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aus ZAP Heft 17/2021, F. 22, S. 997

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "PStR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Aktuelle Änderungen der Strafprozessordnung in 2021 – „Fortentwicklung“ der StPO

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Zurückstellung der Benachrichtigung von der Beschlagnahme – heimliche Beschlagnahme“ (§ 95a StPO)

III. Auskunftsverlangen (§ 99 Abs. 2 StPO)

IV. Durchsuchung zur Nachtzeit (§ 104 StPO

V. Telefonüberwachung und Online-Durchsuchung (§§ 100a, 100b StPO)

VI. Vernehmungen

VII. Automatische Kennzeichenerfassung (§ 163g StPO)

VIII. Urteilsverkündung (§ 268 StPO)

IX. Revisionsbegründungsfrist (§ 345 StPO)

X. Begriff des Verletzten (§ 373b StPO)

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

Die nachfolgenden Ausführungen enthalten einen Überblick über die wesentlichen gesetzlichen Neuregelungen im Verfahrensrecht der StPO und des GVG aufgrund des „„Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften“ v. 25.6.2021“ (BGBl I, S. 2099). Es handelt sich um einen ersten Überblick, der die Neuregelungen nur in groben Zügen darstellt. Über einzelne Änderungen/Neuerungen werden wir demnächst umfangreicher berichten. Zur Vertiefung wird verwiesen auf das Ebook von Burhoff, Fortentwicklung der StPO u.a. Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick, 2021, das als PDF über die Homepage des Verfassers bestellt werden kann (im Folgenden kurz: Burhoff, StPO 2021). Nicht enthalten sind Ausführungen zu den Änderungen in anderen Gesetzen, wie z.B. im BKAG, GVG, StGB. Dazu wird auf Gesetzesbegründung in der BT-Drucks 19/27654 verwiesen (BT-Drucks 19/27654, S. 115 ff).

Hinweis:

Das „„Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ v. 25.6.2021 (im Folgenden kurz: Gesetz) ist nach einem recht „zügigen“ Gesetzgebungsverfahren (vgl. dazu Burhoff, StPO 2021, Rn 3 ff.) am 10.6.2021 im Bundestag (im Folgenden: BT) verabschiedet worden und, nachdem der Bundesrat (im Folgenden: BR) am 25.6.2021 zugestimmt hatte, am 30.6.2021 im BGBl verkündet worden (vgl. BGBl I, S. 2099). Nach Art. 28 S. 1 des Gesetzes sind die Neuregelungen damit am 1.7.2021 in Kraft getreten.

Da es sich um Verfahrensrecht handelt, sind/waren sie ohne Einschränkung auch in bereits laufenden Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden.

Inhaltsverzeichnis

II. Zurückstellung der Benachrichtigung von der Beschlagnahme – heimliche Beschlagnahme“ (§ 95a StPO)

1. Neuregelung

Die Beschlagnahme ist als offene Ermittlungsmaßnahme gem. § 35 Abs. 2 StPO den von ihr betroffenen Personen, also insb. dem Beschuldigten, wenn die Beschlagnahme bei einer anderen nichtbeschuldigten Person erfolgt, bekanntzumachen ist. Der Gesetzgeber hat hier eine Gefahr für Ermittlungen gesehen, weil die Aufdeckung der Beschlagnahme einen Ermittlungserfolg gefährden könne (vgl. BT-Drucks 19/27654, S. 59 ff.). Vor diesem Hintergrund ist durch das Gesetz § 95a StPO eingefügt worden. Der gibt nun die Möglichkeit, die Bekanntgabe einer Beschlagnahme in bestimmten Konstellationen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots zurückzustellen (krit. zu der Neuregelung und zu verfassungsrechtlichen Bedenken Hieramente jurisPR-Strafrecht 3/2021 Anm. 1; wegen weiterer Einzelh. Burhoff, StPO 2021, Rn 28 ff.).

2. Inhalt der Neuregelung des § 95a Abs. 1 StPO

Zulässig ist die „heimliche Beschlagnahme“ nur in den Fällen, in denen ein Dritter einen Gegenstand in Gewahrsam hat, der nach § 94 Abs. 2 StPO beschlagnahmt wird. Mitgewahrsam dürfte ausreichen. Zulässig ist die Zurückstellung der Benachrichtigung auch nur gegenüber dem Beschuldigten. Die Zurückstellung der Bekanntgabe auch gegenüber dem Gewahrsamsinhaber kommt nicht in Betracht. § 95a Abs. 1 StPO erfasst aber sowohl den Fall § 98a StPO als auch den nach § 98 Abs. 2 StPO) (dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 828 ff., 901 ff. [im Folgenden Burhoff, EV, zu allem BT-Drucks 19/27654, S. 61 f.). Die Zurückstellung der Benachrichtigung erstreckt sich nicht nur auf elektronische Beweismittel (E-Mailpostfächer, Cloud-Speicher und Ähnliches), auch wenn der Hauptanwendungsfall vermutlich im Bereich der Beschlagnahme von elektronischen Beweismitteln zu finden sein wird.

Die Zurückstellung der Beschlagnahme nach § 95a StPO kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn die sofortige Bekanntgabe der Beschlagnahmeanordnung nach § 35 Abs. 2 StPO gegenüber dem Beschuldigten den Untersuchungszweck gefährden würde. Insoweit gelten die Grundsätze zu § 101 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StPO, der die Zurückstellung der Benachrichtigung bei den verdeckt ausgestalteten Ermittlungsmaßnahmen regelt (BT-Drucks 19/27654, S. 61.; wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 101 Rn 19 [im Folgenden: Meyer-Goßner/Schmitt]; Burhoff, EV, Rn 2822 und Rn 3621 ff.). Es ist darauf abzustellen, ob die Erforschung des Sachverhalts, mithin die Klärung des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts mittels aller zulässigen Untersuchungshandlungen, durch die sofortige Offenlegung gefährdet ist (BT-Drucks 19/27654, S. 61 f.).

Die „Zurückstellungsschwelle“ (§ 95a Abs. 1 Nr. 1 StPO) ist verhältnismäßig hoch. Voraussetzung ist nämlich, dass betreffend den Beschuldigten der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung besteht (BT-Drucks 19/27654, S. 62). Das ist die Formulierung, wie sie die StPO z.B. auch in § 98a StPO bei der Rasterfahndung, verwendet (dazu Burhoff, EV, Rn 3601 f.; vgl. a. noch §§ 81g Abs. 1 S. 1, 100h Abs. 1 S. 2,  100i Abs. 1, 131 ff., 163e Abs. 1 S. 1, 163f Abs. 1 S. 1 StPO). Danach scheiden Bagatelldelikte aus und die Anlasstat muss mindestens dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, was bei Verbrechen i.d.R. der Fall sein dürfte, bei Vergehen aber erst ab einer bestimmten erhöhten Strafrahmenobergrenze. Als Orientierungshilfe wird man den Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO heranziehen können (Burhoff, EV, Rn 4049 f.; vgl. a. BGH NJW 2021, 1225; Meyer-Goßner/Schmitt, § 100a Rn 6b ff.; BT-Drucks 19/27654, S. 62). Der Beschuldigte muss die Tat als Täter oder Teilnehmer begangen haben. Insoweit kann ebenfalls auf die Meinungen zur Telefonüberwachung verwiesen werden. Dasselbe gilt für Vorbereitungshandlungen. Die Anlasstat muss zudem im konkreten Einzelfall von erheblicher Bedeutung sein (dazu Drucks 19/27654, S. 62; Burhoff, EV, Rn 4055). Der Verdacht auf die erhebliche Straftat muss auf „bestimmten Tatsachen“ beruhen. In § 95a Abs. 1 Nr. 1 StPO wird also derselbe Verdachtsgrad aufgestellt wie bei der Telefonüberwachung in § 100a Abs. 1 S. 1 StPO (dazu Burhoff, EV, Rn 4056 f.).

§ 95a Abs. 1 Nr. 2 StPO enthält schließlich eine strenge Subsidiaritätsklausel, die der Regelung in § 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO entspricht (Burhoff, EV, Rn 4066). Notwendig ist eine Einzelfallprüfung, ob im Anordnungszeitpunkt alternative zielführende Ermittlungsmaßnahmen mit geringerem Eingriffsgewicht zur Verfügung stehen, insb. ob die Beschlagnahme wirklich sofort erfolgen muss, oder ob (zunächst) andere Ermittlungsmaßnahmen herangezogen und mit der Beschlagnahme bis zu einem späteren Zeitpunkt abgewartet und die Maßnahme dann offen durchgeführt werden kann (BT-Drucks 19/27654, S. 63). Daneben muss die allgemeine Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beachtet werden.

3. Verfahren

Nach § 95a Abs. 2 S. 1 StPO darf die Zurückstellung der Benachrichtigung nur durch den Richter angeordnet werden (BT-Drucks 19/27654, S. 63). Die Anordnung geht durch schriftlichen (gerichtlichen) Beschluss, der gem. § 34 StPO zu begründen ist (vgl. dazu zur vergleichbaren Rechtslage bei der Telefonüberwachung Burhoff, EV, Rn 3934). Erfolgt zunächst eine nichtgerichtliche Beschlagnahme, muss die gerichtliche Anordnung der Zurückstellung der Benachrichtigung binnen drei Tagen beantragt werden.

Die erstmalige Zurückstellung der Benachrichtigung ist höchstens für die Dauer von sechs Monaten zulässig (§ 95a Abs. 2 S. 2 StPO). Liegen die Voraussetzungen weiter vorliegen, kommt nach § 95a Abs. 2 S. 3 StPO eine Verlängerung von jeweils bis zu drei Monaten in Betracht. In dem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass sog. Reihenanordnungen ggf. die höheren Voraussetzungen des § 100a StPO unterlaufen und deshalb grds. nicht zulässig sind (BT-Drucks 19/27654, S. 63.).

4. Offenbarungsverbot (§ 95a Abs. 6 S. 1 StPO)

Um sicherzustellen, dass der Beschuldigte nicht durch den Gewahrsamsinhaber Kenntnis über das Herausgabeverlangen und die Beschlagnahme erlangt, kann das Gericht nach § 95a Abs. 6 S. 2 StPO im Eilfall auch die Staatsanwaltschaft oder die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, diesem nach § 95a Abs. 6 S. 1 StPO verbieten, für die Dauer der Zurückstellung der Benachrichtigung gem. § 95a Abs. 1 StPO die Beschlagnahme sowie eine ihr vorausgehende Durchsuchung nach den §§ 103, 110 StPO (Burhoff, EV Rn 1717 ff.) oder Herausgabeanordnung nach § 95 StPO (Burhoff, EV Rn 929).gegenüber dem Beschuldigten und Dritten zu offenbaren (vgl. BT-Drucks 19/27654, S. 64 f.). Das Offenbarungsverbot kann zugleich mit der Anordnung der Zurückstellung getroffen werden. Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausreichend Rechnung zu tragen, muss die Entscheidung unter Würdigung aller Umstände und nach Abwägung der Interessen der Beteiligten im Einzelfall erfolgen. Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung (BT-Drucks 19/27654, S. 64 f.) und eine gesonderte gerichtliche Anordnung.

Hinweis:

Die Weitergabe von Informationen an einen Rechtsanwalt in Zusammenhang mit einem Rechtsschutzbegehren sind vom Offenbarungsverbot nicht erfasst (BT-Drucks 19/27654, S. 64).

5. Benachrichtigung des Beschuldigten (§ 95a Abs. 4 StPO)

Nach § 95a Abs. 4 S. 1 StPO hat eine Benachrichtigung des Beschuldigten über die Beschlagnahme zu erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks möglich ist (vgl. dazu schon § 101 Abs. 5 S. 1 StPO; Burhoff, EV, Rn 3621). Ist die Benachrichtigung ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks möglich, hat sie ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen. Die Ermittlungsbehörden können nicht abwarten, bis die Frist aus § 95a Abs. 2 S. 2 StPO abläuft (so auch BT-Drucks 19/27654, S. 63 f.).

6. Rechtsschutz (§ 95a Abs. 5 StPO)

Der (nachträgliche) Rechtsschutz gegen die Zurückstellung der Benachrichtigung/die „heimliche Beschlagnahme“ ist in § 95a Abs. 5 StPO geregelt. Die Vorschrift ist § 101 Abs. 7 S. 2 bis 4 StPO nachgebildet, sodass grds. die insoweit geltenden Grundsätze auf die Regelung in § 95a Abs. 5 StPO übertragen werden können (BT-Drucks 19/27654, S. 64; Burhoff, EV, Rn 3642 ff.).

7. Beweisverwertungsverbote

Wegen eines Beweisverwertungsverbots wird man wie für die Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g StPO (Burhoff, EV, Rn 715) vornehmlich auf Beweisverwertungsverbote bei/nach einer Telefonüberwachung verweisen können (Burhoff, EV, Rn 3956 ff). Die dort gemachten Ausführungen gelten grds. entsprechend.

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III. Auskunftsverlangen (§ 99 Abs. 2 StPO)

1. Neuregelung

Früher war in § 99 StPO a.F. (nur) die sog. Postbeschlagnahme geregelt, die sich allein darauf richtete, den Postdienstleister zur Auslieferung von solchen Postsendungen (und Telegrammen) zu verpflichten, die sich im Zeitraum der Anordnung der Maßnahme in seinem Gewahrsam befinden. Nach überwiegender Ansicht bestand daneben aber die Befugnis, als milderes Mittel zur physischen Beschlagnahme in einem eingeschränkten Umfang – vor allem betreffend die äußeren Merkmale einer Postsendung – Auskunft bei den Postdienstleistern über jene Sendungen zu verlangen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (vgl. die Nachweise bei Burhoff, EV, Rn 3549). Nachdem der BGH insoweit wegen der Ermächtigungsgrundlage Bedenken angemeldet hatte (vgl. BGH NJW 2017, 680; s.a. Burhoff, EV, Rn 3549 m.w.N.), ist dieses Auskunftsbegehren jetzt in § 99 Abs. 2 StPO als sog. Auskunftsverlangen ausdrücklich geregelt (wegen weiterer Einzelh. Burhoff, StPO 2021, Rn 67 ff.). Das Auskunftsverlangen steht aber nicht in einem Alternativverhältnis zur physischen Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO n.F. bzw. § 99 StPO a.F., sondern ist ausdrücklich als ergänzende Befugnis neben die Postbeschlagnahme getreten (BT-Drucks 19/27654, S. 67).

2. Allgemeine Voraussetzungen

Die StPO sieht für ein Auskunftsverlangen nach § 99 Abs. 2 StPO ebenso wie für die Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO keinen besonderen Tatbestandskatalog und/oder eine Eingriffsschwelle vor. Die Ermittlungsmaßnahme ist also grds. bei jedem Delikt zulässig. Allerdings wird beim Auskunftsverlangen ebenso wie bei der Postbeschlagnahme der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders zu beachten sein. Auf die Ausführungen bei Burhoff, EV, Rn 3550, kann daher verwiesen werden. Die Befugnis zum Auskunftsverlangen knüpft an dieselben materiellen Voraussetzungen an wie die Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO. Es umfasst dieselben Arten von Postsendungen. Es richtet sich an denselben Adressatenkreis von Postdienstleistern. Betroffen muss wie bei der „Postbeschlagnahme“ nach § 99 Abs. 1 StPO ein bestimmter Beschuldigter sein. Dessen Person muss feststehen, wohingegen sein Name noch unbekannt sein kann (Burhoff, EV, Rn 3544).

3. Inhalt des Auskunftsverlangens (§ 99 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StPO)

§ 99 Abs. 2 S. 2 und 3 StPO regelt den erforderlichen Inhalt des Auskunftsverlangens abschließend. Danach kann nur über die äußeren Merkmale der Sendung bzw. die Umstände des Postsendungsverlaufs Auskunft verlangt werden (BT-Drucks 19/27654, S. 67). Weitere nach der DSGVO, den §§ 41 ff. PostG oder anderweitigen Rechtsvorschriften gespeicherte bzw. erhobene Daten werden nicht erfasst. Das gilt insb. für Daten, welche etwa das geleistete Entgelt für die Postsendung betreffen oder – unabhängig von der konkreten Postsendung – das übergeordnete Geschäfts- bzw. Kundenverhältnis betreffen.

4. Zeitlicher Umfang (§ 99 Abs. 2 S. 4 StPO)

Der zeitliche Umfang des Auskunftsverlangens i.S.d. Sätze 2 und 3 wird in § 99 Abs. 2 S. 4 StPO verhältnismäßig weit gefasst (BT-Drucks 19/27654, S. 68). Erfasst wird zunächst der Zeitraum, während sich die betreffenden Postsendungen im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden. Das entspricht der herkömmlichen Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO (dazu Burhoff, EV, Rn 3546 f.). Erfasst werden aber auch solche Postsendungen, die sich bei Eingang der Auskunftsanordnung nicht mehr im Gewahrsam des Postdienstleisters befinden.

5. Verfahren (§ 100 StPO)

Das Verfahren des Auskunftsverlangens ist ebenso wie das Verfahren bei der herkömmlichen Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO in § 100 StPO geregelt. Dieser ist um die neue Befugnis des Auskunftsverlangens nach § 99 Abs. 2 StPO ergänzt worden (wegen der Einzelh. daher Burhoff, EV, Rn 3552 ff.).

6. Beweisverwertungsverbote

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 19/27654, S. 66 ff.) stehen das Auskunftsverlangen nach § 99 Abs. 2 StPO und die physische Postbeschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO gleichberechtigt nebeneinander. Das führt m.E. dazu, dass in all den Fällen, in denen in der Vergangenheit für die Postbeschlagnahme ein Beweisverwertungsverbot angenommen worden ist, man dieses auch für das Auskunftsverlangen wird annehmen können (wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn 3560).

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IV. Durchsuchung zur Nachtzeit (§ 104 StPO

Im Bereich der Durchsuchung hat es zwei Änderungen gegeben. Die eine betrifft die Durchsuchung zur Nachtzeit nach § 104 StPO (dazu nachfolgend), die andere hat Ergänzungen/Anpassungen/Erweiterungen bei der sog. Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) gebracht (dazu Burhoff, StPO 2021, Rn 115 ff.).

1. Neuregelung

Durch das Gesetz ist § 104 StPO geändert worden. Ursprünglich war in der BT-Drucks 19/27654 nur eine Anpassung des § 104 Abs. 3 StPO a.F. an die geänderten Lebensgewohnheiten vorgesehen (BT-Drucks 19/27654, S. 71 m.w.N.; vgl. aber auch BVerfG NJW 2019, 1428; vgl. IV. 2). Im Laufe des Gesetzgebungsverfahren ist dann die Fassung des § 104 Abs. 1 StPO a.F. insgesamt als zu eng angesehen worden (dazu BT-Drucks 19/30517, S. 19). Das hat dazu geführt, dass die Zulässigkeit von Durchsuchungen zur Nachtzeit erweitert worden ist auf „elektronische Speichermedien“ (vgl. dazu IV. 3.)

2. Anpassung des Begriffs der „Nachtzeit“ (§ 104 Abs. 3 StPO)

Nach der Neuregelung ist nach § 104 Abs. 3 StPO Nachtzeit i.S. des § 104 Abs. 1 StPO jetzt einheitlich der Zeitraum von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens. Die Differenzierung zwischen Sommer- und Wintermonaten ist aufgegeben worden. Da eine „Durchsicht von Papieren“ nach § 110 StPO noch Teil der Durchsuchung ist, (u.a. BGH NStZ 2002, 215; 2003, 670 m.w.N.; NStZ-RR 2010, 67 [Ci/Zi]; OLG Bremen wistra 1999, 75) hat die Änderung auch Auswirkungen auf diesen Teil der Durchsuchung. Der ist also zur „Nachtzeit“ von 4.00 Uhr bis 6.00 Uhr auch nicht mehr zulässig, es sei denn es liegen die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 StPO vor (dazu nachfolgend 3.).

3. Durchsuchung von Räumen zur Nachtzeit (§ 104 Abs. 1 StPO)

Eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume und des befriedeten Besitztums zur Nachtzeit (vgl. dazu § 104 Abs. 3 StPO) ist grds. unzulässig. Zulässig ist sie nur unter den in § 104 Abs. 1 StPO bestimmten Ausnahmen.

Einige Ausnahmen waren schon im früheren Recht vorgesehen. Die sind in § 104 Abs. 1 StPO übernommen worden. Das sind die Fälle der Verfolgung auf frischer Tat (Nr. 1), der Gefahr im Verzug (Nr. 2), und der Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen (Nr. 4) (vgl. Burhoff, EV, Rn 4928). Insoweit kann auf bisher vorliegende Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

Neu ist Ausnahme in § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Danach darf die Durchsuchung zur Nachtzeit in Zukunft auch erfolgen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insb. in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Regelung ist zum besonderen Schutz der Nachtruhe (so) restriktiv formuliert (BT-Drucks 19/30517, S. 19).

Mit dem Begriff des „elektronischen Speichermediums“ verwendet die Neuregelung einen Begriff, der in der StPO bereits enthalten war, und zwar in § 110 Abs. 3 StPO. Gemeint sind damit also alle elektronischen Datenträger und Datenspeicher, wie Disketten und die zum Lesen und Verarbeiten notwendigen Zentralcomputereinheiten, EDV-Anlagen sowie auch ein Notebook mit den darauf gespeicherten EDV-Daten (Burhoff, EV, Rn 1870 m.w.N.). Erfasst werden dürften davon nach § 110 Abs. 3 S. 1 StPO auch Daten auf räumlich getrennten Speichermedien (sog. elektronische Netzwerkressourcen (vgl. den pauschalen Hinweis auf § 110 Abs. 3 StPO in der BT-Drucks 18/30517, S. 19). Dieses elektronische Speichermedium muss als Beweismittel in Betracht kommen. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln (dazu Burhoff, EV, Rn 1013 ff. m.w.N).

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Durchsuchung zur Nachtzeit nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist weiter, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf das elektronische Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt. Die Formulierung, dass „bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, wird u.a. verwendet in §§ 112 Abs. 2, 100b Abs. 2, 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO. Auf die dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur kann verwiesen werden (Burhoff, EV, Rn 2963, 4056; 4152). Ein bestimmter Verdachtsgrad wird nicht vorausgesetzt. Ausreichend ist also ein einfacher Verdacht, der jedoch auf bestimmten Tatsachen beruhen muss.

Die Neuregelung in Nr. 3 enthält zum Schutz der Nachtruhe (BT-Drucks 19/30517, S. 19) eine besondere Subsidiaritätsklausel. Danach darf zur Nachtzeit nach Nr. 3 nur durchsucht werden, wenn zusätzlich zu den bestimmten Tatsachen (vgl. vorstehend) „ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insb. in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“. Durchsuchungen zur Nachtzeit dürfen danach nur in Ausnahmefällen vorgenommen werden (dazu BVerfG NJW 2019, 1428). Die Klausel entspricht der Subsidiaritätsklausel bei der akustischen Wohnraumüberwachung in § 100c Abs. 1 Nr. 4 StPO (Burhoff, EV, Rn 2788) oder bei der Online-Durchsuchung in § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO (Burhoff, EV, Rn 2967); daher wird man dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur entsprechend anwenden können.

Die Voraussetzungen für die Ausnahme nach § 104 Abs. 1 Nr. 3 StPO müssen im Durchsuchungsbeschluss dargelegt werden. Auch insoweit gelten die allgemeinen Anforderungen an die Begründung einer Durchsuchungsmaßnahme (dazu Burhoff, EV, Rn 1580 ff. m.w.N.; dazu BT-Drucks 19/30517, S. 19).

Fraglich ist das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots (BVV), wenn eine Durchsuchung zur Nachtzeit unter Inanspruchnahme der Nr. 3 erfolgt, ohne dass die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung vorgelegen haben. Bislang ist die Regelung des § 104 StPO von der h.M. zwar nicht nur als sog. Ordnungsvorschrift angesehen, ihre Verletzung sollte aber dennoch nicht zu einem BVV führen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 106 Rn 1, § 107 Rn 1 u. 5, § 109 Rn 1, jeweils m.w.N.; s.a. die Nachw. bei Krekeler NStZ 1993, 2268 Fn 93, der z.T. davon ausgeht, dass ein BVV besteht; s.a. Ransiek StV 2002, 569). Ich habe schon zu § 104 StPO a.F. entgegen der h.M. mit Krekeler (a.a.O.) die Auffassung vertreten, dass man zumindest dann ein BVV wird annehmen müssen, wenn die Voraussetzungen, unter denen eine Durchsuchung zur Nachtzeit zulässig ist, willkürlich angenommen worden sind (s.a. LR-Tsambikakis, § 104 Rn 17). Das gilt für die Neuregelung unter Hinweis auf die Ausführungen in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 19/30517, S. 19) erst recht. Dazu gelten dann die Ausführungen für die willkürliche Annahme von „Gefahr im Verzug“ entsprechend (Burhoff, EV, Rn 1842 f.).

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V. Telefonüberwachung und Online-Durchsuchung (§§ 100a, 100b StPO)

Aufgenommen worden in den Katalog des § 100a StPO ist Steuerhinterziehung in großem Ausmaß nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO unter gleichzeitiger Beschränkung auf Fälle der bandenmäßigen Begehung. Hintergrund dieser Änderung sind die Cum-Ex-Geschäfte (BT-Drucks 19/27654, S. 69.). Der Katalog der Straftaten, bei denen eine Online-Durchsuchung angeordnet werden kann (§ 100b StPO) ist ebenfalls erweitert worden. Neu aufgenommen worden sind sämtlich Delikte, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 10 Jahren bedroht sind. Diese können nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG NJW 2004, 999) als besonders schwere Straftaten eingestuft werden (BT-Drucks 19/27654, S. 69). Im Übrigen sind weitere Tatbestände aus dem Bereich des Menschenhandels neben den bereits bislang enthaltenen Tatbeständen aufgenommen worden. Aufgenommen worden sind auch der bandenmäßige Betrug nach den §§ 263 bis 264 oder den §§ 267 bis 269 StGB.

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VI. Vernehmungen

Aus dem Bereich der Vernehmung ist hier auf folgende Änderungen hinzuweisen (s. i.Ü. Burhoff, StPO 2021, Rn 136 ff., 159 ff.):

Bislang bezogen sich die in §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 StPO a.F. geregelten Hinweis- und Belehrungspflichten allein auf den Beginn der ersten (richterlichen) Beschuldigtenvernehmung vor der Hauptverhandlung und nicht auch auf den Beginn weiterer (richterlicher) Vernehmungen vor der Hauptverhandlung. Dies galt über die Verweisung in § 163a Abs. 3 S. 2 StPO und in § 163a Abs. 4 S. 2 StPO auch für staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Vernehmungen. Hier sind vom Gesetz in § 136 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StPO die Worte „erstegestrichen worden. Damit sind die in § 136 Abs. 1 StPO enthaltenen Hinweis- und Belehrungspflichten nicht mehr nur bei der sog. ersten (richterlichen) Vernehmung (im Ermittlungsverfahren) zu erfüllen, sondern auch bei allen weiteren Vernehmungen (zu den Hinweis- und Belehrungspflichten eingehend Burhoff, EV, Rn 3405 ff.). Die Pflicht zur erneuten Belehrung besteht aber nur bei Beginn einer „neuen/weiteren Vernehmung. Wird eine Vernehmung nur unterbrochen – Stichwort: Vernehmungspause, bestehen bei Fortsetzung der Vernehmung nicht erneut die Hinweis- und Belehrungspflichten aus § 136 Abs. 1 StPO.

Nach § 168c Abs. 5 S. 2 StPO a.F. unterblieb auch bei der richterlichen Vernehmung eines Beschuldigten ggf. die Benachrichtigung des Verteidigers, wenn sie den Untersuchungszwecke gefährdet hätte. Die Vorschrift ist jetzt so geändert, dass die Benachrichtigung in Zukunft nur noch bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen unterbleiben kann/darf (BT-Drucks 19/27654, S. 93).

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VII. Automatische Kennzeichenerfassung (§ 163g StPO)

1. Neuregelung

In § 163g StPO ist eine spezialgesetzliche Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur automatischen Kennzeichenerfassung im öffentlichen Verkehrsraum insb. zu Fahndungszwecken eingeführt worden. Ausdrücklich geregelt ist damit der Fahndungseinsatz von Automatischen Kennzeichenlesesystemen (AKLS), die es erlauben, über einen bestimmten Zeitraum hinweg vor allem auf Fernstraßen sämtliche passierende Fahrzeuge abzulichten, deren amtliche Kennzeichen durch eine Software auszulesen und sie mit Kennzeichen von Kraftfahrzeugen abzugleichen, die auf den Beschuldigten oder seine Kontaktpersonen zugelassen sind bzw. von diesen Personen genutzt werden. Insoweit bestand in der StPO nach Auffassung des Gesetzgebers bislang eine Regelungslücke (vgl. die Zusammenstellung in BT-Drucks 19/27654, S. 82 f.).

2. Voraussetzungen für den Einsatz von AKLS

Nach § 163g Abs. 1 S. 1 StPO muss ein auf Tatsachen gestützter Anfangsverdacht der Begehung einer Anlasstat, nämlich einer Straftat von erheblicher Bedeutung, bestehen. Das Merkmal: „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ verwendet die StPO z.B. auch in § 98a StPO bei der Rasterfahndung (Burhoff, EV, Rn 3596 ff.), sodass die dazu vorliegende Rechtsprechung herangezogen werden kann (Burhoff, EV, Rn 3601 f.; s.a. oben II. 2 und Burhoff, StPO 2021, Rn 171 ff.). Weitere Beschränkungen in tatsächlicher Hinsicht – etwa auf einen bestimmten Straftatenkatalog oder auf Taten, die auch im Einzelfall schwer wiegen oder auf Subsidiaritätskonstellationen (sog. Erschwerens- bzw. Aussichtslosigkeitsklausel) – hat die Neuregelung nicht aufgestellt.

Als weitere Voraussetzung verlangt § 163g Abs. 1 S. 1 StPO, dass tatsächliche Ermittlungserkenntnisse die Annahme rechtfertigen, dass der Abgleich der AKLS-Daten nach § 163g Abs. 2 StPO zur Ermittlung der Identität oder des Aufenthaltsortes des Beschuldigten führen kann (sog. Erfolgsaussicht) (BT-Drucks 19/27654, S. 83, 85; BVerfG, a.a.O.). Nach § 163g Abs. 1 S. 2 StPO darf der Einsatz von ALKS im Übrigen „nur vorübergehend und nicht flächendeckend erfolgen“ (vgl. auch das Erfordernis der Befristung in § 163g Abs. 3 S. 3 StPO). Der Einsatz von AKLS ist auf den öffentlichen Verkehrsraum begrenzt.

3. Erhebungsgegenstand (S. 1)

Liegen die Voraussetzungen für die Anordnung vor, besteht die Befugnis zur Erhebung der Kennzeichen von Kraftfahrzeugen und bestimmter abschließend genannter Daten, und zwar die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen, Ort, Datum, Uhrzeit, Fahrtrichtung. Unter den Begriff des „Kennzeichens“ fallen nicht nur amtliche (inländische) Kennzeichen sondern auch Versicherungskennzeichen bzw. entwertete oder ausländische Kennzeichen (BT-Drucks 19/27654, S. 85). Die Aufzählung in § 163g Abs. 1. S. 1 StPO ist enumerativ, weitere Daten dürfen nicht erhoben werden (BT-Drucks 19/27654, S. 85).

Hinweis:

Die Ablichtungen der passierenden Kraftfahrzeuge dürfen zudem ausschließlich dafür genutzt werden, mithilfe einer Software die Ziffernfolge des Kennzeichens auszulesen. Eine Speicherung oder Auswertung von weiteren Elementen der Ablichtungen, etwa die Feststellung, mit wie vielen Personen ein Fahrzeug besetzt ist/war, oder gar ein ggf. technisch möglicher Gesichtsabgleich zur Identifizierung von Zielpersonen, ist nicht zulässig (BT-Drucks 19/27654, S. 8).

4. Abgleich (§ 163g Abs. 2 StPO)

In § 163g Abs. 2 StPO ist die Befugnis zum Abgleich der erhobenen Kennzeichen geregelt. Die schließt sich computergestützt unmittelbar an die Erhebung an. Nach § 163g Abs. 2 S. 1 StPO darf die nach Abs. 1 ausgelesene Ziffernfolge des Kennzeichens nur mit Kennzeichen von solchen Kraftfahrzeugen abgeglichen werden, die einer der in Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 genannten Zielpersonen zuzuordnen sind. Die Aufzählung ist abschließend. Erfasst werden nach Nr. 1 Kraftfahrzeuge, die auf den Beschuldigten als Halter zugelassen sind oder – wofür tatsächliche Anhaltspunkte bestehen müssen – mutmaßlich von ihm genutzt werden, ohne dass er deren Halter ist. Zielpersonen können aber nach Nr. 2 statt oder neben dem Beschuldigten auch sog. Kontaktpersonen sein.

Hinweis:

Der Datenabgleich hat nach § 163g Abs. 2 S. 2 – 4 StPO unverzüglich nach der Erhebung im sog. „hit/no hit“-Verfahren zu erfolgen (BVerfG NJW 2019, 827; BT-Drucks 19/27654, S. 86). Erforderlich ist danach also ein Prüfungsablauf, wie er vom BVerfG (a.a.O.) auch für den Einsatz von AKLS im Gefahrenabwehrrecht für zulässig erachtet wurde.

5. Verfahren

Die Anordnungskompetenz ist in § 163g Abs. 3 StPO geregelt. Vorgesehen ist eine abgestufte Anordnungskompetenz, die der Regelung in § 131c Abs. 1 S. 2 StPO – Ausschreibung nach § 131a Abs. 1 und 2 StPO – (dazu Burhoff, EV, Rn 2205 ff.) – folgt. Das bedeutet: Grds. ist die Staatsanwaltschaft zur Anordnung befugt (§ 163g Abs. 3 S. 1 StPO). Ausnahmsweise besteht nach § 163g Abs. 3 S. 4 StPO bei „Gefahr im Verzug“ (dazu Burhoff, EV, Rn 1609 ff.) auch eine Anordnungsbefugnis für die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG).

Die Anordnung der Maßnahme durch die Staatsanwaltschaft ergeht nach § 163g Abs. 3 S. 1 StPO schriftlich. In der schriftlichen Anordnung müssen nach § 163g Abs. 3 S. 2 StPO die Voraussetzungen der Maßnahme dargelegt werden (BT-Drucks 19/27654, S. 86 f.). Nach § 163g Abs. 3 S. 4 StPO kann die Anordnung durch die Ermittlungspersonen mündlich ergehen. In dem Fall sind die nach § 163g Abs. 3 S. 2 und 3 StPO erforderlichen (schriftlichen) Darlegungen binnen drei Tagen vom Anordnenden nachzuholen.

Hinweis:

Nach § 163g Abs. 4 StPO besteht die Pflicht zur unverzüglichen Beendigung der AKLS-Maßnahmen, wenn deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.

Für Rechtsmittel gelten die allgemeinen Regeln, da § 163g StPO in den Katalog des § 101 Abs. 1 StPO aufgenommen worden ist (vgl. a. Burhoff, EV, Rn 3615). Der Rechtsschutz richtet sich also nach § 101 Abs. 7 S. 2 StPO, und zwar auch wegen des nachträglichen Rechtsschutzes (wegen der Einzelh. Burhoff, EV, Rn 3637 ff.).^

6. Beweisverwertungsverbote

Für Beweisverwertungsverbote bietet sich m.E. ein Vergleich mit Beweisverwertungsverboten bei Maßnahmen ohne Wissen des Betroffenen (§ 100f StPO) (Burhoff, EV, Rn 2825) oder der Rasterfahndung (§ 98a StPO) (Burhoff, EV, Rn 3816) an. Diese Maßnahmen sind in etwa mit der Automatischen Kennzeichenerfassung vergleichbar, sodass man die dort angenommenen Beweisverwertungsverbote entsprechend anwenden kann.

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VIII. Urteilsverkündung (§ 268 StPO)

Nach § 268 Abs. 3 S. 2 StPO a.F. betrug die Frist zur Verkündung eines Urteils, das ausnahmsweise nicht am Schluss des letzten regulären Hauptverhandlungstages erging, zehn Tage. Die Urteilsverkündungsfrist ist jetzt auf zwei Wochen angehoben worden, „damit es den Gerichten ermöglicht wird, Urteile an ihrem regulären Sitzungstag zu verkünden“ (BT-Drucks 19/27654, S. 95).

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IX. Revisionsbegründungsfrist (§ 345 StPO)

Das Gesetz hat in § 345 Abs. 1 StPO in bestimmten Fällen die Revisionsbegründungsfrist von grds. nur einem Monat verlängert. Damit kommt das Gesetz Forderungen aus der Praxis nach, die in umfangreichen Verfahren in dieser kurzen Frist einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. b) MRK gesehen haben (dazu Grabenwarter NJW 2002, 109; Hillenkamp NStZ 2000, 669 in der Anm. zu einer Entscheidung des Öst.VerfGH in NStZ 2000, 668).

Nach der Neuregelung verlängert sich die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO bei besonders langer Dauer der Urteilsabsetzung ggf. auf bis zu drei Monate. Maßgeblich ist dabei aber nicht etwa (allein) die Dauer der Hauptverhandlung, sondern vielmehr die tatsächlich vom Gericht in Anspruch genommene Zeit zur Urteilsabsetzung (BT-Drucks 19/27654, S. 96 f.). § 345 Abs. 1 S. 2 StPO enthält nun eine Staffelung für eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist, und zwar in zwei Stufen wie folgt: Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich um einen Monat, wenn das Urteil später als 21 Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, und um einen weiteren Monat bei einer Fertigstellung des Urteils nach mehr als 35 Wochen.

Hinweis:

Das bedeutet, dass bei Zugrundelegung der vollen Ausschöpfung der in § 275 Abs. 1 StPO geregelten Verlängerungszeiträume bei einer Hauptverhandlungsdauer von mehr als 70 Tagen die Revisionsbegründungsfrist zwei Monate beträgt und bei mehr als 140 Hauptverhandlungstagen drei Monate.

Die Verlängerung der Begründungsfrist ist gesetzlich angeordnet worden. Sie ist ohne weitere Voraussetzungen an die tatsächliche Absetzungsdauer der Urteilsgründe gekoppelt (BT-Drucks 19/27654, S. 97). Es ist also weder ein Antrag des Angeklagten/Verteidigers noch eine (Ermessens-)Entscheidung des Gerichts erforderlich.

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X. Begriff des Verletzten (§ 373b StPO)

Der Begriff des Verletzten war in der StPO bislang nicht ausdrücklich bestimmt, obwohl sich an die Verletzteneigenschaft Verfahrensrechte knüpfen, wie z.B. das Recht zur Akteneinsicht nach § 406e StPO (dazu Burhoff, EV, Rn 330), die Möglichkeit einen Antrag nach § 172 StPO – Klageerzwingungsverfahren – (Burhoff, EV, Rn 2526), das Recht zur Nebenklage (Burhoff, EV, Rn 2829) oder auch das Recht auf einen Verletztenbeistand/Opferanwalt (Burhoff, EV Rn 4349). Durch das Gesetz ist nun in einem neuen § 373b StPO der Begriff des Verletzten ausdrücklich definiert worden. Eingestellt worden ist diese Neuregelung in einen neuen ersten Abschnitt des „Fünften Buches“, das die „Beteiligung des Verletzten am Verfahren“ regelt. Damit ist die Regelung an einer Stelle in der StPO erfolgt, an der auch wesentliche Rechte und Befugnisse des Verletzten, wie z.B. die Nebenklage in den §§ 385 ff. StPO, die Möglichkeit, Entschädigung im Adhäsionsverfahren geltend zu machen (§§ 403 ff. StPO), sowie die Akteneinsicht des Verletzten (§ 406e StPO) und auch der Verletztenbeistand/Opferanwalt geregelt werden. Die (Neu)Regelung in § 373b StPO dient der Umsetzung der sog. Opferschutzrichtlinie der EU. Diese gebraucht zwar in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Ziff. i nicht den Begriff des Verletzten, sondern den des „Opfers“. Die StPO hat aber den weiteren Begriff des Verletzten beibehalten. Das ist/war mit der Richtlinie vereinbar. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie verlangt von einem Mitgliedstaat, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten. Soweit es der Zielsetzung der Richtlinie nicht widerspricht, darf ein Mitgliedstaat Rechte aber auch in einem größeren Umfang gewähren als von der Richtlinie vorgegeben (BT-Drucks 19/27654, S. 39 ff., 98).

Hinweis:

Bei der Regelung in § 373b StPO handelt es aber nicht um eine Regelung nur für die Vorschriften des Fünften Buches, sondern um eine allgemeine, für die ganze StPO geltende Begriffsbestimmung (BT-Drucks 19/27654, S. 97). Rechte von Verletzten finden sich nicht nur im Fünften Buch, sondern auch in anderen Teilen der StPO, wie z.B. u.a. in §§ 48 Abs. 1 S. 3, 68a Abs. 2, 69 Abs. 2 S. 2, 111l, 111n, 155a, 158, 171, 172, 406d bis 406k StPO (vgl. a. noch BT-Drucks 19/27654, S. 39 ff.). Damit hat die Neuregelung erhebliche Auswirkungen in der Praxis.

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