Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 (s) Sbd. 1 - 1/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses an das Gericht höherer Ordnung

Senat: 3

Gegenstand: Zuständigkeitsbestimmung

Stichworte: Zuständigkeit, Schöffengericht, Verweisung, Strafkammer, Bindungswirkung

Normen: StPO 270

Beschluss: Strafsache gegen M.G.,
wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

Auf die Vorlage der Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß §§ 14, 19 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20.03.2001 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Münster wird als das für das weitere Verfahren zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 06.03.2001 folgendes ausgeführt:

"I.
Mit der von der Staatsanwaltschaft Münster unter dem 16.06.2000 zum Amtsgericht - Jugendschöffengericht - in Münster erhobenen Anklageschrift wurde dem Antragsteller vorgeworfen, in 24 Fällen mit Betäubungsmitteln (Haschisch und Marihuana) unerlaubt Handel getrieben und dabei gewerbsmäßig gehandelt zu haben, wobei es sich in mindestens 16 Fällen um nicht geringe Mengen handelte und wobei er tateinheitlich in zwei Fällen Betäubungsmittel (Haschisch) nicht geringer Menge einführte, sowie in 13 der genannten Fälle tateinheitlich als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel an eine Person unter 18 Jahren abgegeben zu haben, ferner, durch eine selbständige Handlung, gemeinschaftlich mit einem anderweitig verfolgten Mittäter, einen anderen beraubt zu haben.

Durch Beschluss vom 04.09.2000 wurde das Hauptverfahren ohne Änderungen antragsgemäß vor dem Amtsgericht - Jugendschöffengericht - eröffnet.

In der Hauptverhandlung am 22.11.2000 stellte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nach der Verlesung des Anklagesatzes und der Vernehmung des Angeklagte zur Sache den Antrag, das Verfahren gem. § 270 StPO an die Jugendstrafkammer des Landgerichts zu verweisen.

Nach Beratung wurde folgender Beschluss des Jugendschöffengerichts verkündet:

"Die Sache wird an die Jugendkammer beim Landgericht Münster verwiesen, da im Falle einer Verurteilung nach Erwachsenenrecht die Strafgewalt des Jugendschöffengerichts nicht ausreicht."

Die erste Strafkammer - Jugendkammer - des Landgericht Münster hat die Sache mit Beschluss vom 08.01.2001 an das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Münster zurückgegeben.

Der Vorsitzende des Amtsgerichts - Jugendschöffengerichts - Münster hat die Sache mit Verfügung vom 25.01.2001 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.
Die Vorlage ist gem. § 14 StPO statthaft. Es besteht Streit zwischen zwei Gerichten über die Zuständigkeit. Hierüber hat nach entsprechender Vorlage das Oberlandesgericht als das gemeinschaftliche obere Gericht auch dann zu entscheiden, wenn die Zuständigkeit des Amtsgerichts oder Landgerichts von der Klärung der Wirksamkeit und damit der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses abhängt (zu vgl. OLG Frankfurt, StV 1996, 533 m.w.N.).

III.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Münster ist für den weiteren Fortgang des Verfahrens zuständig.

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise unwirksam und entfaltet keine Bindungswirkung.

Zwar ist das Gericht höherer Ordnung grundsätzlich an einen gem. § 270 StPO nach Beginn der Hauptverhandlung ergangenen Verweisungsbeschluss gebunden, auch wenn er formell oder sachlich fehlerhaft ist. Die Bindungswirkung entfällt aber dann, wenn die Verweisungsentscheidung mit dem Grundprinzip der rechtsstaatlichen Ordnung im Widerspruch steht, wenn der Mangel bei vollständiger Beurteilung offenkundig ist bzw. der Verweisungsbeschluss offenbar unhaltbar ist und deshalb nicht mehr vertretbar erscheint (zu vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; NStZ-RR 1996, 42; NStZ-RR 1997, 311; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1986, 426; BGHSt 29, 216 ff., 219). Die Bindungswirkung entfällt demgemäss dann, wenn der Verweisungsbeschluss auf Willkür beruht (zu vgl. BGHSt a.a.O.). Auf Willkür beruht er dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Durch eine derartige Entscheidung wird das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (zu vgl. BVerfGE 29, 45 ff., 49).

Die Verweisung nach § 270 StPO ist dann zulässig und geboten, wenn in der Hauptverhandlung mit genügender Sicherheit erkennbar geworden ist, dass eine Sachentscheidung erforderlich wird, die in die sachliche Zuständigkeit des höheren Gerichts fällt. Dies kann dann der Fall sein, wenn die eigene Kompetenz von vornherein im Eröffnungsbeschluss zu Unrecht angenommen worden ist, wenn später zu Tage getretene Umstände eine Würdigung der Tat unter Gesichtspunkten erfordern, für die das Gericht nicht zuständig ist, und wenn die Hauptverhandlung einen Sachhergang ergeben hat, zu dessen Ahndung das Gericht seinen Strafbann als nicht ausreichend erachtet (zu vgl. OLG Karlsruhe, JR 1991, 36).

Weder der Beschluss des Jugendschöffengerichts vom 22.11.2000 noch der Vermerk des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts vom 25.01.2001 enthält einen Hinweis darauf, dass das Gericht nach seiner Überzeugung die eigene Kompetenz bereits im Eröffnungsbeschluss zu Unrecht bejaht haben könnte. Abgesehen von diesem Ausnahmefall darf aber eine Verweisung gem. § 270 StPO nur dann erfolgen, wenn das Ergebnis der Hauptverhandlung vor dem niedrigeren Gericht die Beurteilung zulässt, dass der Angeklagte schuldig und eine den Strafbann des Gerichts übersteigende Rechtsfolge angezeigt ist (zu vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.). Das niedrigere Gericht darf seine Zuständigkeit erst dann verneinen, wenn nach den in der Hauptverhandlung gewonnen Erkenntnissen eine Verurteilung des Angeklagten und die Verhängung einer seine Strafgewalt übersteigenden Strafe zumindest hinreichend wahrscheinlich erscheint. Eine bloße Vermutung reicht hierfür nicht aus. Vielmehr muss das erkennende Gericht die Hauptverhandlung so lange weiter führen, bis deren Ergebnis bestätigt, dass der Angeklagte im angenommenen Sinne schuldig und eine die Strafgewalt des Gerichts übersteigende Rechtsfolge angezeigt ist (zu vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 311; StV 1996, 533; OLG Düsseldorf, NStZ 1986, 426). Denn das Gericht bleibt zunächst an seine für die Eröffnung maßgebende Entscheidung hinsichtlich der Bedeutung der Sache und der Straferwartung gebunden, weil anderenfalls die für einen geordnete Verfahrensentwicklung notwendige Kontinuität der einmal begründeten Zuständigkeit laufend in Frage gestellt werden könnten (zu vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1997, 311; StV 1996, 533; Gollwitzer JR 1991, 37 ff.).

Den vorstehenden Anforderungen genügt der Beschluss des Jugendschöffengerichts vom 22.11.2000, worauf der Beschluss der ersten Strafkammer des Landgerichts Münster vom 08.01.2001 zutreffend hingewiesen hat, aus mehreren Gründen nicht. Diese Mängel werden auch durch den ergänzenden Vermerk des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts vom 25.01.2001 nicht geheilt. Es fehlt an einer begründeten Darstellung der Straftagen, die auf der Grundlage der Anklageschrift vom 16.06.2000 nach Auffassung des Jugendschöffengerichts für erwiesen erachtet werden können. Eine derartige Überzeugung konnte das Gericht in einer Hauptverhandlung von lediglich 30 Minuten Dauer, in der unter anderem auch die Zeugen zu belehren und ein mehrseitiger Anklagesatz zu verlesen waren, aus Zeitgründen auch kaum gewinnen. Zu Recht bemängelt die erste Strafkammer des Landgerichts Münster hierfür und für die Frage, ob hinsichtlich der Taten, die der Angeklagte als Heranwachsender begangen hat, Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, eine ausreichende zuverlässige, über Vermutungen hinausgehende Grundlage. Die Kürze der Hauptverhandlung lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass die damalige Lebenssituation des Angeklagten und die ihm vorgeworfenen Straftaten, wenn auch nur nach ihrem Beweggrund und ihrem typischen Verlauf, in einer Weise angesprochen worden wären, die eine Beurteilung ermöglicht hätten, ob Reifeverzögerungen festzustellen bzw. auszuschließen sind. Die Bezugnahme des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts auf die entsprechenden Ausführungen des Jugendschöffengerichts auf die entsprechenden Ausführungen in dem Bericht der Jugendgerichtshilfe und den in der Hauptverhandlung gewonnenen eigenen Eindruck vermag unter diesen Umständen trotz des Hinweises nicht auszureichen, dass es sich insoweit nur um einen kleinen Teil der dem Angeklagten insgesamt vorgeworfenen, zudem unmittelbar vor der Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Taten handele."

Dem tritt der Senat bei.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".