bewilligt.

Diese Bewilligung und das durch Sirene Italien, eine i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG zuständige Behörde (vgl. Art. 64 u. 95 des Schengener Durchführungsübereinkommmens - SDÜ - i.V.m. Art. 16 Abs. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens - EuAlÜbk -), übermittelte Gesuch beziehen sich auf den Haftbefehl des Untersuchungsrichters des Gerichts in Lecce vom 30. September 2000 (Az.: Nr. 75/2000 O.C.C.C.N R. 10052/2000 RGNR PM - Nr. 6548/2000 REG GIP. - 71/2000 R.D D A). Mit diesem Haftbefehl wird dem Verfolgten neben der Beteiligung an einer mafiaartigen Vereinigung, dem illegalen Besitz und dem illegalen Mitführen von Kriegswaffen und gewöhnlichen Waffen auch ein gemeinschaftlicher Mord an dem E.C., begangen am 14. September 2000 in Agro di Caravigno, zur Last gelegt. Dem - hilfsweise gestellten - Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend war gegen den Verfolgten gemäß Art. 16 Abs. 1 - 3 EuAlÜbk i.V.m. §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen.

Die Auslieferungsfähigkeit folgt aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk.

Die dem Verfolgten vorgeworfenen Handlungen sind sowohl nach italienischem Recht als auch nach deutschem Recht (zumindest als Verstoß gegen das Waffengesetz und Totschlag gemäß § 212 StGB) strafbar und mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.

Gründe, die die Auslieferung nach den Bestimmungen des EuAlÜbk oder des IRG von vornherein als unzulässig erscheinen lassen könnten (§ 15 Abs. 2 IRG), sind nicht ersichtlich.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG. Der Verfolgte hat im Fall seiner Auslieferung in Italien mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, woraus sich erfahrungsgemäß ein starker Fluchtanreiz ergibt. Zudem verfügt er in Deutschland offensichtlich über keinerlei tragfähige Bindungen. Davon abgesehen, dass er mit gefälschten Personalpapieren (Personalausweis und Führerschein) nach Deutschland eingereist ist, hat er sich nach seiner Flucht aus Italien in Deutschland teilweise auf Bahnhöfen versteckt oder auch auf der Straße geschlafen, war dann zufällig nach Witten gekommen und von Leuten, die er nicht benennen will und die seinen Angaben zufolge von seiner Situation nichts wussten, aufgenommen worden.

Weniger einschneidende Maßnahmen als die Anordnung und der Vollzug der vorläufigen Auslieferungshaft bieten daher nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft durch sie erreicht werden kann.

Schließlich steht die vorläufige Auslieferungshaft auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu der von dem Verfolgten in Italien zu erwartenden Strafe, was keiner weiteren Ausführungen bedarf.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in erster Linie beantragt hatte, die Haftanordnung allein auf § 34 IRG zu stützen, vermochte der Senat diesem Antrag nicht zu entsprechen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt, die vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. September 1985 (BGHSt 33, 310, 319) aufgestellten Grundsätze, wonach im vereinfachten Auslieferungsverfahren (§ 41 IRG) gegen einen Verfolgten die Haft zur Durchführung der Auslieferung nach § 34 IRG ohne vorherige Entlassung aus der zuvor angeordneten und vollzogenen vorläufigen Auslieferungshaft angeordnet werden kann, wenn die Auslieferung bewilligt ist und die Übergabe des Verfolgten an den ersuchenden Staat unmittelbar bevorsteht, könnten aus Gründen der Praktikabilität auch auf die vorliegende Fallgestaltung erweitert werden, bei der eine vorläufige Auslieferungshaft noch gar nicht angeordnet worden ist. Diese Möglichkeit habe bisher deshalb nicht bestanden, weil die Bewilligung der Auslieferung stets durch das Justizministerium zu erfolgen hatte, so dass die erste Haftentscheidung des Oberlandesgerichts - über den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls - auch immer zeitlich vor der Bewilligungsentscheidung lag. Nach der Übertragung dieser Befugnis auf die Generalstaatsanwaltschaft sei dies - wie im vorliegenden Fall - jedoch nicht mehr immer der Fall, so dass es reiner Formalismus wäre, wenn erst ggf. bei Ablauf von 40 Tagen Haft ein vorläufiger Auslieferungshaftbefehl durch eine Haftanordnung nach § 34 IRG ersetzt werden müsste, wenn bis dahin die Auslieferungs-
unterlagen noch nicht vorlägen und die Auslieferung noch nicht durchgeführt sei.

Nach § 34 Abs. 1 IRG kann die Haft zur Durchführung der Auslieferung aber nur dann angeordnet werden, wenn sich der Verfolgte nach der Bewilligung der Auslieferung auf freiem Fuß befindet und die Durchführung der Auslieferung nicht auf andere Weise gewährleistet ist. Die Durchführung der Auslieferung kann im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens aber durch die Anordnung und den Vollzug eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls gemäß Art. 16 Abs. 1 - 3 EuAlÜbk i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG gewährleistet werden.

Würde man der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft folgen, so müsste nicht nur der Umstand, dass sich der Verfolgte nicht auf freiem Fuß befindet, im Sinne der vorgenannten Auslegung durch den Bundesgerichtshof (BGHSt 33, 310) korrigiert werden, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit der Gewährleistung der Durchführung der Auslieferung auf andere Weise wie z.B. durch den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls außer Betracht bleiben.

Nach Auffassung des Senats ist eine so weitreichende Korrektur und Auslegung des Gesetzes aber nicht mehr durch die Gerichte möglich, sondern muss einer Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten bleiben.


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