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aus AGS 2021, 97

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGS" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Fragen aus der Praxis zu Gebührenproblemen in Straf- und Bußgeldverfahren aus den Jahren 2019/2020

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder über die Fragen, die in Zusammenhang mit gebührenrechtlichen Problemen an mich gestellt worden sind, berichtet.[1] Die nachfolgenden Ausführungen knüpfen daran an und behandeln weitere Fragen und Antworten, die die Praxis in den letzten 2 Jahren bewegt haben.

I. Paragrafenteil des RVG

1. Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG)

Fragen in Zusammenhang mit einer Vergütungsvereinbarung spielen immer wieder eine große Rolle.

a) Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung (§ 3a RVG)

Frage

Ein Kollege hatte zum Zusammentreffen von nachträglicher Pflichtverteidigerbestellung und einer Vergütungsvereinbarung folgende Frage: Bei mir gehen immer mehr nicht beantragte Beiordnungen nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 141 Abs. 4, 142 StPO ein, und zwar nachdem ich eine Honorarvereinbarung getroffen habe. Ich frage mich, ob ich ggf. mit dem Mandanten eine (neue) Honorarvereinbarung treffen muss und/oder, ob der Mandant ggf. die Zahlung aufgrund der getroffenen Vereinbarung verweigern kann. Dazu hat der Kollege auf Ausführungen im RVG-Kommentar verwiesen.[2] Dort heißt es zur Honorarvereinbarung des Pflichtverteidigers: „Die Vereinbarung muss aber vom Beschuldigten freiwillig getroffen worden sein (vgl. dazu BGH NJW 980, 1394 = JurBüro 1979, 1793; AnwKomm-RVG/Onderka, § 3a Rn 25). Der Mandant muss also über die gebührenrechtliche Lage informiert (worden) sein. Das bedeutet vor allem, dass er wissen muss, dass dem Verteidiger i.d.R. ein unmittelbarer Anspruch gegen ihn gar nicht zusteht. Der Annahme von Freiwilligkeit steht es entgegen, wenn auf den Mandanten hinsichtlich des Abschlusses einer Vergütungsvereinbarung dadurch Druck ausgeübt wird, dass ihm der Abschluss in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer bevorstehenden Hauptverhandlung angetragen wird (vgl. BGHZ 184, 209 = NJW 2010, 1364 = AGS 2010, 267 = StRR 2010, 236; BGH RVGreport 2013, 265 = AGS 2013, 317 = StRR 2013, 278 = VRR 2013, 278; AG Butzbach JurBüro 1986, 1033; s. auch AG München RVGreport 2010, 411 = AGS 2011, 20 m. Anm. Winkler).

Antwort

Als Antwort habe ich dazu auf die weiteren Ausführungen an der vom Verteidiger angeführten Stelle verwiesen.[3] Danach gilt: Hat der Verteidiger das Wahlmandat niedergelegt und sich als Pflichtverteidiger beiordnen lassen bzw. ist als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, so steht ihm aus einer ggf. getroffenen Vergütungsvereinbarung nur der Teil der vereinbarten Vergütung zu, den er bis zur Bestellung als Pflichtverteidiger verdient hat.[4] Soll auch für die Tätigkeit als Pflichtverteidiger eine Vergütungsvereinbarung getroffen werden, muss er eine neue Vereinbarung abschließen,[5] die auch den Formerfordernissen von § 3a Abs. 1 RVG entsprechen muss.[6] Hintergrund ist, dass der Mandant (des Pflichtverteidigers) nicht gezwungen werden kann, eine Vergütungsvereinbarung abzuschließen. Das bedeutet: Keine Zahlungsverweigerung für die Vergangenheit – wenn alle Voraussetzungen vorliegen. Für die Zukunft muss eine neue Vergütungsvereinbarung unter Beachtung der Vorgaben für deren Wirksamkeit abgeschlossen werden.

b) Pauschalhonorar und Nr. 4142 VV

Frage

Eine Kollegin hatte ein Problem hinsichtlich des Umfangs der von ihr abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung. Die Vereinbarung war so formuliert, dass "… für deren Tätigkeit als Verteidigerin anstelle der gesetzlichen Gebühren eine Vergütung i.H.v. … je Stunde...." gezahlt werden sollte. Die Kollegen war sich nicht sicher, ob ggf. die Gebühr Nr. 4142 VV für die Vermögensabschöpfung (zusätzlich) anfällt. Denn einerseits werde der Mandant ja auch dagegen verteidigt, was bedeuten könnte, dass der Gebührenanspruch mit der aufgrund der Stundenvergütung zu zahlenden Vergütung erledigt sei, andererseits sei die Vermögensabschöpfung an sich ja keine Strafe, sodass sie als Verteidigerin doch die Gebühr ggf. zusätzlich abrechnen könne.

Antwort

Meine Antwort: Bei der gewählten Formulierung in der Vergütungsvereinbarung besteht m.E. keine Chance, neben dem Pauschalhonorar auch noch die Gebühr Nr. 4142 VV abrechnen zu können. Denn: Sie erfasst die gesamte Verteidigungstätigkeit, die sich ja auch gegen die Vermögensabschöpfung richtet. Das bedeutet, dass für diese Verteidigungstätigkeit nicht zusätzlich noch die Nr. 4142 VV abgerechnet werden kann.

2. Nachfestsetzung/Änderung (§ 14 RVG)

Frage

In Zusammenhang mit einem „Abrechnungsirrtum“ stellte sich einem Kollegen folgendes Problem: Ich habe im letzten Jahr vor dem Schwurgericht einen Freispruch erstritten. Beim Erstattungsantrag betreffend Gebührenfestsetzung meiner Gebühren habe ich versehentlich die Gebühren für Verfahren vor der Strafkammer (Nrn. 4112, 4114 VV) geltend gemacht und nicht die für das Verfahren vor dem Schwurgericht (Nrn. 4118, 4120 VV). Abgerechnet habe ich die Mittelgebühr. Die Gebühren Nrn. 4112, 4114 VV sind inzwischen festgesetzt. Nachdem mir der Fehler aufgefallen ist, habe ich unter Hinweis auf ein Büroversehen die Neufestsetzung beantragt. Der Bezirksrevisor meint, dass das wegen § 14 RVG und die erfolgte Ermessensausübung nicht möglich sei. Ist das zutreffend?

Antwort

Meine Antwort: An sich ist eine sog. Nachliquidation nicht möglich, da ja das Ermessen ausgeübt worden ist, und zwar auch, wenn nur die Mittelgebühr geltend gemacht worden ist. Denn auch das ist ja Ermessensausübung.[7] M.E. muss man anders argumentieren: In diesem Fall geht es ja nicht um § 14 RVG bzw. das falsch ausgeübte Ermessen, sondern um die falschen Gebührenziffern, die dem Erstattungsantrag zugrunde gelegt worden sind. Da aber bei einer übersehenen und daher nicht abgerechneten Gebührenziffer eine nachträgliche Liquidation als zulässig angesehen wird,[8] muss das auch bei einer falsch angesetzten Gebührenziffer geltend. Geltend gemacht werden kann dann aber auch nur die Mittelgebühr. Insoweit ist der Verteidiger an das einmal ausgeübte Ermessen gebunden.

Der Verteidiger hat mit der Begründung auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors erwidert und das Kostenfestsetzungsverfahren fortgeführt. Er hatte aber keinen Erfolg. Das OLG Celle meint, dass der Rechtsanwalt an sein nach § 14 Abs. 1 RVG einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden ist. Eine Nachfestsetzung sei auch dann nicht möglich, wenn der Rechtsanwalt erkennbar entstandene Gebühren(tatbestände) fehlerhaft (nicht) geltend gemacht habe.[9] Diese Entscheidung ist m.E. falsch.[10]

3. Mehrere Verfahren (§§ 15 ff. RVG)

Die Abrechnung mehrerer Verfahren macht insbesondere in den Fällen der Verbindung oder Trennung mehrerer Verfahren immer wieder Probleme. Dazu haben mich dann folgende Fragen erreicht:

a) Verbindung von Verfahren

Frage

Eine Kollegin hatte sich mit folgender Problematik auseinanderzusetzen: Der Mandant war in mehreren Fällen angeklagt, u.a. wegen versuchter Tötung, Körperverletzung u.a. Das Verfahren wird eröffnet und vor der Jugendkammer als Schwurgerichtskammer geführt. Abgerechnet hat die Kollegin die Gebühren Nrn. 4118 ff. VV. Das Gericht meint, ein Verfahren könne nach Nr. 4118 VV abgerechnet werden wegen des entsprechenden Vorwurfes, die anderen Verfahren nur nach Nr. 4112 VV. Die Kollegin fragt, ob es nun auf den Anklagevorwurf ankommt oder darauf, vor welchem Gericht das Verfahren eröffnet und geführt wird?

Antwort

Da der Sachverhalt nicht ganz eindeutig ist/war, habe ich dann noch einmal nachgefragt, ob es mehrere Anklagen aus mehreren Verfahren waren. Die Kollegin hat dann klargestellt, dass es sich um drei Verfahren gehandelt hat, die verbunden worden sind. In einem Verfahren lasse der Rechtspfleger die Gebühr Nr. 4118 VV zu, in den beiden weiteren Verfahren nur die Nr. 4112 VV, da die „dort angeklagten Taten keine Taten sind, die zu einer Zuständigkeit des Schwurgerichts gehören“. Verhandelt worden ist jedoch vor dem Schwurgericht.

Meine Antwort; wobei ich davon ausgegangen bin, dass in einem Verfahren Anklage zur Jugendkammer als Schwurgericht erhoben worden ist und in den beiden anderen zur „normalen“ Jugendkammer beim LG: In dem Fall hat der Rechtspfleger Recht. Die drei Verfahren sind bis zur Verbindung eigenständig,[11] sodass nur in dem Verfahren mit der Anklage zum Schwurgericht die Nr. 4118 VV entstanden ist und den beiden anderen dann die Nr. 4112 VV. M.E. kann man sich auch nicht auf den Standpunkt stellen, dass durch die Verbindung durch die Jugendkammer als Schwurgericht die beiden Verfahrensgebühren Nr. 4112 VV kurzfristig, weil ja das Schwurgericht damit befasst war, jeweils zu einer Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV „erstarkt“ sind. Es fehlen die Voraussetzungen für die Annahme einer Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV. Ab Verbindung liegt dann nur noch ein Verfahren bei der Jugendkammer als Schwurgericht vor. In diesem Verfahren entsteht dann aber die Nr. 4118 VV nicht noch einmal. Es handelt sich um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG, in der die Nr. 4118 VV bereits entstanden ist.

b) Verbindung und wieder Trennung von Verfahren

Frage

Zu folgendem Verfahrensablauf stellte sich für den Verteidiger die Frage, wie seine Tätigkeiten abzurechnen sind: Der Kollege war als Pflichtverteidiger in einem Verfahren tätig gewesen. Es ist in Hauptverhandlung sodann ein Strafbefehl ergangen, da die Angeklagte nicht erschienen war (§ 408a StPO). Der Kollege hat dann nach Rücksprache mit seiner Mandantin Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Danach ist ein Verfahren hinzuverbunden worden, in dem der Kollege bislang noch nicht tätig gewesen war. Das Gericht hat die Erstreckung (§ 48 Abs. 6 S. 3 RVG) ausgesprochen. In dem aufgrund des Einspruchs anberaumten Hauptverhandlungstermin ist die hinzu verbundene Sache sodann wieder getrennt worden, der Einspruch ist verworfen worden, da die Angeklagte erneut nicht erschienen war. In dem zweiten – hinzuverbundenen – Verfahren ist sodann ein Strafbefehl außerhalb der Hauptverhandlung ergangen. Der Kollege fragt sich nun, durch die Erstreckung der Beiordnung und der anschließenden Abtrennung auch in dem zweiten Verfahren die Gebühren Nrn. 4100, 4106 VV angefallen sind.

Antwort

In meiner Antwort habe ich den Kollegen auf die Grundsätze der Rspr. zur Trennung von Verfahren hingewiesen.[12] Der Fall ist allerdings ein wenig atypisch und hat mit der Erstreckung (§ 48 Abs. 6 S. 3 RVG) nur entfernt etwas zu tun. Zutreffend ist es, wenn der Kollege in dem zunächst hinzuverbundenen und dann abgetrennten Verfahren die Nr. 4106 VV abrechnet. Denn bei dem Verfahren handelt es sich nach Trennung um eine eigenständige Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG. Hinsichtlich der Abrechnung der Grundgebühr Nr. 4100 VV ist m.E. die Sachlage nicht so eindeutig. Denn in das Verfahren hat sich der Kollege ja im Zweifel eingearbeitet, als die beiden Verfahren noch verbunden waren. Das bedeutet, dass nach der Trennung die Grundgebühr mangels Einarbeitung nicht entstanden ist. Damit ist dann wohl nur die Nr. 4106 VV entstanden. Ich habe den Kollegen allerdings auf die Nr. 4141 VV hingewiesen. Jedoch ist es nicht unstreitig, ob die in diesen Fällen des abgesprochenen Erlasses eines Strafbefehls entsteht.[13]

c) Trennung von Verfahren

Fragen

Von einem Kollegen wurde folgender Sachverhalt vorgetragen: Er war in einem Verfahren beim LG tätig, dass sich gegen sieben Angeklagte gerichtet hat. Am 50. Hauptverhandlungstag werden die Verfahren betreffend die Angeklagten 3–7 – der Kollege verteidigt den Angeklagte 3 – abgetrennt. Es wird insoweit ein neues Aktenzeichen vergeben, die Hauptverhandlung unterbrochen und zehn Minuten später zum neuen Aktenzeichen in dem abgetrennten Verfahren verhandelt, wobei die Angeklagten 1 und 2 als Zeugen vernommen werden. Im verbliebenen Verfahren gegen die Angeklagten 1 und 2 sollen nun im nächsten Hauptverhandlungstermin die ehemaligen Mitangeklagten als Zeugen vernommen werden. Der Kollege wird als Zeugenbeistand der Angeklagten auftreten.

Für den Kollegen entstehen folgende (Abrechnungs-)Fragen: 1) Entstehen für den ursprünglichen Hauptverhandlungstermin und den nach Unterbrechung zum neuen Aktenzeichen durchgeführten Hauptverhandlungstermin zwei Terminsgebühren? 2) Fallen für die Tätigkeit als Zeugenbeistand die Gebühren Nrn. 4100, 4112, 4102 Nr. 2112 VV an?

Antworten

Zur Frage 1 gilt: Bei dem abgetrennten Verfahren handelt es sich um eine neue/eigenständige Angelegenheit, in der daher nach § 15 RVG ggf. alle Gebühren noch einmal entstehen können. So also auch die Hauptverhandlungsterminsgebühr der Nr. 4114 VV.[14]

Für die Frage 2 erlangt die Diskussion Bedeutung, wie denn nun die Tätigkeiten des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand abgerechnet werden. Einig ist man sich in diesen Fällen insoweit, dass die Tätigkeit als Verteidiger und die als Zeugenbeistand nicht dieselbe Angelegenheit sind, für die Tätigkeit als Zeugenbeistand also (zusätzliche) Gebühren entstehen.[15] I.Ü.: Legt man die unzutreffende, in der Rspr. aber wohl überwiegend vertretene Auffassung zur Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistandes zugrunde, kann der Rechtsanwalt hier für seine Tätigkeit als Zeugenbeistand nur eine Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 4 VV – Einzeltätigkeit – abrechnen.[16] Geht man hingegen, was zutreffend ist, davon aus, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV abgerechnet wird, können die Grundgebühr Nrn. 4100 ff. VV, die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV und die gerichtliche Terminsgebühr Nr. 4114 VV abgerechnet werden.[17]

4. Übernahme von Verfahren

Frage

Zur Übernahme eines Verfahrens wurde folgende Frage gestellt: Das Verfahren war zunächst beim AG anhängig, sodann wurden die Akten dem LG – Staatsschutzkammer – zur Entscheidung über die Übernahme des Verfahrens vorgelegt. Das LG hat dann den Beteiligten eine Frist gem. §§ 225a, 201 StPO gesetzt, es erging dann ein Beschluss des LG, wonach es hieß, dass eine Übernahme voraussichtlich abzulehnen sei und an das AG zurückzugeben sei, hierzu wurde den Beteiligten eine Frist gesetzt. Sodann erging der Beschluss, dass die Übernahme des Verfahrens abgelehnt wird. Der Pflichtverteidiger hat eine Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV abgerechnet, die Bezirksrevisorin ist der Auffassung, dass mangels Anhängigkeit des Verfahrens beim LG nur die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV abgerechnet werden kann.

Antwort

In meiner Antwort habe ich darauf verwiesen, dass das Verfahren zur Prüfung der vom LG ablehnten Übernahme auch beim LG anhängig war. Das zeigte sich auch daran, dass das Verfahren beim LG ein „KLs-Aktenzeichen“ erhalten hatte. I.Ü. ist die Frage bereits vom LG Kreuznach entschieden worden.[18]

5. Pauschgebühr (§ 51 RVG)

a) Bemessung der Pauschgebühr

Frage

Zur Bemessung der Pauschgebühr nach § 51 RVG hatte ein Pflichtverteidiger folgende Frage: Er war in einem Verfahren, das sich wegen überwiegend schwerer BtM-Straftaten gegen zehn Angeklagte richtete, tätig. Verhandelt wurde beim Schwurgericht, da einer der Angeklagten wegen versuchten schweren Mordes angeklagt war. Es ist an mehr als 70 Verhandlungstage verhandelt worden, der Akten umfang hat ca. 70.000 Aktenseiten betragen, das Verfahren ist zwei Jahre gelaufen. Der Pflichtverteidiger will einen Pauschgebührantrag stellen. In dem Zusammenhang fragt er sich, ob der Festsetzung einer Pauschgebühr entgegen gehalten werden kann, dass nur für einen der Angeklagten das Schwurgericht originär zuständig war, für die übrigen Angeklagten hingegen die Große Strafkammer. Aufgrund dessen hätten die Verteidiger dieser Angeklagten die höheren Schwurgerichtsgebühren der Nrn. 4118 ff. VV, insbesondere die höheren Terminsgebühr Nr. 4120 VV abrechnen können. Die dadurch entstandene „Überzahlung“ sei bei der Gewährung einer Pflichtverteidigervergütung bzw. bei deren Bemessung zu berücksichtigen.

Antwort

In meiner Antwort habe ich den Kollegen darauf hingewiesen, dass mit der Gewährung/Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG die gesamte Tätigkeit des Pflichtverteidigers abgegolten werden soll, wobei Zeitaufwand und Schwierigkeit der Tätigkeit des Pflichtverteidigers angemessen zu berücksichtigen sind. Die Bemessung der Pauschgebühr erfolgt in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände. Ist danach die dem Pflichtverteidiger zustehende gesetzliche Gebühr im Hinblick auf die vom Verteidiger erbrachten Tätigkeit zu niedrig, ist ggf. eine Pauschgebühr zu bewilligen. Das OLG prüft also den Umfang der Tätigkeiten und setzt den in Relation zu den gesetzlichen Gebühren und fragt, ob die angemessen sind. Das bedeutet, dass die aufgrund der „Sonderzuständigkeit“ erhöhten gesetzlichen (Schwurgerichts)Gebühren eine Rolle spielen. Erst, wenn der Umfang der vom Pflichtverteidiger erbrachten Tätigkeiten nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis (auch) zu diesen Gebühren steht, stellt sich die Frage der Bewilligung einer Pauschgebühr. Das entspricht i.Ü. auch der Rspr. der OLG, die bei der Pauschgebühr Überzahlungen auf die gesetzlichen Gebühren bei der Bemessung der Pauschgebühr berücksichtigen.[19]

6. Erklärung zur Zuzahlung (§ 55 Abs. 5 S. 2 RVG)

Frage

Ein Pflichtverteidiger wunderte sich über das „Begehren“ eines Rechtspflegers. Der Pflichtverteidiger hatte im Rahmen des Festsetzungsantrages gegenüber der Landeskasse für die Pflichtverteidigergebühren eine erhaltene Honorarzuzahlung ordnungsgemäß als Bruttobetrag angezeigt. Das hat dem zuständigen Rechtspfleger aber nicht gereicht. Er hat dann auch noch gefragt, von wem die Zuzahlung geleistet wurden. Der Pflichtverteidiger fragt nach der Rechtsgrundlage.^

Antwort

Die Antwort: Für dieses Begehren gibt es keine Rechtsgrundlage. § 55 Abs. 5 S. 2 RVG spricht davon, dass angegeben werden muss, „ob und welche“ Zuzahlungen der Pflichtverteidiger erhalten hat. Von wem die stammen, ist egal. Insoweit besteht keine Erklärungspflicht des Verteidigers.[20]

Die Hintergründe von solchen Anfragen von Rechtspflegern versteht man nicht. M.E. sollte es klar sein, dass der Verteidiger zu der Person des Zuzahlenden keine Angaben machen muss, ja aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht auch gar nicht darf.

II. Teil 4 VV

1. Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV

Frage

Ein Kollege hat sich mit folgender Frage an mich gewendet: Er ist für einen Jugendlichen als Pflichtverteidiger tätig. Es steht ein Termin bei der Jugendgerichtshilfe an. Der Verteidiger möchte dort den Mandanten nicht ohne Rechtsbeistand hingehen. Vielmehr will er den Mandanten begleiten und sicherstellen, dass keine Angaben zur Sache gemacht werden, da der Mandant den Schuldvorwurf bestreitet. Der Kollege möchte gern für seine Begleitung gegenüber der Staatskasse die Nr. 4102 VV abrechnen. Begründung: Bei der Jugendgerichtshilfe handelt es sich um eine Hilfsbehörde der Strafverfolgungsbehörden und der Termin ist ja (auch) ein „Vernehmungstermin“. Er fragt, ob das möglich ist. Falls nicht, fragt er, ob er dann mit dem Mandanten bzw. den Eltern eine gesonderte Vergütungsvereinbarung über die Teilnahme an dem Termin abschließen kann?

Antwort

Ich habe folgende Antwort gegeben: Die Jugendgerichtshilfe ist keine „Strafverfolgungsbehörde“ i.S.d. Nr. 4102 VV, sondern erfüllt gem. § 52 SGB VIII als Dienst des Jugendamtes durch „Mitwirkung im jugendgerichtlichen Verfahren“ eine sog. „andere“ Aufgabe des Jugendamts. Daher ist die Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 Nr. 2 VV nicht entstanden. Zudem handelt es sich bei dem Termin bei der Jugendgerichtshilfe auch nicht um eine Vernehmung i.e.S.[21] Eine gesonderte Vergütungsvereinbarung kann der Kollege für den Termin unter Beachtung der für Vergütungsvereinbarungen des Pflichtverteidigers geltenden Regeln aber abschließen.[22]

2. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV

Frage

Ein Kollege hat folgendes Problem im Hinblick auf das Kostenrisiko im Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO): In einem Adhäsionsverfahren soll gegen vier Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung als Gesamtschuldner Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend gemacht werden. Der Rechtsanwalt fragt: Ist, wenn der Adhäsionsantrag nicht beschieden wird – etwa bei einer Einstellung nach § 153 StPO und/oder dem Antragsteller ggf. die Kosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten für das Adhäsionsverfahren aufgegeben werden – z.B. bei Einstellung oder Freispruch – das Kostenrisiko für den Antragsteller viermal die Gebühr Nr. 4143 VV, wenn alle Angeklagten anwaltlich vertreten sind?

Antwort

Dazu habe ich geantwortet: Wenn alle vier Angeklagten einen Verteidiger haben, der sie auch im Adhäsionsverfahren vertreten hat, entsteht viermal die Nr. 4143 VV. Für den Rechtsanwalt des Antragstellers entsteht einmal die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV aus den addierten Gegenstandswerten.[23]

3. Terminsgebühr in der Strafvollstreckung

Frage

Ein Pflichtverteidiger, der im Rahmen eines Verfahrens zum Widerruf einer Jugendstrafe (§ 26 JGG) zum Pflichtverteidiger bestellt worden war, hatte hinsichtlich des Entstehens einer Terminsgebühr folgende Frage: Der Kollege war anlässlich des Termines der Verkündung eines Sicherungshaftbefehls (§ 453c StPO) tätig. Der Sicherungshaftbefehl ist in dem Verkündungstermin nach Verhandlung aufgehoben worden. Später ist der Kollege dann noch im Termin der Verhandlung über den Widerruf tätig gewesen. Die Strafaussetzung wurde nicht widerrufen. Der Kollege rechnet eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4201 VV und für die Verhandlung eine Terminsgebühr, er meint nach Nr. 4202 VV, ab. Er fragt, ob er für die Teilnahme an dem Termin zur Verkündung bzw. Entscheidung über den Sicherungshaftbefehl noch eine weitere Terminsgebühr geltend machen kann.

Antwort

Ich habe wie folgt geantwortet: Die Frage, ob für die Teilnahme an der Verkündung eines Sicherungshaftbefehls eine Terminsgebühr entsteht, ist bisher noch nicht entschieden. Ich neige dazu, sie zu bejahen. Allerdings ist/wäre das nicht die Nr. 4102 Nr. 3 VV. Denn die dort genannten Termine entstehen nur, wenn nach Teil 4 Abschnitt 1 VV abgerechnet wird. Das ist hier aber nicht der Fall, da es sich um Strafvollstreckung“ handelt und deshalb nach Teil 4 Abschnitt 2 VV abzurechnen ist. In Betracht kommt daher die Nr. 4202 VV. Die ist m.E. aber entstanden. Denn in der Nr. 4202 VV ist nur von „Terminsgebühr“ die Rede, eine Einschränkung bzw. Bestimmung der Termine erfolgt nicht.

Die Frage muss man hier aber nicht entscheiden, denn nach h.M. entsteht im Strafvollstreckungsverfahren in derselben Instanz immer nur eine Terminsgebühr, egal, wie viele Termine stattgefunden haben.[24] Es hat aber (auch) eine Anhörung stattgefunden, für die auf jeden Fall eine Terminsgebühr entstanden ist. Ein zweite Terminsgebühr entsteht dann nicht mehr.

I.Ü. habe ich den Kollegen darauf hingewiesen, dass nicht nur die Nr. 4202 VV entstanden ist, sondern die Nr. 4203 VV, also die Terminsgebühr mit Haftzuschlag (Vorbem. 4 Abs. 4 VV). Der Mandant hat sich zum Zeitpunkt des Termins in (Sicherungs-)Haft, jedenfalls aber nicht auf freiem Fuß befunden.[25]

III. Teil 7 VV/Übernachtungskosten (Nr. 7006 VV)

Frage

Folgende Frage zur Berechnung der Fahrtzeiten im Rahmen der Erstattungsfähigkeit von Übernachtungskosten stellte sich einem auswärtigen Kollegen. Er hatte nach Google Maps eine reine Fahrtzeit von ca. 4:30 Std. Er musste über Hamburg und die BAB A 7 zwischen Hamburg und Hannover fahren. Der Beginn des Hauptverhandlungstermins war auf 13.00 Uhr terminiert. Verhandelt werden sollte zu zwei Anklagen, vier Zeugen waren gestaffelt geladen. Der Kollege geht von einem zu erwartenden Ende der Hauptverhandlung gegen 16.00 Uhr aus und wäre unter Berücksichtigung der reinen Fahrtzeit gegen 21.30 Uhr daheim. Der Kollege möchte allerdings die Rückfahrt am Verhandlungstag vermeiden und fragt, ob er auch für die Rückfahrt von entsprechenden Zuschlägen wegen der Verkehrslage und Pausenzeiten ausgehen kann, sodass die Kosten für die Übernachtung nach dem Termin zu erstatten wären.

Antwort

Ich habe dem Kollegen empfohlen mit dem „Sicherheitspuffer“ des OLG Frankfurt am Main[26] zu argumentieren, der m.E. auch für die Rückfahrt gilt. Nach dieser Rspr. kann von einer Partei/einem Rechtsanwalt nicht verlangt werden, die in einer Rechtssache notwendig werdenden Reisen zur Nachtzeit durchzuführen. Als Nachtzeit ist in Anlehnung an § 758a Abs. 4 ZPO die Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr anzusehen. Das OLG Frankfurt am Main[27] hat eine Anreise, bei welcher der Prozessbevollmächtigte seine Kanzlei vor 6.00 Uhr morgens hätte verlassen müssen, um rechtzeitig bei Gericht erscheinen zu können, als nicht zumutbar angesehen. Dabei hat das OLG bei einer zu erwartenden Fahrzeit von rund 4 Std. einen „Sicherheitspuffer“ zugestanden, um etwaigen Verzögerungen wie Staus begegnen zu können. Den „Sicherheitspuffer“ hat es mit einem Zeitraum von 1:15 Std. für ausreichend, aber auch notwendig, angesehen. Die Überlegungen wird man auf die Rückreise entsprechend anwenden können. Tut man das, käme der Kollege erheblich nach 21.00 Uhr nach Hause, sodass m.E. in diesem Fall die Kosten für eine Hotelübernachtung zu erstatten wären.



[1] Vgl. zuletzt RVGreport 2019, 402 u. 442 m.w.N. zu früheren Beiträgen.

[2] Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil: Vergütungsvereinbarung (§ 3a), Rn 2437.

[3] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.

[4] AnwKomm-RVG/Onderka/N. Schneider, 8. Aufl., 2018, § 3a Rn 29 m.w.N.

[5] KG KGR 1995, 156.

[6] OLG Bremen StV 1987, 162; AnwKomm-RVG/Onderka/N. Schneider, a.a.O.

[7] Zur Nachliquidation Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Rahmengebühr (§ 14), Rn 1738 ff. m.w.N.

[8] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Rahmengebühr (§ 14), Rn 1740.

[9] OLG Celle RVGreport 2020, 55 = RVGprof. 2020, 29 = StraFo 2020, 173 = JurBüro 2020, 191 = Rpfleger 2020, 358.

[10] Vgl. die Anm. bei OLG Celle RVGreport 2020, 55.

[11] Vgl. zu Verbindung von Verfahren Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A. Verbindung von Verfahren, Rn 2313 ff. m.w.N.

[12] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Trennung von Verfahren, Rn 2334 ff.

[13] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4141VV Rn 60 m.w.N.

[14] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Trennung von Verfahren, Rn 2120; Burhoff, RVGreport 2008, 444.

[15] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Zeugenbeistand, Abrechnung der Tätigkeiten, Rn 2675 ff. m.w.N.

[16] Wegen der Einzelheiten Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Zeugenbeistand, Abrechnung der Tätigkeiten, Rn 2673 ff. m.w.N.

[17] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.

[18] LG Bad Kreuznach RVGreport 2011, 226 = AGS 2011, 435 = StRR 2011, 282.

[19] OLG Köln Rpfleger 2001, 615; StraFo 2006, 130.

[20] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A: Festsetzung gegen die Staatskasse (§ 55), Rn 893.

[21] Zum Begriff der Vernehmung s. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 4384 ff. m.w.N.

[22] Vgl. zu den Regeln Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A: Vergütungsvereinbarung (§ 3a), Rn 2437 m.w.N.

[23] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Teil A: Mehrere Auftraggeber (§ 7, Nr. 1008 VV), Rn 1571 ff., 1586 ff. m.w.N.

[24] Wegen der Einzelh. s. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4202 VV Rn 10 f.

[25] Zum Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 105 ff.

[26] OLG Frankfurt am Main RVGreport 2018, 424 = AGS 2018, 589 = RVGprof. 2018, 185 = JurBüro 2019, 90.

[27] OLG Frankfurt am Main, a.a.O.


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