aus RVGreport 2017, 402
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Am 24.8.2017 ist das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017[1] in Kraft getreten. Dieses hat zum Teil erhebliche Änderungen u.a. in der StPO gebracht.[2] Am 6.9.2017 ist zudem noch das Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts v. 27.8.2017[3] in Kraft getreten. Die Änderungen im RVG selbst haben die Gesetze nicht vorgenommen. Die Änderungen/Erweiterungen der StPO haben aber einige Auswirkungen auf die Anwaltsvergütung. Ferner betrifft eine Neuregelung das Kostenfestsetzungsverfahren. Diese Auswirkungen sollen nachfolgend dargestellt werden.
In den nachfolgenden Anschnitten II. bis VIII. sind einige der Änderungen konkret angesprochen. Dabei handelt es sich um solche Änderungen, die die gebührenrechtlich wichtigsten Folgerungen haben bzw. bei denen konkrete Auswirkungen in Betracht kommen dürften/könnten.
Die übrigen Änderungen der beiden Gesetze haben keine konkreten Auswirkungen. Soweit insoweit zusätzliche Tätigkeiten auf den Verteidiger zukommen können, wie z.B. bei der schriftlichen Abfassung von Ablehnungsanträgen usw.,[4] sind diese Tätigkeiten durch die jeweiligen Verfahrensgebühren mitabgegolten. Der Wahlanwalt/-verteidiger muss die Tätigkeiten also bei der Bemessung der angemessenen Rahmengebühr (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) heranziehen und geltend machen. Beim Pflichtverteidiger ist das nicht möglich, da er ja Festbetragsgebühren erhält. Er kann die Tätigkeiten aber ggf. zur Begründung eines Pauschgebührantrags (§ 51 RVG) mit anführen.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren kam nach den früher in der StPO enthaltenen Regelungen in § 141 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO grundsätzlich (nur) in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellte.[5] Eine Ausnahme von dieser Regelung galt, wenn gegen den Beschuldigten U-Haft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird. In diesen Fällen muss dem Beschuldigten nach den 2010 durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 27.9.2009[6] in die StPO eingefügten §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 3 Satz 4 StPO a.F. unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung ein Pflichtverteidiger bestellt werden.[7]
An dieser Stelle hat das Gesetz für die Praxis eine wesentliche Neuregelung im Recht der Pflichtverteidigung gebracht. Eingefügt ist worden nämlich ein neuer Satz 4 in § 141 Abs. 3 StPO.[8] Nach dieser Neuregelung bestellt das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, dem Beschuldigten einen (Pflicht)Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.
Der Pflichtverteidiger wird nicht nur bestellt, wenn der Beschuldigte richterlich vernommen wird, sondern auch, wenn Zeugen richterlich vernommen werden sollen.[9] In Betracht kommt eine Bestellung also grundsätzlich[10]
Wird der RA nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt, ist die Bestellung nach dem Wortlaut der Vorschrift und nach ihrem Sinn und Zweck zeitlich auf den Zeitraum der Vernehmung beschränkt.[15] Denn in der Vorschrift heißt es Mitwirkung bei einer richterlichen Vernehmung. Die Bestellung des RA zum Pflichtverteidiger erlischt also mit dem Ende des Vernehmungstermins.
Ist die weitere Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 141 Abs. 1 StPO oder im Fall des § 141 Abs. 3 Satz 5 StPO oder auch nach § 140 Abs. 2 StPO geboten, muss eine neue Beiordnungsentscheidung ergehen. Die Beiordnung nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO setzt sich nicht automatisch fort. Der RA/Verteidiger muss diese Erweiterung/Fortdauer der Pflichtverteidigerbestellung beantragen. Für die neue Entscheidung über die weitere Beiordnung ist dann von Bedeutung, ob (weiterhin) Gründe für die Pflichtverteidigerbestellung vorliegen. Es gelten die allgemeinen Regeln.
Kommt es im Verlauf des Verfahrens zu weiteren richterlichen Vernehmungen, ist dem Beschuldigten ggf. erneut nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO ein Pflichtverteidiger/der RA zu bestellen. Es lebt nicht etwa die ursprüngliche Beiordnung wieder auf. Diese ist mit Beendigung der ersten richterlichen Vernehmung erloschen.
Hinsichtlich der Abrechnung der von dem als Pflichtverteidiger bestellten RA erbrachten Tätigkeiten gilt:
Bei den Tätigkeiten handelt es sich nicht nur um eine Einzeltätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG mit der Folge, dass ggf. nur eine Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG entstehen würde. Der RA ist ausdrücklich als Verteidiger beigeordnet worden. Das schließt nach Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG die Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG aus.[16] Es gelten dieselben Überlegungen wie beim Terminsvertreter.[17] Die Rechtsprechung zum Zeugenbeistand, die davon ausgeht, dass es sich bei dessen Tätigkeiten um eine Einzeltätigkeit handelt[18], ist auf den Pflichtverteidiger bei richterlichen Vernehmungen nicht anwendbar. Denn dieser wird ausdrücklich als Pflichtverteidiger bestellt. Das ist dann eine Tätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG: Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG spricht auch ausdrücklich vom Pflichtverteidiger.
Der als Pflichtverteidiger bestellte RA ist also voller Verteidiger i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Hinsichtlich der entstehenden Gebühren gelten ebenfalls dieselben Überlegungen wie beim Terminsvertreter, Zeugenbeistand[19] oder dem nach § 408b StPO beigeordneten RA entsprechend.[20] D.h., dass für den Pflichtverteidiger alle Gebühren des Verteidigers entstehen.
Für den RA entsteht also nicht etwa nur die Terminsgebühr, sondern es können sämtliche Gebühren anfallen. Dafür spricht ebenso wie beim Terminvertreter,[21] dass sich der RA voll einarbeiten muss. Das gilt beim Pflichtverteidiger nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO erst recht. Denn er wird gerade beigeordnet, um die Rechte des Beschuldigten bei der richterlichen Vernehmung wahrzunehmen; Stichwort: Konfrontation.[22]
Für den RA entsteht auch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG.[23] Wird der RA dem Beschuldigten ggf. später noch einmal wegen einer weiteren richterlichen Vernehmung als Pflichtverteidiger bestellt, fällt die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG allerdings nicht noch einmal an. Es handelt sich nämlich um denselben Rechtsfall. Für den Abgeltungsbereich der Grundgebühr gelten die allgemeinen Regeln.[24]
Neben der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht daneben immer[25] die jeweilige Verfahrensgebühr. Welche (gerichtliche) Verfahrensgebühr der Nrn. 4104, 4106, 4112, 4118, 4124 VV RVG entsteht, ist abhängig von dem Verfahrensstadium, in welchen die richterliche Vernehmung des Beschuldigten/Zeugen stattfindet. Handelt es sich um ein gerichtliches Verfahrensstadium, entsteht die jeweilige gerichtliche Verfahrensgebühr. Für deren Abgeltungsbereich gelten die allgemeinen Regeln.[26]
Wird der RA später noch einmal bestellt,[27] entsteht nicht noch einmal eine weitere/neue Verfahrensgebühr. Es handelt sich nämlich um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG.
Für die Teilnahme an dem Vernehmungstermin entsteht die Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG.[28] Hauptverhandlungsgebühren können nicht entstehen. Die neue Regelung in § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO erfasst nach ihrem Sinn und Zweck nur richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren oder ggf. nach § 223 StPO.[29]
Wird der RA für den Beschuldigten später noch einmal oder bei mehreren richterlichen Vernehmungen tätig, entsteht für jede Terminsteilnahme die Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG erneut. In einem solchen Fall sind die sich ggf. aus Satz 1 und 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG ergebenden Beschränkungen zu beachten.[30]
Der RA erhält die Terminsgebühr für die Teilnahme an dem Vernehmungstermin. In § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO ist zwar mit Mitwirkung formuliert. Das bedeutet aber nicht, dass der RA an dem Vernehmungstermin aktiv, z.B. durch Fragen, teilnehmen muss. Seine körperliche Anwesenheit bei dem Vernehmungstermin reicht aus.
Ein Längenzuschlag für die Teilnahme an besonders langen Vernehmungen entsteht nicht. Der ist für die Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG nicht vorgesehen.
Befindet sich der Beschuldigte in Haft, entstehen die Gebühren mit Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG.[31]
Der Pflichtverteidiger kann außerdem Auslagen, insbesondere die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG und die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG, geltend machen.
Hat der RA als Wahlanwalt an der richterlichen Vernehmung teilgenommen und wird er später zum (vollen) Pflichtverteidiger bestellt, gilt hinsichtlich seiner gesetzlichen Gebühren § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG. Das bedeutet, dass dann auf jeden Fall die für die Teilnahme an der richterlichen Vernehmung entstandene Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG als gesetzliche Gebühr geltend gemacht werden kann. Wird der RA erst im gerichtlichen Verfahren (Anm. zu Nr. 4104 VV RVG) als Pflichtverteidiger beigeordnet, hat die richterliche Vernehmung aber im vorbereitenden Verfahren stattgefunden, in dem der RA nur als Wahlanwalt tätig gewesen ist, entsteht neben der gerichtlichen Verfahrensgebühr dann auch die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) als gesetzliche Gebühr.
Der nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO beigeordnete RA ist Pflichtverteidiger. Er kann also beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 RVG eine Pauschgebühr beantragen. Daran zu denken ist etwa bei Teilnahme an besonders langen richterlichen Vernehmungen.
In § 163 Abs. 3 StPO ist eine generelle Erscheinenspflicht für Zeugen für polizeiliche Vernehmungen eingeführt worden.[32] Es ist wegen der ggf. weit reichenden Bedeutung dieser Vernehmung auch für den Zeugen, vor allem in den Fällen, in denen ggf. der Zeuge zunächst nur als solcher geladen ist, er aber ggf. auch als Beschuldigter in Betracht kommt, zu empfehlen, dass der RA, den der Zeuge vorab um Rat fragt, ihn zu der Vernehmung begleitet.[33]
Begleitet der RA den Zeugen, wird er als Zeugenbeistand tätig. Er kann dann nach der von mir vertretenen Auffassung die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, im Zweifel die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 2 VV RVG abrechnen.[34] Wird der RA ggf. auf Antrag/Anregung des vernehmenden Polizeibeamten von der Staatsanwaltschaft als Vernehmungsbeistand bestellt (§ 163 Abs. 4 Nr. 4 i.V.m. § 68b Abs. 2 StPO), kann er die Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend machen.[35] Für die Gebühren gelten die allgemeinen Regeln.
Nach dem neuen § 213 Abs. 2 StPO soll der Vorsitzende in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG oder OLG, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung vor der Terminbestimmung mit dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Nebenklägervertreter abstimmen.
§ 213 Abs. 2 StPO sieht keine (besondere) Form für die Abstimmungen vor. Es ist also dem Vorsitzenden überlassen, wie er sie durchgeführt. Die Abstimmung kann telefonisch, z.B. im Rahmen einer Telefonkonferenz aber auch, indem der Vorsitzende mit den abstimmungsberechtigten Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und ggf. dem Nebenklägervertreter sukzessive telefoniert, erfolgen. Auch eine schriftliche Abstimmung ist möglich. Anbieten wird sich im Zweifel ggf. auch die Durchführung eines gemeinsamen Abstimmungstermins.
Die in Zusammenhang mit diesen Abstimmungen erbrachten Tätigkeiten des RA werden durch die gerichtlichen Verfahrensgebühren Nrn. 4112, 4118 VV RVG abgegolten. Der Wahlanwalt muss die entsprechenden Tätigkeiten also bei der Bestimmung der angemessenen Gebühr (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) anführen. Beim Pflichtverteidiger ist das nicht möglich. Bei ihm können die Tätigkeiten ggf. bei der Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG eine Rolle spielen.
Das gilt auch, wenn vom Vorsitzenden ein Abstimmungstermin angesetzt wird, an dem der RA teilnimmt. Gebührenrechtlich handelt es sich bei einem solchen Abstimmungstermin zwar um einen Termin außerhalb der Hauptverhandlung. Eine besondere Terminsgebühr ist für die Teilnahme des Verteidigers an einem solchen Termin in Nr. 4102 VV RVG ebenso wie für einen Termin nach den §§ 202a, 212 StPO nicht vorgesehen. Die Teilnahme wird also auch mit der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nrn. 4112, 4118 VV RVG abgegolten. Eine analoge Anwendung der Nr. 4102 VV RVG scheidet nach h.M. aus.[36]
In § 243 Abs. 5 Satz 3 und 4 StPO ist jetzt in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG oder dem OLG, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, für den Verteidiger die Gelegenheit vorgesehen, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag allerdings nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde. Bei dieser Gelegenheit zur Stellungnahme handelt es sich um das sog. opening Statement, das von der Praxis für die Praxis schon seit längerem gefordert worden ist.[37]
Entschließt sich der Verteidiger zu einer solchen Erklärung für den Angeklagten, haben seine von ihm dazu erbrachten Tätigkeiten keine konkreten gebührenrechtlichen Auswirkungen. Sie sind beim Wahlanwalt vielmehr über § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Rahmen der Bemessung der Hauptverhandlungsterminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin, in dem die Erklärung abgegeben wird, als sog. Vorbereitungsarbeiten geltend zu machen.[38] Der Pflichtverteidiger muss die Tätigkeiten ggf. bei einem Pauschgebührantrag nach § 51 RVG anführen. Der zeitliche Aufwand der Erklärung selbst wird über die Terminsdauer des abzurechnenden Hauptverhandlungstermins, in dem das opening Statement erfolgt, erfasst.
Früher war eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO im Revisionsverfahren ausgeschlossen, da nach § 153a Abs. 2 Satz 1 StPO die Anwendung der Vorschrift nur möglich war bis zum Ende der Hauptverhandlung, in der die tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden können. Das hatte zur Folge, dass das Verfahren ggf. erst vom Revisionsgericht zurückverwiesen werden musste, bevor es eingestellt werden konnte. Um das zu vermeiden und um auch dem Revisionsgericht die Möglichkeit einer Einstellung gegen Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO zu geben, ist diese Einschränkung nun entfallen. Es kann jetzt also auch noch eine Einstellung nach § 153a StPO im Revisionsverfahren erfolgen.
Hat der RA an der Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO mitgewirkt, stellt sich die Frage, ob dadurch ggf. eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG entstanden ist.[39] M.E. ist das zu bejahen. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Einstellung erst im Revisionsverfahren erfolgt ist. Denn Nr. 4141 VV RVG gilt für das gesamte Strafverfahren, also auch noch für die Rechtsmittelinstanz,[40] mithin auch für das Revisionsverfahren.
M.E. ergeben sich auch keine Probleme hinsichtlich des Merkmals Vermeidung einer Hauptverhandlung.[41] Wird das Verfahren vom Revisionsgericht nach § 153a StPO eingestellt, um eine Revisionshauptverhandlung und eine ggf. erfolgende Aufhebung des tatrichterlichen Urteils zu vermeiden, liegt es auf der Hand, dass dann für die Mitwirkung des Verteidigers die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 4141 VV RVG anfällt. Das gilt aber auch für die Fälle, in denen vom Revisionsgericht aufgehoben und zurückverwiesen würde. Denn wird nämlich durch die Mitwirkung des Verteidigers an der Einstellung und die Einstellung nach § 153a StPO eine (neue) Hauptverhandlung beim Tatsachengericht vermieden, so dass auch in dem Fall die Voraussetzungen der Nr. 4141 VV RVG erfüllt sind.
Für die Entstehung der Nr. 4141 VV RVG gelten hinsichtlich der Anforderungen an die Mitwirkungstätigkeiten des Verteidigers, der Ursächlichkeit seiner Mitwirkung und der sonstigen Fragen die allgemeinen Regeln.[42]
Auf das strafverfahrensrechtliche Kostenfestsetzungsverfahren einschließlich der gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss statthaften Rechtsbehelfe sind nach § 464b Satz 3 StPO die Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden. Zuständig für die Kostenfestsetzung ist nach § 21 Nr. 1 RPflG i.V.m. §§ 103 ff. ZPO der Rechtspfleger.
Dessen Entscheidung ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO), sofern der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 übersteigt (§ 567 Abs. 2 ZPO bzw. § 304 Abs. 3 StPO). Andernfalls ist die Erinnerung statthaft (§ 11 Abs. 2 RPflG). Das Verfahren der sofortigen Beschwerde richtet sich wegen der lediglich entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO überwiegend nach den §§ 304 ff. StPO. Somit ging die überwiegende Meinung (bisher) davon aus, dass auch § 311 Abs. 2 Hs. 1 StPO zur Anwendung kam, wonach die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde eine Woche betrug.[43] Demgegenüber beträgt die Frist zur Erhebung der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG zwei Wochen. Folge dieser Regelung war, dass je nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes und ohne sachlichen Grund unterschiedlich lange Rechtsbehelfsfristen zu beachten waren.
Das ist durch einen neuen Satz 4 in § 464b StPO geändert worden. Dieser sieht als Ausnahme von § 311 Abs. 2 Hs. 1StPO nun eine zweiwöchige Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde im Rahmen der Kostenfestsetzung vor. Damit ist die Beschwerdefrist an diejenige zur Einlegung der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG anglichen worden, was sachgerecht erscheint.
Über § 46 Abs. 1 OWiG gilt diese Änderung auch bei der Kostenfestsetzung im Bußgeldverfahren.[44]
Bislang waren die Anwesenheitsrechte des Verteidigers im Ermittlungsverfahren (sehr) beschränkt. Die StPO sah bislang für Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers nur für richterliche (§ 168c Abs. 1 StPO) und staatsanwaltschaftliche (§ 163a Abs. 3 S. 2 StPO i.V.m. § 168c Abs. 1 StPO) Vernehmungen vor. Ein Recht auf Teilnahme an einer polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten hatte der Verteidiger nicht. Dies ist durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts v. 27.8.2017[45] geändert worden. Damit wird die Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (ABl L 294 vom 6.11.2013, S. 1) umgesetzt.
Dies hat zu folgenden Erweiterungen geführt:
Nimmt der RA als Verteidiger an einer polizeilichen Gegenüberstellung des Mandanten teil, stellt sich die Frage, ob dafür ggf. eine Vernehmungsterminsgebühr nach Nr. 4102 VV RVG anfällt. In Betracht kommt aus dem Katalog der Nr. 4102 VV RVG nur die Nr. 2 Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde.
Die Frage ist jedoch zu verneinen. Die Gegenüberstellung des Mandanten ist keine Vernehmung i.S.d. Nr. 2.[47] Da die Nr. 2 die Teilnahme an nichtrichterlichen Augenscheinseinnahmen nicht honoriert, muss auch nicht die Frage entschieden werden, ob es sich bei der Gegenüberstellung ggf. um eine Augenscheinseinnahme handelt,[48] was im Übrigen zu verneinen wäre. Da auch eine analoge Anwendung der Nr. 4102 VV RVG nach h.M. ausscheidet,[49] hat der Wahlverteidiger nur die Möglichkeit, seine Teilnahme an der Gegenüberstellung bei der Bemessung des Rahmens der jeweiligen Verfahrensgebühr gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, im Zweifel der für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG, gebührenerhöhend geltend zu machen. Der Pflichtverteidiger muss seinen Zeitaufwand ggf. bei der Beantragung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG mit anführen.
Nimmt der RA als Verteidiger an einer polizeilichen Vernehmung seines Mandanten teil, entsteht dafür nach dem Wortlaut der Nr. 4102 Nr. 2 VV RVG die Vernehmungsterminsgebühr. Das ist schon für den früheren Rechtszustand bejaht worden.[50] Der Verteidiger hatte zwar kein Anwesenheitsrecht. Nahm er jedoch an einem Vernehmungstermin teil, entstand die Vernehmungsterminsgebühr. Daran hat sich durch die ausdrückliche Normierung eines Anwesenheitsrechts nichts geändert. Für diese Terminsgebühr gelten die allgemeinen Regeln zu Nr. 4102 VV RVG.
[1] BGBl I, 3202; im Folgenden kurz: Effektivierungs-Gesetz.
[2] Wegen der Einzelheiten s. Burhoff, Effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2017 ein erster Überblick, 2017, bestellbar beim ZAP-Verlag oder auf www.burhoff.de; im Folgenden kurz: Burhoff, StPO 2017.
[3] BGBl I, 3295; im Folgenden kurz: Stärkungs-Gesetz.
[4] Burhoff, StPO 2017, Rn 193 ff.
[5] Vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl., 2015, Rn 3050 ff. m.w.N. auch zur a.A. (im Folgenden kurz: Burhoff, EV); grundlegend zuletzt BGH NJW 2015, 3383.
[6] BGBl I, 2274.
[7] Dazu eingehend Burhoff, EV, Rn 2848 ff. m.w.N.
[8] Eingehend zu der Neuregelung schon Schlothauer StV 2017, 557 ff.; grds. positiv auch BRAK Stellungnahme 17/17 von März 2017, S. 5.
[9] Burhoff, StPO 2017, Rn 112 ff. m.w.N.
[10] Vgl. BT-Drucks 18/11277, 28; auch Schlothauer StV 2017, 557 f.; s. auch Burhoff, StPO 2017, Rn 114.
[11] Vgl. dazu Burhoff, EV, 3995 ff., 4002 ff.
[12] Burhoff, EV, Rn 3281 ff.
[13] Vgl. dazu Burhoff, StPO 2017, Rn 114 ff.; Schlothauer StV 2017, 557, 558, s. auch Burhoff, EV, 4280 ff.
[14] Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., 2017, § 202 Rn 2; Schlothauer StV 2017, 557, 558.
[15] Schlothauer StV 2017, 557; Burhoff, StPO 2017, Rn 125 ff.
[16] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Vorbem. 4.3 VV Rn 7.
[17] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 23 m.w.N.; Burhoff RVGreport 2017, 242.
[18] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 8 ff. m.w.N.; Burhoff RVGreport 2016, 122.
[19] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 16 ff. m.w.N.; Burhoff RVGreport 2017, 242 und RVGreport 2016, 122.
[20] Burhoff/Volpert, RVG, a.a.O.
[21] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4100 VV Rn 8 ff. m.w.N.
[22] Burhoff, StPO 2017, Rn 106 ff.
[23] Vgl. zur Grundgebühr Burhoff RVGreport 2014, 42.
[24] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4100 VV Rn 25 ff.
[25] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4100 VV Rn 25 m.w.N.; Burhoff RVGreport 2014, 42 ff.
[26] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 37 ff.
[27] Vgl. oben III. 2.
[28] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV Rn 10 ff.
[29] Vgl. Burhoff, StPO 2017, Rn 110 ff.
[30] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV Rn 47 ff.
[31] Zum Haftzuschlag allgemein Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 103 ff.
[32] Vgl. dazu Burhoff, StPO 2017, Rn 147 ff.
[33] Zu Verfahrenshinweisen Burhoff, StPO 2017, Rn 189.
[34] S. Burhoff RVGreport 2016, 122 ff.; Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff. m.w.N.
[35] Burhoff RVGreport 2016, 122 m.w.N. auch zur teilweise a.A. in der obergerichtlichen Rechtsprechung.
[36] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV Rn 44 ff.
[37] Wegen der Einzelheiten s. Burhoff, StPO 2017, Rn 220 ff.
[38] Zum Abgeltungsbereich der Terminsgebühr s. Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV Rn ###.
[39] Eingehend zur Nr. 4141 VV die Kommentierung zu der Vorschrift bei Burhoff/Volpert, RVG.
[40] Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4141 VV Rn 6, 22.
[41] Dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4141 VV Rn 44 f.
[42] Dazu Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4141 VV Rn 12 ff.
[43] Vgl. BGHSt 48, 106; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 254; OLG Koblenz NJW 2005, 917; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464b StPO Rn 7 und bei Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Kostenfestsetzung und Erstattung in Bußgeldsachen, Rn 1306 ff.).
[44] Zur Geltung des § 464b StPO im gerichtlichen Bußgeldverfahren s. OLG Hamm, Beschl. v. 12.7.2007 4 Ws 247/07; Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Kostenfestsetzung und Erstattung in Bußgeldsachen, Rn 1306 ff.; Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Aufl., 2017, Vor § 105 Rn 54.
[45] BGBl I, 3295.
[46] Vgl. eingehend zu Gegenüberstellungen Burhoff, EV, 2056 ff.
[47] Zum Begriff der Vernehmung s. Burhoff, EV, Rn 3944.
[48] Zum Begriff der Augenscheinseinnahme Burhoff, EV, Rn 521.
[49] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV Rn 47 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung.
[50] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV Rn 22.
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