Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 188/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Begründung einer Entscheidung, mit der besondere Sicherheitsvorkehrungen gegen einen Strafgefangenen angeordnet werden.
Senat: 1
Gegenstand: Strafvollzugssache
Stichworte: besonders Sicherheitsvorkehrungen, Sicherungsmaßnahmen, Begründung der Entscheidung
Normen: StVollzG 88, StVollzG 109, StPO 267
Beschluss: Strafvollzugssache betreffend den Strafgefangenen J.K.,
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörde, (hier: Aufhebung besonderer Sicherungsmaßnahmen).
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 18. Oktober 2000 gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 13. September 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Justizvollzugsamts Westfalen-Lippe beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer zurückgegeben.
Gründe:
Der Betroffene befindet sich seit 1998 aufgrund mehrerer Verurteilungen im Strafvollzug. Das Strafende datiert auf den 29. Juni 2002. Gegen ihn wurden gemäß § 88 Abs. 1 StVollzG folgende Sicherungsmaßnahmen angeordnet:
1. Fesselung der Hände bei Aus- und Vorführung außerhalb der JVA, Begleitung durch drei Bedienstete;
2. Unterbringung in einem Haftraum mit Stahlgitter;
3. Verbot der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen nach 17.00 Uhr;
4. Umschlussverbot nach 17.00 Uhr.
Gegen den Fortbestand dieser Sicherungsmaßnahmen hat der Betroffene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 ff. StVollzG gestellt, der ohne Erfolg blieb. Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, dass der Vollzugsbehörde ein Ermessensfehler bei der Anordnung der Sicherungsmaßnahme nicht zur Last gelegt werden könne, weil angesichts des offensichtlich bestehenden hohen Aggressionspotentials des Betroffenen, das sich durch Drohungen äußert, die Gefahr von Gewalttätigkeiten ebenso vorliege wie die Gefahr der Flucht. Im Übrigen bedürfe es bei dem Betroffenen, der sich erst seit Februar 2000 in der JVA Bochum befinde, eines längeren Zeitraums der Beobachtung, in der Erkenntnisse darüber gewonnen werden könnten, ob einzelne Sicherungsmaßnahmen aufgehoben werden können.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Zurückverweisung an die Vollzugsbehörde.
Gemäß § 88 Abs. 1 StVollzG können gegen einen Gefangenen besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn aufgrund seines Verhaltens oder aufgrund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maße Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht. Im Rahmen der Anordnung dieser Sicherungsmaßnahmen hat der Gefangene einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch durch die Vollzugsbehörde. Die Strafvollstreckungskammer hat sodann im Verfahren nach § 109 StVollzG zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde dabei von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten und ob von diesem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (OLG Hamm ZfStrVo 89, 248). Für die danach vorzunehmende Überprüfung durch die Strafvollstreckungskammer gelten die Anforderungen, wie sie auch an die Begründung eines strafgerichtlichen Urteils gemäß § 267 StPO zu stellen sind. Die entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Erwägungen sind dabei so vollständig wiederzugeben, dass eine hinreichende Überprüfung durch den Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist (vgl. Callies/Müller/Dietz, StVollzG, § 115 Rdnr. 9 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dazu zählt auch die Mitteilung der Gründe, auf die die beteiligten Vollzugsbehörden ihre ablehnende Entscheidung gestützt haben.
Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Abgesehen davon, dass die Strafvollstreckungskammer die angeordneten Sicherungsmaßnahmen im Einzelnen erwähnt, wird nur in einem längeren Absatz aus der Einweisungsentschließung (ohne Datumsangabe) und sodann aus einer psychologischen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen vom 25. Februar 1999 zitiert. Daraus schließt die Strafvollstreckungskammer, dass wegen des "hohen Aggressionspotentials, das sich durch Drohungen äußere, die Gefahr von Gewalttätigkeiten ebenso vorliege wie die Gefahr der Flucht".
Demgegenüber wird nicht mitgeteilt, auf welche Erwägungen die Justizvollzugsanstalt Bochum ihre Entscheidung gestützt hat und welche rechtlichen und tatsächlichen Aspekte den Präsidenten des Vollzugsamts Westfalen-Lippe veranlasst haben, den Widerspruch des Betroffenen zurückzuweisen. Der Senat, dem im revisionsrechtlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren ein Rückgriff auf die Akten verwehrt ist, wird damit nicht in die Lage versetzt, zu überprüfen, ob in dem vorliegenden Fall das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. Schon aus diesem Grund unterliegt der angefochtene Beschluss der Aufhebung. Im Übrigen ist den mitgeteilten Feststellungen des Psychologischen Dienstes und der Einweisungsentschließung, die ersichtlich nur nach Aktenlage und ohne Mitwirkung des Betroffenen erfolgte, auch nicht zu entnehmen, aufgrund welcher konkreten Vorfälle die Anordnung derartig umfangreicher Sicherungsmaßnahmen erforderlich wurde. Der allgemeine Hinweis auf ein aggressives und auf Konfrontation ausgerichtetes Verhalten des Betroffenen im Vollzug reicht dazu nicht aus. Ebenso werden Tatsachen, die die Fluchtgefahr begründen könnten, nicht dargestellt. Zwar wird in der Stellungnahme des Psychologischen Dienstes vom 25. Februar 1999 ausgeführt, es bestehe die Gefahr des Entzuges von der weiteren Verbüßung, "sobald Herr K. gelockert wird". Andererseits ist aber nicht ersichtlich, warum - selbst wenn Lockerungen nicht in Betracht kommen - außerdem zusätzlich besondere Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, um einer Fluchtgefahr wirksam begegnen zu können.
Ergänzend bemerkt der Senat: Der Betroffene hat in der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend vorgetragen, dass für ihn in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen bis zum 5. Mai 1999 keine besonderen Sicherungsmaßnahmen bestanden hätten. Wegen eines Vorfalls vom 3. Mai 1999 - offensichtlich eine tätliche Auseinandersetzung mit einem Vollzugsbediensteten, deren Umstände dem Senat nicht bekannt sind - sei es dann zur Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen gekommen, die bislang nicht aufgehoben worden seien. Selbst wenn dieser Vorfall, der in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnt wird, auf ein Fehlverhalten des Betroffenen zurückzuführen ist, so hätte seitdem zwingend Anlass bestanden, sich erneut mit der Notwendigkeit und dem Umfang der besonderen Sicherungsmaßnahmen zu befassen. Auch insoweit wird die Strafvollstreckungskammer die angefochtenen Bescheide zu überprüfen haben.
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