Aktenzeichen: 4 Ss OWi 969/00 OLG Hamm
Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Feststellungen des tatrichterlichen Urteils und an die Begründung der Entscheidung, von der Verhängung eines Regelfahrverbotes absehen zu wollen.
Senat: 4
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Fahrverbot, Absehen vom Fahrverbot wegen beruflicher Härten, Arbeitsplatzverlust, Anforderungen an die Feststellungen und Begründung der Entscheidung, Geschwindigkeitsüberschreitung
Normen: StPO 267, BKatV 2
Beschluss: Bußgeldsache gegen M.T.,
wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Münster vom 7. Juni 2000 gegen das Urteil des Amtsgerichts Tecklenburg vom 30. Mai 2000 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichtes Hamm am 28.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer am 25. August 1999 auf der Bundesautobahn begangenen fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 49 km/h eine Geldbuße von 400,- DM festgesetzt. Im Bußgeldbescheid des Kreises Steinfurt vom 19. Oktober 1999, gegen den der Betroffene Einspruch erhoben hatte, war gegen ihn eine Geldbuße von 200,- DM und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden.
Zum Ziel des Einspruchs und zur Einlassung heißt es in dem Urteil:
Zum Rechtsfolgenausspruch ist in dem angefochtenen Urteil ausgeführt:
Gegen das Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Münster, mit der sie in Bezug auf das Absehen von dem gemäß § 2 Abs. 1 BKatV indizierten Fahrverbots die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Münster beigetreten.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
Wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat, sieht der Bußgeldkatalog bei der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung um 49 km/h auf der Bundesautobahn - gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 5.3.4. der Tabelle 1 a im Anhang zu Nr. 5 des Bußgeldkataloges - als Regelahndung eine Geldbuße von 200,- DM und ein einmonatiges Fahrverbot vor. Die weiteren Ausführungen des angefochtenen Urteils lassen indes besorgen, dass der Tatrichter die Bedeutung dieses Umstandes nicht hinreichend berücksichtigt hat.
Zwar ist die Frage der Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines Fahrverbotes im Einzelfall zu prüfen, auch dabei ist jedoch die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art zu respektieren.
Bei den in Bezug genommenen Tatbeständen sieht § 2 Abs. 1 S. 1 BKatV die Anordnung eines Fahrverbotes nicht zwingend vor. Vielmehr trägt die gewählte Fassung "kommt in Betracht" im Zusammenhang mit der Ausnahmeregelung des Absatzes 4 der richterlichen Entscheidungsfreiheit Rechnung und erlaubt es, die Umstände des konkreten Falles in objektiver und subjektiver Hinsicht bei der Bewertung und Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 38, 125, 136). Das vom Verordnungsgeber vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis führt aber dazu, dass bei Verwirklichung eines in § 2 Abs. 1 BKatV genannten Regelfalles von der Anordnung eines Fahrverbotes nur dann abgesehen werden kann, wenn im Einzelfall erhebliche Härten vorliegen oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände gegeben sind, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen typischer Begehungsweise im Sinne einer Ausnahme herausheben (BGHSt 38, 125, 134; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 15. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 15 b; OLG Hamm VRS Band 90, 392, 394). Ein Abweichen von der Regelahndung bedarf einer besonders eingehenden, auf Tatsachen gestützten Begründung (BGHSt 38, 125, 136).
Es ist zumindest zweifelhaft, ob das Amtsgericht die Voraussetzungen für ein Absehen von der Anordnung eines gemäß § 2 Abs. 1 BKatV indizierten Fahrverbotes beachtet hat. Seine Erwägungen zu den Auswirkungen eines Fahrverbotes für den Betroffenen verdeutlichen keine erhebliche wirtschaftliche oder berufliche Härte. Konkrete Feststellungen, was dem Betroffenen bei Anordnung eines einmonatigen Fahrverbotes in beruflicher Hinsicht droht und welche Auswirkungen wirtschaftlicher Art damit verbunden sind, lassen die Entscheidungsgründe vermissen. Soweit der Amtsrichter festgestellt hat, der Betroffene werde hinsichtlich seines Arbeitsplatzes "Probleme" mit seinem Arbeitgeber bekommen, kann dies auch nicht im Sinne einer Existenzgefährdung und damit eines Umstandes, der eine besondere Härte begründen kann, verstanden werden. Die beiden Begriffe sind keineswegs inhaltlich gleichbedeutend.
Im Übrigen liegen die in dem angefochtenen Urteil angestellten Erwägungen auch deshalb neben der Sache, weil das Amtsgericht eigene Feststellungen zur Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses des Betroffenen und zu den Auswirkungen eines Fahrverbotes hierauf nicht getroffen hat, sondern seiner Würdigung die ungeprüfte Einlassung des Betroffenen zugrunde gelegt hat. Das ist rechtlich ebenso wenig zulässig wie die Gleichsetzung der für den Betroffenen im Jahr 2000 geübten Urlaubserteilungspraxis mit seinen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten, die negativen Auswirkungen eines einmonatigen Fahrverbotes auf sein Beschäftigungsverhältnis durch Inanspruchnahme von Urlaub und durch Vertretung abzumildern.
Letztlich kann auch das Geständnis des Betroffenen und der Umstand, dass er "nicht vorbelastet" ist, eine Ausnahme von der vom Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelahndung nicht rechtfertigen.
Die aufgezeigten Mängel des angefochtenen Urteils in der Entscheidung über das Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes nötigen zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, weil zwischen der Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Der Senat kann nicht gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen sind. Im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Urteils war die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu befinden hat, weil der Erfolg des Rechtsmittels i.S.d. §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 StPO bisher noch nicht feststeht.
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