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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 134/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß durch den wegen eines sog. Nachschlüsseldiebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB verurteilten Angeklagten.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufungsbeschränkung, Wirksamkeit, ausreichende Feststellungen, Nachschlüsseldiebstahl, Strafzumessungsregel

Normen: StPO 318, StGB 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1

Beschluss: Strafsache gegen H.S.,
wegen Diebstahls.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 10. Oktober 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.05.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2, 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird

1. mit den zugrunde liegenden Feststellungen hinsichtlich des dem Angeklagten zur Last gelegten versuchten Diebstahls "in einem besonders schweren Fall" vom 2. Juni 1999 und

2. im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen bezüglich der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.

Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid hat den Angeklagten am 13. April 2000 wegen "versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall" und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Das Amtsgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

"Am 5. Mai 1999 drang er (der Angeklagte) mit einem zu diesem Zeitpunkt nicht entwidmeten Generalschlüssel in die Wohnung der Frau I.K. und des Herrn R.Z. im Hause Parkstraße 90 in Lüdenscheid. Aus dem Küchenschrank entwendete er 400,00 DM, um diese für sich zu verwenden.

Damit nicht genug, am 2. Juni 1999 drang der Angeklagte erneut mit dem zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits entwidmeten Generalschlüssel in die Wohnung der vorgenannten Zeugen ein und durchsuchte Schränke und Behältnisse vergeblich nach Geld. Als er keine Beute fand, entfernte er sich.

Bei Frau K., dem Opfer des Angeklagten, handelt es sich um eine ehemalige Arbeitskollegin von ihm. Das Geld hat der Angeklagte allerdings bereits im Juni des Jahres 1999 zurückgezahlt. Ein Schaden ist Frau K. somit nicht entstanden."

Zur rechtlichen Würdigung heißt es:

"Damit hat sich der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall und wegen Diebstahls gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2, 22, 23, 53 StGB schuldig gemacht."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger rechtzeitig Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung vor der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen am 10. Oktober 2000 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen.

Das Landgericht ist von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Es hat auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen und zwar in dem zitierten Umfang.

Zusätzlich heißt es dann im dem landgerichtlichen Urteil:

"Die Kammer ist an den Schuldspruch gebunden, obwohl das Amtsgericht das Geschehen am 2. Juni 1999 als versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall gemäß den §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2, 22, 23 StGB statt als versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß den §§ 244 Abs. 1 Ziffer 3, 22, 23 StGB gewertet hat. Der Schuldspruch beruht lediglich auf einer falschen Anwendung geltenden Rechts und nicht auf einem nicht oder nicht mehr gültigen Gesetz."

Das Landgericht hat sodann unter Ziffer II. 1. Feststellungen zur Person, zum Vorleben und zu den Vorstrafen des Angeklagten getroffen und unter Ziffer II. 2. folgendes ausgeführt:

"Die vorliegend durch das Handeln des Angeklagten unter anderem betroffene Frau K. war eine Arbeitskollegin des Angeklagten bei der Firma A.. Diese hatte ihn gebeten, an ihrem Pkw irgendwelche Arbeiten auszuführen. Zu diesem Zwecke hatte sie ihm ihr Schlüsselbund mit dem Kraftfahrzeugschlüssel übergeben. An dem Schlüsselbund hatte sich auch der Generalschlüssel unter anderem zu ihrer Wohnung befunden.

Diese Gelegenheit nutzte der Angeklagte am 5. Mai 1999 dazu aus, sich unbemerkt von der Frau K. mit deren Generalschlüssel in die Wohnung zu begeben. Dort nahm er neben dem Geldbetrag von 400,00 DM einen Zweitschlüssel an sich. Das Schlüsselbund mit dem Kraftfahrzeugschlüssel und den Generalschlüssel gab er danach an Frau K. zurück.

Mit dem Zweitschlüssel gelangte er dann am 2. Juni 1999 erneut in die Wohnung unter anderem der Frau K."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt, mit der er die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts sowie einen Verstoß gegen die §§ 318, 327 StPO.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig und hat zumindest teilweisen Erfolg.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen "versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall", begangen am 2. Juni 1999, hat keinen Bestand, weil die Strafkammer insoweit zu Unrecht eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen hat.

Im Falle einer zulässig erhobenen Rüge (§ 344 Abs. 2 StPO) hat das Revisionsgericht unabhängig von den Rügen des Revisionsführers und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung der Berufungsbeschränkung durch die Strafkammer von Amts wegen zu untersuchen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils selbst entschieden hat. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Berufung in wirksamer Weise beschränkt werden konnte oder ob eine Beschränkung des Rechtsmittels, wie vorliegend auf den Rechtsfolgenausspruch, nicht zulässig und demgemäss das ganze erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nachzuprüfen war (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., § 352 Rdnrn. 3 und 4 m.w.N.).

Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte gemäß § 318 Satz 1 StPO ist nur zulässig und wirksam, wenn sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Teil des Urteils, losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt, selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (vgl. BGHSt 27, 70, 72). Demgegenüber ist sie unwirksam, wenn die vorangegangenen tatrichterlichen Feststellungen entweder unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung sind. Dies gilt sowohl für die Merkmale der äußeren als auch der inneren Tatseite. Auch Letztere müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. KK-Ruß, StPO, 2. Aufl., § 318 Rdnr. 7 m.w.N.).

Vorliegend hat der Strafrichter hinsichtlich der Frage, ob ein Nachschlüsseldiebstahl vorliegt, lückenhafte Feststellungen getroffen. Zwar handelt es sich bei den Merkmalen der Regelbeispiele des § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um Strafzumessungsregeln. Die Tatmodalitäten der in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB normierten Straferschwerungsgründe tragen aber in aller Regel den Schuldspruch, da sie das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben, damit der Tatausführung das entscheidende Gepräge geben und damit Grundlage des Schuldspruchs sind (sogenannte doppelrelevante Tatsachen, vgl. BGHSt 29, 359, 369; 30, 340, 345). Die Tatmodalitäten sind deshalb exakt festzustellen.

Demgegenüber erschöpfen sich die vom Strafrichter getroffenen Feststellungen in der bloßen Mitteilung, dass der Angeklagte mit "dem zu diesem Zeitpunkt bereits entwidmeten Generalschlüssel" in die Wohnung eingedrungen sei. Aufgrund welcher Umstände der Generalschlüssel, der ursprünglich zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmt war, zu einem "falschen Schlüssel" im Sinne des Regelbeispiels des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB geworden sein soll, wird hingegen nicht ausgeführt. Kennzeichnend für den Nachschlüsseldiebstahl ist aber nicht der Missbrauch eines an sich zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Schlüssels durch den Täter, sondern die Benutzung eines hierzu nicht oder nicht mehr bestimmten Schlüssels. Ein gestohlener oder ein auf andere Art abhanden gekommener Schlüssel verliert die Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung nicht von selbst, sondern erst dadurch, dass sie ihm vom Berechtigten entzogen wird (vgl. BGHSt 21, 189).

Über die Art und Weise einer eventuellen Entwidmung des Generalschlüssels durch die Zeugin K. macht das amtsrichterliche Urteil aber keine Aussagen. Überdies enthält es keine Feststellungen zur inneren Tatseite des Angeklagten, ob dieser zur Tatzeit nämlich gewusst oder wenigstens damit gerechnet und in Kauf genommen hat, dass der von ihm bei der Tatausführung benutzte Generalschlüssel nicht mehr zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmt war.

Im Hinblick auf die Lückenhaftigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen hätte deshalb die Strafkammer die Berufung des Angeklagten hinsichtlich des versuchten Diebstahls am 2. Juni 1999 als unbeschränkt ansehen und dementsprechend auch die Schuldfrage selbständig überprüfen müssen. Da sie dies nicht getan hat, fehlt eine Berufungsentscheidung hinsichtlich eines Teils des amtsgerichtlichen Urteils mit der Folge, dass das Urteil des Berufungsgerichts insoweit aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist, damit die fehlende Entscheidung nachgeholt wird.

Zwar braucht bei einer unwirksamen, aber durch das Berufungsgericht als wirksam erachteten Berufungsbeschränkung das Berufungsurteil dann nicht aufgehoben zu werden, wenn das Berufungsgericht trotz des Irrtums über die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung vollständige Feststellungen auch zur Schuldfrage getroffen hat oder wenn ausgeschlossen erscheint, dass das Urteil auf dem Fehlen der Feststellungen beruht (vgl. Hanack in L-R, StPO, 25. Aufl., § 337 Rdnr. 55; OLG Koblenz VRS 70, 14). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Denn das Landgericht hat abweichend von dem amtsrichterlichen Urteil festgestellt, dass der Angeklagte am 2. Juni 1999 "mit einem am 5. Mai 1999 entwendeten Zweitschlüssel" in die Wohnung der Zeugin K. gelangt sei.

Damit hat das Landgericht in unzulässiger Weise die Grenzen seiner Prüfungsbefugnis überschritten. Zwar ist dem Berufungsgericht nicht schlechthin verwehrt, zusätzliche Feststellungen zu treffen. Es darf sich dabei aber nicht in Widerspruch zu den im Ersturteil getroffenen Feststellungen setzen, weil anderenfalls die vom Landgericht getroffenen Feststellungen - wie vorliegend - in unzulässiger Weise das Tatbild sowie den Umfang des Schuldvorwurfs zu Lasten des Täters verändern. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der tatrichterlichen Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen, sondern auch für jene Feststellungen, die als doppelrelevante Umstände zugleich für die Schuld- und die Straffrage von Bedeutung sind (vgl. BayObLG bei Bär, DAR 1987, 314).

Unabhängig davon ist überdies einerseits darauf hinzuweisen, dass - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - der Wohnungseinbruchsdiebstahl durch Art. 1 Nr. 50 des 6. StrRG zum 1. April 1998 aus den besonders schweren Fällen des §§ 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. herausgenommen und in die Qualifikationstatbestände mit höherem Strafrahmen des § 244 StGB eingestellt worden ist. Dies hat das Amtsgericht übersehen. Andererseits hätte die gesetzliche Überschrift des § 243 StGB, der keine eigene Straftat beschreibt, sondern nur eine Strafzumessungsregel enthält, nicht in die Urteilsformel gehört. Denn das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere oder minder schwere Fälle wird nicht in die Urteilsformel aufgenommen (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Mai 2000, 2 Ss 445/2000; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 260 Rdnr. 25 m.w.N.).

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen hinsichtlich des dem Angeklagten zur Last gelegten "versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall", begangen am 2. Juni 1999, aufzuheben.

Wegen der teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs konnte schließlich der Rechtsfolgenausspruch, mit dem eine Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Angeklagten festgesetzt worden ist, mit den zugrunde liegenden Feststellungen keinen Bestand haben.

Soweit der Angeklagte mit seiner Revision auch die Verurteilung wegen Diebstahls, begangen am 5. Mai 1999, angegriffen hat, hat das Rechtsmittel indes keinen Erfolg und war - entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Die Strafkammer ist hinsichtlich dieser dem Angeklagten zur Last gelegten Tat zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen lassen den Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat in ausreichendem Maß erkennen.

Entgegen der Auffassung des Revisionsführers hat die Strafkammer keine ergänzenden Feststellungen getroffen, die das nach Rechtsmittelbeschränkung bindend festgestellte Tatgeschehen und den Schuldumfang wesentlich verändern. Es hat lediglich das Rahmengeschehen näher ausgeleuchtet. Diese Ausführungen sind aber nicht geeignet, das Tatbild oder den Umfang des Schuldvorwurfs zu Lasten des Angeklagten zu verändern.

Auch die insoweit hierzu von der Strafkammer angestellten, zu einer Einzelstrafe von fünf Monaten führenden Strafzumessungserwägungen sind rechtsfehlerfrei und daher nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere für die Annahme eines besonders verwerflichen Vertrauensbruchs gegenüber der Zeugin K.


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