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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 85/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren und zur Berücksichtigung der Länge der nach einem Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung ggf. noch zu vollstreckenden (Rest-)Freiheitsstrafe bei der Beurteilung der "Schwere der Tat".

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren, Berücksichtigung der Länge der nach einem Widerruf von Strafaussetzung ggf. zu berücksichtigenden Strafe, Schwere der Tat

Normen: StGB 56 f, StPO 140

Beschluss: Strafsache gegen K.N.,
wegen Totschlags, (hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich eines Strafrestes und Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 28. Februar 2001 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 15. Februar 2001 und auf den gleichzeitig gestellten Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17.04.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird zurückgewiesen.

Gründe:
Der bereits zu diesem Zeitpunkt erheblich vorbestrafte Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 8. Juli 1993 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Zugleich wurde seine Unterbringung in eine Entziehungsanstalt angeordnet.

Nachdem bereits im Jahre 1997 gemäß § 67 d Abs. 5 StGB von der weiteren Vollziehung der Unterbringung abgesehen worden ist, ist durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 16. September 1999 ein Strafrest von rund drei Jahren für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden. Die bedingte Entlassung aus der Strafhaft erfolgte im November 1999.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer nunmehr die Strafaussetzung zur Bewährung wegen der Begehung einer erneuten Straftat widerrufen.

Hiergegen richtet sich die durch seinen Wahlverteidiger rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde vom 28. Februar 2001. Der Verteidiger hat außerdem beantragt, ihn dem Verurteilten als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abzulehnen.

Die sofortige Beschwerde war aus den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zu verwerfen. Nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB muss das Gericht die Strafaussetzung widerrufen, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Der Beschwerdeführer ist während der laufenden Bewährungszeit erneut wegen einer unter erheblichem Alkoholeinfluss begangenen Straftat in Erscheinung getreten und durch Strafbefehl des Amtsgerichts Recklinghausen vom 31. August 2000 wegen fahrlässigen Vollrausches (Tatzeit: 9. Juli 2000) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Auch dieser Entscheidung liegt ein vorsätzlicher Angriff des Beschwerdeführers auf die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person zugrunde. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, rechtfertigt bereits diese Nachverurteilung den Widerruf, so dass es einer Erörterung der übrigen in dem angefochtenen Beschluss genannten Gründe nicht bedarf. Auch steht dem Widerruf nicht entgegen, dass der Strafbefehl "nur" eine Geldstrafe festgesetzt hat, weil dieser Rechtsfolgenausspruch angesichts der Bewährung in vorliegender Sache und des Vorlebens des Beschwerdeführers kaum nachvollziehbar ist.

Angesichts der Schwere und des Umfangs des Bewährungsversagens kommen mildere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB auch nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, zumal der Verurteilte trotz intensiver Bemühungen seiner Bewährungshelferin die ihm mit der bedingten Entlassung erteilte Weisung, sich in eine stationäre Therapie zu begeben, nicht nur nicht erfüllt hat, sondern sich der Bewährungshelferin gegenüber zuletzt dahin geäußert hatte, "eigentlich keinerlei Bock auf Therapie zu haben".

Unter den gegebenen Umständen kann es dahinstehen, ob die weiteren gegen den Verurteilten im Jahr 2000 eingeleiteten Strafverfahren - zumindest in einem dieser Verfahren hat er gegenüber der Polizei die Begehung einer Körperverletzung eingeräumt - zu weiteren Verurteilungen führen werden.

Die Beiordnung eines Verteidigers für das weitere Beschwerdeverfahren ist unabhängig davon, dass eine rückwirkende Beiordnung nicht in Betracht kommt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 141 Rdnr. 8) und das Beschwerdeverfahren durch vorstehende Senatsentscheidung endgültig abgeschlossen ist, auch im Übrigen nicht veranlasst.

Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. April 2001 in 2 Ws 77/01, vom 9. November 1999 in 2 Ws 331/99, vom 5. November 1999 in 2 Ws 325 u. 326/99 = NStZ-RR 2000, 113 = StV 2000, 92; ferner Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 27. April 1999 - 1 Ws 111/99 - = NStZ-RR 1999, 319; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 33), kann für das Vollstreckungsverfahren die entsprechende Anwendung der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO in Betracht kommen.

Die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO sind jedoch - im Lichte der Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens gesehen - hier nicht gegeben.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft folgendes ausgeführt:

"Es ist zunächst einmal nichts dafür ersichtlich, dass der Verurteilte unfähig ist, sich selbst zu verteidigen. Auch ist die Entscheidung der Frage, ob der Widerruf des zur Bewährung ausgesetzten Strafrestes erfolgen muss, weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht schwierig.

Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Verurteilte im Falle des Widerrufs noch eine Freiheitsstrafe von 1209 Tagen zu verbüßen hat.

Die Wertung, dass im Strafverfahren bei einer Straferwartung von einem Jahr in der Regel die Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten ist (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 23), beruht auf der Erwägung, dass diese Straferwartung ein Indiz für die Schwere der Tat ist. Käme es im Vollstreckungsverfahren für die Entscheidung über die Notwendigkeit der Verteidigerbestellung auf die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe an, so wäre diese abhängig vom Zeitpunkt der Entschließung. Die Schwere der Tat kann jedoch nur einheitlich beurteilt werden und ist daher für das Vollstreckungsverfahren kein Entscheidungskriterium (OLG Hamm, Beschluss vom 27.04.1999 - 1 Ws 111/99).

Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch in den Fällen des § 57 a StGB, §§ 67 c Abs. 1, 67 d Abs. 2, 67 e StGB zu prüfen ist, ob die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, die Beiordnung
eines Verteidigers gebietet (BVerfG NJW 1986, 767, 771; NJW 1992, 2947, 2954). Dadurch wird deutlich, dass auch für das Bundesverfassungsgericht die Höhe der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe kein Kriterium für die Entscheidung über Verteidigerbestellung ist (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 1999)."

Der Senat folgt dieser Auffassung und bemerkt ergänzend:

Diese Kriterien gelten auch für die Frage des Widerrufs in Bezug auf die Höhe der zur Bewährung ausgesetzten Restfreiheitsstrafe. Dabei kommt es allein darauf an, ob die Beurteilung der Widerrufsgründe und der Frage, ob gemäß § 56 Abs. 2 StGB möglicherweise vom Widerruf abgesehen werden kann, Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bieten, die die Beiordnung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen. Jedenfalls kann die Höhe der zu widerrufenden Strafe kein alleiniges Kriterium für die Notwendigkeit der Beiordnung eines Verteidigers sein. Auch die vom Verteidiger für die Begründung seines Beiordnungsantrags im Leitsatz zitierte Entscheidung des OLG Celle (StV 1988, 112) betrifft eine auf den Einzelfall abgestellte Beurteilung eines Sachverhalts, der mit dem vorliegenden nicht vollständig vergleichbar ist, zumal hier Verhandlungen mit Therapieeinrichtungen und dem Sozialamt auch bislang nicht allein vom Verurteilten zu führen waren, sondern er insbesondere die Hilfe seiner Bewährungshelferin nicht angenommen hat und letztlich selbst bekundet hatte, auf Therapien keinen Bock zu haben. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass er sowohl therapieerfahren als auch hafterfahren ist und seine Belange bisher auch erkennbar selbst vertreten konnte.

Bei der vorstehenden Entscheidung über die Pflichtverteidigerbeiordnung handelt es sich um eine Entscheidung des Vorsitzenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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