(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Inhaltsverzeichnis
I. Bekomme ich meine Tätigkeiten in Beschwerde- und sonstigen Verfahren gesondert vergütet?
II. Kann die Grundgebühr mehrfach entstehen?
IV. Kann die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG mehrfach entstehen?
V. Kann die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG für den Nebenklägervertreter entstehen?
VII. Wie wird in Straßenverkehrssachen ein Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist abgerechnet?
X. Entsteht für die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV RVG auch Umsatzsteuer?
Einige Fragen machen in der Praxis auch mehr als sechs Jahre nach Inkrafttreten des RVG am 1. 7. 2004 immer noch Schwierigkeiten. Das zeigt sich insbesondere daran, dass auf Seminaren, in meinem gebührenrechtlichen Forum auf www.burhoff.de, im Forum bei LexisNexis®Strafrecht aber auch in konkreten Einzelanfragen bestimmte Problemstellungen immer wieder eine Rolle spielen und nach deren Lösungen gefragt wird. Die nachfolgenden Ausführungen stellen einige der häufigsten Fragestellungen zusammen.
In der Praxis von erheblicher Bedeutung ist die Frage, wie in Straf- und Bußgeldverfahren die Tätigkeit des Verteidigers in Beschwerdeverfahren, wie z.B. bei Haftbeschwerden oder § 111a StPO-Beschwerden, oder in sonstigen (Neben)Verfahren, wie z.B. im Wiedereinsetzungsverfahren oder Anträge auf gerichtliche Entscheidungen (§ 62 OWiG) abgerechnet werden. Sie stellt sich meist dann, wenn der Beschuldigte/Betroffene in einem solchen Verfahren mit seinem Rechtsmittel Erfolg hatte. Häufig beginnt dann die Suche nach einer Vorschrift im VV RVG, über die diese Tätigkeiten abgerechnet werden können.
Dazu ist für das Strafverfahren folgende Antwort zu geben: Diese Beschwerdeverfahren können im Strafverfahren nicht besonders abgerechnet werden. Eine besondere Verfahrensgebühr ist für Beschwerden in den Teilen 4 und 5 VV RVG - anders als in Teil 3 VV RVG in Nr. 3500 VV RVG - nicht vorgesehen. Das bedeutet, dass im Strafverfahren die in Zusammenhang mit einem Beschwerdeverfahren erbrachten Tätigkeiten grds. von der jeweiligen Verfahrensgebühr erfasst werden und dafür eine besondere Gebühr nicht anfällt (AG Sinzig JurBüro 2008, 249; zu allem auch Burhoff/Volpert, RVG in Straf- und Bußgeldverfahren, 2. Aufl., ABC-Teil: Beschwerdeverfahren in Straf- und Bußgeldsachen, S. 122 ff.; Burhoff RVGreport 2009, 443). Das gilt insbesondere für Haftbeschwerden und/oder Beschwerden gegen § 111a StPO-Maßnahmen. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten muss der Verteidiger innerhalb des Gebührenrahmens der jeweiligen Verfahrensgebühr über § 14 RVG gebührenerhöhend anzuführen.
Entsprechendes gilt für sonstige Anträge und Nebenverfahren. Auch die in diesen Verfahren erbrachten Tätigkeiten werden grds. durch die jeweilige Verfahrensgebühr abgegolten (vgl. Burhoff, a.a.O.; Vorbem. 4 VV RVG Rn. 40, Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., Vorb. 4 VV RVG Rn. 12 m.w.N.).
Ausnahmen gelten nach Vorbem. 4.2 VV RVG für den Bereich der Strafvollstreckung (s. unten unter VI) , nach Nr. 4140 VV RVG für das Wiederaufnahmeverfahren und nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Dort sind besondere Gebühren für Beschwerden vorgesehen.
Enthält die Beschwerdeentscheidung eine Kosten- und Auslagenentscheidung zu Lasten der Staatskasse, stellt sich die Frage, ob und wie ggf. ihr gegenüber Anwaltskosten geltend gemacht werden können. Insoweit ist dann die sog. Differenztheorie anwendbar (vgl. dazu Burhoff/Volpert, a.a.O.; ABC-Teil: Kostenfestsetzung in Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 71; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 465 Rn. 8 f.). Das bedeutet folgendes:
Häufig handelt es sich hier dann aber nur um ganz geringe Beträge, bei denen sich die Frage stellt, ob es sich aus wirtschaftlichen Gründen überhaupt lohnt, diese in einem aufwändigen Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machen. Exemplarisch ist da z.B. eine Entscheidung des LG Detmold StRR 2008, 243 LS = VRR 2008, 243 LS. Dieses hat in einem erfolgreichen § 111a StPO-Verfahren für die Tätigkeiten in diesem Verfahren das Überschreiten der Mittelgebühr der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG um 10 % als angemessen angesehen. Zugesprochen worden ist also eine Erhöhung um 14 .
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mehrfach entstehen kann. Diese Problematik ergibt sich insbesondere in den Fällen eines Pflichtverteidigerwechsels oder, wenn für einen zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verhinderten Pflichtverteidiger ein sog. Terminsvertreter tätig geworden ist. In den Fällen haben die Pflichtverteidiger häufig mit dem Einwand der Staatskasse zu kämpfen, dass die geltend gemachte Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG nicht entstanden sei. Diese habe bereits der zunächst als Pflichtverteidiger beigeordnete RA verdient bzw. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG sei bereits in der Person des vertretenen Pflichtverteidigers entstanden und könne daher für den Terminsvertreter nicht noch einmal entstehen. Dem ist entgegenzuhalten:
In den Fällen des Pflichtverteidigerwechsels ist darauf hinzuweisen, dass der neue Pflichtverteidiger einen eigenen Gebührenanspruch hat, der unabhängig ist von dem des zunächst beistellten RA. Das gilt auch für die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Sie entsteht in der Person jedes im Verfahren tätigen Verteidigers jeweils neu. Die Grundgebühr ist nur personenbezogenen einmalig, nicht etwa verfahrensbezogen, s. Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV RVG Rn. 12 m.w.N. aus der Rechtsprechung zur teilweise a.A., die allerdings den sog. Terminsvertreter betreffen; vgl. zur Grundgebühr Burhoff RVGreport 2009, 361).
Entsprechendes gilt m.E. in den Fällen des sog. Terminsvertreters. Insoweit besteht allerdings in der Rechtsprechung Streit, ob dieser neben der Terminsgebühr für die Teilnahme an der Hauptverhandlung auch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG geltend machen kann.
Die letztere Auffassung ist zutreffend. Der Terminsvertreter ist voller Verteidiger mit eigenen Rechten und Pflichten; dieser Stellung würde man nicht gerecht, wenn man ihn nicht auch gebührenrechtlich so behandeln würde (vgl. dazu überzeugend zuletzt OLG Köln, a.a.O.). Dem steht nicht entgegen, dass für den vertretenen Pflichtverteidiger die Grundgebühr für die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin nicht mehr entstehen würde (so aber KG, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.). Die Grundgebühr ist zwar einmalig, aber eben nur personenbezogen gilt. Im Verfahren kann die Grundgebühr hingegen häufiger entstehen, und zwar so oft, wie sich Verteidiger in den Rechtsfall einarbeiten (müssen).
Die Anwendung des Haftzuschlages nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG macht in der Praxis immer noch Probleme. Diese ergeben sich einmal hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen der Mandant nicht auf freien Fuß i.S. der Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG ist (vgl. dazu zuletzt Burhoff RVG professionell 2010, 77; s. auch noch Burhoff StRR 2007, 54), zum anderen vor allem aber auch dann, wenn sich der Mandant nicht während des gesamten Verfahrens in Untersuchungshaft befunden hat.
Beispiel 1:
Der Angeklagte erscheint nicht zum beim AG anberaumten Hauptverhandlungstermin. Es wird gegen ihn ein Haftbefehl erlassen. Kurz danach wird der Angeklagte festgenommen. Der Verteidiger beantragt mündliche Haftprüfung. Diese wird vom AG durchgeführt, woran der RA teilnimmt. Der Haftbefehl wird außer Vollzug gesetzt. Zum zweiten/erneut anberaumten Hauptverhandlungstermin erscheint der Angeklagte dann. Welche Gebühren sind für den Verteidiger, der den Angeklagten auch schon im vorbereitenden Verfahren verteidigt hat, mit Haftzuschlag entstanden?
Zur Lösung ist zunächst allgemein darauf hinzuweisen, dass es für das Entstehen der Gebühr mit Zuschlag unerheblich ist, wann und wie lange der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß ist, vgl. Burhoff StRR 2009, 174. Entscheidend ist, dass der Beschuldigte, in dem Verfahrensabschnitt, für den die erhöhte Betragsrahmengebühr geltend gemacht wird, irgendwann nicht auf freiem Fuß war, s. AG Heilbronn StraFo 2006, 516. Der Zuschlag zur Terminsgebühr entsteht also z.B. dann, wenn der Angeklagte erst am Ende des Hauptverhandlungstages, aber vor Beendigung des Hauptverhandlungstermins, in Haft genommen wird, so OLG Celle StRR 2009, 38 = StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = NStZ-RR 2008, 392; vgl. dazu auch OLG Hamm StRR 2009, 39 (Verkündung des Haftbefehls vor der Rechtsmittelbelehrung). Die Gebühr entsteht hingegen nicht mit Zuschlag, wenn der Beschuldigte erst nach Beendigung eines Verfahrensabschnitts in U-Haft genommen worden ist.
Zur Lösung des o.a. Beispiels 1:
Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG sind nicht mit Zuschlag entstanden sind. Denn diese Verfahrensabschnitte waren bereits erledigt, als gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt wurde. Entsprechendes gilt für die beiden Terminsgebühren Nr. 4108 VV RVG für die Hauptverhandlungstermine. Beim ersten Termin war der Beschuldigte noch nicht, beim zweiten nicht mehr in U-Haft. Mit Zuschlag entstanden ist allerdings die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG für das gerichtliche Verfahren, da der Beschuldigte sich während dieses Verfahrensabschnitts in Untersuchungshaft befunden hat. Es ist unerheblich, dass er erst während des Verfahrensabschnitts in Untersuchungshaft gekommen ist, da der Beschuldigte nicht bei Entstehen der Gebühr nicht auf freiem Fuß sein muss, KG RVG professionell 2007, 41. Unerheblich ist auch, dass der Beschuldigte noch vor Beendigung des Verfahrensabschnitts wieder auf freien Fuß gekommen ist. Ausreichend für das Entstehen des Zuschlags ist es, dass er irgendwann nicht auf freiem Fuß war, AG Heilbronn StraFo 2006, 516. Mit Zuschlag entstanden ist schließlich auch die Terminsgebühr für die Teilnahme am Haftprüfungstermin Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG. Zum Zeitpunkt dieses Termins war der Beschuldigte (naturgemäß) nicht auf freiem Fuß. Die Gebühr entsteht im Übrigen immer schon dann mit Zuschlag, wenn einer der drei Termine, die für diese Gebühr nach s. 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG zusammen gefasst werden, ein Hafttermin ist (vgl. zur Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG eingehend Burhoff RVGreport 2010, ).
Von Bedeutung ist häufig auch, ob eigentlich die zusätzliche Gebühr, häufig auch als Befriedungsgebühr bezeichnet, mehrfach entstehen kann. Das ist dann der Fall, wenn mehrfach eingestellt wird.
Beispiel 2:
Zunächst wird das (vorbereitende) Verfahren wegen fehlenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Staatsanwaltschaft nimmt dann wieder die Ermittlungen auf und erhebt Anklage. Wird dann im gerichtlichen Verfahren das Verfahren nach § 153 StPO (erneut) eingestellt, will der Verteidiger ggf. sowohl für die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO als auch für die Einstellung nach § 153 StPO eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG geltend machen.
Zur Lösung dieser Problematik liegt bereits Rechtsprechung vor. U.a. das AG Düsseldorf RVGreport 2010, 301 = RVG professionell 2010, 82 = AGS 2010, 224 m. zust. Anm. N.Schneider = VRR 2010, 279 hat vor kurzem in einem vergleichbaren Fall die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG zweimal gewährt (vgl. auch noch LG Offenburg JurBüro 1999, 82; AG Osnabrück AGS 2009, 113 m. zust. Anm. N.Schneider), da ein mehrfacher Anfall dieser Gebühr möglich sei. Dabei muss man sich dann auf den Standpunkt stellen, dass vorbereitendes und gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind: Denn sonst greift § 15 Abs. 2 S. 2 RVG ein (wegen der Einzelheiten siehe die Anm. zu AG Düsseldorf RVGreport 2010, 302).
Gefragt wird auch immer wieder danach, ob die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG auch für den Nebenklägervertreter entstehen kann. Diese Problematik ergibt sich z.B. dann, wenn der RA als Vertreter oder Beistand eines (potenziellen) Nebenklägers tätig geworden und aufgrund dieser Tätigkeit das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt worden ist.
Beispiel 3:
Der Mandant wirft dem Beschuldigten eine Beleidigung vor. Der RA zeigt im Verfahren gegen den Beschuldigten die Interessensvertretung des mutmaßlich Beleidigten an und erklärt namens und in seinem Auftrag den Anschluss als Nebenkläger (§ 395 Abs. 3 StPO). Bei Auswertung der Akten und den nachfolgenden Gesprächen mit dem Mandanten kommen ihm Zweifel, ob es der Vorwurf zutreffend ist. Der Beschuldigte offenbart sich dem RA, dass alles nicht stimme, und beauftragt diesen, die falschen Angaben der Staatsanwaltschaft zu offenbaren. Nach ausführlicher Belehrung über die strafrechtlichen Konsequenzen, insbesondere für den Beschuldigten, wird der RA in dem Sinne tätig. Das Verfahren wird dann nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
M.E. ist der Ansatz der zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG gegenüber dem Mandanten möglich. Die Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG enthält keinerlei Einschränkungen, was zur Folge hat, dass auch die Gebühr Nr. 4141 beim Beistand oder Vertreter eines Nebenklägers oder Verletzten entstehen kann.
Voraussetzung ist, dass durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich geworden ist. Insoweit werden an die anwaltliche Tätigkeit aber keine hohen Anforderungen gestellt. Welche Tätigkeit der RA erbringt, ist unerheblich. Ausreichend ist jede zur Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit, BGH RVGreport 2008, 431 = VRR 2008, 438 = = zfs 2008, 709 m. Anm. Hansens = JurBüro 2008, 639 = DAR 2009, 56 m. Anm. N.Schneider = StRR 2009, 77; LG Hamburg DAR 2008, 611 = AGS 2008, 597; LG Köln AGS 2007, 351 = StraFo 2007, 305; LG Stralsund RVGreport 2005, 272 = AGS 2005, 442. Die Tätigkeit kann auch darin liegen, wenn der Mandant über die strafrechtlichen Konsequenzen einer Falschbelastung belehrt und nach Belehrung dann die Staatsanwaltschaft über die Falschangabe informiert wird. Führt das zur Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO, hat der RA daran mitgewirkt. Der Fall ist vergleichbar dem, in dem der Verteidiger an der Rücknahme der Revision der Staatsanwaltschaft mitgewirkt hat (vgl. dazu OLG Köln RVGreport 2009, 348 = StraFo 2009, 175 = AGS 2009, 271 = StRR 2010, 40). Auch dann wird ggf. die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG gewährt.
Die Frage ist u.U. zu bejahen.
Beispiel 4:
Der RA ist Wahlanwalt des Angeklagten beim Amtsgericht. Der Angeklagte legt gegen seine Verurteilung Sprungrevision ein. Der RA begründet die Revision. Er wird dann vom OLG für die Revisionshauptverhandlung" zum Pflichtverteidiger bestellt. Es stellt sich dann nach Abschluss des Revisionsverfahrens die Frage, ob der RAt neben der Terminsgebühr nach Nr. 4132 VV RVG auch die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG als gesetzliche Gebühr geltend machen kann.
Die Antwort hängt mit dem Umfang der erfolgten Pflichtverteidigerbestellung zusammen. Der RA ist vom Revisionsgericht nach § 350 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Diese Bestellung beschränkt sich auf die Hauptverhandlung; sie deckt also nur die Tätigkeit in der Revisionshauptverhandlung ab (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 350 Rn. 7 f.) und ihre Vor- und Nachbereitung ab. Das bedeutet, dass der Verteidiger die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG, mit der u.a. die Erstellung der Revisionsbegründung honoriert wird (Burhoff, a.a.O, Nr. 4130 VV RVG Rn. 12 ff.), aufgrund der bislang vorliegenden Bestellung nicht als gesetzliche Gebühr geltend machen kann. Hier muss also ggf. eine Erweiterung der Bestellung beantragt werden, über die - nachdem die Revision bereits begründet ist und das LG die Akten dem OLG übersandt hat - der Vorsitzende des Revisionsgerichts zu entscheiden hat (vgl. BGH NStZ 1997, 48, 49; KG, Beschl. v. 14. 7. 2010 - (4) 1 Ss 150/10 (141/10) 4 Ws 77 - 78/10). In den Fällen muss der Verteidiger schnell handelt und darauf drängen/achten, dass er noch vor der Entscheidung des OLG zum Pflichtverteidiger bestellt wird, da nach h.M. der OLG nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens eine Pflichtverteidigerbestellung nicht mehr möglich ist (vgl. dazu u.a. BGH StraFo 2008, 332; KG StV 2007, 372; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl. 2010, Rn. 1328).
Ein erhebliches Defizit besteht noch in der Problematik der Nachsorge bzw. wie und nach welchen Vorschriften die dort erbrachten Tätigkeiten abgerechnet werden. Eine in Straßenverkehrssachen z.B. immer wieder gestellte Frage ist, ob und wie ein nach dem Urteil gestellter Antrag auf Sperrzeitverkürzung (§ 69a Abs. 7 StGB) dem Mandanten in Rechnung gestellt werden kann. Besonders problematisch wird die Abrechnung offenbar, wenn insoweit auch noch ein Beschwerdeverfahren durchgeführt worden ist. Manche Verteidiger haben dann die Idee, für den Antrag auf Sperrzeitverkürzung die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG anzusetzen und für die sofortige Beschwerde die Verfahrensgebühr Nr. 4302 VV RVG.
Diese Abrechnung wäre eindeutig falsch. Der Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist nach § 69a Abs. 7 StGB hat nichts mit den in Nr. 4142 VV RVG geregelten Fällen, wie Einziehung und Verfall - zu tun (vgl. zu Nr. 4142 VV RVG Burhoff RVGreport 2006, 429 und RVG professionell 2009, 65 ). Und die sofortige Beschwerde ist auch keine Einzeltätigkeit i.S. von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG. Der RA war in den Fällen i.d.R. offensichtlich als Verteidiger tätig, so dass die Subsidiaritätsklausel der Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG eingreift.
Abgerechnet werden muss vielmehr nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG ab, da es sich um Tätigkeit im Rahmen der Strafvollstreckung handelt (vgl. dazu Burhoff/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.2 VV RVG Rn. 3 ff.).
Immer wieder wird von Pflichtverteidiger beklagt, dass Vergütungfestsetzungsverfahren zu lange dauern. Dieser Vorwurf gegen die Staatskasse ist sicherlich in manchen Fällen nicht von der Hand zu weisen; ob die lange Dauer der Verfahren damit zu tun hat, dass anders als im Zivilverfahren eine Verzinsung nicht erfolgt in § 55 Abs. 5 S. 1 RVG wird nicht auch auf § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO verwiesen soll dahinstehen. Berichtet wird auch darüber, dass häufig dem vor endgültiger Beendigung aus dem Verfahren ausgeschiedenen Pflichtverteidiger mit geteilt wird, dass er auf die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen bis zur Verfahrensbeendigung warten müssen, da die Akten unabkömmlich seien. Die Frage wird in Zukunft m.E. an Brisanz zunehmen, wenn dem Beschuldigten ggf. über den neuen § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vom Ermittlungsrichter ein (nicht gewünschter) Pflichtverteidiger bestellt worden ist, der dann später entpflichtet wird. Frage für diesen: Muss er tatsächlich bis zum Abschluss auf die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren waren?
Die Antwort lautet m.E. eindeutig: Nein. Vielmehr sind die gesetzlichen Gebühren für ihn ggf. auch schon vorher festzusetzen. Voraussetzung für die Festsetzung ist die Fälligkeit der Vergütung (vgl. Burhoff/Volpert, a.a.O, Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, Rn. 23). Fällig ist die Pflichtverteidigervergütung u.a. aber bei Aufhebung der Bestellung (vgl. zur Fälligkeit § 8 RVG; dazu Burhoff, a.a.O., ABC-Teil: Fälligkeit der Vergütung, Rn. 6; Gerold/Schmidt/Mayer, § 8 RVG Rn. 10, AnwKomm-RVG/N.Schneider, § 8 Rn. 23). Der Pflichtverteidiger kann somit nach einer im Laufe Verfahrens erfolgten Entpflichtung den Festsetzungsantrag sofort stellen, der auch beschieden werden muss. Dem RVG sind keine Gründe zu entnehmen, dass damit bis zum Verfahrensabschluss gewartet werden kann/darf.
2. Verfahrensweise des Pflichtverteidigers
Wie kann/sollte der der Pflichtverteidiger vorgehen, wenn die Justiz dieser Verpflichtung nach nachkommt und das damit begründet, dass die Akten unentbehrlich bzw. unabkömmlich seien.
IX. Kann die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 GKG KostVerz neben der Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht werden?
Von einigen Verteidigern bin ich auf eine vornehmlich in östlichen Bundesländern anzutreffende Unsitte hingewiesen worden. Dort wird nämlich die sog. Aktenversendungspauschale Nr. 9003 GKG KostVerz mit der Begründung nicht gewährt, dass diese neben der Postentgeldpauschale Nr. 7002 VV RVG nicht anfallen könne (s. LG Leipzig RVGreport 2009, 61 = VRR 2009, 119; LG Leipzig RVGreport 2010, 182; LG Zweibrücken, Beschl. v. 23.09.2009 Qs 12/09; AG Eilenburg RVGreport 2010, 60 = JurBüro 2010, 34 m. abl. Anm. C. Schneider = AGS 2010, 74 m. abl. Anm. N. Schneider).
Ich habe bereits in der Anm. zu LG Leipzig RVGreport 2010, 182 unter Hinweis auf N. Schneider AGS 2010, 75 ausgeführt, dass das falsch ist und die entscheidenden Gerichte von Auslagen des RA nach Teil 7 VV RVG einerseits und der Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 GKG KostVerz andererseits keine Ahnung haben. Bei der Aktenversendungspauschale, die für die durch die Versendung bei Gericht entstehenden Kosten entsteht, handelt es nämlich nicht um Auslagen, die in den Anwendungsbereich der Nr. 7002 VV RVG fallen (so auch schon OLG Düsseldorf StV 2003, 177 für § 26 BRAGO), sondern um gerichtliche Auslagen und die dem RA neben der Postentgeltauschale, die die eigenen Postentgelte des RA abgilt, zu erstatten sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.; Burhoff/Volpert, RVG; ABC-Teil: Auslagen aus der Staatskasse (§ 46 Abs. 1 und 2) Rn. 20; zur Aktenversendungspauschale Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 203 ff.).
X. Entsteht für die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV RVG auch Umsatzsteuer?
Eine Streitfrage ist es in der Vergangenheit auch gewesen, ob eine Umsatzsteuerpflicht für die an den Mandanten weiter berechnete Aktenversendungspauschale Nr. 9003 GKG KostVerz besteht. Das hatten einige Amtsgerichte verneint (AG Dessau StRR 2007, 200 = AnwBl. 2007, 239; AG Chemnitz DAR 2008, 117; AG Stuttgart AGS 2008, 337). Inzwischen bejaht die ganz h.M. in der Rechtsprechung insoweit die Umsatzsteuerpflicht, da der RA als Akteneinsicht beantragender Kostenschuldner der Versendungspauschale ist (BVerwG RVGreport 2010, 304 = zfs 2010, 467 m. Anm. Hansens; OLG Bamberg AGS 2009, 320 = StRR 2009, 243 = VRR 2009, 243 = zfs 2009, 466 m-. Anm. Hansens = StraFo 2009, 350; OLG Naumburg RVGreport 2009, 110; AG Dortmund AGS 2009, 113; AG Köthen, Beschl. v. 15. 7. 2009 - 12 II 301/07; AG Lahr AGS 2008, 264; OVG Lüneburg AGS 2010, 126 = JurBüro 2010, 305; vgl. auch noch OFD Karlsruhe, Verfügung v. 15. 8. 2007 - S 7200 - RVGreport 2007, 401).
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