aus RVGreport 2009, 8
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit in mehreren Strafverfahren -
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, Richter am OLG a.D., Münster/Augsburg
Fortsetzung von RVGreport 2008, 405 ff. und 444 ff.
In RVGreport 2008, 405 ff. habe ich über die vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Verbindung von mehreren Strafverfahren berichtet, in RVGreport 2008, 444 ff. über die Vergütung des RA nach der Trennung von Strafverfahren. Die nachfolgenden Ausführungen schließen daran an. Der Beitrag stellt die im Fall der Verweisung und Zurückverweisung von Verfahren entstehenden Probleme dar.
Das RVG regelt die Verweisung bzw. Abgabe in § 20 S. 1. RVG. Die Vorschrift stellt eine Ergänzung zu § 15 RVG dar, der den Begriff der Angelegenheit regelt. Nach § 20 RVG S. 1 bilden die Verfahren vor dem verweisenden bzw. abgebenden und dem übernehmenden Gericht einen Rechtszug und damit eine Angelegenheit.
Die Gebühren entstehen damit grds. nur einmal (Burhoff, RVG 2. Aufl. 2007, ABC-Teil: Verweisung/Abgabe [§ 20]. Rn. 2; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 4. Aufl. 2008, § 20 Rn. 3). Sinn ist die Vermeidung einer zu hohen (hier doppelten) Vergütung. |
Erfasst werden Verweisungen innerhalb derselben Instanz, z.B. wegen sachlicher Unzuständigkeit gem. § 270 StPO, z.B. vom AG an das LG, oder Abgaben wegen funktioneller Unzuständigkeit innerhalb des Gerichts, z.B. von einer Strafkammer an eine andere, weil diese nach der Geschäftsverteilung zuständig ist. Eine Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit scheidet im Strafverfahren aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 16 Rn. 4 m.w.N.). In den Fällen der örtlichen Unzuständigkeit muss vielmehr die Anklage beim örtlich unzuständigen Gericht zurückgenommen und beim zuständigen Gericht neu erhoben werden. Es handelt sich dann aber nicht um zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten, da im Ergebnis doch nur einen Verweisung vorliegt. Hinzu kommt, dass das Verfahren in derselben Instanz anhängig bleibt (vgl. wegen der Einzelh. Burhoff, RVG, ABC-Teil: Verweisung/Abgabe [§ 20], Rn. 15).
§ 20 S. 2 RVG regelt die Verweisung bzw. Abgabe durch ein Gericht der Rechtsmittelinstanz an ein Gericht der Vorinstanz mit der Rechtsfolge, dass das weitere Verfahren einen neuen Rechtszug darstellt. In diesem entstehen die Gebühren also noch einmal (vgl. das Beispiel 4).
§ 20 RVG gilt auch in Bußgeldsachen. Er findet aber keine Anwendung bei Abgabe von einer Verwaltungsbehörde an eine andere, da die Vorschrift schon vom Wortlaut her nur das gerichtliche Verfahren betrifft. Vor der Verwaltungsbehörde ist die Frage entscheidend, ob die Angelegenheit vor und nach der Abgabe dieselbe ist. Dies ist im Regelfall zu bejahen.
Die Zurückverweisung ist in § 21 RVG geregelt. Die Vorschrift ergänzt § 15 Abs. 2 S. 2 RVG und grenzt den Begriff des Rechtszugs für den Fall der Zurückverweisung des Verfahrens durch das Rechtmittelgericht weiter ein.
Das Verfahren nach der Zurückverweisung wird gebührenrechtlich besonders honoriert, indem es als eigener Rechtszug behandelt wird. Dadurch soll der notwendige Mehraufwand entsprechend angemessener entlohnt werden. |
Die Vorschrift gilt auch in Bußgeldsachen. Für die Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde findet § 21 RVG allerdings schon vom Wortlaut her keine Anwendung (Burhoff, RVG, ABC-Teil: Zurückverweisung, Rn. 2). § 21 findet daher keine Anwendung, wenn die Straf- oder Bußgeldsache vom Gericht an die Staatsanwaltschaft oder die Bußgeldbehörde zurückgegeben wird (z.B. nach § 69 Abs. 5 OWiG). Die entstandene Mehrarbeit ist über § 14 Abs. 1 RVG zu honorieren.
Unter Zurückverweisung ist eine den Rechtsmittelzug beendende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu verstehen, die einem in dem Instanzenzug untergeordneten Gericht die abschließende Entscheidung überlässt. Der Begriff der Zurückverweisung muss nicht zwingend gebraucht werden (so zuletzt OLG Koblenz JurBüro 1997, 642; Burhoff, RVG, ABC-Teil: Zurückverweisung [§21 ], Rn. 3 f.). Die Sache muss durch ein Rechtsmittel gegen eine Endentscheidung des zuvor mit der Sache befassten Gerichts in die Rechtsmittelinstanz gelangt sein; also durch Berufung, (Sprung-)Revision, Beschwerde oder Rechtsbeschwerde. Bei Beschwerden gilt dies nur, wenn durch die Beschwerde auch die Hauptsache an das Rechtsmittelgericht gelangt ist. Um eine Zurückverweisung i.S.d. § 21 handelt es sich nicht, wenn sich das Rechtsmittel nur gegen eine Zwischenentscheidung gerichtet hat (Burhoff, a.a.O., m.w. Beispielen).
Beispiel 1: RA R verteidigt den Angeklagten vor dem AG. Er beantragt seine Beiordnung als Pflichtverteidiger, die abgelehnt wird. Das AG vertagt die Hauptverhandlung. R legt gegen den Ablehnungsbeschluss Beschwerde ein. Er wird vom LG als Pflichtverteidiger beigeordnet. Das LG gibt die Sache an das AG zurück. Vor diesem wird dann weiterverhandelt. Lösung Die Beschwerde des R richtet sich gegen eine Zwischenentscheidung. Es liegt daher keine Zurückverweisung i.S.d. § 21 Abs. 1 vor. Seine Tätigkeit im Beschwerdeverfahren muss i.Ü. über § 14 Abs. 1 RVG honoriert werden. |
Die Verfahren vor dem verweisenden bzw. abgebenden und dem übernehmenden Gericht bilden eine gebührenrechtliche Angelegenheit, die Gebühren entstehen also nur einmal. Falls aufgrund der Verweisung/Abgabe unterschiedlich hohe Betragsrahmen Anwendung finden, war unter Geltung der BRAGO streitig, nach welchem Rahmen sich die Gebühren richten (vgl. dazu die Nachw. bei AnwKomm-RVG/N. Schneider, § 20 Rn. 19). Für die Anwendung des RVG gilt: Der Betragsrahmen der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG knüpft nicht mehr an die Ordnung des Gerichts an (vgl. Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV RVG Rn. 24 und Nr. 4104 VV RVG Rn. 19). Die Verweisung hat auf diese Gebühren daher auf keinen Fall mehr Auswirkungen. Die gerichtliche Verfahrensgebühr richtet sich nach dem Rahmen des höchsten mit der Sache befassten Gerichts. Die gerichtliche Terminsgebühr knüpft ebenfalls daran an, vor welchem Gericht verhandelt worden ist (vgl. Beispiele 1 und 2).
Im Fall der Zurückverweisung i.S.v. § 21 Abs. 1 RVG gilt das nachfolgende Verfahren als neuer Rechtszug und damit nach § 15 Abs. 2 S. 2 RVG als eigene Angelegenheit. Demnach verdient der RA die Gebühren im nachfolgenden Verfahren gesondert und ggf. zusätzlich zu den Gebühren, die bereits im vorhergehenden Verfahren entstanden sind (OLG Düsseldorf StV 1993, 653; gl. das Beispiel 6). Das gilt auch für die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG (vgl. LG Dresden, Beschl. v. 30. 1. 2006 - 4 KLs 116/Js 32004/03
Nachfolgend soll die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit im Fall der Verweisung bzw. Zurückverweisung von Verfahren anhand von Beispielsfällen dargestellt werden. Dabei wird bei den Wahlanwaltsgebühren grds. jeweils von der sog. Mittelgebühr (§ 14 RVG) ausgegangen. Außerdem werden nach der insoweit zutreffenden h.M. in der Literatur vorbereitendes und gerichtliches Verfahren als verschiedene Angelegenheiten angesehen (vgl. dazu Burhoff, RVG, ABC-Teil: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 17 ff. m.w.N. aus der Rspr. auch zur a.A.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG; 18. Aufl. 2008, Vorb. 4.1 Rn 2 m.w.N.). |
Beispiel 2: Gegen den Beschuldigten B, der von Anfang an von RA R vertreten worden ist, ist beim Schöffengericht ein umfangreiches Verfahren wegen Verkehrsstraftaten anhängig. Dieses wird nach Anklageerhebung vom AG gem. § 225a Abs. 1 StPO der Strafkammer vorgelegt, die es übernimmt. Dort findet eine eintägige Hauptverhandlung statt. Lösung Im Fall der Verweisung/Abgabe handelt es sich um eine einheitliche Angelegenheit. Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht daher nur einmal, allerdings aus dem Rahmen des höchsten mit der Sache befassten Gerichts. Das ist das LG. Die Verweisung hat auf die bereits entstandene Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG für das vorbereitende Verfahren keinen Einfluss mehr.
Beispiel 3: Gegen den Beschuldigten B, der von Anfang an von RA R vertreten worden ist, ist beim Schöffengericht ein Verfahren wegen Vergewaltigung anhängig. Dieses wird vom AG in der Hauptverhandlung gem. § 270 Abs. 1 StPO wegen nicht ausreichender Strafgewalt an die Strafkammer verwiesen. Dort findet eine eintägige Hauptverhandlung statt. Lösung Da es sich auch nach der Verweisung nur um eine Angelegenheit handelt, entsteht auch nur eine gerichtliche Verfahrensgebühr, die allerdings aus dem landgerichtlichen Rahmen, das das LG das höchste mit der Sache befasste Gericht ist. Der erste Hauptverhandlungstermin hat beim AG stattgefunden, daher entsteht dafür die gebühr Nr. 4108 VV RVG, für die zweite Hauptverhandlung beim LG entsteht die Gebühr Nr. 4114 VV RVG.
Beispiel : Gegen den Beschuldigten B ist ein Strafverfahren wegen Vergewaltigung anhängig. Dieses wird bei der Strafkammer angeklagt. Diese eröffnet aber gem. § 209 Abs. 1 StPO beim AG. Dort findet eine eintägige Hauptverhandlung statt. B ist von Anfang an von RA R vertreten worden. Lösung Es handelt sich um eine einheitliche Angelegenheit. Deshalb entsteht nur eine Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren, die aber aus dem Rahmen des höchsten mit der Sache befassten Gericht. Das ist der landgerichtliche Rahmen. Die Verweisung an das AG hat darauf keinen Einfluss. Die Terminsgebühr für die Hauptverhandlung entsteht dann aber nur nach Nr. 4108 VV RVG, da nur eine Hauptverhandlung beim AG statt gefunden hat.
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Am Betragsrahmen einmal entstandener Gebühren ändert sich nichts, wenn sich der Betragsrahmen durch die Verweisung/Abgabe reduziert. Die danach neu entstehenden Gebühren richten sich allerdings nach dem geringeren Betragsrahmen (Burhoff, RVG, Verweisung/Abgabe [§ 20]: Rn. 11, 13; s. auch AnwKomm-RVG/ N.Schneider, § 20 Rn. 19 ff.). |
(Verweisung/Abgabe an ein Gericht des niedrigeren Rechtszugs (§ 20 S. 2 RVG)
Beispiel 4: Gegen den Angeklagten A, der von Anfang an von RA R vertreten worden ist, wird wegen sexueller Nötigung/Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB bei der Strafkammer Anklage erhoben. A wird nach eine eintägigen Hauptverhandlung verurteilt. Er legt Revision ein. Der BGH hebt das Urteil auf und verweist gem. § 354 Abs. 3 StPO die Sache an das zuständige AG zurück, weil er nur von einer Beleidigung ausgeht. Dort findet noch eine eintägige Hauptverhandlung statt. Lösung: Einschlägig ist in diesem Fall § 20 S. 2 RVG, der die Verweisung bzw. Abgabe an ein Gericht des niedrigeren Rechtszugs regelt. Das weitere Verfahren vor diesem ist danach ein neuer Rechtszug, in dem jetzt die erstinstanzlichen Gebühren noch einmal entstehen, und zwar nach Nrn. 4106 ff. VV). |
Für den RA, der den Angeklagten aber bereits vor der Revisionsentscheidung vertreten hat, entsteht nicht noch einmal eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, da sich der RA in den Rechtsfall bereits eingearbeitet hat. |
Beispiel 6 Der Angeklagte A, der von Anfang an von RA R vertreten wird, wird wegen Diebstahls beim Schöffengericht angeklagt. Dort findet eine eintägige Hauptverhandlung statt. Nach seiner Verurteilung legt A Revision ein. Diese hat Erfolg. Das OLG hebt das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und verweist die Sache an das AG zurück. Dort wird an einem weiteren Tag erneut die Hauptverhandlung durchgeführt. Lösung: Nach Zurückverweisung gilt nach § 21 Abs. 1 RVG das nachfolgende Verfahren als neuer Rechtszug und damit nach § 15 Abs. 2 S. 2 RVG als eigene Angelegenheit. Demnach verdient der RA die Gebühren im nachfolgenden Verfahren gesondert und ggf. zusätzlich zu den Gebühren, die bereits im vorhergehenden Verfahren entstanden sind Es entstehen aber nur die Gebühren für das gerichtliche Verfahren ggf. noch einmal. Die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG entsteht nicht erneut. Dieser Verfahrensabschnitt ist bereits beendet. Bei der Bemessung der gerichtlichen Verfahrensgebühr kann nach Zurückverweisung über § 14 Abs. 1 VV RVG ggf. berücksichtigt werden, dass dem Rechtsanwalt das Verfahren bereits bekannt ist (Burhoff, RVG, ABC-Teil: Zurückverweisung [§ 20], Rn. 20 a.E.; vgl. auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, § 21 Rn. 67). Auch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG entsteht im Verfahren nach Zurückverweisung ebenfalls nicht noch einmal (KG RVGreport 2005, 343 = AGS 2005, 449). Sie entsteht nur für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall (vgl. Nr. 4100 VV RVG Rn. 20).). Etwas anderes gilt allerdings, wenn der nach Zurückverweisung einen RA beauftragt, der ihn bisher noch nicht vertreten hat. Dieser kann dann die Grundgebühr der Nr. 4100 VV verlangen. Diese ist personen- und nicht verfahrensbezogen (vgl. Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV RVG Rn. 12 f.).
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