aus RVGreport 2011, 446
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg
Einige Fragen werden auf Seminaren, in meinem gebührenrechtlichen Forum auf www.burhoff.de, im Forum bei HeymannsStrafrecht, im Rechtspflegerforum (www.rechtspflegerforum.de) aber auch in an mich gerichteten Einzelanfragen immer wieder gestellt. Über diese und ähnliche Fragen habe ich bereits in RVGreport 2010, 362 berichtet. Die nachfolgenden Ausführungen knüpfen daran an und stellen weitere wichtigste Fragen und Antworten, die die Praxis offenbar bewegen, vor.
Ein Kollege hat folgenden Sachverhalt zur Diskussion gestellt: Die Staatsanwaltschaft erhebt am 28. 3. 2011 Anklage an das Schöffengericht wegen §§ 255, 249, 224 Abs. 1 22,23 52 StGB. Diese wird zurückgenommen und erneut Anklage, nun aber zur Strafkammer, erhoben. In einem weiteren Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft bereits am 24. 3. 2011 Anklage gegen den Mandanten wegen § 263, 267, 52 StGB an das Amtsgericht Strafrichter erhoben. Die Übernahme dieses Verfahrens durch das Schöffengericht mit Antrag auf Verbindung beider Verfahren war abgelehnt worden. Dieselbe Anklage wird nun am 25. 5. 2011 von der StA an die Strafkammer beim LG versandt mit dem Antrag beide nun dort anhängigen Verfahren zu verbinden. Der Kollege war der Ansicht, dass in beiden Verfahren die Gebühren nach 4106 und 4112 VV RVG nebeneinander entstanden sind.
Die Antwort lautet: Das ist nicht zutreffend. Der Ansatz sowohl der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG als auch der Nr. 4112 VV RVG ist nicht möglich. Es handelt es jeweils auch nach Rücknahme der Anklagen beim AG um dieselben Angelegenheiten, so dass § 15 Abs. 2 S. 1 RVG gilt und die Verfahrensgebühr nur jeweils einmal geltend gemacht werden kann, s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Angelegenheiten (§§ 15 ff.), Rn. 76 unter Hinweis auf eine ähnliche Fallgestaltung bei OLG Köln AGS 2010 175 = JurBüro 2010, 362. Die Verfahrensgebühr entsteht aber jeweils aus dem Rahmen der Nr. 4112 VV RVG, vgl. dazu LG Bad Kreuznach RVGreport 2011, 226 = StRR 2011, 282.
Folgende Fall: Der Rechtsanwalt vertritt als Nebenklägerbeistand in zwei Strafverfahren die Tatopfer. In den Verfahren wird jeweils ein Adhäsionsantrag gestellt. Beide Verfahren platzen, noch bevor über die Anträge entschieden wurde, da in dem einen Verfahren noch ein Sachverständigengutachten zur Frage des § 66 StGB eingeholt werden musste und in dem anderen Verfahren sich das Gericht mit der Terminsplanung verschätzt hatte. In beiden Verfahren haben dann nach Aussetzung neue Hauptverhandlungstermine stattgefunden. Dort hat der Rechtsanwalt jeweils wieder einen Adhäsionsantrag gestellt. Den Anträgen ist stattgegeben worden. Für der Rechtsanwalt stellt sich die Frage, ob die Gebühren für die Adhäsionsverfahren doppelt anfallen?
Der Rechtsanwalt kann die Gebühren nach der Nr. 4143 VV RVG jeweils nur einmal geltend machen. Auch nach dem Neubeginn der Hauptverhandlungen handelt es sich noch um dieselbe Angelegenheit i.S. von § 15 Abs. 2 S. 1 RVG, so dass die Gebühren nur einmal entstehen. Der Rechtsanwalt erhält ja auch ebenso wie der Verteidiger für das gerichtliche Verfahren nur jeweils einmal die gerichtliche Verfahrensgebühr. Nur die Terminsgebühren für die Teilnahme an den neuen Hauptverhandlungsterminen entstehen erneut.
Eine große Rolle spielen immer wieder die mit der sog. Erstreckung nach § 48 Abs. 5 StPO zusammenhängenden Fragen, wobei insbesondere die in Zusammenhang mit einer Verbindung von Verfahren auftretenden Probleme in der Praxis von Bedeutung sind (zur Erstreckung s. die Kommentierung bei Burhoff/Burhoff, RVG, § 48 Abs. 5). Eine etwas außergewöhnliche Konstellation ergibt sich aus folgendem Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigte das Verfahren A, das aus mehreren bereits verbundenen Verfahren besteht. In dem Verfahren bestellt sich der Rechtsanwalt zum Verteidiger, nimmt Akteneinsicht und beantragt, die Beiordnung als Pflichtverteidiger schon während des Vorverfahrens. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird er durch das Gericht bestellt. Parallel dazu laufen die Verfahren B und C. In jedem Verfahren bestellt sich der Revision gesondert zum Verteidiger, nimmt Akteneinsicht und stellt ebenfalls Antrag auf Beiordnung schon während des Vorverfahrens. Diese Anträge werden seitens der Staatsanwaltschaft nicht mehr an das Gericht übermittelt. Vielmehr erfolgt nach Akteneinsicht die Verbindung der Verfahren B und C mit Verfahren A, wobei Verfahren A führend ist. Dann wird Anklage erhoben. Es stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt auch die in den Verfahren B und C entstandenen Gebühren ohne weiteres als gesetzliche Gebühren wird abrechnen können oder ob nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG erstreckt werden muss.
Die Antwort lautet: Ja. Es handelt sich um den klassischen Fall der Erstreckung nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG. Der Rechtsanwalt ist in einem Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet. Zu diesem Verfahren werden andere Verfahren hinzuverbunden, in den der Rechtsanwalt als Wahlanwalt Tätigkeiten erbracht hat, eine Pflichtverteidigerbestellung aber nicht erfolgt ist. Insoweit können die für die erbrachten Tätigkeiten anfallenden gesetzlichen Gebühren nur geltend gemacht werden, wenn die Erstreckung nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG erfolgt ist. Diese kann auch noch nachträglich erfolgen. Der Rechtsanwalt muss sie im Beispielsfall nun beim Gericht beantragen. Insoweit ist der Wortlaut des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG eindeutig.
Zu unterscheiden ist der Fall davon, dass die Staatsanwaltschaft die Verfahren zunächst alle verbindet und dann die Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger erfolgt. Bei der Konstellation sieht die h.M. einen Erstreckungsantrag als nicht erforderlich an, vgl. KG RVGreport 2010, 64 = JurBüro 2009, 531 = NStZ-RR 2009, 360 [Ls.]; OLG Hamm RVGreport 2005, 273 = AGS 2005, 437 = JurBüro 2005, 532; OLG Jena, Beschl. v. 17. 3. 2008 - 1 AR (S) 3/08; Rpfleger 2009, 171 = = StRR 2009, 43; LG Aurich RVGreport 2011, 221 = StRR 2011, 244; LG Bonn, Beschl. v. 30. 8. 2006 - 37 Qs 22/06, www.burhoff.de; LG Dortmund StraFo 2006, 358). A.A. ist insoweit inzwischen das OLG Oldenburg RVGreport 2011, 220 = RVGprofessionell 2011, 104 (vgl. ähnlich OLG Celle. Beschl. v. 2. 2. 2007 - 1 Ws 575/06; OLG Rostock StRR 2009, 279 = RVGreport 2009, 304 = RVGprofessionell 2009, 155. In dem Zusammenhang kann dem Verteidiger nur empfohlen werden, auf jeden Fall auch einen Erstreckungsantrag zu stellen.
Sicherlich einer der derzeit immer noch am heftigsten umstrittenen Fragen ist die Vergütung der Tätigkeit des Zeugenbeistands, also ob sich diese nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nach Teil 4 4 Abschnitt 3 VV RVG richtet (vgl. dazu die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff RVGreport 2011, 85). Geht man der m.E. nicht zutreffenden Ansicht aus, dass Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG anwendbar ist, tauchen neue Probleme auf.
Das macht folgender Sachverhalt deutlich: Der Rechtsanwalt wird einem Zeugen gem. § 68b StPO als Beistand beigeordnet. Es findet ein erster Hauptverhandlungstermin statt, in dem der Rechtsanwalt anwesend, der Zeuge aber nicht erschienen ist. Im zweiten Hauptverhandlungstermin erscheinen Zeuge und Rechtsanwalt, der Zeuge verweigert aber Aussage. Es ergeht ein neuer Beiordnungsbeschluss. Im dritten Hauptverhandlung erscheint der Zeuge wieder nicht, der Rechtsanwalt ist anwesend. Es ergeht erneut ein Beiordnungsbeschluss. Im vierten Hauptverhandlungstermin sind der Zeuge und der Rechtsanwalt anwesend. der Zeuge sagt zur Sache aus. Legt man bei der Abrechnung der Tätigkeit des Rechtsanwalts nun Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG zugrunde, stellt sich die Frage: Wie häufig kann der Rechtsanwalt die dann geltende Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG ansetzen? Nur einmal oder mehrmals?
Lösung: Geht man von einer Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG aus und nimmt eine Einzeltätigkeit an, was m.E. falsch ist (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn. 5 ff. m.w.N.), muss man dann aber konsequent sein. Dann kann man sich m.E. nicht darauf zurückziehen, dass es sich immer um dasselbe Verfahren gehandelt hat und deshalb nur von einer Angelegenheit und damit nur von einer Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG ausgegangen werden könne. Vielmehr muss man dann mit dem Wortlaut des § 68b Abs. 2 StPO Ernst machen, auf den von den Befürwortern der Anwendung des Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG zur Begründung ihrer Ansicht abgestellt wird (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Burhoff, a.a.O.). Geht man davon aus, dass danach die Tätigkeit/Beiordnung beschränkt ist, dann muss es sich in diesen Fällen jeweils um eine gesonderte Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG handeln. Das korrespondiert zudem mit der in der Literatur vertretenen Auffassung, die für die Dauer einer Beiordnung nach § 68b Abs. 2 StPO davon ausgeht, dass diese immer nur bis zur Entlassung des Zeugen dauert (vgl. Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 5. Aufl., 2007, Rn. 1079g; KK-Senge, StPO, § 68n Rn. 4). Das bedeutet, dass in den Fällen dann die Gebühr mehrfach entsteht, und zwar, da es sich jeweils um eine neue/andere Angelegenheit handelt, jeweils auch mit Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG.
Mit einer quasirevisionsrechtlichen Fragestellung befasst sich folgender Fall: Der BGH hebt ein Urteil im Gesamtstrafenausspruch auf. Das Verfahren wird zurückverwiesen, und zwar unter Verweisung auf das Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO. Das Landgericht bildet einen neue Gesamtstrafe. Gegen diesen Gesamtstrafenbeschluss wird sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG verwirft die sofortige Beschwerde als unbegründet. Frage: Welche Gebühren?
Lösung: Nach Zurückverweisung können alle Gebühren neu entstehen (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Zurückverweisung § 21], Rn. 1687 ff.). Ds bedeutet, dass auf jeden Fall die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG noch einmal entstanden ist, die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG allerdings nicht (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG Nr. 4100 VV Rn. 31 m.w.N.). Durch diese sind auch die Tätigkeiten im sofortigen Beschwerdeverfahren abgedeckt. Die Verfahrensgebühr gilt diese Tätigkeiten mit ab (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., VV Vorb. 4 Rn. 21 ff.). Dafür sind nicht etwa Gebühren nach Nrn. 4130 ff. VV RVG entstanden. Diese passen schon vom Wortlaut her nicht. Es greift also Vorbem. 4.1 Abs. 2 VV RVG und der dort normierte Pauschalcharakter der Gebühren. Der Rechtsanwalt hat nur die Möglichkeit, ggf. nach §§ 42, 51 RVG vorzugehen, also eine Pauschgebühr zu beantragen.
Häufig befassen sich Fragen auch mit dem Abgeltungsbereich der Gebühren (vgl. dazu eingehend Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 31 ff. m.w.N.). So auch die nachfolgende ein Bußgeldverfahren betreffende Anfrage zu folgendem Sachverhalt: Die Mandantin des Rechtsanwalts war Halterin eines Pkw. Sie erhält wegen eines Verkehrsverstoßes einen Anhörungsbogen. Als verantwortlicher Fahrer wird der Bruder der Halterin angegeben. Dieser wohnt im Ausland. Dort kann die Behörde das Schreiben mit dem Verwarnungsgeld nicht zustellen. Das Verfahren wird eingestellt, gegen die Halterin ergeht aber ein Kostenbescheid. Gegen den wird Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Der Kostenbescheid wird aufgehoben. Für den Rechtsanwalt stellt sich die Frage der Abrechnung der im Zusammenhang mit Kostenbescheid erbrachten Tätigkeiten.
M.E. sind die im Zusammenhang mit dem Kostenbescheid erbrachten Tätigkeiten des Rechtsanwalts als noch zum OWi-Verfahren/Verwarnungsverfahren gehörend von der dort entstandenen Verfahrensgebühr erfasst. Es greift auch nicht etwa Vorbem 5 Abs. 4 VV RVG mit den dortigen Verweisen auf Teil 3 VV RVG. Es geht nicht um einen Angriff gegen den Kostenansatz, sondern um die Kostengrundentscheidung. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten sind aber mit der Verfahrensgebühr abgegolten, dafür entstehen keine Gebühren nach Vorbem. 5 Abs. 4 VV RVG (zu Vorbem. 4 Abs. 5 bzw. Vorbem. 5 Abs. 4 VV RVG Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 93 ff.
Immer wieder befassen sich die Fragen auch mit dem sog. Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG. Dazu folgende Anfragen:
In der Praxis sicherlich häufiger anzutreffen ist folgende Fallgestaltung: der Rechtsanwalt ist als Verteidiger des Angeklagten tätig. Dieser erscheint nicht zur Hauptverhandlung. Es ergeht Sicherungshaftbefehl gemäß § 230 StPO. Später erscheint dann der Angeklagte bei seinem Verteidiger. Nach Absprache stellt sich der Angeklagte im Beisein des Rechtsanwalts beim Amtsgericht. Ihm wird der Haftbefehl verkündet. Anschließend wird über den Bestand des Haftbefehls verhandelt und der Hauptverhandlung außer Vollzug gesetzt. Die Frage, die sich für den Rechtsanwalt stellt: Hat sich sein Mandant im Zeitraum zwischen der Verkündung des Haftbefehls und der des Haftverschonungsbeschlusses "nicht auf freiem Fuß" im Sinne der Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG befunden?
Die Antwort ist m.E. eindeutig ja. Mit Verkündung des Haftbefehls wurde dieser vollzogen mit der Folge, dass sich der Angeklagte nicht frei bewegen konnte. Er hätte insbesondere den Verkündungstermin nicht ohne weiteres verlassen können (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG; Vorbem. 4 VV Rn. 88 f.). das bedeutet, dass die Terminsgebühr Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4103 VV RVG entstanden ist und auch die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG. Dass der Angeklagte nur kurze Zeit nicht auf freiem Fuß war, ist für ihr Entstehen unerheblich. Entscheidend ist allein, dass der irgendwann während des Abgeltungsbereichs der Verfahrensgebühr nicht auf freiem Fuß war (Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 87, 90 m.w.N.).
Häufiger ist auch die Frage nach dem Haftzuschlag bei einer Verbindung von Verfahren, und zwar in folgender Konstellation: Gegen den Beschuldigten sind zwei Ermittlungsverfahren anhängig, die verbunden werden dann Verbindung. Dann wird der Beschuldigte inhaftiert. Frage: Wie viele Verfahrensgebühren Nr. 4104 VV RVG entstehen mit Haftzuschlag?
Lösung: Es entsteht nur eine Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren mit Zuschlag nach Nr. 4105 VV RVG, und zwar die im verbundenen Verfahren. Durch die Verbindung liegt nur noch eine Angelegenheit vor. Das hinzuverbundenen Verfahren hat mit der Verbindung seine Eigenständigkeit verloren Die dort vor der Verbindung bereits entstandene Nr. 4104 VV RVG kann nicht nachträglich noch mit Zuschlag entstehen.
Immer wieder wird nach den Kriterien für die Bemessung der Höhe der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG gefragt, weil Verteidiger sich immer öfter der Argumentation ausgesetzt sehen, dass bei der Bemessung der Grundgebühr berücksichtigt werden müsse, dass die Nr. 4100 VV RVG für alle Verfahren gelte. Deshalb werden dann in amtsgerichtlichen Verfahren als Vergleich Wirtschaftsstrafsachen und Schwurgerichtsachen herangezogen, um die Höhe der Gebühr mit diesen Argument nach unten zu drücken.
Dem ist entgegen zu halten: Die Ordnung des Gerichts, bei dem das Verfahren dann durchgeführt worden ist, hat bei der Bemessung der konkreten Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG keine Bedeutung (so ausdrücklich AG Pirna StRR 2009, 323 [Ls.] = VRR 2009, 323 [Ls.], das eine Amtsgerichtsgebühr ablehnt; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., VV 4100 4101, Rn. 21; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 4100, 4101 Rn. 22; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2011, Nr. 4100 VV RVG Rn. 38). Das folgt aus der Gesetzesbegründung, die gerade ausdrücklich darauf abstellt, dass der von der Grundgebühr honorierte Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts weitgehend unabhängig von der (späteren) Gerichtszuständigkeit ist (BT-Drucks. 15/1971, S. 222). Wenn das Gesetz die Grundgebühr aber von der Ordnung des Gerichts, bei dem das Verfahren durchgeführt wird, unabhängig macht, dann kann diese über den Umweg der Gebührenbemessung nicht doch wieder Bedeutung erlangen. Die Ordnung des Gerichts hat allenfalls mittelbar dadurch Bedeutung, dass z.B. Schwurgerichtsverfahren schwieriger sein können als amtsgerichtliche Verfahren und damit die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als Bemessungskriterium ein anderes Gewicht erhält (so wohl auch KG RVGreport 2007, 180 = StV 2006, 198 = AGS 2006, 278; LG Karlsruhe, Beschl. v. 2. 11. 2005 2 Qs 26/05, www.burhoff.de).
Folgender Fall: der Rechtsanwalt war als Pflichtverteidiger des Mandanten beim AG tätig. Das amtsgerichtliche Urteil wird im Strafausspruch rechtskräftig. Lediglich die im Urteil ausgesprochene Einziehung des Kraftfahrzeuges des Mandanten wird mit der Berufung angefochten. Der Rechtsanwalt hat nun auch für das Berufungsverfahren die Nr. 4142 VV RVG angesetzt. Das AG ist der Meinung, dass die Gebühr gem. Nr. 4142 VV RVG nicht angefallen sei mit folgender Begründung: "Eine derartige Gebühr ist dem Pflichtverteidiger nicht entstanden. Gegenstand der Berufung war ausschließlich die Einziehung des Pkw. Für die Tätigkeit im Berufungsverfahren zur Einziehung des Pkw hat der Pflichtverteidiger bereits eine Vergütung in Höhe von 942,48 verdient. Insoweit kann keine gesonderte Einziehungsgebühr festgesetzt werden. Andernfalls würde der Rechtsanwalt für ein und dieselbe Tätigkeit zwei verschiedene Gebühren erhalten."
Hierauf ist zu antworten: Für das Berufungsverfahren fallen die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4126 VV RVG an. Diese decken grundsätzlich alle Tätigkeiten des Verteidigers im Berufungsverfahren ab. Neben diesen Gebühren kann als zusätzliche Gebühr die Nr. 4142 VV RVG anfallen, wenn der Rechtsanwalt Tätigkeiten im Hinblick auf Einziehung und verwandte Maßnahmen erbracht hat (allgemein zur Nr. 4142 VV RVG Burhoff RVGreport 2006, 412). Das RVG sieht diese Gebühr ausdrücklich als zusätzliche Gebühr vor, die nicht etwa auf andere Gebühren angerechnet wird. Auch kommt es nicht auf den Umfang der erbrachten Tätigkeiten an, da es sich um eine reine Wertgebühr handelt (Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV Rn. 1 und 3). Dass hier im Berufungsverfahren nur noch die Einziehung eine Rolle spielte, ist eine verfahrensrechtliche Besonderheit, die auf die Berufungsbeschränkung zurückgeht, hat aber auf die Nr. 4142 VV RVG keinen Einfluss.
Erhebliche Probleme bestehen bei der Abrechnung von Tätigkeiten im Vollstreckungsverfahren des Bußgeldverfahrens, also in Teil 5 VV RVG. Das hat u.a. damit zu tun, dass dort eine dem Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG vergleichbare Regelung nicht erfolgt ist. Welche Probleme bestehen, zeigt folgender Fall. Gegen den Betroffenen ergeht ein Bußgeldbescheid, in dem auch ein Fahrverbot festgesetzt wird. Der Bußgeldbescheid wird rechtskräftig. Im Vollstreckungsverfahren wird gegen die Verbotsfristfestsetzung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, die erfolgreich ist. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse (Verwaltungsbehörde) nach § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 62 OWiG auferlegt. Der Verteidiger erwägt nach Nr. 3500 VV RVG eine 0,5 Verfahrensgebühr mit einem Gegenstandswert von 5.000,00 sowie Pauschale nach Nr. 7008 VV RVG geltend zu machen.
Hierauf gebe ich folgende Antwort: Der vorgesehen Weg ist m.E. der totale falsche Weg. Es geht um Vollstreckung aus einem Bußgeldbescheid. Daher ist (nur) Teil 5 VV RVG anwendbar, und zwar dort die Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 5200 VV RVG. Für die Tätigkeit in der Vollstreckung gibt in Teil 5 VV RVG anders als in Teil 4 VV RVG im dortigen Abschnitt 2 keine eigenständige Regelung. Also bleibt nur die Tätigkeit als Einzeltätigkeit. Das folgt im Übrigen auch aus der Anm. 4 zur Nr. 5200 VV RVG (zu allem Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5200 VV Rn. 10. Die Gebühr verdient nach der Anm. 4 zu Nr. 5200 VV RVG im Übrigen auch der Rechtsanwalt, der im Erkenntnisverfahren als Verteidiger für den Betroffenen tätig war.
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