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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 52/2001 OLG Hamm

Leitsatz: Zur unzulässigen Verwerfung der Berufung wegen Rechtsmissbrauchs

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Berufungsverwerfung; Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen Rechtsmissbrauchs; Einlegung der Berufung zur Verfahrensverzögerung;

Normen: StPO 322 a

Beschluss: Strafsache gegen B.A.,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, hier: Sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Beschlussverwerfung durch das Landgericht gemäß § 322 Abs. 1 StPO).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 25. Januar 2001 gegen den Beschluss der 1. Strafkammer als Jugendkammer des Landgerichts Siegen vom 18. Januar 2001 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.03.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Keppler, den Richter am Oberlandesgericht Leygraf und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
Der Angeklagte, der sich seit dem 30. Mai 2000 in dieser Sache in Untersuchungshaft befindet, ist durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Siegen vom 29. November 2000 wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubter Einfuhr in 21 Fällen sowie wegen Sachbeschädigung unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer neuen Einheitsjungendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Mit Schriftsatz vom 30. November 2000, eingegangen beim Amtsgericht Siegen am 4. Dezember 2000, hat der Verteidiger gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung folgendes ausgeführt:

„An dieser Stelle möchte ich die Berufungskammer bereits jetzt darauf hinweisen, dass aus Sicht des Angeklagten dem Beschleunigungsgrundsatz keine Beachtung geschenkt zu werden braucht.
Der Angeklagte ist bestrebt noch einige Zeit in Untersuchungshaft zu bleiben, da unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils eine Verlegung aus der Justizvollzugsanstalt Köln erfolgen würde.
Da der Angeklagte eine Therapie anstrebt und im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Frau W. von der Drogenhilfe Köln bereits eine Kostenzusage eingeholt und ein Therapieplatz gesichert wurde, die Kostenzusage aber nur Gültigkeit bis zum 1. Mai 2001 hat, bedarf es nun weitergehender Bemühungen um eine Verlängerung der Kostenzusage bis zu dem Zeitpunkt zu erreichen, an dem nur mehr zwei Jahre zur Vollstreckung offen stehen und somit die Voraussetzungen des § 35 BtMG vorliegen. Dies wird im Oktober nächsten Jahres der Fall sein. Sollten die Bemühungen der Drogenberaterin erfolgreich sein, wird hiesigerseits die Rücknahme der Berufung erklärt werden.“

Das Landgericht Siegen hat die Berufung des Angeklagten mit Beschluss vom 18. Januar 2000 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, die Berufung sei rechtsmissbräuchlich. Ausweislich der Berufungsschrift solle das Rechtsmittel ausschließlich dazu dienen, das Verfahren zu verzögern. Hierfür stelle das Gesetz kein Rechtsmittel zur Verfügung. Aus dem Inhalt der Berufungsschrift ergebe sich, dass der Verteidiger von der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ausgehe, ansonsten hätte er nicht die spätere Rücknahme der Berufung in Aussicht gestellt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 25. Januar 2001, eingegangen beim Landgericht Siegen am 29. Januar 2001. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, die Formulierungen der Berufungsschrift ließen nicht den Rückschluss zu, dass ausschließlich eine Verfahrensverzögerung angestrebt werde. Unzutreffend sei auch die Annahme, der Angeklagte gehe von der Richtigkeit des angefochtenen Urteils aus.

Die gemäß § 322 Abs. 2 StPO statthafte und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht Siegen hat zu Unrecht die Berufung des Angeklagten als unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich, gemäß § 322 Abs. 1 StPO verworfen.

Zwar ist dem Landgericht zuzugestehen, dass auch im Strafprozess die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs besteht. In den strafverfahrensrechtlichen Gesetzesbestimmungen wird der Missbrauch nur an drei Stellen beim Namen genannt: In § 138 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, in § 241 Abs. 1 StPO und in § 67 Abs. 4 Satz 2 JGG. Darüber hinaus gibt es weitere Vorschriften, die Missbrauch meinen, ohne das Wort zu verwenden, so zum Beispiel § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO, § 241 Abs. 2 StPO und § 231 a Abs. 1 Satz 1 StPO. Eine Generalklausel zum Institut des Rechtsmissbrauchs ist der Strafprozessordnung fremd. Doch auch im Strafprozess existiert ein übergreifendes Missbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgedanke. Der Strafprozess ist ein gesetzlich geordnetes Verfahren, dass darauf abzielt, binnen angemessener Zeit aufgrund umfassender Sachaufklärung zu einer tatsächlich zutreffenden, rechtlich richtigen und gerechten Entscheidung über Tat, Schuld und Bestrafung des Angeklagten zu führen. Der Zweck der Handlungsbefugnisse, die den Verfahrenbeteiligten eingeräumt sind, liegt jedenfalls innerhalb dieses Rahmens (Niemöller, Rechtsmißbrauch im Strafprozess, Strafverteidiger 1996, 501). Der Gebrauch prozessualer Rechte zur Erreichung rechtlich missbilligter Ziele stellt sich daher als Rechtsmißbrauch dar. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass gesetzlich verbürgte Verfahrenrechte nicht ohne weiteres unter Berufung auf einen allgemeinen Rechtsgedanken relativiert und beschnitten werden dürfen (Niemöller, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich die Berufung des Angeklagten vorliegend nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Zwar ist dem Landgericht zuzustimmen, dass sich aus dem Inhalt der Berufungsschrift nicht ergibt, inwieweit der Angeklagte das erstinstanzliche Urteil für unrichtig hält. Das Ziel einer Berufung ist jedoch die Überprüfung eines vom Rechtsmittelführer als unrichtig empfundenen Urteils. Aber auch soweit der Angeklagte vorliegend mit seinem Rechtsmittel lediglich die Verlängerung der Untersuchungshaft bezweckt, um aus der Untersuchungshaft heraus eine Therapie antreten zu können, kann dieses Verhalten nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet werden. Hierbei handelt es sich zwar um einen vom Gesetz nicht vorgesehenen Zweck eines Rechtsmittels, das Ziel ist jedoch nicht rechtlich missbilligt. Rechtlich missbilligt sind nur solche Handlungen, die mit der Funktion des Strafverfahrens insgesamt oder einzelnen Grundsätzen seiner rechtlichen Ordnung nicht vereinbar sind. Dies kann vorliegend nicht festgestellt werden. Zwar verfolgt der Angeklagte mit seiner Berufung ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Ziel, es ist aber mit den Vorschriften der Strafprozessordnung auch nicht unvereinbar. Unter diesen Umständen kann dem Angeklagten seine verfahrensrechtliche Handlungsbefugnis, Berufung einzulegen, nicht entzogen werden.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenen Kostenfolge aufzuheben.


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