Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6-72/01 OLG Hamm
Leitsatz: Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung sind auch die Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt vor seiner Bestellung als Wahlverteidiger erbracht hat. An seiner bisher anders lautenden ständigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt u.a. Senatsbeschluss vom 6. April 2000 in 2 (s) Sbd. 6-6 u. 7/2000 - AGS 2000, 131 = ZAP EN-Nr. 524/2000) hält der Senat nicht mehr fest.
Senat: 2
Gegenstand: Pauschvergütung
Stichworte: Pauschvergütungsbewilligung, Berücksichtigung der als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten, Zeitpunkt der Beiordnung; besonders "umfangreiche Sache", besonders "schwierige Sache"
Normen: BRAGO 99
Beschluss: Strafsache gegen M.W.,
wegen gefährlicher Körperverletzung (hier: Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung für den bestellten Verteidiger).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts K. in A. vom 22. Januar 2001 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17.05.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 600 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 1.200 DM (in Worten: eintausendzweihundert Deutsche Mark) bewilligt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller war Pflichtverteidiger des ehemaligen Angeklagten, der inzwischen wegen einer zum Nachteil seiner Ehefrau begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Der Antragsteller war zunächst seit dem 2. November 2000 als Wahlverteidiger für den ehemaligen Angeklagten tätig. Auf seinen Antrag vom 3. November 2001 ist er am 28. Dezember 2001 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens wurde er entpflichtet. Der Antragsteller beantragt für seine für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:
Neben der Anfertigung einiger Schreiben und der Einsicht in die nicht umfangreiche Akte hat der Antragsteller am 3. November 2000 an einem Vorführungstermin beim AG Coesfeld teilgenommen, der 70 Minuten gedauert hat. Er hat außerdem am 16. November 2000 eine rund zwei Stunden dauernde Besprechung mit seinem Mandanten in der Justizvollzugsanstalt durchgeführt, sowie außerdem noch am 11. und 28. Dezember 2000 zwei weitere Besuche in der Justizvollzugsanstalt, von denen der eine 90 Minuten und der andere 50 Minuten gedauert hat. Insgesamt hat der Antragsteller nach seinen Angaben einen Zeitaufwand von rund 600 Minuten für den ehemaligen Angeklagten erbracht. Wegen des Umfangs der Inanspruchnahme im Einzelnen wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 9. April 2001 Bezug genommen.
Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers betragen 600 DM. Der Antragsteller hat eine Pauschvergütung von 1.200 DM beantragt.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat das Verfahren als nicht "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er ist zudem der Ansicht, dass das Verfahren für den Antragsteller auch nicht "besonders umfangreich" gewesen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats könnten bei der Bewilligung einer Pauschvergütung die Tätigkeiten, die der Antragsteller noch als Wahlverteidiger erbracht habe, im wesentlichen keine Berücksichtigung finden. Die übrigen Tätigkeiten rechtfertigten aber nicht die Annahme des "besonderen Umfangs" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO.
II.
Dem Antragsteller war eine Pauschvergütung zu bewilligen.
1.
Das Verfahren war allerdings nicht "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Insoweit tritt der Senat mit dem Vertreter der Staatskasse der sachnahen Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer bei; ein Grund, dieser nicht zu folgen, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56).
2.
Das Verfahren war jedoch "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO.
Bei der Prüfung der Frage des "besonderen Umfangs" sind alle vom Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten erbrachte Tätigkeiten zu berücksichtigen, also auch die, die er noch vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger erbracht hat, und zwar unabhängig davon, wann über den Antrag des Antragstellers auf Beiordnung zum Pflichtverteidiger vom 3. November 2000 hätte entschieden werden können bzw. müssen (vgl. dazu Senat in JurBüro 1997, 362 = AGS 1999, 28).
Der Senat hat zwar bisher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die von einem Rechtsanwalt vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger für den Angeklagten erbrachten Tätigkeiten im Rahmen der Gewährung einer Pauschvergütung nicht zu berücksichtigen sind (vgl. dazu zuletzt Senat in ZAP EN-Nr. 524/2000 = AGS 2000, 131 mit weiteren Nachweisen zur früheren Rechtsprechung; so auch (noch) OLG Karlsruhe Rpfleger 1997, 451 = Justiz 1997, 482 = AnwBl. 1997, 571; OLG Koblenz StV 1997, 426 = StraFo 1997, 225 = AnwBl. 1997, 625 = JurBüro 1997, 530; OLG München StV 1997, 427; OLG Düsseldorf AnwBl. 1992, 402 = JurBüro 1992, 609). An dieser Auffassung, die in der übrigen Rechtsprechung (vgl. KG StV 1997, 42%[ Ls.]; OLG Saarbrücken NStZ-RR 1997, 256 = JurBüro 1997, 361; OLG Jena StV 2000, 94 = JurBüro 1999, 132); OLG Oldenburg StV 2000, 443[ Ls.]; jetzt auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 158) und Literatur (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 30. Aufl., § 99 BRAGO 6; offenbar auch Herrmann in Beck`sches Formularbuch für den Strafverteidiger, 3. Aufl., S. 1098; Marberth StraFo 1997, 228) nicht unbestritten gewesen ist, hält der Senat jedoch nicht mehr fest.
Vielmehr sind bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung auch die Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der Pflichtverteidiger vor seiner Bestellung als Wahlverteidiger erbracht hat. Das ergibt sich einmal - entgegen der früheren Ansicht des Senats - aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 97 Abs. 3 BRAGO. Der Senat verschließt sich den insoweit gegen seine einschränkende Auslegung vorgetragenen Bedenken (vgl. dazu insbesondere jüngst OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 158) nicht. Auch der Senat ist nach Prüfung seiner früheren Auffassung nunmehr der Ansicht, dass kein Grund ersichtlich ist, warum vom Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger erbrachte Tätigkeiten zwar bei der gesetzlichen Vergütung nach § 97 BRAGO zu berücksichtigen sein sollen nicht hingegen jedoch bei der Pauschvergütung. Tritt nämlich die Pauschvergütung nach allgemeiner Meinung (vgl. u.a. OLG Koblenz JurBüro 2000, 251 = NStZ-RR 2000, 128), was auch der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht, an die Stelle der gesetzlichen Gebühren und soll durch sie die gesamte Tätigkeit des Verteidigers abgegolten werden, dann müssen auch alle vom Verteidiger erbrachte Tätigkeiten Berücksichtigung finden.
Für die Berücksichtigung der noch in der Funktion als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten bei der späteren Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO sprechen zudem folgende weitere Argumente:
Die bislang vom Senat vertretene Auffassung führt zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung des Pflichtverteidigers, der frühzeitig seinen Antrag stellen konnte/musste, gegenüber dem, der zunächst Wahlverteidiger war und zunächst überhaupt keinen Anlass hatte, einen Beiordnungsantrag zu stellen. Warum dieser, wenn er dann später auch einen Beiordnungsantrag stellt, die noch als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten im Rahmen der Bewilligung einer Pauschvergütung nicht vergütet bekommen soll, ist nicht ersichtlich. Sachliche Gründe sind nach Auffassung des Senats dafür nicht gegeben.
Zudem sprechen auch die Intentionen des Gesetzgebers bei Einführung des § 97 Abs. 3 BRAGO für eine umfassende Berücksichtigung aller vom Pflichtverteidiger erbrachten Tätigkeiten, unabhängig vom Zeitpunkt seines Tätigwerdens (so auch OLG Düsseldorf, a.a.O.). Denn war es Ziel der 1994 geschaffenen (Neu-)Regelung, es dem Pflichtverteidiger zu ermöglichen, sich uneingeschränkt für seinen Mandanten einsetzen zu können, ohne sich um die Bezahlung kümmern zu müssen, dann gilt das erst recht in "besonders schwierigen" und/oder "besonders umfangreichen" Sachen.
Unberücksichtigt bleiben kann nach Auffassung des Senats schließlich auch nicht die derzeit bei Verteidigern erkennbare Tendenz, möglichst auch schon im Ermittlungsverfahren zu verteidigen. Nach den vom Senat in einer Vielzahl von Pauschvergütungsverfahren gemachten Erfahrungen ist es z.B. unverkennbar, dass Verteidiger zunehmend an Vernehmungen ihrer Mandanten im Ermittlungsverfahren teilnehmen und/oder umfangreiche Gespräche mit der Staatsanwaltschaft über eine einvernehmliche Abkürzung der Verfahren führen. Dies entspricht im Übrigen den Absichten des Gesetzgebers, die Stellung der Verteidigung im Ermittlungsverfahren zu stärken (vgl. insoweit das sog. Eckpunkte-Papier des Bundesministeriums für Justiz[ Stand: 6. April 2001] in StV 2001, 314), indem z.B. Anwesenheitsrechte der Verteidigung bei Vernehmungen eingeführt bzw. verstärkt und konsensuale Elemente im Ermittlungsverfahren gefördert werden sollen. Wenn diese im Interesse einer Entlastung der Gerichte zu begrüßende Tendenz und die gesetzgeberischen Absichten erfolgreich sein wollen/sollen, müssen die entsprechenden Verteidigertätigkeiten aber auch ihren gebührenrechtlichen Niederschlag finden. Das lässt sich im Rahmen der Pauschvergütung jedoch nur dadurch erreichen, dass alle Tätigkeiten des Pflichtverteidigers, insbesondere also auch die im Ermittlungsverfahren, Berücksichtigung finden müssen, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Beiordnung des Pflichtverteidigers ankommen kann.
3.
Bei der Bemessung der somit nach allem dem Antragsteller zu gewährenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.
Besonderes Gewicht hatten dabei die Teilnahme des Pflichtverteidigers an der Vorführung des ehemaligen Angeklagten am 3. November 2000 sowie die drei Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Allein dafür hat der Antragsteller mehr als fünf Stunden aufgewendet. Dass dieser Zeitaufwand nicht durch die beiden wegen der Inhaftierung des ehemaligen Angeklagten insgesamt um 100 DM erhöhten gesetzlichen Gebühren abgegolten ist, bedarf nach Auffassung des Senats keiner weiteren Erörterung (vgl. dazu näher die bei Burhoff StraFo 2001, 119, 124 zusammengestellte Rechtsprechung des Senats, insbesondere Senat in StraFo 2000, 35 = StV 2000, 93 = AGS 2000, 26 = AnwBl. 2000, 378 = ZAP EN-Nr. 558/2000). Nach allem erschien dem Senat eine über der sog. Mittelgebühr eines Wahlverteidigers, die vorliegend 1.025,-- DM betragen hätte, liegende Pauschvergütung angemessen. Er hat daher auf eine solche von 1.200 DM und damit entsprechend dem maßvollen Antrag des Antragstellers erkannt.
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