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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 Ws 204/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme von Fluchtgefahr ist es nicht erforderlich, dass der Angeklagte der Hauptverhandlung räumlich fern bleibt. Es genügt vielmehr, dass er - bei körperlicher Anwesenheit in der Hauptverhandlung - sich in einen Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt. Auch die Möglichkeit nach § 231 a StPO zu verfahren, steht dem Erlass eines Haftbefehls nicht entgegen.

Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbeschwerde, Fluchtgefahr, Einnahme

Normen: StPO 112

Beschluss: Strafsache gegen A.S.
wegen gewerbs- und bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung, (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 7. Mai 2001 gegen den Beschluss der II. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 30. April 2001 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.05.2001 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:
I.
Dem Angeklagten wird mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 29. April 1998 gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung in 29 Fällen zur Last gelegt. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf die Anklageschrift Bezug genommen. Am 19. April 2001, dem 7. Verhandlungstag der seit dem 22. März 2001 laufenden (erneuten) Hauptverhandlung, hat die Strafkammer einen mit der Anklageschrift inhaltsgleichen Haftbefehl erlassen. Mit Beschluss vom 30. April 2001 hat sie dessen - von dem Angeklagten beantragte - Aufhebung abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Der Haftbefehl vom 19. April 2001 ist zu Recht ergangen. Er ist aufrechtzuerhalten und auch weiter zu vollziehen.

II.
1.
Der Anklagte ist der in der Anklageschrift und in dem Haftbefehl genannten Taten dringend verdächtig. Insoweit wird auf den Inhalt der Anklageschrift und die darin näher bezeichneten Beweismittel, die im vorliegenden Verfahren ergangenen oberlandesgerichtlichen Haftfortdauerbeschlüsse sowie auf den Nichtabhilfebeschluss der Strafkammer vom 14. Mai 2001, wonach in der Beweisaufnahme der laufenden Hauptverhandlung die gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe bisher bestätigt worden sind, Bezug genommen.

2.
Zutreffend hat die Strafkammer auch den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO bejaht. Denn es besteht die Gefahr, dass sich der Angeklagte dem weiteren Strafverfahren entzieht.

Dazu bedarf es - worauf die Strafkammer zu Recht abgestellt hat - nicht, dass der Angeklagte der Hauptverhandlung räumlich fern bleibt. Es genügt vielmehr, dass er - bei körperlicher Anwesenheit in der Hauptverhandlung - sich in einen Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt (vgl. OLG Oldenburg StV 90, 175 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 112 Rdnr. 18).

Das ist hier der Fall. Der Angeklagte hat am 19. April 2001 durch die Einnahme einer Überdosis des Schmerzmittels Tramal seine (für alle Prozessbeteiligten erkennbare) Verhandlungsunfähigkeit - er war durchweg schläfrig und hat während der Hauptverhandlung phasenweise mit auf den Tisch gelegtem Kopf geschlafen - herbeigeführt. Insoweit kann dahinstehen, ob er - entsprechend dem anfänglichen Vorbringen der Verteidigung - am Morgen des 19. April 2001 80 Tropfen des Schmerzmittels Tramal oder - wie von der Verteidigung später vorgetragen worden ist - zunächst 40 Tropfen Tramal eingenommen und diese wegen Unverträglichkeit erbrochen und danach nochmals 40 Tropfen Tramal eingenommen hat, die in seinem Körper verblieben sind. Denn sowohl im einen wie im anderen Fall ist davon auszugehen, dass der Angeklagte durch die Einnahme einer Überdosis des genannten Schmerzmittels wissentlich seine Verhandlungsunfähigkeit herbeigeführt hat. Wie die in der Hauptverhandlung am 23. April 2001 erfolgte Vernehmung des Zeugen Dr. R. ergeben hat, hatte der Angeklagte nämlich schon zu einem früheren Zeitpunkt die Erfahrung gemacht, dass für ihn bereits eine Dosis von nur 30 Tropfen Tramal nicht verträglich war, und dem Zeugen Dr. R. hiervon anlässlicher einer im März 2001 stattgefundenen Untersuchung berichtet. Wenn der Angeklagte in Kenntnis dessen am Morgen des 19. April 2001 vor der an diesem Tage stattfindenden Fortsetzung der Hauptverhandlung eine für ihn in jedem Fall unverträglich hohe Dosis von (mindestens) 40 Tropfen Tramal eingenommen hat, lässt dies schon für sich genommen, insbesondere aber bei Würdigung seines Prozessverhaltens insgesamt, nur den Schluss zu, dass er hierdurch gezielt seine Verhandlungsunfähigkeit herbeiführen wollte, um auf diese Weise den Abbruch der Hauptverhandlung zu erzwingen, jedenfalls aber ihre ordnungsgemäße Durchführung nachhaltig zu behindern. Damit hat er sich dem Strafverfahren entzogen im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Die Untersuchungshaftanordnung ist daher zu Recht ergangen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung steht die Möglichkeit, nach § 231 a StPO zu verfahren, dem Erlass eines Haftbefehls nicht entgegen. Die genannte Vorschrift kann nicht als Sondervorschrift in dem Sinne angesehen werden, dass bei ihrem Vorliegen trotz der ebenfalls gegebenen Voraussetzungen für seinen Erlass kein Haftbefehl ergehen dürfe. Ob und welche Maßnahmen das Gericht gegebenenfalls zu treffen hat, hat es allein unter Berücksichtigung der (allgemeinen) Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Subsidiarität zu entscheiden. Ist die Fortführung des Verfahrens unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besser durch eine Verhaftung zu erreichen, so kann - zumal wenn der Angeklagte diese durch sein Verhalten selbst verschuldet hat - eine solche Entscheidung nicht beanstandet werden. So verhält es sich hier.

Die Beschwerde war daher zu verwerfen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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