aus RVGreport 2009, 443
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Die Verfahrensgebühr in Straf- bzw. Bußgeldverfahren
von Detlef Burhoff, Rechtsanwalt, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Nachdem in RVGreport 2009, 361 der Abgeltungsbereich der Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG bzw. Nr. 5100 VV RVG) näher beleuchtet worden ist, widmen sich die nachfolgenden Ausführungen dem der Verfahrensgebühr in Straf- und Bußgeldverfahren (Vorbem. 4 Abs. 2 und Vorbem. 5 Abs. 3 VV RVG). Die Beitragsreihe wird dann mit der Terminsgebühr abgeschlossen werden.
Das RVG sieht in Teil 4 VV RVG verschiedene Verfahrensgebühren vor. So kann der Rechtsanwalt eine Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) verdienen. Es entstehen außerdem im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszugs Verfahrensgebühren, deren Höhe abhängig ist von der Ordnung des Gerichts (s. Nrn. 4106, 4107, 4112, 4113, 4118, 4119 VV RVG) sowie dann ggf. noch im Berufungsverfahren (Nr. 4124, 4125 VV RVG) und im Revisionsverfahren (Nr. 4130, 4131 VV RVG). Darüber hinaus handelt es sich bei den sog. zusätzlichen Gebühren aus Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 (Nrn. 4141 ff. VV RVG) um Verfahrensgebühren. Schließlich werden im Bereich der Strafvollstreckung (Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG) und im Bereich der Einzeltätigkeiten (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG) Verfahrensgebühren verdient.
Systematisch ist das RVG so vorgegangen, dass der Abgeltungsbereich der jeweiligen Verfahrensgebühr nicht jeweils in Zusammenhang mit der konkreten Gebühr geregelt/bestimmt wird. Vielmehr enthält die Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG eine allgemeine Regelung des Abgeltungsbereichs der Verfahrensgebühr. Danach erhält der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Diese Formulierung entspricht teilweise der in § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO zur früheren Geschäftsgebühr.
Was darunter zu verstehen ist, erläutert die Gesetzesbegründung (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 220). Durch eine Verfahrensgebühr ist die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt, für den die Verfahrensgebühr geltend gemacht wird, abgegolten, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind (Burhoff, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl. Vorbem. 4 VV Rn. 35; AnwKomm-RVG/N.Schneider, 4. Aufl.., VV Vorb. 4 Rn. 21; BT-Drucks. 15/1971, S. 220; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., VV Vorb. 4 Rn. 9 f.). Besondere Gebühren sind die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und eine Terminsgebühr (Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn. 38 f.). Die Teilnahme des Rechtsanwalts an (gerichtlichen) Terminen wird also von der Terminsgebühr erfasst.
Umstr. ist, ob wie N.Schneider (AnwKomm-RVG/N.Schneider, VV Vorb. 4 Rn. 22) meint, eine Verfahrensgebühr als Betriebsgebühr immer entstehen muss, wenn der Rechtsanwalt als Verteidiger tätig wird. Die Antwort hängt insbesondere davon ab, wie man die Grundgebühr Nr. 4100 VV versteht und wie man die Abgeltungsbereiche der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr gegeneinander abgrenzt (vgl. dazu Burhoff RVGreport 2009, 361, 362). ^
Die mit der ersten Einarbeitung zusammenhängenden Tätigkeiten werden von der Grundgebühr Nr. 4100 Verteidiger erfasst. Das ist insbesondere die erste Information des Rechtsanwalts (vgl. dazu Burhoff RVGreport 2009, 361 m.w.N.). Alle weiteren nachfolgenden Informationsgespräche führen hingegen zu der jeweiligen Verfahrensgebühr (vgl. dazu Burhoff, a.a.O.; LG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 7. 2006, XX-31/05, www.burhoff.de). Entsprechendes gilt für die einer ersten Akteneinsicht im weiteren Verlauf des Verfahrens nachfolgenden weiteren Akteneinsichten.
Bei der Teilnahme an Terminen ist zu unterscheiden:
Die im VV RVG vorgesehenen Terminsgebühren können nicht entsprechend angewendet werden. Das gilt z.B. für weitere, meist im Ermittlungsverfahren anfallende Termine, wie z.B. die Teilnahme des Verteidigers an einer Durchsuchungsmaßnahme bei seinem Mandanten oder an der Exploration des Mandanten durch einen Sachverständigen (Burhoff, a.a.O., Nr. 4102 VV Rn. 45; KG RVGreport 2006, 151; a.A. LG Offenbach RVGreport 2006, 350).
Die Gesetzesbegründung (vgl. vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 220) erwähnt als von der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens erfassten Tätigkeit ausdrücklich die Vorbereitung der Hauptverhandlung. Fraglich ist, was damit gemeint ist. Zutreffend ist es, mit der h.M. davon auszugehen, dass mit diesem Begriff etwas anderes gemeint ist als die konkrete Vorbereitung bzw. Nachbereitung des jeweiligen Hauptverhandlungstermins (vgl. z.B. OLG Jena StV 2006, 204 = RVGreport 2006, 423 = JurBüro 2005, 476; OLG Hamm AGS 2006, 498 = JurBüro 2006, 591 [für Abfassung eines Beweisantrages]; Beschl. v. 05.05.2009, 3 Ws 68/09; OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32 = Rpfleger 2006, 36; zust. N.Schneider AGS 2006, 499; a.A. noch N.Schneider AGS 2004, 485; krit. insoweit Enders, JurBüro 2005, 32 in der Anm. zu AG Koblenz, AGS 2004, 484 = JurBüro 2005, 33). Gemeint ist mit dieser Formulierung die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung, wie z.B. das Absprechen der allgemeinen Verteidigungsstrategie, die Frage, ob ggf. eigene Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen oder sollen usw. (vgl. dazu auch Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn. 39) oder auch umfangreiche Bemühungen im Rahmen einer sog. Verständigung (vgl. demnächst § 257b StPO n.F.), die zu einer Abkürzung der Hauptverhandlung führen.
Diese wie Enders (a.a.O.) meint feinsinnige - Unterscheidung ist den Verfahren, in denen nur ein oder zwei Hauptverhandlungstermine stattfinden i.d.R. ohne Belang. Sie hat aber Auswirkungen auf Umfangsverfahren, in denen i.d.R. erhebliche mehr Hauptverhandlungstermine stattfinden. Würde dann die konkrete Vorbereitung und Nachbereitung dieser Termine auch von der jeweiligen gerichtlichen Verfahrensgebühr erfasst, wäre der - so oder so schon niedrige - Betragsrahmen der gerichtlichen Verfahrensgebühr schnell erschöpft und die vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten würden nicht mehr honoriert. Ordnet man die Tätigkeiten hingegen der jeweiligen Terminsgebühr zu, lässt sich darüber eine sehr viel bessere aufwandsbezogene Vergütung erzielen. Genau das ist aber eins der Anliegen der gesetzlichen Neuregelung durch dir Einführung einer Verfahrensgebühr und Terminsgebühr gewesen (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 220).
Eines besonderen Hinweises bedürfen die Beschwerdeverfahren. Anders als in Teil 3 VV RVG in Nr. 3500 VV RVG ist in Teil 4 VV RVG eine besondere Gebühr für das Beschwerdeverfahren nicht vorgesehen. Das hat zur Folge, dass im Strafverfahren die in Zusammenhang mit einem Beschwerdeverfahren erbrachten Tätigkeiten i.d.R. von der jeweiligen Verfahrensgebühr erfasst werden und dafür eine besondere Gebühr nicht anfällt (AG Sinzig JurBüro 2008, 249). Das gilt insbesondere auch für Haftbeschwerden und/oder Beschwerden gegen § 111a-StPO-Maßnahmen. Diese sind - ebenso wie alle anderen Beschwerden - innerhalb des Gebührenrahmens der jeweiligen Verfahrensgebühr über § 14 RVG gebührenerhöhend anzuführen (zu allem auch Burhoff/Volpert, a.a.O.; ABC-Teil: Beschwerdeverfahren in Straf- und Bußgeldsachen, S. 122 ff).
Eine Ausnahme gilt nach Vorbem. 4.2 VV RVG für den Bereich der Strafvollstreckung, nach Nr. 4140 VV RVG für das Wiederaufnahmeverfahren und nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Dort sind besondere Gebühren für Beschwerden vorgesehen.
Folgende (allgemeine) Tätigkeiten werden von der jeweiligen Verfahrensgebühr erfasst, wobei der jeweilige Verfahrensabschnitt zu berücksichtigen ist (entnommen aus Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 Rn. 40 m.w.N.):
Hingewiesen wird auch auf die Beispiele zur Grundgebühr (vgl. RVGreport 2009, 361, 362). Zusätzlich:
Der Beschuldigte wird am 19. 11. 2008 festgenommen. Am 20. 11. 2008 findet ein Haftbefehlsverkündungstermin statt, an dem sein Verteidiger teilnimmt. Der Beschuldigte wird freigelassen. Der Verteidiger macht für seine Tätigkeit die Grundgebühr Nr. 4100, 4001 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und die Gebühr Nr. 4102, 4103 VV RVG geltend. Er überlegt, ob er auch noch den Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG verdient hat.
Ob der Verteidiger auch für die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG einen Haftzuschlag nach Nr. 4105 VV RVG geltend machen kann, hängt davon ab, ob er während des Zeitraums der Inhaftierung des Mandanten eine Tätigkeit erbracht hat, die vom Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr erfasst wird. Denn entscheidend für den Haftzuschlag ist, dass der Mandant irgendwann innerhalb des Abgeltungsbereichs der jeweils geltend gemachten Gebühr nicht auf freiem Fuß gewesen ist (vgl. OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38; OLG Hamm StRR 2009, 39; AG Heilbronn StraFo 2006, 516). Damit ist entscheidend, ob am 20. 11. 2008 bereits der Abgeltungsbereich der Grundgebühr verlassen und die Verfahrensgebühr bereits entstanden war. Das ist vom KG (a.a.O.) verneint worden. Die Tätigkeit des Verteidigers am 20. 11. 2008 habe sich auf die gem. Nr. 4100, 4101 VV RVG vergütete erstmalige Einarbeitung in die Rechtssache und die unmittelbar darauf folgende Teilnahme am Haftbefehlsverkündungstermin, welcher mit der Haftverschonung und der Freilassung des Beschuldigten endete, beschränkt. Soweit ein vorbereitendes Gespräch mit dem Mandanten stattgefunden habe, sei diese anwaltliche Tätigkeit durch die gewährte Terminsgebühr mit Haftzuschlag (Nr. 4102, 4103 VV RVG) abgegolten.
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