Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 629/97 (10/01) OLG Hamm
Leitsatz: Zur Fluchtgefahr im Sinn von § 15 IRG
Senat: 2
Gegenstand: Auslieferungssache
Stichworte: Auslieferung, förmlicher Auslieferungshaftbefehl; Fluchtgefahr; langer Zeitraum; Untätigkeit
Normen: IRG 15
Beschluss: Auslieferungssache betreffend den griechischen Staatsangehörigen T.K.
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Griechenland zur Strafvollstreckung, (hier: Antrag auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls).
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 25. Januar 2001, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08.02.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
Die griechischen Behörden begehren die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung aus dem Urteil des gemischten Geschworenengerichts Thessaloniki vom 11. März 1992, durch das der Verfolgte wegen unzüchtiger Handlungen mit einer unter 16 Jahre alten Person und Förderung der willentlichen Entweichung einer Minderjährigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden ist.
Durch Beschluss vom 30. Juni 1999, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat der Senat den damaligen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm auf Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls abgelehnt.
Zwar war der Senat der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass die Auslieferung nicht von vornherein unzulässig sei, gefolgt, hatte jedoch damals einen Haftgrund i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG nicht für gegeben erachtet und mit dem Bemerken, dass die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft nicht geboten sei, um die weitere Durchführung des Auslieferungsverfahrens und die Auslieferung des Verfolgten sicherzustellen, dazu folgendes ausgeführt:
Der Verfolgte hat zwar im Jahre 1977 in Kenntnis des gegen ihn dort anhängigen Verfahrens Griechenland verlassen und lebt seitdem in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat hier im Jahre 1984 eine Deutsche geheiratet, mit der er drei Kinder im Alter von 15, 11 und 4 Jahren hat. Er hat seit vielen Jahren eine feste Arbeitsstelle und lebt mit seiner Familie seit mehr als 10 Jahren in Altenbeken. Ihm ist auch zumindest seit seiner Verhaftung am 8. Dezember 1997 bekannt, dass die griechischen Behörden seine Auslieferung betreiben. Gleichwohl hat er offensichtlich nichts unternommen, um unterzutauchen oder sich dem Auslieferungsverfahren zu entziehen. Es ist auch nicht ersichtlich, wohin sich der Verfolgte angesichts seiner festen sozialen Bindungen zu seinem Wohnort und seiner Familie begeben sollte, zumal er in sein Heimatland Griechenland, wo auch noch Verwandte von ihm wohnen, sicher nicht fliehen und dort untertauchen wird.
Hinzu kommt, dass derzeit ungewiss ist, in welcher Form die griechischen Behörden das Auslieferungsersuchen weiter betreiben werden, zumal sie die förmlichen Auslieferungsunterlagen bislang nicht vollständig übermittelt haben und es zudem mehr als ein Jahr gedauert hat, bis sie der Bitte der Generalstaatsanwaltschaft um Übersendung des Urteils vom 11. März 1992 nachgekommen sind.
Dieser Senatsbeschluss ist dem Verfolgten über seine damaligen Beistände sowie den griechischen Behörden über die Generalstaatsanwaltschaft und das Bundeskriminalamt im Juli 1999 bekannt gemacht worden. Für den Fall, dass das Auslieferungsersuchen weiter betrieben werden sollte, wurden die griechischen Behörden bereits damals gebeten, förmlich um die Auslieferung des Verfolgten zu ersuchen, was bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschehen war.
Nachdem über ein Jahr lang daraufhin keinerlei Reaktion der griechischen Behörden erfolgt war, hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 6. November 2000 über das Bundeskriminalamt erneut nachfragen lassen, ob eine Auslieferung überhaupt noch erwünscht sei.
Daraufhin teilte Interpol Athen am 12. November 2000 mit, dass die Staatsanwaltschaft in Thraki gebeten worden sei, die Auslieferungsunterlagen auf dem diplomatischen Wege zu übersenden und bat zudem umgehend um Mitteilung, ob der Verfolgte zwischenzeitlich festgenommen werden konnte und im positiven Fall das Festnahmedatum bekanntzugeben. Mit Verbalnote der griechischen Botschaft vom 18. Dezember 2000, die an das Auswärtige Amt gerichtet ist, haben die griechischen Behörden sodann unter Beifügung der Auslieferungsunterlagen um die Auslieferung des Verfolgten nach Griechenland ersucht.
Daraufhin hat die Generalstaatsanwaltschaft nunmehr den Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls beantragt.
Auch diesem Antrag vermochte der Senat derzeit nicht zu entsprechen.
Im Grunde hat sich die Sachlage gegenüber derjenigen, wie sie zum Zeitpunkt des Senatsbeschlusses vom 30. Juni 1999 bestanden hat, nicht verändert. Der Verfolgte hat auch weiterhin in Kenntnis des gegen ihn betriebenen Auslieferungsverfahrens offenbar nichts unternommen, um unterzutauchen oder sich dem Auslieferungsverfahren zu entziehen. Auch wenn er Kenntnis davon erlangen sollte, dass die griechischen Behörden nunmehr förmlich um seine Auslieferung ersucht haben, besteht nach Auffassung des Senats zumindest derzeit kein Haftgrund i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG.
Abgesehen davon, dass bislang weder eine Anhörung des Verfolgten nach § 28 IRG erfolgt ist und demzufolge auch über die Zulässigkeit der Auslieferung, falls dies erforderlich werden sollte, noch nicht entschieden worden ist, ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles und der bislang gezeigten zögerlichen und schleppenden Behandlung der Sache durch die griechischen Behörden zumindest fraglich, ob selbst nach einer Inhaftierung des Verfolgten der Vorgang seitens der griechischen Behörden mit dem erforderlichen Nachdruck bearbeitet werden würde.
In diesem Fall wäre auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haft berührt, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die griechischen Behörden von dem ihnen übermittelten Inhalt des genannten Senatsbeschlusses vom 30. Juni 1999 offenbar nicht hinreichend Kenntnis genommen haben und zum Teil davon ausgegangen waren, der Verfolgte befinde sich bereits in Haft oder müsse noch gesucht werden. Gleichwohl sind weitere Tätigkeiten aber erst nach deutlicher Erinnerung und erneuter Mitteilung des Sachstandes durch die Generalstaatsanwaltschaft erfolgt.
Nach alledem war der Antrag auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls abzulehnen.
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