Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6-265-268/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Gewährung einer Pauschvergütung fast in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren
Senat: 2
Gegenstand: Pauschvergütung
Stichworte: Pauschvergütung; Wahlverteidigerhöchstgebühr, Wirtschaftsstrafverfahren, besondere Schwierigkeit, besonderer Umfang
Normen: BRAGO 99
Beschluss: Strafsache gegen N. u.a.,
wegen Untreue u.a. (hier: Pauschvergütung für die bestellten Verteidiger).
Auf die Anträge
1.
2.
3.
4.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.03.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Gründe:
I.
Gegen die ehemaligen Angeklagten ist seit 1992 ein Verfahren wegen Kapitalanlagenbetruges und Untreue anhängig gewesen. Die Antragsteller sind ihren Mandanten nach Erhebung der Anklage Anfang 1996 neben den jeweiligen Wahlverteidigern beigeordnet worden. Zuvor waren die Antragsteller nicht im Verfahren tätig gewesen.
In ihrer Eigenschaft als Pflichtverteidiger haben die Antragsteller Akteneinsicht in die bis dahin vorhandenen 18 Bände Hauptakten genommen. Sie haben außerdem - teilweise während des Laufs der Hauptverhandlung - die 850 Beweismittelordner eingesehen, die u.a. bei der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht deponiert waren.
Die Hauptverhandlung fand an insgesamt 98 Terminen vor der großen Strafkammer - Wirtschaftstrafkammer - des Landgerichts Siegen statt. Die Antragsteller haben in unterschiedlichem Umfang an der Hauptverhandlung teilgenommen, und zwar der Antragsteller zu 1) an 85 Terminen, der Antragsteller zu 2) an 86 Terminen, der Antragsteller zu 3) - unter Berücksichtigung der Teilnahme seines Sozius, der inzwischen seine Ansprüche an den Antragsteller zu 3) abgetreten hat - an 96 Terminen und der Antragsteller zu 4) an 69 Terminen. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine betrug bei allen Antragstellern rund 3 Stunden 30 Minuten. Die Hauptverhandlungstermine waren locker terminiert, und zwar in der Regel jeweils nur ein Termin/Woche. Die Antragsteller sind zu den Hauptverhandlungsterminen jeweils von Köln, Düsseldorf oder Bochum, wo ihre Kanzleien ihren Sitz haben, nach Siegen angereist.
In der Hauptverhandlung sind insgesamt 40 Zeugen, teilweise mehrfach, vernommen worden. Außerdem wurden zahlreiche, teilweise umfangreiche Schriftstücke - Verträge, Protokolle und Berichte - verlesen. Die Antragsteller haben mehrere, zum Teil umfangreiche, (Beweis-)Anträge gestellt.
Neben der Tätigkeit in der Hauptverhandlung haben die Antragsteller nach ihren Angaben an Besprechungen mit den ehemaligen Angeklagten und den Wahlverteidigern teilgenommen. Diese Besprechungen dienten der Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Hauptverhandlungstermine.
Gegen das 267 Seiten lange Urteil der Strafkammer haben auch die Antragsteller, mit Ausnahme des Antragstellers zu 4), Revision eingelegt, die sie dann auf 138 bzw. 39 Seiten begründet haben. Sie haben dann auch noch zur Stellungnahme des Generalbundesanwalts Stellung genommen.
Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers zu 1) betragen 33.120 DM, die des Antragstellers zu 2) 33.500 DM, die des Antragstellers zu 3) 37.540 DM und die des Antragstellers zu 4) 26.700 DM. Die Wahlverteidigerhöchstgebühren des Antragstellers zu 1) betragen 67.390 DM, die des Antragstellers zu 2) 68.150 DM, die des Antragstellers zu 3) 76.410 DM und die des Antragstellers zu 4) 53.960 DM. Die Antragsteller zu 1) und 2) haben angemessene Pauschvergütungen beantragt, der Antragsteller zu 3) hat eine Pauschvergütung in Höhe von mindestens 100.000 DM beantragt und der Antragsteller zu 4) eine Pauschvergütung in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühr. Der Vertreter der Staatskasse hat gegen die Gewährung einer angemessenen Pauschvergütung keine Bedenken erhoben, allerdings Pauschvergütungen in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren als übersetzt angesehen.
II.
Den Antragstellern war gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.
1.
Das Verfahren war für die Antragsteller "besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Der Senat schließt sich insoweit der Einschätzung des mit dem Verfahren befassten Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer, der auch der Vertreter der Staatskasse nicht widersprochen hat, an (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit dieser Einschätzung siehe u.a. Senatsbeschluss in 2 (s) Sbd. 5 - 265/97 vom 15. Januar 1998 in AnwBl. 1998, 416 = AGS 1998, 104 = ZAP EN-Nr. 609/98).
2.
Das Verfahren war auch "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Besonders umfangreich ist eine Strafsache nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. z.B. OLG Koblenz NStZ 1988, 371; siehe auch Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 99 Rn. 3), wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat. Vergleichsmaßstab sind dabei nur gleichartige Verfahren (OLG Koblenz Rpfleger 1985, 508; OLG München JurBüro 1976, 638 = MDR 1976, 689), vorliegend also Verfahren vor der (Wirtschafts)Strafkammer (vgl. auch Senat in NStZ-RR 1998, 254 = StraFo 1998, 321, 356 = AGS 1998, 140 = StV 1998, 619; Senat in ZAP EN-Nr. 461/2000 = StV 2000, 443 (Ls.) = StraFo 2000, 285 = NStZ 2000, 555; und die weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung des Senats bei Burhoff StraFo 1999, 261 ff.).
Legt man diesen Maßstab hier zugrunde hat es sich - auch für ein Wirtschaftsstrafverfahren - um ein "besonders umfangreiches" Verfahren gehandelt.
Der Umfang der eigentlichen Verfahrensakten ist mit rund achtzehn Bänden für ein Wirtschaftstrafverfahren allerdings noch nicht sehr komplex. Zu berücksichtigen sind insoweit aber die 850 Beweismittelordner, die die Antragsteller ebenfalls - zumindest teilweise - durchzusehen und auszuwerten hatten.
Auch die zeitliche Beanspruchung der Antragsteller lag mit einer durchschnittlichen Hauptverhandlungsdauer von rund 3 Stunden 30 Minuten allenfalls im leicht unterdurchschnittlichen Bereich verglichen mit anderen Verfahren vor der Strafkammer. Auch war die Terminierung mit durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag/Woche nur locker. In diesem Zusammenhang darf jedoch der zeitliche Aufwand, den die Antragsteller zur Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Hauptverhandlungstermine erbringen mussten, nicht übersehen werden. Dieser ist, wie der Senat aus anderen Wirtschaftsstrafverfahren weiß, erheblich. Darauf hat vorliegend zudem auch der Vorsitzende in seiner Stellungnahme hingewiesen. Dieser Zeitaufwand führt (auch) vorliegend dazu, das Verfahren schon (auch) als "besonders umfangreich" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO anzusehen.
Hinzu kommen bei den Antragstellern zu 1) bis 3) noch die im Revisionsverfahren erbrachten Tätigkeiten, sowie bei allen Antragstellern der Zeitaufwand, den sie für die An- bzw. Abreise vom bzw. zum Sitz ihrer jeweiligen Kanzlei haben erbringen müssen (zur Berücksichtigung von Fahrtzeiten siehe Senat in StraFo 1999, 143 = wistra 1999, 156 = AGS 1999, 72 = StV 2000, 441).
3.
Bei der Bemessung der somit nach allem zu bewilligenden Pauschvergütungen hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Dabei waren einerseits die nur unterdurchschnittliche Dauer der Tätigkeiten der Antragsteller in der Hauptverhandlung zu berücksichtigen sowie andererseits aber das zeitaufwendige Tätigwerden im Revisionsverfahren. Den darüber hinaus von den Antragstellern für Akteneinsicht, Besprechungen und Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlung erbrachten Zeitaufwand hat der Senat bei der überschlägigen Bemessung der Pauschvergütung pauschal pro Hauptverhandlungstag mit etwa der Zeit berücksichtigt, die ungefähr für jeweils einen weiteren Hauptverhandlungstag aufzubringen gewesen wäre. In die Berechnung sind somit jeweils rund soviel weitere "Fortsetzungsgebühren" eingeflossen, wie die Antragsteller an Hauptverhandlungen teilgenommen haben. Der Senat hat außerdem berücksichtigt, dass das Verfahren "besonders schwierig" gewesen ist.
Insgesamt erschienen dem Senat zum angemessenen Ausgleich der von den Antragstellern erbrachten Tätigkeiten die jeweiligen Wahlverteidigerhöchstgebühren fast erreichende Pauschvergütungen erforderlich und angemessen. Deshalb sind die im Tenor genannten Pauschvergütungen festgesetzt worden. Dabei übersieht der Senat nicht, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung, an der er grundsätzlich festhält, eine Pauschvergütung in Höhe, etwa in Höhe oder sogar über die Wahlverteidigerhöchstgebühr hinaus grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn das Verfahren den Pflichtverteidiger über einen längeren Zeitraum ganz oder fast ausschließlich in Anspruch genommen hat (vgl. z.B. Senat in StraFo 1998, 215 = AGS 1998, 87 = JurBüro 1998, 413; Senat in 1998, 431 = JurBüro 1999, 134 = AGS 1999, 104; Senat in StraFo 1999, 431). Das ist hier jedoch - schon aufgrund der nur lockeren Terminierung der 98 Hauptverhandlungstage in fast zwei Jahren - (noch) nicht der Fall.
Wenn der Senat vorliegend gleichwohl - wie auch schon in anderen Wirtschaftsstrafverfahren (vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 5. August 1999 in 2 (s) Sbd. 6-150/99 = ZAP EN-Nr. 142/2000 = AGS 2000, 7; vom 19. Mai 2000 in 2 (s) Sbd. 6.48/2000 = ZAP EN-Nr. 461/2000 = StV 2000, 443 (Ls.) = StraFo 2000, 285 = NStZ 2000, 555 = wistra 2000, 398; vom 16. 6. 2000 in 2 (s) Sbd. 6 -53, 54 u. 55/2000 = AGS 2000, 249) - eine Pauschvergütung etwa in Höhe der Wahlanwaltshöchstgebühren festgesetzt hat, liegt dies in folgenden Umständen begründet: Einmal haben die Antragsteller sich in einen insgesamt äußerst umfangreichen Verfahrensstoff einarbeiten und diesen jeweils für die Hauptverhandlungstermine über einen längeren Zeitraum zeitintensiv vor- und nachbereiten müssen. Der Senat geht davon aus, dass dies so zeitintensiv gewesen ist, dass den Antragstellern zumindest während zwei Tagen in der Woche keine Zeit blieb, um andere Anwaltsmandate annehmen und führen zu können.
Schließlich spricht, worauf der Senat auch bereits hingewiesen hat (vgl. o.a. Beschluss vom 19. Mai 2000), im Übrigen das Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers dafür, vorliegend die jeweilige Wahlverteidigerhöchstgebühr fast erreichende Pauschvergütungen zu bewilligen. Insoweit ist nach Auffassung des Senats entscheidend, dass gerade in Wirtschaftsstrafverfahren, die in der Regel eine schwierige Materie zum Gegenstand haben, die Tätigkeit des Pflichtverteidigers häufig nicht angemessen entlohnt wird. Dabei kann dahinstehen, ob und wenn ja in welchem Umfang dem Pflichtverteidiger von Verfassungs wegen ein Sonderopfer auferlegt worden ist (vgl. dazu Senat im Beschluss vom 4. April 2000 - 2 (s) Sbd. 6-46/2000 = wistra 2000, 319 = BRAGO professionell 2000, 129 = ZAP EN-Nr. 686/2000 = JurBüro 2000, 586; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. 11. 2000 - 2 BvR 813/99 = AGS 2001, 51). Jedenfalls darf der Pflichtverteidiger, worauf der Senat ebenfalls schon hingewiesen hat, in einem Wirtschaftsstrafverfahren nicht gegenüber dem Pflichtverteidiger in Schwurgerichtsverfahren unzumutbar benachteiligt werden. Das ist aber bei einem Vergleich der dort anfallenden gesetzlichen Gebühren in der Regel der Fall (siehe die Gegenüberstellung der gesetzlichen Gebühren im o.a. Beschluss vom 19. Mai 2000). Diese Ungleichbehandlung, für die in der Regel kein rechtfertigender Grund besteht, lässt sich, solange der Gesetzgeber Schwurgerichts- und Wirtschaftsstrafverfahren nicht gleich behandelt, in umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren nur durch ein großzügigeres Annähern an oder ggf. sogar Überschreiten der "Grenze" der Wahlverteidigerhöchstgebühr (vgl. dazu den o.a. Beschluss vom 19. Mai 2000) korrigierend ausgleichen. Jedenfalls ist dieser Umstand bei der Frage, ob die festzusetzende Pauschvergütung "angemessen" ist, mit zu berücksichtigen.
Dies führt vorliegend allerdings nicht dazu, noch höhere als die festgesetzten Pauschvergütungen zu bewilligen. Denn auch unter Berücksichtigung des erheblichen Umfangs des Verfahrens blieb den Antragstellern nach den obigen Ausführungen noch genügend Zeit auch während laufender Hauptverhandlung noch anderen anwaltlichen Tätigkeiten nachzugehen. Demgemäss waren die - teilweise - weitergehenden Anträge der Antragsteller zurückzuweisen.
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