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aus RVGreport 2011, 242

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D. Münster/Augsburg

Das VV sieht an vielen Stellen Gebühren mit Zuschlag vor, so z.B. in den Nrn. 4101, 4103, 4105, 4107 VV RVG usw.). Wann der Rechtsanwalt diese gegenüber der normalen Gebühr mit einem erhöhten Gebührenrahmen ausgestattete Gebühr erhält, regelt die Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG. Über das Entstehen dieses Zuschlags kommt es in der Praxis immer wieder zum Streit. Der nachfolgende Beitrag will die Anwendungsprobleme dieser Regelung darstellen (vgl. auch Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., 2007, Vorbem. 4 VV Rn. 86 ff.; Burhoff StRR 2007, 54 und RVGprofessionell 2010, 77.

I. Persönlicher Geltungsbereich

Der Zuschlag steht ggf. sowohl dem Wahlanwalt als auch dem gerichtlich beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt, also i.d.R. dem Pflichtverteidiger, zu. Für den Rechtsanwalt, der nur mit Einzeltätigkeiten beauftragt worden ist, wird ein Zuschlag hingegen nicht gewährt (vgl. Nrn. 4300 ff. VV RVG). Die Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG gilt für den Vertreter/Beistand des Nebenklägers "entsprechend". Daraus folgt, dass es in diesen Fällen nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuß befindet, sondern darauf, ob der Nebenkläger in Haft ist (so jetzt die h.M. zum RVG, wie OLG Düsseldorf RVGreport 2006, 389 = AGS 2006, 435 = JurBüro 2006, 534; OLG Hamm Rpfleger 2007, 502 = JurBüro 2007, 528; OLG Köln RVGreport 2010, 146 = AGS 2010, 72 = RVGprofessionell 2010, 39; LG Flensburg AGS 2008, 340; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., 2010, VV Vorb. 4 Rn. 45; a.A. zur BRAGO OLG Düsseldorf, NStZ 1997, 605 = AGS 1999, 135; AnwKomm-RVG/N. Schneider, RVG, 5. Aufl., RVG Vorb. 4 Rn. 56 f.). Befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß und entstehen dadurch für den Nebenklägervertreter Erschwernisse, so z.B. wenn die Hauptverhandlung wegen einer Erkrankung des Beschuldigten in der Justizvollzugsanstalt stattfinden muss, sind diese Erschwernisse ggf. bei der Terminsgebühr über § 14 RVG erhöhend zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG genannten anderen Verfahrensbeteiligten. Entscheidend ist also für das Entstehen des Zuschlags, dass sich der Mandant des Rechtsanwalts nicht auf freiem Fuß befindet.

II. Sachlicher Geltungsbereich

1. Allgemeines

Gebühren mit Zuschlag können in allen Verfahrensabschnitten entstehen, also im vorbereitenden Verfahren (s. Nr. 4105 VV RVG) und im gerichtlichen Verfahren in jedem Rechtszug. Auch die Grundgebühr kann mit Zuschlag anfallen (vgl. Nr. 4101 VV RVG). Die Gebühr mit Zuschlag entsteht für jeden Hauptverhandlungstag (vgl. z.B. Nr. 4109 VV RVG und dazu die dortige Kommentierung bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4109 VV Rn. 1 ff.). Endet das Verfahren durch Einstellung oder anderweitig, erhält der Rechtsanwalt die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr allerdings ohne Zuschlag. Der Zuschlag fällt i.Ü. auch bei den Gebühren in der Strafvollstreckung nach den Nrn. 4200 ff. VV RVG an.

Der Zuschlag soll die Erschwernisse abgelten, die dadurch entstehen, dass sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befindet. Ob tatsächlich Erschwernisse entstanden sind oder entstehen, ist ohne Bedeutung (KG RVGreport 2007, 149; StraFo 2007, 483 = RVGreport 2007, 462 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644; AGS 2008, 32; OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 08, 392; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39 m. zust. Anm. Burhoff; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.; VV Vorb. 4 Rn. 44; Burhoff/Burhoff, RVG, Vorb. 4 VV Rn. 88; Hartung/Schons/Enders, RVG, VV Vorbem. 4 Rn. 43; unzutreffend a.A. AG Bochum, StRR 2009, 440 m. abl. Anm. Burhoff). Die Gebühr entsteht also immer dann mit Zuschlag, wenn der Beschuldigte in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt nicht auf freiem Fuß war. Das folgt schon daraus, dass die Regelung nicht mehr wie § 83 Abs. 3 BRAGO als Ermessensregelung ausgebildet ist. Diese Regelung hat zur Folge, dass der Verteidiger den Zuschlag nicht näher begründen muss.

2. Katalog der erfassten Tätigkeiten

Abgegolten werden durch einen Zuschlag u.a. die Schwierigkeiten bzw. Erschwernisse, die der Rechtsanwalt hat, um Zugang zu seinem Mandanten zu bekommen, um sich mit diesem zu besprechen, insbesondere also Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Es werden aber auch die besonderen Verfahren, die ggf. durch eine Inhaftierung ausgelöst werden, wie also z.B. Haftbeschwerden, Beschwerden bzw. Verfahren in Zusammenhang mit den Bedingungen der Untersuchungshaft usw. abgegolten. Durch den Zuschlag nicht ausgeglichen wird allerdings der Zeitaufwand, der dem Rechtsanwalt durch die Teilnahme an Haftprüfungsterminen entsteht. Der dadurch entstehende Zeitaufwand wird vielmehr durch die eigene Terminsgebühr erfasst (s. Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG). Auch die psychologische Situation des sich in Haft befindenden Mandanten ist schließlich für die Verteidigung von Bedeutung.

III. Voraussetzungen für das Entstehen des Zuschlags

1. Allgemeines

Der Rechtsanwalt verdient die erhöhte Gebühr, wenn sich der Beschuldigte/sein Mandant nicht auf freiem Fuß befindet. Weitere Voraussetzungen hat die Gebühr nicht. Der Begriff "nicht auf freiem Fuß"" ist weit auszulegen. Gemeint ist jede (behördliche) Anordnung, die den Betroffenen in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt (AG Heilbronn vom AGS 2006, 516). Diese Sinn und Zweck der Regelung erfasst aber auch die Fälle, in denen sich der Beschuldigte selbst Beschränkungen "anordnet", deren übertreten für ihn persönlich Nachteile hat, wie z.B. den Abbruch einer Therapie (vgl. unten).

Der Beschuldigte muss sich nach allgemeiner Meinung nicht in der Sache in Haft befinden, wegen der ihn der Rechtsanwalt verteidigt (unter Aufgabe seiner früheren Rspr. in JurBüro 2005, 535 jetzt auch OLG Hamm RVGreport 2010, 27 = AGS 2010, 17; s. auch OLG Düsseldorf RVGprofessionell 2011, 61; AG Bochum AGS 2009, 325 = StRR 2009, 280; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 46; AnwKomm-RVG/N.Schneider, a.a.O., VV Vorb. 449; zur BRAGO OLG Oldenburg StV 1996, 165; OLG Düsseldorf StV 1997, 422). Auch wenn er sich in anderer Sache in (Untersuchungs-)Haft befindet, entstehen beschriebenen Erschwernisse für den Rechtsanwalt, die die Anwendung der Zuschlagsgebühr rechtfertigen.

Die Voraussetzungen für den Haftzuschlag müssen nicht bei Entstehen der jeweiligen Gebühr, für die der Zuschlag bestimmt ist, vorliegen (KG RVGprofessionell 2007, 41; a.A. Hartung/Römermann/Schons, VV 4100, 4101 Rn. 16). Da der Zuschlag die durch die Inhaftierung entstehenden Erschwernisse abgelten soll, ist entscheidend, dass der Mandant in dem Zeitraum, der durch die geltend gemachte Gebühr abgegolten werden soll, inhaftiert war (vgl. KG, a.a.O.). Ob er schon bei Auftragserteilung inhaftiert war, ist unerheblich (KG, a.a.O., für die Grundgebühr, wenn das erste Informationsgespräch nicht zeitnah zur Auftragserteilung erfolgt ist). Wird der Mandant nachträglich inhaftiert, hat das auf das Entstehen des Haftzuschlags für Gebühren, die für bereits abgeschlossene Verfahrensabschnitte anfallen, keinen Einfluss (mehr) (insoweit zutreffend LG Offenburg RVGreport 2006, 350 = AGS 2006, 436 = NStZ-RR 2006, 358).

2. Nicht auf freiem Fuß

a) Haft und Unterbringung

Weshalb der Mandant nicht auf freiem Fuß ist, ist für das Entstehen der Zuschlagsgebühr unerheblich. In der Praxis am häufigsten wird die Untersuchungshaft des Beschuldigten sein. Die Vorschrift gilt jedoch – wie schon § 83 Abs. 3 BRAGO – auch dann, wenn der Beschuldigte/Mandant sich in Strafhaft, Haft nach § 230 Abs. 2 StPO (inzidenter LG Berlin, Beschl. v. 8. 11. 2010 – 524-58/09), Sicherungsverwahrung, (einstweiliger) Unterbringung, Unterbringung nach dem PsychKG, Auslieferungs- oder Abschiebehaft, Polizeigewahrsam, Unterbringung nach § 72 Abs. 4 JGG i.V.m. § 71 Abs. 2 JGG (OLG Jena StraFo 2003, 219 = AGS 2003, 313) befindet (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 45 ff.), und wohl auch, wenn Anordnungen zum Aufenthaltsort des Jugendlichen nach § 71 Abs. 1 JGG getroffen werden. Wird ein Vorführungshaftbefehl (z.B. § 230 StPO) vollstreckt, befindet sich der Angeklagte ebenso "nicht auf freiem Fuß" wie der nach  §§ 127 Abs. 1, 127b StPO vorläufig Festgenommene (KG StraFo 2006, 472 = RVGreport 2006, 310 = AGS 2006, 545; StraFo 2007, 482 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 359 = AGS 2008, 31; AGS 2008, 32; AG Tiergarten AGS 2010, 73).

b) Offener Vollzug

Der Zuschlag fällt auch dann an, wenn sich der Beschuldigte/Mandant im sog. offenen Vollzug befindet (KG RVGreport 2007, 462 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644 = StraFo 2007, 483 = AGS 2007, 619; OLG Jena AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224 [Ls.]; (inzidenter) OLG Stuttgart RVGreport 2010, 388 = AGS 2010, 429 = RVGprofessionell 2010, 169; LG und AG Aachen RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 40 = AGS 2007, 242; Burhoff StRR 2007, 54; ders., RVGprofessionell 2010, 77; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 46; AnwKomm-RVG/N.Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 46; Burhoff/Burhoff, RVG; Vorbem. 4 VV Rn. 88; unzutreffend a.A. AG Osnabrück AGS 2006, 232). Auch dann liegen nämlich grds. Erschwernisse vor, da auch dieser Mandant sich z.B. nicht ungehindert zum Verteidiger begeben kann. Der Mandant ist kein „freier Mann“. Befindet sich der Mandant im „offenen Vollzug“, sollte der Verteidiger/Rechtsanwalt ggf. auf die Rspr. des BGH hinweisen. Dieser geht in NStZ 2005, 265 f. davon aus, dass ein Freigang im Rahmen des offenen Vollzugs als Verwahrung in der Anstalt zu werten ist (ähnlich OLG Köln StraFo 2007, 345 = NStZ-RR 2007, 213 = VRR 2007, 349; vgl. auch noch BGH NStZ 2008, 91 = StraFo 2007, 471 =  StV 2007, 577).

c) Freiwillige Therapie

Der Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG soll nicht entstehen, wenn sich der Mandant einer (freiwilligen stationären) (Drogen/Alkohol)Therapie (s. z.B. § 35 BtMG) unterzieht (OLG Bamberg RVGreport 2008, 225 = StRR 2007, 283 [Ls.];  OLG Hamm StraFo 2008, 222; LG Berlin AGS 2007, 562; LG Wuppertal StraFo 2009, 532; AGS 2010, 16 = JurBüro 2009, 532 = Rpfleger 2009, 697; AG Koblenz AGS 2007, 138 = JurBüro 2007, 82; AG Neuss, Beschl. v. 25. 8. 2008, 7 Ds 30 Js 1509/07 (263/07); AG Osnabrück AGS 2008, 229; AnwKomm-RVG/N.Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 47; Hartung/Schons/Enders, a.a.O., VV Vorbem. 4 Rn. 44). Das ist m.E. nicht zutreffend (s. auch Kotz JurBüro 2010, 403), da sich der Mandant ebenfalls nicht frei bewegen kann und sich der Verteidiger/Rechtsanwalt, wenn er ihn besucht, strengen Kontrollen – wie in der JVA – unterziehen muss. Dass der Mandant die Therapie ggf. jederzeit abbrechen kann, spielt eine untergeordnete Rolle (s. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 46; Kotz, a.a.O.; a.A. AG Koblenz, AGS 2007, 138).

d) Betreutes Wohnen

Zutreffend ist es allerdings, wenn davon ausgegangen wird, der Haftzuschlag nicht anfällt, wenn ein in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter bereits dauerhaft in einem externen Pflegeheim wohnt (betreutes Wohnen) (KG RVGreport 2008, 463 = RVGprofessionell 2008, 212 = NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83 = StRR 2009, 156; OLG Stuttgart RVGreport 2010, 388 = AGS 2010, 429 = RVGprofessionell 2010, 169; LG Berlin RVGreport 2007, 463 = AGS 2007, 562 = StRR 2007, 280). Befindet sich ein Untergebrachter allerdings im Rahmen von Lockerungen (noch) in einem Übergangswohnheim, steht dem Verteidiger im Unterbringungsverfahren der Haftzuschlag zu (OLG Jena AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224 [LS).

3. Dauer der Freiheitsbeschränkung

Für das Entstehen einer Zuschlagsgebühr ist es unerheblich, wie lange der Beschuldigte/Mandant sich nicht auf freiem Fuß befunden hat (KG, RVGprofessionell 2007, 41; OLG Celle, StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = RVGreport 2009, 427; OLG Hamm, RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39; 6AG Heilbronn AGS 2006, 516; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4, Rn. 50; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 43; vgl. auch das dort das Beispiel bei Nr. 4109 VV Rn. 6). Entscheidend ist allein, dass er in dem Verfahrensabschnitt, für den die Zuschlagsgebühr entstehen soll, überhaupt irgendwann nicht auf freiem Fuß, also i.d.R. inhaftiert oder untergebracht war (KG, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.). Das ist auch der Fall, wenn der Mandant zunächst "nur" vorläufig festgenommen war, dann aber vor Erlass eines Haftbefehls wieder auf freien Fuß gesetzt wird (ähnlich AG Heilbronn, a.a.O.). Dann entsteht z.B. die jeweilige Verfahrensgebühr mit Zuschlag.

Auch ist es nicht erforderlich, dass der Mandant während des gesamten Verfahrensabschnitts, für den eine Gebühr mit Zuschlag geltend gemacht wird, nicht auf freiem Fuß gewesen ist. Wird der Mandant während des Verfahrensabschnitts aus der Haft entlassen, hat das allenfalls Einfluss auf die Höhe der mit Zuschlag entstandenen Gebühr; die Gebühr mit Zuschlag entfällt hingegen nicht nachträglich. Die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) entsteht i.Ü. auch dann mit Zuschlag, wenn die Anklage zwar ursprünglich schon erhoben war, bevor der Verteidiger für den inhaftierten Mandanten tätig wurde, dann aber zurückgenommen und nach erneuten Ermittlungen eine neue Anklage erhoben worden ist (LG Oldenburg, Beschl. v. 25.06.2008 - 5 Qs 230/08, LNR 2008, 18765). Für das Entstehen einer Terminsgebühr mit Zuschlag ist es ausreichend, wenn der Angeklagte erst am Ende des Verhandlungstages, aber vor Beendigung des Hauptverhandlungstermins, in Haft genommen wird (OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Düsseldorf RVGprofessionell2011, 1610 [vor Rechtsmittelbelehrung]; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39 [vor Rechtsmittelbelehrung]). Die Terminsgebühr entsteht auch mit Zuschlag, wenn der Haftbefehl, z.B. ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO, während der Hauptverhandlung aufgehoben wird. Entscheidend ist, dass der Mandant dann zumindest während eines Teils der Hauptverhandlung nicht auf freiem Fuß war; der einmal entstandene (Haft)Zuschlag entfällt nicht durch die Aufhebung der Haftbefehls (§ 15 Abs. 4 R VG). Die Terminsgebühr mit Zuschlag entsteht immer nur für die Termine, während derer der Angeklagte sich nicht auf freiem Fuß befunden hat (s. das Beispiel 6)

IV. Höhe des Zuschlags

Bei einer Gebühr mit Zuschlag ist die Höchstgebühr des Betragsrahmens bzw. der Festbetrag jeweils um 25 % angehoben. Der Gebührenrahmen ist also gegenüber der jeweiligen "Grundgebühr" erhöht. Die Gebühr entsteht, wenn Mandant nicht auf freiem Fuß ist, immer aus dem erhöhten Rahmen. Damit wird (unnötiger) Streit im Kostenfestsetzungsverfahren darüber vermieden, ob der Gebührenrahmen der jeweiligen Gebühr ausreichend ist oder nicht. Der Gesetzgeber ist zutreffend davon ausgegangen, dass dadurch, dass sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befindet, immer Erschwernisse entstehen, die durch den jeweiligen Zuschlag ausgeglichen werden sollen.

V. Höhe der jeweiligen Gebühr

Der Umstand der Inhaftierung oder Unterbringung wird nicht (mehr) bei der Bemessung der konkreten Gebühr innerhalb des Rahmens nach § 14 besonders berücksichtigt (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 57; Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 91). Die jeweils angemessene Gebühr mit Zuschlag ist innerhalb des jeweiligen von der Gebühr mit Zuschlag vorgegebenen Gebührenrahmens unter Anwendung der Kriterien des § 14 RVG zu finden. Grds. wird der Verteidiger auch hier von der Mittelgebühr der um den Zuschlag erhöhten Gebühr ausgehen (dürfen), wenn es sich um eine durchschnittliche Haftsache handelt. Ergeben sich aufgrund der Inhaftierung besondere Schwierigkeit oder ein höherer Umfang kann das zum Überschreiten der Mittelgebühr herangezogen werden (vgl. AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn. 57). Insoweit können die Grundsätze für die Berücksichtigung von U-Haft bei der Pauschgebühr entsprechend herangezogen werden (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, § 51 Rn. 134 m.w.N.). Beim Wahlanwalt ist auch die Länge des Zeitraums von Bedeutung, während dessen sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befunden hat. Einfluss haben dann insbesondere auch die sonstigen durch die Haft verursachten Tätigkeiten, wie Beschwerden in Zusammenhang mit der U-Haft, Anzahl der Besuche usw. Insoweit kommt es ggf. zu einer gewissen Schlechterstellung des Wahlanwalts gegenüber dem Pflichtverteidiger. Denn bei diesem kann z.B. eine nur kurze Zeit der Inhaftierung nicht gebührenmindernd berücksichtigt werden, da er Festgebühren erhält.

VI. Beispielsfälle

Beispiel 1 (nach KG RVGprofessionell 2007, 41)

Gegen den Beschuldigten ist ein Sicherungsverfahren anhängig. In diesem bestellte der Vorsitzende der Strafkammer den Rechtsanwalt am 24. 9. 2005 zum Pflichtverteidiger. Der Rechtsanwalt nahm am 6. 10. 2005 Akteneinsicht. Nachdem der Beschuldigte aufgrund eines Unterbringungsbefehls der Strafkammer vom 31. 10. 2005 am 28. 11. 2005 festgenommen und anschließend im Maßregelvollzug einstweilig untergebracht worden war, suchte ihn der Rechtsanwalt dort erstmals am 13. 12. 2005 auf, um ein erstes Informationsgespräch mit dem Beschuldigten zu führen.

Die Grundgebühr Nr. 4100 VV ist mit Haftzuschlag entstanden (KG RVGprofessionell 2007, 41, auch wenn der Beschuldigte sich bei Übernahme des Mandats (noch) nicht in Haft befunden hat.

Beispiel 2

Der Angeklagte wird vom AG in Abwesenheit (§ 231 Abs. 2 StPO) verurteilt. Außerdem wird Untersuchungshaft angeordnet. Zwei Tage nach der Hauptverhandlung wird der Angeklagte verhaftet. Rechtsanwalt R, der ihn verteidigt hat, hat noch kein Rechtsmittel eingelegt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV RVG, da es sich auch nach Urteilsverkündung noch um "den ersten Rechtszug vor dem AG" handelt. Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht i.Ü. auch dann mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV RVG, wenn der Angeklagte ggf. erst am Schluss der Hauptverhandlung in Haft genommen wird (vgl. auch OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Düsseldorf RVGprofessionell 2011, 61; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39). Er ist dann (noch) im Verfahrensabschnitt "gerichtliches Verfahren" (zu dessen Dauer s. Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4106 VV Rn. 4) "nicht auf freiem Fuß" gewesen.

Beispiel 3:

Gegen den Angeklagten wird ein Strafverfahren durchgeführt. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint der Angeklagte nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO. Es wird ein neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV. Er hat sich während der Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, "nicht auf freiem Fuß" befunden. Auf die Länge des Zeitraums und darauf, ob Erschwernisse entstanden sind, kommt es nicht an (vgl. oben).

Beispiel 4:

Das AG hat die Hauptverhandlung auf drei Tage terminiert. Der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft. Nach dem ersten Hauptverhandlungstag wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Rechtsanwalt R hat an allen drei Hauptverhandlungsterminen teilgenommen.

Rechtsanwalt R stehen drei Terminsgebühren zu. Die erhöhte Gebühr nach Nr. 4109 VV RVG erhält er aber nur für den ersten Hauptverhandlungstag. Für die beiden weiteren Termine hat er jeweils nur die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG verdient.

Beispiel 5

Gegen den Angeklagten A wird ein Strafverfahren durchgeführt.. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint er nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO, Es wird neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt. Die Hauptverhandlung wird aufgerufen. Danach werden die Vorführungsbeamten entlassen.

Der Verteidiger des A erhält die Terminsgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4109 VV RVG. Der A hat sich während der gesamten Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, "nicht auf freiem Fuß" befunden. Dieser Zeitraum hat über den "Aufruf der Sache" hinaus angedauert.

Beispiel 6

Gegen den Angeklagten ist ein umfangreiches Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz anhängig. A ist (zunächst) auf freiem Fuß. Es findet dann beim LG an zwei Tagen die Hauptverhandlung statt. Am Ende des zweiten Hauptverhandlungstages beantragt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer eine fünfjährige Freiheitsstrafe und beantragt den Erlass eines Haftbefehls. Der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Das Gericht berät und beschließt, das Urteil erst am nächsten Tag zu verkünden. Es erlässt Haftbefehl gegen den Angeklagten. Der wird noch im Sitzungssaal festgenommen. Am nächsten Tag wird in einem dritten Hauptverhandlungstermin das Urteil gegen den Angeklagten verkündet. Welche Gebühren sind mit Zuschlag entstanden?

Für das Entstehen des Haftzuschlags gilt.

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat,

Verfahrensgebühr
vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG:

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat,

Verfahrensgebühr
gerichtliches Verfahren Nr. 4112 VV RVG

mit Zuschlag, da der Angeklagte noch während des gerichtlichen Verfahrens in Haft genommen worden ist,

Terminsgebühr
1. Hauptverhandlungstermin Nr. 4114 VV RVG

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins nicht in Haft befunden hat

Terminsgebühr
2. Hauptverhandlungstermin Nr. 4114 VV RVG oder Nr. 4115 VV RVG

ggf. mit Zuschlag; es kommt darauf an, ob der Angeklagte noch vor der Schließung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden in Haft genommen worden ist (vgl. dazu u.a. zuletzt OLG Düsseldorf, RVGprofessionell2011, 61),

Terminsgebühr
3. Hauptverhandlungstermin Nr. 4115 VV RVG:

mit Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins in Haft befunden hat.


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