Aktenzeichen: 1 Ss 5/2001 OLG Hamm
Leitsatz: Bei verschiedenartiger Anfechtung eines Urteils durch mehrere Verfahrensbeteiligte tritt gemäß § 335 Abs. 3 StPO das Rechtsmittel der Berufung an die Stelle der eigentlich eingelegten Revision eines Verfahrensbeteiligten, so lange die Berufung des anderen Verfahrensbeteiligten nicht zurückgenommen oder durch das Berufungsgericht als unzulässig verworfen worden ist.
Die Zurücknahme und Verwerfung der Berufung als unzulässig steht aber die Verwerfung der Berufung wegen Nichterscheinens gemäß § 329 Abs. 1 StPO nicht gleich.
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Berufung; Revision; mehrere Verfahrensbeteiligte
Normen: StPO 335
Beschluss: Strafsache gegen Ö.K.,
wegen gefährlicher Körperverletzung,
Auf das Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 9. Dezember 1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten an das Landgericht Siegen zurückgegeben.
Gründe:
Der Angeklagte ist gemeinsam mit seinen Mitangeklagten Y. und B. durch Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 9. Dezember 1999 wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilte worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 11. Dezember 1999 Rechtsmittel eingelegt. Unter dem 01. März 2000 hat er das eingelegte Rechtsmittel als Revision bezeichnet. Der Mitangeklagte B. hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Dezember 1999 Berufung eingelegt. Nach Eingang der Akten hat das Landgericht Siegen das nachträglich als Revision bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten K. gemäß § 335 Abs. 3 StPO als Berufung behandelt. In der Berufungshauptverhandlung vom 7. September 2000 ist der Mitangeklagte B. nicht erschienen. Das Landgericht Siegen hat daraufhin seine Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Hinsichtlich des Rechtsmittels des Beschwerdeführers hat die Kammer beschlossen, die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung über die Revision vorzulegen. Das Landgericht Siegen ist der Auffassung, das Rechtsmittel könne nicht mehr als Berufung behandelt werden, weil die Berufung des Mitangeklagten B. nach § 329 StPO verworfen worden sei.
Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst, da entgegen der Ansicht des Landgerichts das Rechtsmittel des Beschwerdeführers nach Verwerfung der Berufung des Mitangeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO nicht wieder als Revision zu behandeln ist.
Gemäß § 335 Abs. 3 StPO hat bei verschiedenartiger Anfechtung eines Urteils durch mehrere Verfahrensbeteiligte die Berufung Vorrang, da sie das umfassendere Rechtsmittel ist und auch zur Prüfung in tatsächlicher Hinsicht führt. Dadurch wird verhindert, dass eine Sache von verschiedenen Rechtsmittelgerichten zu entscheiden ist. Das Rechtsmittel der Berufung tritt an die Stelle der eigentlich eingelegten Revision, solange die Berufung des anderen Angeklagten nicht zurückgenommen oder durch das Berufungsgericht als unzulässig verworfen worden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 335 Rn. 14 ff m.w.N.). Der Zurücknahme und Verwerfung der Berufung als unzulässig steht aber die Verwerfung der Berufung wegen Nichterscheinens gemäß § 329 Abs. 1 StPO nicht gleich (Kleinknecht/ Meyer-Goßner a.a.O., § 335 Rn. 17; Löwe-Rosenberg-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 335 Rn. 24; RGSt 59, 63; OLG Karlsruhe NStZ 1995, 562 (obiter dictum); anderer Ansicht Karlsruher Kommentar - Kuckein, StPO, 4. Aufl., § 335 Rn. 11; Schröder NJW 1973, 308).
Aus dem Wortlaut des § 335 StPO, nach dem die Revision solange als Berufung gilt, bis die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen worden ist, folgt, dass in der Instanz - abgesehen vom Fall der Rücknahme - eine abschließende Entscheidung über die Berufung des Mitangeklagten ergangen sein muss. Nur dann kann vermieden werden, dass zwei verschiedene Rechtsmittelgerichte das angefochtene Urteil überprüfen. Gegen die Verwerfung der Berufung gemäß § 329 StPO kann aber der säumige Angeklagte unter den Voraussetzungen des §§ 44, 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Durch das Urteil gemäß § 329 StPO ist daher nicht in allen Fällen über das Rechtsmittel der Berufung eine abschließende Entscheidung in dieser Instanz getroffen worden. Würde man auch in diesem Fall das Rechtsmittel des Angeklagten wieder als Revision behandeln, so bestünde die Gefahr, dass zwei Rechtsmittelgerichte zur Entscheidung berufen sind, falls dem säumigen Berufungsführer Wiedereinsetzung gewährt wird. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 335 StPO.
Es kann auch nicht der Auffassung von Schröder (NJW 1973, 308) gefolgt werden, der die Meinung vertritt, die Berufung müsse nach Verwerfung des Rechtsmittels des Mitangeklagten nach § 329 StPO wieder als Revision und nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 329 Abs. 2 StPO abermals als Berufung angesehen werden. Ein derartiger Wechsel in der Behandlung des Rechtsmittels widerspricht dem Erfordernis der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Es muss im Zeitpunkt des Verwerfungsurteils nach § 329 StPO feststehen, wie nunmehr das Rechtsmittel des anderen Beschwerdeführers zu behandeln ist. Von daher ist auch eine Ex-Post-Betrachtung nicht zulässig. Infolge dessen ist es unerheblich, dass vorliegend der Mitangeklagte keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat und somit einer Aufspaltung der Rechtswege nicht droht.
Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass im Falle der Verwerfung der Berufung nach § 329, so auch vorliegend, die Hauptverhandlung bereits begonnen hat. Die Zeugen und der Sachverständige waren erschienen bzw. jedenfalls (auf eine spätere Uhrzeit) geladen. Insoweit hätte die Berufungshauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer durchgeführt werden können.
Dem hier gewonnenen Ergebnis steht auch die Entscheidung des hiesigen 2. Strafsenats (NStZ 1998, 270) nicht entgegen, da der dort entschiedene Fall, über die Berufung des Mitangeklagten war zwischenzeitlich eine Entscheidung getroffen worden, gegen die dieser Revision eingelegt hatte, mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist.
Angesichts der Tatsache, dass das Rechtsmittel des Beschwerdeführers weiterhin als Berufung zu behandeln ist, was im übrigen seinem erklärten Willen entspricht, war die Sache an das Landgericht Siegen zurückzugeben.
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