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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 53/01 OLG Hamm

Leitsatz: Wenn das Gericht erwägt, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Taten auszusetzen und nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich zwingend.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Strafaussetzung zur Bewährung, Strafrest, zwingende Einholung eines Sachverständigengutachten, Restrisiko, Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren

Normen: StGB 57, StPO 454, StGB 66

Beschluss: Strafsache gegen M.P.
wegen Vergewaltigung(hier: Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aussetzung der Vollstreckung einer nach Verbüßung von 2/3 noch verbleibenden Reststrafe zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 15. Februar 2001 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 9. Februar 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.03.2001 durch

  1. Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung des Verurteilten beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten und Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 11. Dezember 1998 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Strafe verbüßt er zur Zeit. 2/3 der erkannten Strafe waren am 21. Februar 2001 verbüßt, Strafende ist am 22. Februar 2002.

Der Verurteilte ist in der Vergangenheit schon wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, und zwar wegen Diebstahls und Verstoßes gegen das BtM-Gesetz.

Die Justizvollzugsanstalt hat zur sog. 2/3 Entlassung des Verurteilten schon zum jetzigen Zeitpunkt in ihrer Stellungnahme Stellung genommen und einer bedingten Entlassung unter "Zurückstellung von Bedenken letztlich" nicht widersprochen.

Die Strafvollstreckungskammer hat im angefochtenen Beschluss die Reststrafe aus der Verurteilung des Amtsgerichts Herford vom 11. Dezember 1998 zur Bewährung ausgesetzt. Dabei hat sie insbesondere darauf abgestellt, dass der Verurteilte mit einem Psychologen psychotherapeutische Gespräche geführt habe und er nach seiner Entlassung regelmäßig einen psychosozialen Dienst aufsuchen wolle.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Sie bemängelt insbesondere, dass die Strafvollstreckungskammer entgegen §§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO, 57 Abs. 1 StGB kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Der Verurteilte hat beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

1.
Die angefochtene Entscheidung war schon deshalb aufzuheben, weil das zugrundeliegende Verfahren, worauf Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen haben, fehlerhaft ist. Das Landgericht hat es nämlich unterlassen, ein Sachverständigengutachten über den Verurteilten einzuholen.

Nach § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I, S. 160) holt das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Taten auszusetzen und nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen. Diese Vorschrift ist vorliegend anzuwenden. Dass die Tat und die Verurteilung zeitlich vor Inkrafttreten dieser Verfahrensnorm liegen, steht dem nicht entgegen (Schönke/Schröder/Stree, StGB, 26. Aufl., § 2 Rn. 6 f.; OLG Zweibrücken StraFo 1999, 32, 33; Beschluss des Senats vom 11. Februar 1999 in ZAP EN-Nr. 239/99 = StV 1999, 216 = NJW 1999, 2453).

Auch dieser Entscheidung der Strafvollstreckungskammer lässt sich schon nicht entnehmen, ob die Strafvollstreckungskammer diese - neuere - Verfahrensvorschrift überhaupt gesehen hat, da sie in den Gründen ihrer Entscheidung auf die Neuregelung mit keinem Wort eingeht. Zumindest das wäre aber, wenn das Landgericht die Norm gesehen, das Vorliegen ihrer Voraussetzungen aber verneint und deshalb ein Sachverständigengutachten für nicht erforderlich angesehen hätte, erforderlich gewesen, um so dem Beschwerdegericht die Möglichkeit der Überprüfung der getroffenen Aussetzungsentscheidung und des dabei eingeschlagenen Verfahrens zu geben (vgl. dazu schon die o.a. Senatsentscheidung vom 11. Februar 1999).

Die Voraussetzungen von § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB liegen vor. Der Verurteilte ist zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden. Die der Verurteilung zugrundeliegende Tat der "Vergewaltigung" gehört als "Verbrechen" auch zu dem in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB erwähnten Straftatenkatalog. Damit hätte, da die Strafvollstreckungskammer darüber hinaus erwogen hat, die Reststrafe zu Bewährung auszusetzen, vor dieser positiven Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zwingend ein Sachverständigengutachten über den Verurteilten eingeholt werden müssen (OLG Zweibrücken, a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 454 Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).

Der Senat hat in seiner o.a. Entscheidung bereits dargelegt, dass etwas anderes nicht daraus folgt, dass es in § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB heißt: "..und nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen". Diese Fassung des Gesetzes wird von der dazu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die Nachweise in der o.a. Senatsentscheidung; siehe außerdem auch BGH StV 2000, 263; OLG Celle NStZ-RR 1999, 179) nämlich nicht so verstanden, dass damit - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO - der Strafvollstreckungskammer grundsätzlich noch ein Spielraum zur bedingten Entlassung des Verurteilten ohne vorherige Begutachtung durch einen Sachverständigen eingeräumt wird.

Ob in Ausnahmefällen etwas anderes gilt (so wohl OLG Zweibrücken, a.a.O., und wohl auch OLG Frankfurt StV 1998, 500; siehe auch BGH, a.a.O., OLG Celle, a.a.O.), kann dahinstehen. Die Frage braucht der Senat vorliegend erneut nicht abschließend zu entscheiden. Denn unabhängig davon, dass das Landgericht einen solchen Ausnahmefall ersichtlich nicht angenommen hat, was sich schon aus dem Umstand ergibt, dass es sich mit der Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO und dem Umstand, dass danach an sich zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist, mit keinem Wort auseinander gesetzt hat, liegen auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls nicht vor. Diese könnte nämlich, worauf der Senat ebenfalls in seiner o.a. Entscheidung schon hingewiesen hat, allenfalls dann anzunehmen sein, wenn sämtliche für die Prognoseentscheidung des § 57 Abs. 1 StGB heranzuziehenden Umstände nur noch die Beurteilung zulassen würden, dass vom Verurteilten praktisch keine Gefahr mehr ausgeht und daher keine andere Entscheidung als die der Strafaussetzung gerechtfertigt wäre (so wohl auch OLG Frankfurt, a.a.O.). Davon kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Der Verurteilte ist bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat wegen der Vorstrafen auch schon (Jugend-)Strafe verbüßt. Die von ihm bei der abgeurteilten Tat aufgewendete kriminelle Energie war nicht unerheblich. Mit dieser Tat hat sich der Verurteilte nach dem Bericht der Leiterin der Justizvollzugsanstalt allenfalls ansatzweise auseinandergesetzt, was u.a. für die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Anlass war, der bedingten Entlassung nur mit Bedenken zuzustimmen.

Angesichts dieser Gesamtumstände, die auch bei der Strafvollstreckungskammer noch zu Restbedenken hinsichtlich des Erprobungsrisikos geführt haben, war damit die Einholung eines Sachverständigengutachtens unumgänglich. Wie groß das - verbleibende (vgl. dazu die o.a. Senatentscheidung - Restrisiko ist, hat die Strafvollstreckungskammer durch dieses Sachverständigengutachten abzuklären. Das Erprobungsrisiko kann jedenfalls, worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend verweist, nicht ohne weiteres der Allgemeinheit auferlegt werden.

Wegen des weiteren Verfahrens verweist der Senat auf seine bereits mehrfach erwähnte Entscheidung vom 11. Februar 1999.


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