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aus Renopraxis 2017, 111

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "Renopraxis" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "Renopraxis" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Aktuellere Rechtsprechung zu den Teilen 4 und 5 VV RVG

Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über aktuellere Rechtsprechung und Tendenzen in der Rechtsprechung zur Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeiten nach Teil 4 und 5 VV RVG. Sie beziehen sich auf den Zeitraum etwa ab 2013.

I. Erstattung der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren im Fall der Rücknahme des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft

Die Frage, ob im Strafverfahren dem Angeklagten die Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren (Nr. 4124, 4130 VV RVG) auch dann erstattet wird, wenn die Staatsanwaltschaft nach einem Urteil Berufung oder Revision eingelegt hat, diese dann aber zurücknimmt, ohne dass die Berufung von ihr begründet wurde, der Angeklagte aber schon anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat, ist in der Rechtsprechung der letzten Zeit umstritten. Zum Stand der Rechtsprechung ist darauf zu verweisen, dass die wohl überwiegende Meinung in der Rechtsprechung die Erstattung mit der Begründung ablehnt, das Tätigwerden des Verteidigers in dieser Phase sei eine nutzlose Tätigkeit (vgl. die Nachweise bei Burhoff, in: Burhoff [Hrsg.], RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Nr. 4124 VV Rn 31). Daher müsse die Verfahrensgebühr nicht erstattet werden. Der Angeklagte müsse warten, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet. Erst dann bestehe Anlass, einen Verteidiger auch für das Rechtsmittelverfahren zu beauftragen (vgl. dazu aus neuerer Zeit OLG Koblenz NStZ-RR 2014, 327; OLG Köln RVGreport 2015, 383 = AGS 2015, 511; LG Köln StRR 2014, 256 = RVGreport 2014, 360).

Diese Sichtweise ist falsch. Sie übersieht, dass der Angeklagte gerade auch in dieser Schwebephase einen Anspruch auf Verteidigung und Informationen und Beratung des Verteidigers hat (s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4124 VV Rn 31; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 8. Aufl. 2017, Nr. 4124, 4125 VV RVG Rn 16 m.w.N.; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2016, Einl. Nr. 4124, 4125 VV RVG Rn 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 464a Rn 10 [i.d.R.]). Die Rechtsprechung ist zudem auch widersprüchlich. Denn wenn man, wie das KG (StRR 2011, 387 m. abl. Anm. Burhoff = JurBüro 2011, 471) vom „verständigen und erfahrenen Verteidiger“ erwartet, auf voreilige Überlegungen und spekulative Beratungen zu verzichten, dann muss er den Angeklagten darüber aufklären, warum nichts unternommen wird. Das ist dann aber eine notwendige und nicht nutzlose Tätigkeit, die natürlich auch honoriert werden muss. In die Richtung sind inzwischen auch einige zutreffende AG/LG-Entscheidungen ergangen (vgl. u.a. LG Aurich RVGreport 2015, 266 = StRR 2015, 280; LG Dortmund RVGreport 2016, 223 = StRR 2016, Nr. 5 S. 4 = AGS 2016, 18; LG München I StRR 2015, 78 m. Anm. Werning; AG Iserlohn StraFo 2011, 530 = VRR 2012, 160 = StRR 2012, 160). Die Diskussion ist also noch nicht am Ende (zu allem eingehend auch Burhoff RVGreport 2014, 410).

II. Umfang von Kopien aus der Verfahrensakte (§ 46 RVG; Nr. 7000 VV RVG)

Eine teils heftige Diskussion ist in den letzten Jahren geführt worden in der Frage, in welchem Umfang der Verteidiger Kopien aus der Verfahrensakte machen kann und ob und in welchem Umfang diese zu erstatten sind. Meist hat es sich um Pflichtverteidigungsmandate gehandelt, in denen sich die Frage während des Mandats aufgrund eines Vorschussantrags (§ 47 RVG, vgl. dazu Burhoff RVGreport 2011, 327) oder im Rahmen eines Antrags nach § 46 Abs. 2 S. 1 RVG gestellt hat. Die umfangreiche Rechtsprechung kann hier nur in einem Überblick vorgestellt werden. Im Einzelnen:

  • Die Rechtsprechung der OLG (vgl. u.a. OLG Brandenburg RVGreport 2014, 308 = StRR 14, 264 m.w.N., vgl. auch LG Aachen RVGreport 2014, 344 = AGS 2014, 329) geht nach wie vor davon aus, dass grundsätzlich die Staatskasse die Beweislast dafür hat, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich gewesen sind. Allerdings (so OLG Köln, Beschl. v. 15.1.2015 – 2 Ws 651/14) setzt die Erstattungsfähigkeit von Kopierkosten voraus, dass die angefertigten Vervielfältigungen geboten waren. Dies ist dann der Fall, wenn sie aus der objektiven Sicht eines vernünftigen, sachkundigen Dritten zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache erforderlich waren. Aber: Grundsätzlich obliegt die Entscheidung, welche Aktenteile ein Verteidiger für seinen Mandanten kopiert, in seinem Ermessen (LG Aachen, a.a.O.; LG Zweibrücken RVGreport 2013, 347; AG Bremen RVGreport 2011, 229 = NStZ-RR 2011, 127).
  • Bei der Beantragung von Aufwendungen nach Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a VV RVG liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit der Ausdrucke auf Datenträger überlassener Gerichtsakten hingegen bei dem Rechtsanwalt (OLG Celle StraFo 2016, 175 = JurBüro 2016, 240 = Nds.Rpfl 2016, 162 = NStZ-RR 2016, 160 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung in NJW 2012, 1671).
  • Den Rechtsanwalt trifft die Verpflichtung darzulegen, welche Schriftstücke oder Gruppen von Schriftstücken er zu kopieren für erforderlich gehalten hat (so OLG Braunschweig RVGreport 2014, 317 = StRR 2014, 510 für Aktendoppel; s. auch noch LG Neuruppin, Beschl. v. 11.11.2013 – 11 Qs 18/13).
  • Der Verteidiger darf nach der Rechtsprechung auch nicht „blind“ seinem Mandanten ein vollständiges Aktendoppel überlassen. Es soll vielmehr seine Aufgabe sein, vor Anfertigung/Überlassung der Kopien eine Vorauswahl zu treffen und dabei mit Hilfe seines beruflichen Sachverstandes Schwerpunkte zu setzen (OLG Braunschweig RVGreport 2014, 317 = NStZ-RR 2014, 263 = StRR 2014, 510; OLG Rostock RVGreport 2014, 471 = JurBüro 2014, 637 = AGS 2014, 553; JurBüro 2015, 22; OLG München RVGreport 15, 106; a.A. LG Duisburg StraFo 2014, 310 = RVGreport 2014, 435 = StRR 2014, 459; LG Kleve RVGreport 2016, 98 = AGS 2015, 598).
  • Benötigt der Verteidiger, dem ggf. eine „digitale“ Akte überlassen worden ist, einen Ausdruck, darf er – nach der Rechtsprechung – nicht die ganze Akte unbesehen kopieren. Vielmehr ist es ihm zuzumuten, die Akten innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Zeit zunächst am Bildschirm zu sichten und sodann eine Auswahl zu treffen, welche Aktenbestandteile er ggf. für seine weitere Tätigkeit (auch) auf Papier ausgedruckt benötigt. Auf einen entsprechend begründeten Antrag hin sind dann allenfalls die für die Erstellung eines solchen papiernen Aktenauszugs anfallenden Auslagen zu erstatten (OLG Düsseldorf RVGreport 2016, 64 = StRR 2015, 39 = NStZ-RR 2015, 64; StRR 2015, 39; OLG München RVGreport 2015, 106; vgl. aber auch LG Duisburg StraFo 2014, 307 = RVGreport 2014, 435 = StRR 2014, 459). Denn das in § 147 Abs. 1 StPO vorgesehene Akteneinsichtsrecht des Verteidigers soll nicht mit einem Anspruch auf Erhalt eines vollständigen Exemplars der Papierakte in jedem Fall gleichgesetzt sein.
  • Das bloße Einscannen von Urkunden, Unterlagen usw. führt nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG nicht mehr zu der Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG (vgl. KG RVGreport 2015, 464 = zfs 2015, 705 = AGS 2015, 569 = JurBüro 2016, 18; RVGreport 2016, 224; AG Hannover RVGreport 2015, 344 = AGS 2014, 273 = JurBüro 2014, 358).
  • Der Ausdruck gescannter Gerichtsakten ist grundsätzlich nicht erstattungsfähig nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG (KG RVGreport 2016, 147 = JurBüro 2016, 135; LG Berlin AGS 2015, 374).

Hinweis:

Das Fazit aus dieser Rechtsprechung ist m.E. eindeutig. Sie geht eher in Richtung „contra“ als in Richtung „pro“ Erstattung. Und das gilt vor allem, wenn es um Verfahren mit umfangreichem Aktenmaterial geht und erhebliche Erstattungsbeträge geltend gemacht werden. Man kann nur den Rat geben, die Fragen vorab zu klären und einen Vorschuss- bzw. Feststellungsantrag zu stellen (§§ 47, 46 Abs. 2 S. 1 RVG).

III. Gebühren des Zeugenbeistands (Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG)

Immer noch einer der „Dauerbrenner“ in Teil 4 VV RVG ist die Problematik der Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistandes. Der Streit geht um die Frage: Werden die Tätigkeiten des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG abgerechnet? Diese Frage beschäftigt die gebührenrechtliche Rechtsprechung seit Inkrafttreten des RVG im Jahr 2004 (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., Einl. Vorbem. 4.1 VV RVG Rn 5 ff.; Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 ff.; Burhoff RVGreport 2016, 122). Die Diskussion hat nun auch den Umstand einbezogen, ob nicht ggf. durch das 2. KostRMoG vom 23.7.2013 (BGBl I 2013, S. 2586) eine Änderung der Rechtsprechung angesagt ist. Dieses hat zwar nicht, wie zunächst geplant, die Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG klarstellend an die richtige Sicht der Auffassung angepasst, die nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet. Aber: Die Gesetzesbegründung zum 2. KostRMoG enthielt eine mehr als eindeutige Aussage, wie der Gesetzgeber die Regelung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG verstanden wissen wollte (u.a. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.). Und das hätte m.E. Anlass sein müssen, die abweichende Rechtsprechung zu überdenken. Leider ist das nicht eingetreten (vgl. z.B. KG RVGreport 2014, 23 = StRR 2014, 120; OLG München RVGreport 2014, 275 = AGS 2014, 219 = StRR 2014, 270; Beschl. v. 7.3.2014 – 4c Ws 4/14; OLG Saarbrücken StRR 2015, 196 = RVGreport 2015, 216; LG Hagen, Beschl. v. 30.4.2014 – 46 KLs-408 Js 285/12-24/13; LG Leipzig, Beschl. v. 22.5.2014 – 2 Qs 3/14 jug, die an der alten Rechtsprechung festhalten). Und nicht nur das: Zum Teil sind Gerichte, die früher die Auffassung vertreten haben, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet werden müsse, auf Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG umgeschwenkt (u.a. OLG Köln RVGreport 2017, 62 = AGS 2016, 397 = JurBüro 2016, 472; OLG München RVGreport 2014, 275 = AGS 2014, 219 = StRR 2014, 270). Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Hinweis:

Auch an dieser Stelle kann man nur raten, nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen und Rechtsmittel gegen eine Festsetzung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG als Einzeltätigkeit einzulegen. Nur so lässt sich – wenn überhaupt – eine Änderung der Rechtsprechung erreichen.

IV. Gebühren des Terminsvertreters (Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG)

Ebenfalls seit Inkrafttreten des RVG 2004 gibt es die Diskussion um die Festsetzung der Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidigers, also desjenigen Rechtsanwalts, der für einen verhinderten Pflichtverteidiger einen (Hauptverhandlungs-)Termin wahrnehmen soll. Hierzu werden folgende Auffassungen vertreten:

Hinweis:

Zutreffend ist davon auszugehen, dass alle Gebühren entstehen können. Denn der Rechtsanwalt ist „voller Verteidiger“. Dem lässt sich auch nicht das „Vertretungsargument“ entgegenhalten (vgl. dazu eingehend OLG Saarbrücken, a.a.O.). Denn „Vertretung“ gibt es bei der Pflichtverteidigung nicht (s. dazu zuletzt BGH NJW 2014, 3320).

V. Grundgebühr (Nr. 4100, 5100 VV RVG)

Bei den Grundgebühren Nr. 4100, 5100 VV RVG haben die (Ober-)Gerichte die Änderungen in den Anmerkungen erfreulicherweise sehr schnell umgesetzt. Man ist sich einig, dass die Grundgebühr nach der Änderung und Aufnahme des Passus „neben der Verfahrensgebühr“ in die jeweilige Anmerkung immer neben der Verfahrensgebühr entsteht (vgl. OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117; LG Chemnitz RVGreport 2015, 265 = StRR 2015, 319 = AGS 2015, 379; LG Duisburg RVGreport 2014, 427 = AGS 2014, 330 = zfs 2014, 468; LG Oldenburg RVGreport 2014, 470 = zfs 2014, 648 = AGS 2014, 552; LG Saarbrücken RVGreport 2015, 221 = StRR 2015, 239 = AGS 2015, 389 (Aufgabe der Rechtsprechung: StRR 2015, 119 = RVGreport 2015, 182). Der alte Streit zum Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr ist damit erledigt (dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV RVG Rn 25 ff.). Lediglich das OLG Nürnberg (RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118 = NStZ-RR 2015, 95 [Ls.]) hat noch anders entschieden, allerdings ohne das näher zu begründen.

VI. Analoge Anwendung der Nr. 4102 VV RVG

Immer noch geführt wird der Streit in der Rechtsprechung, ob die Nr. 4102 VV RVG analog angewendet werden kann und daher auch in der Gebührenvorschrift nicht erwähnte Termine honoriert werden können. Das hat zuletzt das OLG Köln (RVGreport 2015, 108 = AGS 2015, 328 für Erörterungstermin nach § 202a S. 1 StPO) mit der h.M. zutreffend verneint, während das LG Freiburg (RVGreport 2015, 24 = StRR 2014, 518 = AGS 2015, 28) eine analoge Anwendung auf andere als die angeführten Termine bejaht und für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Explorationsgespräch bei einem Sachverständigen eine Gebühr Nr. 4102 VV RVG gewährt hat (vgl. wegen weiterer Rechtsprechungsnachweise Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4102, 4103 Rn 5).

Hinweis:

Der Verteidiger sollte versuchen, sich auf die für ihn günstige Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung bejaht, zu berufen. Im Übrigen: Die Frage bedarf dringend einer gesetzlichen Klärung. So spricht z.B. nichts dagegen, die Erörterungstermine nach den §§ 202a, 212a StPO in den Katalog der Nr. 4102 VV RVG aufzunehmen.

VII. Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG nach Rücknahme der Anklage

Zwei Gerichte haben in neuerer Zeit zu der Frage Stellung genommen, ob die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG für den Rechtsanwalt, der nach Eingang der Anklage mandatiert worden ist, entsteht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zurücknimmt und der Rechtsanwalt danach dann noch für den Mandanten tätig wird (vgl. LG Berlin RVGreport 2017, 106 = AGS 2017, 80 für das Strafbefehlsverfahren; AG Gießen RVGreport 2016, 348 = AGS 2016, 394). Beide Gerichte haben den Anfall der Nr. 4104 VV RVG bejaht. Das ist zutreffend. Denn nimmt die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG verdient.

Hinweis:

Wird das Verfahren dann später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, handelt es sich um einen Anwendungsfall der Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG (AG Gießen a.a.O.). Es reicht für eine Mitwirkung i.S.d. Nr. 4141 VV RVG dann aus, wenn eine Tätigkeit des Rechtsanwaltes aus einem früheren Verfahrensabschnitt fortgewirkt und zur Einstellung geführt hat (LG Cottbus RVGreport 2017, 108; AG Gießen, a.a.O.).

VIII. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG

Das RVG sieht in Nr. 4142 VV RVG eine zusätzliche Verfahrensgebühr vor, wenn der Anwalt bei Einziehung und verwandten Maßnahmen (§ 442 StPO) eine darauf bezogene Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt. Hier kann der Verteidiger, da es sich um eine reine Wertgebühr handelt, erhebliche Gebühren verdienen (vgl. wegen der Einzelheiten Burhoff RVGreport 2006, 412; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV RVG Rn 1 ff.). Nach überwiegender Auffassung in der Literatur ist die Nr. 4142 VV RVG nicht anwendbar im Fall des Arrestes im Rahmen der Rückgewinnungshilfe, was damit begründet wird, dass es dabei nicht um die Verhinderung des endgültigen Entzugs einer Sache geht (vgl. AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., Nr. 4142 VV RVG Rn 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., Nr. 4142 VV RVG Rn 8; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4142 VV RVG Rn 7, jeweils m.w.N., wie z.B. KG AGS 2009, 224). In der neueren Rechtsprechung scheint sich hier ein Umschwenken anzudeuten. Denn die Gebühr Nr. 4142 VV RVG wird nun teilweise auch bei einem Arrest im Rahmen der Rückgewinnungshilfe gewährt (OLG Stuttgart RVGreport 2014, 348 = NStZ-RR 2014, 360 = JurBüro 2015, 13; LG Essen StraFo 2015, 41; ähnlich in der Vergangenheit schon, allerdings ohne nähere Begründung OLG Hamm AGS 2008, 341; OLG München wistra 2010, 456; a.A. OLG München, Beschl. v. 30.7.2013 – 4 Ws 074/13 [K]). Den gewichtigen Argumenten für eine andere Sicht wird man sich kaum verschließen können, so dass hier hoffentlich ein weiteres Umschwenken der Rechtsprechung erfolgen wird.

IX. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5151 VV RVG

Die Rechtsprechung zu den zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG ist unüberschaubar. Zu kaum einer Vorschrift des RVG gibt es so viele Entscheidungen. Hier kann daher nur exemplarisch auf einige Entscheidungen, die dann entsprechend auch für die Nr. 4141 VV RVG Bedeutung haben, hingewiesen werden:

· Ausreichend für eine Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV RVG ist jede auf die Förderung der Einstellung geeignete Tätigkeit. Dabei genügt es, wenn eine Tätigkeit des Rechtsanwaltes aus einem früheren Verfahrensabschnitt fortwirkt und dann später zur Einstellung führt (LG Cottbus RVGreport 2017, 108).

· Legt der Rechtsanwalt gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch ein, beantragt wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt dar, dass auch ein anderer als sein Mandant der Fahrzeugführer gewesen sein könnte und wird daraufhin das Verfahren eingestellt, liegt eine Mitwirkung des Rechtsanwalts i.S.d. Nr. 5115 VV RVG vor (LG Potsdam JurBüro 2013, 189 = RVGreport 2013, 275 = AGS 2013, 280).

  • Allein die Mitteilung eines Verteidigers gegenüber der Behörde „Jegliche Einlassungen zur Sache bleiben vorbehalten“ rechtfertigt nicht den Ansatz einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG (AG Schöneberg AGS 2016, 400).
  • Hat der Betroffene sich auf Anraten seines Verteidigers zu den Tatvorwürfen geäußert und führt dieses Bestreiten der Tat zur Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, entsteht eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG (AG Kronach RVGreport 2017, 107 = AGS 2017, 182).
  • Der Antrag, das Verfahren an die Bußgeldstelle wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung bezüglich der Fahreridentität zurückzuverweisen (§ 69 Abs. 5 OWiG), ist eine für den Anfall der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts an der späteren Einstellung des Verfahrens durch die Bußgeldstelle (AG Stadtroda RVGreport 2016, 21 = AGS 2016, 8).
  • Der Anwendungsbereich für die Zusatzgebühr nach Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 4 VV RVG ist im Ergebnis auf die Fälle reduziert, in denen eine Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung möglich ist (LG Saarbrücken RVGreport 2015, 221 = AGS 2015, 171).
  • Die Gebühr Nr. 5115 Nr. 5 VV RVG entsteht nur im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG, nicht hingegen, wenn das Rechtsbeschwerdegericht im Beschlussverfahren nach § 79 Abs. 5 OWiG entscheidet (AG Düsseldorf RVGreport 2014, 232 = AGS 2014, 180).

X. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV RVG

Die Nr. 5116 VV RVG gilt nach Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG für den Wahlanwalt als Vollverteidiger, wobei es genügt, wenn der Rechtsanwalt nur für das sog. selbstständige Verfallsverfahren nach 29a OWiG beauftragt worden ist (Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5116 VV RVG Rn 6; für die Nr. 4142 VV RVG AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., Nr. 4142 VV RVG Rn 5; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., Nr. 4142 VV RVG Rn 3). Im selbstständigen Verfallsverfahren entstehen für den Vertreter des Verfallsbeteiligten Gebühren wie die eines Verteidigers. Das bedeutet: Es entsteht also nicht nur die Gebühr Nr. 5116 VV RVG (LG Karlsruhe RVGreport 2013, 235 = AGS 2013, 230; LG Oldenburg RVGreport 2013, 62 = JurBüro 2013, 135; LG Trier RVGreport 2016, 385; unzutreffend a.A. OLG Karlsruhe RVGreport 2012, 301 m. abl. Anm. Burhoff = AGS 2013, 173). Der Vertreter des Verfallsbeteiligten kann vielmehr auch die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die jeweiligen Verfahrensgebühren und ggf. Terminsgebühren abrechnen.

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg


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