Aktenzeichen: 1 Ss OWi 976/00 OLG Hamm
Leitsatz: Ein intern nicht zuständiges Organmitglied kann nicht in jedem Fall für Vorgänge außerhalb seines Geschäftsbereichs persönlich tatsächlich verantwortlich gemacht werden. Vielmehr ist ein solches intern nicht zuständiges Organmitglied für Pflichtverletzungen in einem anderen Zuständigkeitsbereich straf- oder ordnungsrechtlich nur dann uneingeschränkt verantwortlich, wenn er, die Möglichkeit und Zumutbarkeit des Handelns vorausgesetzt, von dem fraglichen Geschehnis Kenntnis hatte.
Senat: 1
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Zurechung an Organmitglied; fahrlässiges Handeln; persönlich verantwortlich; Arbeitnehmerentsendegesetz
Normen: OWiG 9
Beschluss: Bußgeldsache gegen J.A.
wegen Verstoß gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 25.05.2000 gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 19.05.2000 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 22.02.2001 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.
Gründe:
Durch die angefochtene Entscheidung wurde der Betroffene durch das Amtsgericht Siegen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 5 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 3 AEntG i.V.m. §§ 65, 35, 17 OWiG zu einer Geldbuße von 5.000,- DM verurteilt.
Hiergegen hat er form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und begründet. Diese hat in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 01.03.1999 führten Mitarbeiter des Arbeitsamtes Oldenburg in den Geschäftsräumen der Anwaltskanzlei W., O. und Partner eine Außenprüfung zur Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) durch. Es wurde festgestellt, dass die Fa. L. die erforderliche Lohn- und Abrechnungsunterlagen der Mitarbeiter nicht in deutscher, sondern in portugiesischer Sprache bereithielt, wobei neben einzelne portugiesische Begriffe handschriftlich die deutsche Übersetzung geschrieben wurde. Die Fa. L. erstellt hauptsächlich Energieanlagen. Die vom Arbeitsamt überprüften Unterlagen betrafen auch Arbeitnehmer, die in dem Energieanlagenbau eingesetzt waren. Der Betroffene ist als einer von drei Geschäftsführern der Fa. L. tätig und sein Geschäftsbereich umfaßt den Finanzbereich. Der Betroffene kann jedoch Einblick in die anderen Geschäftsbereiche nehmen und dort auch Entscheidungen fällen. Auch ist er alleinvertretungsberechtigt.
Ferner hat es zum Verschulden des Betroffenen folgendes ausgeführt:
Der Betroffene hat als Arbeitgeber gem. § 9 OWiG den Bußgeldtatbestand der §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 3 Abs. 3 AEntG zumindest fahrlässig verwirklicht. Auch wenn dem Betroffenen nach eigener Einlassung die Regelungen des AEntG nicht bekannt waren, hätte er sich als sorgfältiger Arbeitgeber über die entsprechenden Vorschriften erkundigen müssen. Als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer hatte er die Möglichkeit auf eine Übersetzung der fraglichen Unterlagen in die deutsche Sprache hinzuwirken. Auch wenn der Betroffene als Geschäftsführer für den Finanzbereich des Unternehmens zuständig war, hatte er auch Entscheidungsbefugnisse im Bereich Personal.
Diese Feststellungen rechtfertigen eine Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässigen Handelns nicht. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass es nicht zum Aufgabenbereich des Betroffenen gehörte, die erforderlichen Lohn- und Abrechnungsunterlagen der Mitarbeiter in deutscher Sprache vorzuhalten. Gleichwohl hat es ihn als verantwortlich i.S.d. § 9 OWiG angesehen, da er - neben den weiteren zwei Geschäftsführern - alleinvertretungsberechtigt war und damit auch Entscheidungsbefugnisse im Bereich des Personals hatte.
Diese Feststellungen reichen für eine Zurechnung im Rahmen des § 9 OWiG nicht aus. Ein intern nicht zuständiges Organmitglied kann nicht in jedem Fall für Vorgänge außerhalb seines Geschäftsbereichs persönlich tatsächlich verantwortlich gemacht werden. Vielmehr ist ein solches intern nicht zuständiges Organmitglied für Pflichtverletzungen in einem anderen Zuständigkeitsbereich straf- oder ordnungsrechtlich nur dann uneingeschränkt verantwortlich, wenn er, die Möglichkeit und Zumutbarkeit des Handelns vorausgesetzt, von dem fraglichen Geschehnis Kenntnis hatte (vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, 25. Aufl., § 14 RN 19; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 9 Rn. 15 m.w.N. aus der Rspr.). Dass der Betroffene wusste, dass der intern zuständige Geschäftsführer seine Pflichten vernachlässigte, hat das Amtsgericht jedoch nicht festgestellt. Vielmehr ist es sogar vom Gegenteil ausgegangen, indem es unterstellt hat, dem Betroffenen sei eine entsprechende Verpflichtung gar nicht bekannt gewesen.
Die Verurteilung wegen fahrlässiger Tat könnte daher nur Bestand haben, wenn eine Verpflichtung der gleichberechtigten Geschäftsführer zur gegenseitigen Überwachung bestanden hätte. Eine solche unter gleichgeordneten Organmitgliedern kann jedoch nur mit erheblichen Einschränkungen angenommen werden. Eine generelle Kontrollpflicht würde in einem gleichberechtigten Team dem Sinn der Arbeitsteilung zuwider laufen. Aus diesem Grunde kann eine Sorgfaltspflichtverletzung des intern nicht zuständigen Organmitglieds nur dann bejaht werden, wenn sich ihm die fragliche Pflichtverletzung ohne weiteres aufdrängen müsste oder wenn infolge besonderer Umstände (z.B. frühere Unregelmäßigkeiten oder Ähnliches) Anlass bestand, sich um die Angelegenheiten des Anderen zu kümmern (vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, a.a.O., RN 19 m.w.N.).
Solche Umstände sind bislang nicht festgestellt.
Da solche Feststellungen jedoch noch möglich erscheinen, hat der Senat davon abgesehen, in der Sache selbst abschließend zu entscheiden. Das Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".