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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 291/00 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, der eine erneute Gewährung des letzten Wortes erfordert, liegt auch dann vor, wenn ein Mitangeklagter sich mit einer außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände einverstanden erklärt und diese Erklärung protokolliert und nach Verlesung von dem Mitangeklagten genehmigt worden ist.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Zuständigkeit, Schöffengericht, willkürliche Annahme, Pflichtverteidiger, Schwere der Tat, letztes Wort des Angeklagten, Wiedereintritt in die Hauptverhandlung, Verhandlung zur Sache

Normen: GVG 24, StPO 140, StPO 258, StPO 338

Beschluss: Strafsache gegen C.S. ,
wegen Steuerhinterziehung.

Auf die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Bielefeld von 10.09.1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm an 06.04.2000 durch den Vorsitzenden Richter an ,Oberlandesgericht und die Richterinnen an Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffengericht - Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

1.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Bielefeld vom 10.09.1999 wegen gemeinschaftlicher sowie gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Dem Angeklagten wurde außerdem die Fahrerlaubnis entzogen und es wurde für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis eine Sperre von zwei Jahren verhängt. Das Amtsgericht hat außerdem in dem angefochtenen Urteil ausgesprochen, dass das sichergestellte Handy, der Pkw Mercedes Benz des Angeklagten mit dem amtlichen Kennzeichen HAM-DS 953 sowie die sichergestellten Zigaretten der Einziehung unterliegen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Mit der erhobenen Verfahrensrüge macht er unter anderem einen Verstoß gegen § 338 Nr. 4 StPO mit der Begründung geltend, das Schöffengericht habe entgegen § 25 Nr. 2 GVG i. V. m. § 24 GVG willkürlich seine sachliche Zuständigkeit angenommen und das Hauptverfahren eröffnet. Außerdem rügt er einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO und führt zur Begründung aus, die Hauptverhandlung sei vor dem Schöffengericht ohne einen Verteidiger durchgeführt worden, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vorgelegen habe. Geltend gemacht
wird darüber hinaus ein Verstoß gegen § 258 Abs. 3 StPO mit der Begründung, nachdem er und seine Mitangeklagten in der Hauptverhandlung am 10.09.1999 das letzte Wort gehabt hätten, sei das Schöffengericht erneut in die Beweisaufnahme eingetreten, habe ihm - dem Angeklagten - aber entgegen § 258 Abs. 3 StPO im Anschluss daran nicht erneut das letzte Wort erteilt.

II.
Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffengericht - Bielefeld.

1..
Die Revision kann allerdings nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, es sei ein Fall des absoluten Revisionsgrundes gemäß § 338 Nr. 4 StPO gegeben; Dabei bedarf es im vorliegenden Falle keiner abschließenden Klärung, ob das Revisionsgericht von Amts wegen zu überprüfen hat, ob in der ersten Instanz die sachliche Zuständigkeit objektiv willkürlich angenommen worden ist, oder ob eine solche Überprüfung eine in zulässiger Form erhobene Verfahrensrüge voraussetzt. Denn im vorliegenden Fall ist eine entsprechende Verfahrensrüge erhoben worden. Sie greift aber nicht durch, da ein willkürliches Handeln des Schöffengerichtes bei Annahme seiner sachlichen Zuständigkeit nicht gegeben war.
Infolge dessen kommt auch keine Zurückverweisung der Sache an den Strafrichter beim Amtsgericht Bielefeld als den für die Behandlung und Entscheidung der Sache gemäß § 25 Nr. 2 GVG zuständigen Richter in Betracht.

Willkür ist anzunehmen, wenn sich eine gerichtliche Entscheidung bei Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm soweit von den Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dies ist der Fall, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruht oder offensichtlich unhaltbar ist. An die Annahme von Willkür, die nur in seltenen Fällen in Betracht kommt, sind mithin hohe Anford4rungen zu stellen. Ein Verstoß gegen Artikel 101 Abs. 1 S. 2 GG liegt nicht schon dann vor, wenn ei~ Gericht infolge eines Irrtums Zuständigkeitsnormen falsch anwendet (vgl. BGH NJW 1993, 1607). Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass sich das Schöffengericht bei der Bejahung seiner sachlichen Zuständigkeit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Vielmehr ergibt sich aus dem in der Hauptverhandlung vom 10.09.1999 verkündeten Beschluss des Schöffengerichts, mit dem der Antrag des Angeklagten auf Verweisung des Verfahrens an den Einzelrichter beim Amtsgericht Bielefeld abschlägig beschieden worden ist, dass das Schöffengericht bei der Annahme seiner sachlichen Zuständigkeit maßgebend die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten sowie den von ihm angerichteten Steuerschaden in Höhe von nahezu 200.000,- DM berücksichtigt hat. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren lag im vorliegenden Fall jedenfalls zum Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens unter Berücksichtigung des Gewichtes der dem Angeklagten im vorliegenden Verfahren vorgeworfenen Tat und des dadurch verursachten erheblichen Schadens sowie angesichts dessen Vorverurteilung nicht soweit außerhalb jedes sachlich noch begründeten Vorstellungsvermögens, dass sie als offensichtlich unhaltbar hätte angesehen werden müssen. Der Angeklagte S. war nämlich durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 10.07.1996 (76 Ls 73 Js 1718/95) wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Die Strafe war mit Wirkung vom 05.08.1998 erlassen worden. Nach dem Vorwurf der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 13. Juli 1999 ist der Angeklagte schon kurze Zeit danach, nämlich am 18.05.1999 erneut einschlägig straffällig geworden, indem er eine Million unverzollte und unversteuerte Zigaretten der Marke West in Kenntnis dieses Umstandes von dem gesondert verfolgten W.S. übernommen hat. Die Summe der hinterzogenen Abgaben hinsichtlich der von dem Angeklagten übernommenen eine Million Stück Zigaretten erreicht nach der Anklageschrift die beträchtliche Gesamthöhe von rund 190.000,- DM.

2.
Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO ist in zulässiger Weise erhoben worden. Sie ist auch begründet. Denn im vorliegenden Falle hat die Hauptverhandlung ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 10.09.1999 in Abwesenheit eines Verteidigers - der Wahlverteidiger des Angeklagten war nicht erschienen und ein Pflichtverteidiger war den Angeklagten nicht beigeordnet worden - stattgefunden, obwohl die Mitwirkung eines Verteidigers im vorliegenden Fall gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der Tat notwendig gewesen wäre.

Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 140 Rdnr. 23 m. w. N.). Nach der wohl überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der der Senat folgt, ist in der Regel von dem Fall einer notwendigen Verteidigung auszugehen, wenn die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 05.06.1996 - 3 Ss 428/96 - m. w. N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. 0.; Laufhütte, in KK, StPO, § 140 Rndziff. 22). Im vorliegenden Fall ist der Angeklagte wegen der ihm vorgeworfenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Damit war schon wegen der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung erforderlich. Da ein Verteidiger in der Hauptverhandlung aber nicht anwesend war, ist demgemäß der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben.

3.
Auch die in zulässiger Form erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 258 Abs. 3 StPO Ist begründet.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift von 10.09.1999 ist nach der Schließung der Beweisaufnahme, den Schlussvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger der Mitangeklagten K. und I. sowie nach den Schlusserklärungen des Angeklagten und seiner Mitangeklagten durch den Mitangeklagten I. die Erklärung abgegeben worden, dass er sich mit einer außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Zigaretten einverstanden erklärt. Diese Erklärung wurde anschließend vorgelesen und von dem Mitangeklagten I. genehmigt. Im Anschluss daran folgte die Urteilsverkündung, ohne dass zuvor den Angeklagten erneut das letzte Wort erteilt worden war.

Ist dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden, erfolgt sodann aber ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, so ist das Gericht verpflichtet, im Anschluss daran dem Angeklagten abermals das letzte Wort zu erteilen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. 0., § 258 Rndziff. 27). Ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, der eine erneute Gewährung des letzten Wortes erfordert, liegt auch dann vor, wenn lediglich auf die rechtliche Möglichkeit einer Nebenfolge hingewiesen wird (vgl. BGH NStZ 1987, 36; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. 0., § 258 Rndziff. 29). Im vorliegenden Falle ist ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme durch das Gericht dadurch erfolgt, dass dieses die Erklärung des Mitangeklagten I., dass er mit einer außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Zigaretten einverstanden sei, nach den Schlusserklärungen aller Angeklagten entgegengenommen und protokolliert hat und sodann die protokollierte Erklärung hat verlesen und von dem Mitangeklagten I. genehmigen lassen. Infolge dessen hätte dem Angeklagten im Anschluss daran nochmals das letzte Wort erteilt werden müssen, bevor das Urteil verkündet worden ist. Dass dies unterlassen worden ist, begründet einen Verstoß gegen § 258 Abs. 3 StPO.

Die beiden oben genannten Verfahrensverstöße führen zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
- Schöffengericht - Bielefeld. Infolge dessen bedurfte es keiner zusätzlichen Erörterung der weiteren mit der Verfahrensrüge geltend gemachten Verfahrensverstöße. Ebenso konnte eine Überprüfung der allgemein erhobenen Sachrüge unterbleiben.


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