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aus RVGreport 2013, 421

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Anwaltsvergütung in Verfahren vor dem EGMR

von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Durch das 2. KostRMoG v. 23.07.2013 (BGBl 2013, 2586) ist in § 38a RVG eine neue Vorschrift eingefügt worden, die die anwaltlichen Gebühren in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) regelt. Die nachfolgenden Ausführungen stellen diese Neuregelung vor.

I. Organisation und Verfahren beim EGMR

1. Organisation

Der EGMR sichert nach Art. 19 MRK die Einhaltung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus der MRK. Der Gerichtshof besteht aus fünf sog. Sektionen. Als Sektionspräsidenten fungieren die zwei Vizepräsidenten und drei weitere vom Plenum des EGMR ernannte Richter. Unterstützt und vertreten werden sie von den Vizepräsidenten der Sektionen (wegen Aufbau und Besetzung des EGMR auch Karpenstein/Mayer/Lenski, EMRK - Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 2012, Art. 19 Rn. 1 ff.; Eschelbach in: Münchener Anwaltshandbuch Strafrecht, § 29 Rn. 10 ff.; Hagmann/Oerder in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2013, RM, Teil C Rn. 138 ff.).

2. Verfahren

In der MRK sind drei Verfahrensarten vorgesehen, in denen der EGMR mit einem Sachverhalt befasst werden kann: Das ist zunächst in Art 34 MRK das sog. Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde. In Art. 33 MRK ist das sog. Staatenbeschwerdeverfahren geregelt und in Art. 47 MRK das Gutachtenverfahren. In der Praxis sind das Staatenbeschwerdeverfahren und das Gutachtenverfahren weitgehend ohne Bedeutung. Daher beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf das Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde (vgl. dazu eingehend Karpenstein/Mayer/Schäfer, a.a.O. Art. 34 Rn. 1 ff.; MAH/Strafrecht/Eschelbach, § 29 Rn. 16 ff.; Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 1 ff.). Diese hat in der Praxis als Instrument des Menschenrechtsschutzes die größte Bedeutung. Sie steht allen natürlichen Personen und nichtstaatlichen Organisationen sowie Personengruppen zu. Diese können den EGMR mit der Behauptung anzurufen, in einem Recht aus der Konvention verletzt zu sein.

Das Menschenrechtsbeschwerdeverfahren wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingeleitet (zu den formalen Anforderungen Art. 47 VerfO-EGMR; Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 99 ff.). Der Gang des Verfahrens ist dann wie folgt gestaltet (s. auch Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 447 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 21. Aufl., § 38a Rn. 11 ff.):

  • Die Beschwerde wird gem. Art. 52 Abs. 1 VerfO-EGMR vom Präsidenten des Gerichtshofs einer der fünf Sektionen des EGMR zugewiesen. Innerhalb der Sektion kann die Beschwerde entweder einem Einzelrichter (Art. 27 MRK), einem Ausschuss (Art. 28 MRK) oder der Kammer (Art. 29 MRK) vorgelegt werden. Erscheint die Prüfung durch einen Ausschuss oder eine Kammer gerechtfertigt, benennt der Sektionspräsident gem. Art. 49 Abs. 2 VerfO-EGMR einen Berichterstatter aus dem Kreis der Richter. Dieser kann die Beschwerde selbst an einen Einzelrichter, einen Ausschuss oder die Kammer delegieren, wenn der Sektionspräsident weder die Prüfung durch den Ausschuss noch durch die Kammer anordnet.
  • Wird die Beschwerde an den Einzelrichter weitergeleitet, kann dieser sie für unzulässig erklären oder aus dem Register streichen, wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann (Art. 27 Abs. 1 MRK; Art. 49 Abs. 1 VerfO-EMGR). Liegt die Beschwerde dem mit drei Richtern besetzten Ausschuss vor, kann dieser entweder nach Art. 28 Abs. 1a MRK die Beschwerde für unzulässig erklären oder sie aus dem Register streichen, wenn diese Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann, oder sie nach Art. 28 Abs. 1b MRK für zulässig erklären und zugleich über ihre Begründetheit entscheiden.
  • Haben weder der Einzelrichter noch ein Ausschuss über die Beschwerde entschieden, werden Zulässigkeit und Begründetheit gem. Art. 29 Abs. 1 MRK von einer siebenköpfigen Kammer des EGMR beurteilt. I.d.R. erfolgt die Entscheidung auf Grundlage der Schriftsätze, eine mündliche Verhandlung (Art. 40 MRK) ist nach Art. 54 Abs. 3, 59 Abs. 3 VerfO-EGMR möglich, allerdings der Ausnahmefall. Ebenso wie im schriftlichen Verfahren nach Zustellung der Beschwerdeschrift (Art. 36 Abs. 2 VerfO-EGMR ) muss der Beschwerdeführer in einer ggf. stattfindenden mündlichen Verhandlung grds. rechtlich vertreten sein, wenn ihm nicht der Kammerpräsident erlaubt, seine Interessen – ggf. mit rechtlicher Unterstützung – selbst zu vertreten (Art. 36 Abs. 3 VerfO-EGMR).
  • Die Große Kammer des EGMR kann im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 30, 43 MRK mit einer Individualbeschwerde befasst werden (zum Verfahren bei der Kammer Karpenstein/Mayer/Schaffrin, a.a.O., Art. 29 Rn. 1 ff.; Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 482 ff.). Nach Art. 30 MRK kann die Kammer, schon bevor sie ein Urteil fällt, die Sache an die Große Kammer abgeben. Es können aber auch die Parteien gem. Art. 43 Abs. 1 MRK innerhalb von drei Monaten nach einem Urteil der Kammer die Verweisung an die Große Kammer beantragen. Ein fünfköpfiger Ausschuss entscheidet über diesen Antrag. Gibt er ihm statt, entscheidet die Große Kammer gem. Art. 43 Abs. 3 MRK durch Urteil. I.d.R. wird aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden. In dieser muss der Beschwerdeführer nach Art. 36 Abs. 3 VerfO-EGMR vertreten sein.

II. Anwendungsbereich

1. Allgemeines

In der Vergangenheit ist immer wieder kritisiert worden, dass das RVG keine ausdrückliche Regelung für die anwaltliche Vergütung für Tätigkeiten in Verfahren vor dem EGMR enthielt. § 37 RVG, der die Gebühren des RA in Verfahren vor den Verfassungsgerichten regelt (vgl. dazu Burhoff RVGreport 2013, 298), erfasste nämlich nach allgemeiner Meinung nicht die Verfahren vor dem EGMR, wie z.B. die Menschenrechtsbeschwerde nach Art. 34 MRK (Gerold/Schmidt/Burhoff, § 37 Rn. 1; Mayer in: Mayer/Kroiß, RVG 5. Aufl., § 37 Rn. 22; Burhoff RVGreport 2013, 298). Sie wurden auch nicht von § 38 RVG erfasst, da dieser nur Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH regelt (Gerold/Schmidt/Burhoff, § 37 Rn. 1; Mayer/Kroiß/Mayer, a.a.O., § 37 Rn. 22; Burhoff RVGreport 2013, ¢¢¢).

Durch das 2. KostRMoG v. 23.07.2013 (BGBl 2013, S. 2586) ist diese Lücke durch Aufnahme des § 38a RVG geschlossen worden. Danach gelten in Verfahren vor dem EGMR die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Diese Regelung entspricht der Regelung für Verfahren vor dem BVerfG, die für Verfassungsbeschwerden anzuwenden ist (§ 37 Abs. 2 RVG, dazu u.a. Burhoff RVGreport 2013, 298, 299; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn. 9 und unten IV; für eine analoge Anwendung des § 37 RVG schon nach früherem Recht Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O.; Art. 50 Rn. 7 f.). Das ist einerseits wegen der Ähnlichkeit der Verfahren vor dem EGMR und dem BVerfG sachgerecht, andererseits aber im Hinblick darauf, dass der EGMR keinen Gegenstandswert festsetzt (vgl. unten V, 2) nachteilig. Es wäre besser gewesen, der Gesetzgeber wäre, um Schwierigkeiten insofern zu vermeiden, dem Vorschlag der BRAK und des DAV gefolgt, die eine Ergänzung des § 37 Abs. 1 RVG vorgeschlagen hatten (vgl. AnwBl. 2011, 120, 122), oder er hätte – wie bei dem als Kontaktperson beigeordneten RA in Nr. 4304 VV RVG – eine Festbetragsgebühr eingeführt.

2. Sachlicher Anwendungsbereich

§ 38a RVG gilt für „Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“. Das sind neben den hier nicht behandelten Staatenbeschwerdeverfahren (Art. 33 MRK) und Gutachtenverfahren (Art. 47 MRK) das in Art. 34 MRK geregelte Individualbeschwerdeverfahren bzw. die sog. Menschenrechtsbeschwerde. Für diese gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Die Regelung für die Gebühren des in diesem Verfahren tätigen RA entspricht damit der Regelung in § 37 Abs. 2 RVG, die u.a. für Verfassungsbeschwerden beim BVerfG anzuwenden ist. Der Gesetzgeber ist also bei Einführung der neuen Vorschrift davon ausgegangen, dass die Verfahren beim EGMR sich ihrem Gegenstand nach nicht wesentlich von Verfassungsbeschwerdeverfahren unterscheiden (BT-Drucks. 17/11471, S. 269). Das ist zumindest für die Individualbeschwerde nach Art. 34 MRK, die in der Praxis die größte Rolle spielt, zutreffend.

3 Persönlicher Anwendungsbereich

a) Wahlanwalt

§ 38a RVG gilt für jeden RA, der als Wahlanwalt in einem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren nach Art. 34 MRK tätig wird.

b) Bestellter oder beigeordneter RA/PKH

Die Bestellung oder Beiordnung eines RA ist in der VerfO-EGMR nicht vorgesehen. Allerdings kann nach Art. 100 ff. VerfO-EGMR die Gewährung von PKH in Betracht kommen (eingehend dazu Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 296 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 34 ff.). Danach kann im Individualbeschwerdeverfahren auf Antrag oder von Amts wegen PKH gewährt werden. Art. 100 Abs. 1 VerfO-EGMR sieht vor, dass der Kammerpräsident PKH bewilligen kann, nachdem der belangte Vertragsstaat zur Zulässigkeit der Beschwerde hatte Stellung nehmen können. Für die Einlegung der Menschenrechtsbeschwerde und das Verfahren vor Zustellung der Beschwerdeschrift an die gegnerische Partei wird PKH nicht gewährt. Die Bewilligung wirkt nach Art. 100 Abs. 2 VerfO-EGMR grds. im Verfahren vor der Großen Kammer fort. Liegen die Bewilligungsvoraussetzungen nicht mehr vor, kann der Kammerpräsident nach Art. 105 VerfO-EGMR die Bewilligung der PKH jederzeit zurücknehmen oder abändern (zu den Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 298 ff. m.w.N und zum Umfang der Bewilligung von PKH Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 303 ff. m.w.N).

III. Angelegenheiten/Rechtszug

Jedes Verfahren beim EGMR ist eine selbständige Angelegenheit i. S. d. § 15 Abs. 2 RVG (s. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 18 ff.). Das Verfahren beim Einzelrichter (Art. 27 MRK), einem Ausschuss (Art. 28 MRK) oder der Kammer (Art. 29 MRK) sind aber dieselbe Angelegenheit i.S. des § 15 Abs. 2 RVG. Die Gebühr nach § 38a RVG entsteht also nur einmal. Es empfiehlt sich daher der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung nach § 3a RVG (s. unten VIII). Das Verfahren beim EGMR und das Ausgangsverfahren, in dem es nach der Behauptung des Beschwerdeführers zu einer Menschenrechtsverletzung gekommen ist, sind verschiedene Angelegenheiten i.S. des § 15 RVG. In beiden entstehen also für den RA die jeweils für das Verfahren vorgesehenen Gebühren. Das gilt auch für ein ggf. vorgeschaltetes Verfassungsbeschwerdeverfahren beim BVerfG (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O. § 38a Rn. 19; zur Abrechnung der Verfassungsbeschwerde Burhoff RVGreport 2013, 298 ff.).

Wird das Verfahren an die Große Kammer verwiesen (Art. 30, 43 MRK), ist von einem neuen Rechtszug und damit von einer neuen Angelegenheit auszugehen mit der Folge, dass die Gebühren nach § 15 Abs. 2 noch einmal entstehen (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 18; so auch zur früheren Rechtslage Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O., Art. 50 Rn. 14).

IV. Gebührentatbestände (§ 38 Satz 1 RVG)

1. Verfahrensgebühr (Nr. 3206 VV RVG)

Nach § 38a Satz 1 RVG entstehen die (Verfahrens)Gebühren für die Revision nach Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Damit wird pauschal auf die Nrn. 3206 bis 3213 VV RVG verwiesen. Das führt ebenso wie bei § 37 Abs. 2 Satz 1 RVG (s. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 37 Rn. 11 m.w.N.; Burhoff/Burhoff, RVG, § 37 Rn. 13) zu der Frage, welche der dort geregelten Verfahrensgebühren anwendbar ist. Zutreffend ist es auch bei § 38a RVG, darin nur eine Verweisung auf die Nr. 3206, 3207 VV RVG zu sehen (s. für die Verfassungsbeschwerde § 37 Rn. 14 und BVerfG AGS 2012, 568 = RVGreport 2013, 15 m. Anm. Hansens; BGH NJW 2012, 2118 = AGS 2012, 281 = Rpfleger 2012, 583 = JurBüro 2012, 470 (LS); Mayer/Kroiß/Mayer, a.a.O., § 37 Rn. 12 ff.; AnwKomm-RVG/Wahlen [5. Aufl.[, § 37 Rn. 16; a.A. Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl. 2013, § 37 RVG Rn. 5; Hartung in: Hartung/Schons/Enders, RVG, § 37 Rn. 11). Das entspricht dem Wortlaut der Regelung der Nr. 3208 VV und dem gesetzgeberischen Willen (BVerfG, a.a.O. unter ausdrücklicher Ablehnung der in der Literatur teilweise vertretenen a.A.). Die Nrn. 3212, 3213 VV RVG, aber auch die Nrn. 3208, 3209 VV sind Spezialregelungen, die bestimmte Verfahren oder bestimmte persönliche Eigenschaften der RAs voraussetzen (vgl. BVerfG und BGH, jeweils a.a.O).

Für das Entstehen der Verfahrensgebühr gelten die allgemeinen Regeln zur Nr. 3206 VV RVG (vgl. dazu die Erläuterungen z.B. bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O.). Endet der Auftrag des RA vorzeitig oder erbringt der RA nur eine eingeschränkte Tätigkeit, entsteht nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3207 VV RVG. Auch insoweit kann auf die Erläuterungen bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O. zu Nr. 3206 VV RVG, verwiesen werden.

Die Verfahrensgebühr honoriert alle vom RA in dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren erbrachten Tätigkeiten. Dies sind die Vorbereitung und Erstellung der Individualbeschwerde, die Entgegennahme von Schriftstücken des EGMR, die Fertigung von Stellungnahmen und alle sonstigen Tätigkeiten, die der RA im Verfahren erbringt.

Für den RA, der mehrere Beschwerdeführer in einer von diesen erhobenen Menschenrechtsbeschwerde vertritt, fällt keine nach Nr. 1008 VV erhöhte Verfahrensgebühr an (so für die Verfassungsbeschwerde BVerfG Rpfleger 1998, 82; RVGreport 2011, 59).

2. Terminsgebühr (Nr. 3210 VV RVG)

Der EGMR entscheidet nur ausnahmsweise auf Grund mündlicher Verhandlung (vgl. oben I, 2). Daher wird i. d. R. in der Praxis nur eine Verfahrensgebühr anfallen. Findet beim EGMR allerdings bei der Kammer bzw. bei der Großen Kammer eine mündliche Verhandlung statt, an der der RA/Verteidiger teilnimmt, fällt dafür eine Terminsgebühr Nr. 3210 VV RVG an. Auf diese ist nach der Anmerkung zu Nr. 3210 VV RVG u.a. auch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG anzuwenden. D.h., dass diese Gebühr grds. auch dann entsteht, wenn in einem Verfahren, in dem mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit allen Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Ist die mündliche Verhandlung allerdings nicht vorgeschrieben, was beim Menschenrechtsbeschwerdeverfahren der Fall ist, ist die Nr. 3104 VV RVG jedoch nicht anzuwenden (s für die Verfassungsbeschwerde BVerfGE 35, 34 = Rpfleger 1973, 243; BVerfGE 41, 228; s. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 28).

V. Gegenstandswert (§ 38 Satz 2 RVG)

Die Gebühren nach § 38a Satz 1 Revisionsgericht sind der Höhe nach vom Gegenstandswert abhängig. Dafür gilt:

1. Bemessung

§ 38a Satz 2 RVG sieht eine eigenständige Regelung für die Bemessung des Gegenstandswertes für Verfahren vor dem EGMR vor. Der Gegenstandswert ist danach unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände, insbesondere also des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. zu den Kriterien des § 14 Abs. 1 die Kommentierung zu § 14 RVG bei Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.; s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Rahmengebühren [§ 14], Rn. 1051 ff.). Der Gegenstandswert beträgt nach § 38a Satz 2 Halbs. 2. RVG mindestens 5.000,–  €.

Für die Bemessung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren sind wegen der Vergleichbarkeit der Verfahren die Grundsätze für die Bemessung des Gegenstandswertes im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerde entsprechend anzuwenden. Daher kann auf die Ausführungen bei Burhoff RVGreport 2013, 298, 300 und bei Burhoff/Burhoff, RVG, § 37 Rn. 17 verwiesen werden. Von Gewicht ist also insbesondere, welche subjektive Bedeutung der Auftraggeber der Sache beimisst und die Schwere des geltend gemachten Konventionsverstoßes. Wird über die Menschenrechtsbeschwerde nicht inhaltlich befunden, sie also als unzulässig erklärt bzw. aus dem Register gestrichen (vgl. oben I, 2), wird man – entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungsbeschwerde (BVerfG, NJW 2000, 1399) – vom gesetzlichen Mindestgegenstandswert ausgehen müssen (BVerfG, NJW 2000, 1399; RVGreport 2011, 236; so auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 30).

2. Festsetzung

Im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren erfolgt die Festsetzung des Gegenstandswertes nach §§ 32, 33 RVG durch das Verfassungsgericht (vgl. Burhoff RVGreport 2013, 298, 301). Im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren ist demgegenüber eine Festsetzung des Gegenstandswertes durch den EGMR nicht möglich (Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O., Art. 50 Rn. 8). Es sind nämlich den innerstaatlichen Vorschriften entsprechende Vorschriften in der MRK bzw. der VerfO-EGMR nicht vorgesehen. Das ist bei der Einführung des § 38a RVG durch das 2. KostRMoG offenbar übersehen worden. Der RA hat daher also keine andere Möglichkeit, als selbst den Gegenstandswert unter Berücksichtigung der Vorgaben des Satzes 2 nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. auch § 23 Abs. 3 RVG). Dabei wird grds. der vom BVerfG im Verfassungsbeschwerdeverfahren, das i.d.R. dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren voraus gegangen ist, festgesetzte Gegenstandswert Anhaltspunkt sein (Karpenstein/Mayer/Thienel, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 31). In der Höhe ist – wegen der noch höheren Bedeutung des EGMR-Verfahrens – der Gegenstandswert auf jeden Fall anzunehmen. Im Zweifel wird er darüber liegen (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.).

Entsteht Streit über die Höhe des Gegenstandswertes und damit über Höhe der darauf basierenden Vergütung, muss der RA diese ggf. einklagen (ähnlich N. Schneider/Thiel, Das neue Gebührenrecht für Rechtsanwälte, § 3 Rn. 256). Letztlich entscheidet damit im Streitfall das Gericht, das über die Vergütungsklage entscheidet, auch über die Höhe des Gegenstandswertes. Diese Lücke spricht im Übrigen noch mehr dafür, dass der RA eine Vergütungsvereinbarung abschließt (vgl. oben VIII).

VI. Auslagen (Nr. 7000 ff. VV)

Der RA/Verteidiger hat Anspruch auf die nach den Nrn. 7000 ff. VV entstehenden Auslagen. Dazu gehört auch die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG, da es sich bei dem Menschenrechtsbeschwerdeverfahren um eine vom Ausgangsverfahren verschiedene Angelegenheit handelt (zu den Angelegenheiten oben III).

VII.  Kostenerstattung

Hinsichtlich der Kostenerstattung ist zu trennen zwischen den Kosten des Gerichtshofs und den Kosten und Auslagen des Beschwerdeführers vor den innerstaatlichen Gerichten und dem EGMR. Im Einzelnen gilt (s. Meyer-Ladewig, EMRK Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., 2010, Art. 41 Rdnr. 28 ff.; auch Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 239 ff. m.w.N.).

1. Kosten des Gerichtshofs (Art. 50 MRK)

Nach allgemeiner Meinung ist das Verfahren vor dem EGMR für den Beschwerdeführer gerichtskostenfrei ist. Das wird mit dem Schweigen der Vorschrift des Art. 50 MRK zu dieser Frage begründet (Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 242 ff. m.w.N.; Karpenstein/Meyer/Schäfer, Art. 34 Rn. 9 und Art. 50 Rn. 3). Im Übrigen ist eine Missbrauchsgebühr in der MRK, anders als im innerstaatlichen Verfassungsbeschwerdeverfahren in § 34a BVerfGG, nicht vorgesehen. Nach Art. 44d VerfO-EGMR kann allerdings der Vertreter des Beschwerdeführers vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn er eine unangemessene Stellungnahme, zu solchen zählen nach dem Wortlaut der Vorschrift auch missbräuchliche, abgibt.

2. Gerechte Entschädigung (Art. 41 MRK)

Die Erstattung von RA-Kosten kommt im Menschenrechtsbeschwerdeverfahren nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 41 MRK in Betracht (wegen der Einzelh. Karpenstein/Mayer/Wenzel, a.a.O., Art. 41 Rn. 47 ff.; s. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 38a Rn. 38 ff.). Die Vorschrift sieht eine „gerechte Entschädigung“ des Beschwerdeführers vor. Bestandteil einer solchen kann der Ersatz der im Verfahren über die Menschenrechtsbeschwerde und vor den innerstaatlichen Gerichten entstandenen Kosten und Auslagen sein. Hierzu gehören neben den Gerichtskosten für die Verfahren vor den nationalen Gericht, Reise- und Aufenthaltskosten, Übersetzungskosten, Portokosten vor allem Anwaltskosten. Erstattet werden diese allerdings nur, wenn sie tatsächlich angefallen sind und notwendig waren, um die festgestellte Konventionsverletzung abzuwenden oder ihr abzuhelfen und sie der Höhe nach angemessen sind (s. für den Fall Gäfgen EGMR, EuGRZ 2010, 417 = NJW 2010, 3145). Im Verfahren müssen die Kosten als Bestandteil der Entschädigung – soweit bereits möglich – innerhalb der Frist des Art. 60 Abs. 2 VerfO-EGMR unter Beifügung einschlägiger Belege geltend gemacht werden.

Tatsächlich angefallen sind die Kosten des Beschwerdeführers nur, wenn er vertraglich oder gesetzlich zu deren Tragung verpflichtet ist. Eine Kostenerstattung setzt zudem voraus, dass die Kosten und Auslagen im Zusammenhang mit der Beseitigung, Verhinderung oder Wiedergutmachung der Konventionsverletzung entstanden sind (wegen der Einzelheiten Karpenstein/Mayer/Wenzel, a.a.O., Art. 41 Rn. 48 f.; Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 248 f. m.w.N). Hierdurch werden insbesondere Kosten für innerstaatliche Verfahren ausgeschlossen, die ohnehin – also auch ohne den Eintritt der Konventionsverletzung – angefallen wären.

Auslagen werden schließlich nur erstattet, wenn sie angemessen sind. Dabei ist die innerstaatliche Gebührenordnung, also (jetzt) § 38a RVG, für den EGMR bei der Beurteilung dieser Frage Orientierungshilfe (EGMR, NJW 2001, 1995) Der EGMR prüft nach eigenem Ermessen (zu den Kriterien Burhoff/Kotz/Hagmann/Oerder, RM, Teil C: Rn. 251 ff. m.w.N.). Das Honorar für das Verfahren vor dem Gerichtshof wird in angemessener Höhe erstattet. Durchschnittlich kann hier von einem „Gebührenrahmen“ zwischen 2.000,00 und 5.000,00 € ausgegangen werden (Karpenstein/Mayer/Wenzel, a.a.O., Art. 41 Rn. 51 f. m.w.N.). Maßgeblich sind im Wesentlichen die Komplexität der Sach- und Rechtslage sowie der hiermit einhergehende tatsächliche zeitliche Aufwand an Arbeit.

VIII. Vergütungsvereinbarung

Trotz der Neuregelung des 3 38a RVG wird die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen eines EGMR-Verfahrens im Zweifel im Hinblick auf die i.d.R. hohe Bedeutung, den großen Umfang und die erhebliche Schwierigkeit der Verfahren immer noch nicht ausreichend honoriert. Hinzukommen die Schwierigkeiten bei der Bestimmung und Festsetzung des maßgeblichen Gegenstandswertes (vgl. dazu oben) Deshalb wird es sich für den RA nach wie vor empfehlen, eine Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) zu schließen, was in der Praxis auch üblich sein dürfte. Möglich und zulässig sind Pauschalhonorare für ganze Verfahren beim EGMR. Die Vergütung kann aber auch für Verfahrensabschnitte wie Einreichung der Beschwerdeschrift, das Verfahren bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung vor der Kammer oder der Großen Kammer oder auch die mündliche Verhandlung vereinbart werden. Möglich ist auch die Vereinbarung einer zeitbezogenen Abrechnung nach Stunden zu bestimmten Stundensätzen. Möglich ist auch die Vereinbarung eines bestimmten Gegenstandswertes.


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