(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, Richter am OLG a.D., Münster/Augsburg
Wir haben in StRR 2009, 9 über die Rechtsprechung in U-Haft-Fragen aus den Jahren 2006 bis 2008 berichtet. Der nachfolgende Beitrag schließt daran an und stellt die die seitdem ergangene neuere Rechtsprechung zur Untersuchungshaft zusammenstellen. Er beschränkt sich wegen der Vielzahl der Entscheidungen der (Ober)Gerichte zu Untersuchungshaftfragen aber auf die für die Praxis bedeutsamsten Fragen. Stand der Zusammenstellung ist Mai 2013.
Die Auswirkungen einer ggf. nicht oder nicht ausreichend gewährten Akteneinsicht auf die Untersuchungshaft spielen in der Praxis ggf. eine erhebliche Rolle (vgl. dazu Herrmann, Untersuchungshaft, Rn. 360 ff. m.w.N. aus der Rspr.; ders., StRR 2009, 4, 9). Wird nicht oder ausreichend Akteneinsicht gewährt, ist der Haftbefehl ggf. aufzuheben (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 167 f.). Darauf hat auch noch einmal das AG Halle/Saale hingewiesen. Wird dem Verteidiger nicht ausreichend Akteneinsicht gewährt, kann das Gericht auf die Tatsachen und Beweismittel, die deshalb nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gelangten, eine Haftentscheidung nicht stützen. Ein Haftbefehl ist daher aufzuheben (§§ 147, 120 StPO) (AG Halle/Saale StV 2013, 166 = StRR 2012, 356 m. Anm. Burhoff). Das OLG Stuttgart geht allerdings, was m.E. zumindest zweifelhaft ist, davon aus, dass sich im Beschwerdeverfahren der Betroffene den durch die Akteneinsicht seines Pflichtverteidigers gewonnenen Erkenntnisstand zurechnen lassen muss. Es sei daher unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" auch ausreichend, den Wahlverteidiger darüber zu informieren, dass der Pflichtverteidiger des Beschuldigten bereits Akteneinsicht erhalten hat. Eine Aufhebung des Haftbefehls wegen einer dem Wahlverteidiger nicht rechtzeitig gewährten Akteneinsicht und eines damit einhergehenden Verstoßes gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sei dann nicht veranlasst (OLG Stuttgart NStZ 2011, 599 = StRR 2011, 276 m. abl. Anm. Herrmann).
Das KG weist (allgemein) darauf hin, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft (§ 112 StPO) nicht zu fragen ist, ob diese angeordnet werden kann, sondern ob ihre Verhängung als ultima ratio wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist (KG StRR 2013, 356).
Der für den Erlass eines Haftbefehl nach §§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche dringende Tatverdacht ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., 2012, § 112 Rn. 5 m.w.N.; s. auch Burhoff, EV, Rn. 2851 ff ). Der dringende Tatverdacht kann nicht auf eine voraussichtlich unverwertbare Aussage gestützt werden (OLG Dresden StraFo 2012, 185). Auch auf Vermutungen kann der dringende Tatverdacht nicht beruhen (KG StRR 2010, 354; LG Dresden StV 2013, 163).
Begibt sich ein ausländischer Beschuldigter in Kenntnis des gegen ihn in Deutschland geführten Ermittlungsverfahrens in sein Heimatland, ist er flüchtig i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, wenn sein Verhalten von dem Willen getragen ist, sich dauernd oder länger dem Strafverfahren zu entziehen. Reist er dagegen mit Rückkehrwillen zu einem nur vorübergehenden Aufenthalt in sein Heimatland, ist er auch dann nicht flüchtig, wenn die Wirkung der Unerreichbarkeit für die deutschen Strafverfolgungsbehörden und das Gericht tatsächlich eintritt, weil sein Heimatland eigene Staatsangehörige grundsätzlich nicht an Deutschland zum Zwecke der Strafverfolgung ausliefert. Ernsthafte Rückkehrbemühungen stehen der Annahme entgegen, der ausländische Beschuldigte verbleibe im Ausland, um sich den Zugriffsmöglichkeiten der deutschen Justiz zu entziehen. Sie sprechen gegen das Vorliegen des für die Annahme einer Flucht im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlichen subjektiven Elements (Fluchtwillen) (KG StRR 2013, 163 (Ls.) = JurionRS 2013, 34343; vgl. auch noch KG StRR 2010, 354).
Fluchtgefahr wird dann bejaht, wenn die gebotene Abwägung ergibt, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werden sich dem Verfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich der Verfahren stellen (u.a. KG StV 2012, 350 = StRR 2012, 155; Burhoff, EV, Rn. 2857 ff. m.w.N.; Herrmann, a.a.O.; Rn. 683 ff.). Ob Fluchtgefahr vorliegt oder nicht, erfordert die Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Das wird in der Praxis häufig übersehen, wenn meist z.B. nur auf die hohe Straferwartung abgestellt wird (vgl. zur Abwägung u.a. KG StRR 2010, 354; OLG Hamm, Beschl. v. 5. 7. 2012 III-3 Ws 159/12, JurionRS 2012, 1962; AG Backnang StRR 2013, 359 m. Anm. Burhoff).
Hinweis:
Es besteht bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe weder stets Fluchtgefahr noch kann bei einer (noch) zu verbüßenden Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ein ausreichender Fluchtanreiz grundsätzlich ausgeschlossen werden; maßgebend ist vielmehr stets die Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (OLG Hamm, Beschl. v. 5. 7. 2012 III-3 Ws 159/12, JurionRS 2012, 19621; ähnlich KG StV 2012, 350 = StRR 2012, 155 [keine schematische Beurteilung]; OLG Celle, Beschl. v. 22. 10. 2009 1 Ws 534/09, JurionRS 2009, 28232; vgl. aber OLG Hamm NStZ-RR 2010, 158).
Zur Fluchtgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist auf folgende Rechtsprechung hinzuweisen:
Die für den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) erforderliche konkrete Gefahr der Verdunkelung setzt voraus, dass die potentielle Verdunkelungshandlung objektiv (noch) geeignet ist, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren. Daran fehlt es, wenn die Beweise in einer Weise gesichert sind, dass der Angeklagte die Wahrheitsermittlung nicht mehr mit Erfolg behindern könnte, wie z.B. durch ein vom Gericht für glaubhaft erachtetes richterliches Geständnis sowie richterlich protokollierte Aussage der Geschädigten, die das erstinstanzliche Gericht für uneingeschränkt glaubhaft erachtet hat (KG, Beschl. v. 11. 7. 2012 - 4 Ws 73/12, JurionRS 2012, 30626). Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr kann nicht damit begründet werden, ein Angeschuldigter habe einen Mitangeschuldigten gebeten, sich auf sein Recht zu schweigen zu berufen. Dieses Verhalten stellt sich eben so wenig als unlauter im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StPO dar, wie die ohne Druck gegenüber einem Zeugen geäußerte Aufforderung, sich auf sein Aussageverweigerungsrecht zu berufen (OLG Frankfurt StV 2010, 583). Die Verdunkelungsgefahr lässt sich auch nicht allein aus der Eigenart des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts ableiten. Denn der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr setzt bestimmte Tatsachen bzw. bestimmte Handlungen voraus, die den Verdacht der prozessordnungswidrigen Einwirkung auf Beweismittel begründen. Das Delikt ist aber keine "bestimmte Tatsache" in diesem Sinn, sondern nur der Vorwurf, der von den Ermittlungsbehörden gegen den Beschuldigten erhoben wird und der erst noch im Verfahren gegen den Beschuldigten erwiesen werden soll (OLG Hamm, Beschl. v. 14. 1. 2010 - 2 Ws 347/09, JurionRS 2010, 11303). Auch reicht die bloße Fortwirkung einer früheren Verdunkelungshandlung für die Annahme einer noch bestehenden Verdunkelungsgefahr grundsätzlich nicht aus (OLG Naumburg StraFo 2010, 112).
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass die fortgesetzte bzw. wiederholt begangene Anlasstat zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt hat, wobei bei einer wiederholten Tatbegehung der erforderliche Schweregrad grds. bei jeder einzelnen Tat vorliegen muss. Erforderlich sind daher Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen, wobei bei der Bewertung insbesondere auch Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens von Bedeutung sind. Es muss sich, da die Katalogtaten ohnehin schon schwerwiegende Taten sind, um solche handeln, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad aufweisen. Beurteilungsmaßstab hierfür ist insbesondere der Unrechtsgehalt der Tat, welcher sich anhand der Kriterien, die auch bei der Strafzumessung eine Rolle spielen, festgestellt werden kann (OLG Hamm NStZ-RR 2013, 86 [Ls.]).
Der für den Erlass eines Haftbefehls erforderliche Schweregrad ist jedoch bei Anlasstaten, durch die Vermögensschäden in Höhe von 1.000 bis 1.905 verursacht worden sind, noch nicht erreicht (OLG Hamm StV 2011, 291 = NStZ-RR 2011, 124 [Ls.]). Eine für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu fordernde hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatbegehung lässt sich nur schwer begründen, wenn es an einer Vorverurteilung wegen eines gleichgelagerten schwerwiegenden Delikts fehlt (OLG Frankfurt StV 2010, 583). Auch wenn nach der seit dem 1. 10. 2009 geltenden Fassung des § 112a StPO bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts auch Taten einzubeziehen sind, die Gegenstand anderer rechtskräftig abgeschlossener Verfahren waren, ist diese Beurteilung im Einzelnen an dem Schweregrad dieser früheren Taten und den entsprechenden Tatzeiten auszurichten (KG NStZ-RR 2010, 291 = StV 2010, 585 = StRR 2010, 243 [Ls.]). Wird einem Angeschuldigten die gemeinschaftliche gewerbsmäßige und bandenmäßige Einfuhr von BtM in nicht geringer Menge sowie das Handeltreiben mit diesen vorgeworfen, so kann der Haftgrund der Wiederholungsgefahr wegfallen, sofern infolge der Inhaftierung der weiteren Bandenmitglieder keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeschuldigte sein strafbares Verhalten (hier: zur Suchtfinanzierung) fortsetzt (OLG Düsseldorf StV 2010, 585). Ist der Beschuldigte im laufenden Strafverfahren einer gefährlichen Körperverletzung dringend verdächtig, so kann auch ein früher vom Beschuldigten begangener (und bereits abgeurteilter) Totschlag die Wiederholungsgefahr i. begründen, wenn eine gefährliche Körperverletzung Durchgangsstadium zum Tötungsdelikt war. Dies gilt auch dann, wenn zwischen den Taten mehr als sechs Jahre liegen. Eine feste zeitliche Grenze, die die Wiederholungsgefahr zwingend entfallen ließe, gibt es nicht (OLG Hamm NStZ-RR 2013, 86 [Ls.]).
Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden (OLG Oldenburg StV 2012, 352 = StraFo 2012, 186). Um die Wiederholungsgefahr zu begründen, muss der Beschuldigte der Katalogtaten mindestens dringend verdächtig sein. Sind nicht alle Taten, die für die Feststellung der Wiederholungsgefahr von Bedeutung sind, Gegenstand des Verfahrens, in dem der Haftbefehl erlassen werden soll, so muss das über die Haftfrage entscheidende Gericht den dringenden Tatverdacht bzgl. der verfahrensfremden Taten eigenverantwortlich prüfen ((OLG Hamm NStZ-RR 2013, 86 [Ls.]).
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der besonderen Form des haftrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK) spielt in der Rechtsprechung des BVerfG eine erhebliche Rolle (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn. 2881 ff.). Das BVerfG weist auf diesen und seine Bedeutung immer wieder hin (vgl. u.a. BVerfG StRR 2011, 246, Beschl. v. 4. 6. 2012 2 BvR 644/12, JurionRS 2012, 19277; Beschl. v. 17. 1. 2013 - 2 BvR 2098/12, StRR 2013, 228 m. Anm. Herrmann). Dabei steigen mit zunehmender Dauer des Verfahrens die Anforderungen an die Zügigkeit der Verfahrensbearbeitung, an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund sowie an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen. Das Beschleunigungsgebot gilt auch dann, wenn der Haftbefehl nicht vollzogen wird, weil sich der Beschwerdeführer in anderer Sache in Strafhaft befindet und daher für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist (OLG Hamm StV 2013, 165 = StRR 2012, 236; OLG Koblenz, Beschl. v. 9. 10. 2010 - 1 Ws 569/10, JurionRS 2010, 43805). Es gilt auch dann, wenn sich der Beschuldigte in anderer Sache in Strafhaft befindet und der Tatrichter davon absieht, die Justizvollzugsanstalt um die Notierung von Überhaft aufgrund des in seinem Verfahren erlassenen Untersuchungshaftbefehls zu ersuchen (OLG Hamm NStZ-RR 2012 = StRR 2012, 198). Die Anforderungen des Beschleunigungsgebots mindern sich nicht grundsätzlich deswegen, weil Gegenstand des Verfahrens Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstraferwartung im Raum steht (BVerfG StV 2011, 31 = StraFo 2010, 461; StRR 2011, 246).
Hinweis:
Auch bei unvermeidbarer Überlastung eines Gerichts müssen Verfahren mit Untersuchungshaft zügig betrieben werden (BVerfG StRR 2011, 246).
Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt i.Ü. für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (BVerfG StV 2011, 31 = StraFo 2010, 461; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. 16. 9. 2009 III 3 Ws 362/09, JurionRS 2009, 31733).
Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert es, die notwendigen Ermittlungen mit der erforderlichen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten ohne vermeidbare und dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerungen herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits andauert. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft steigen außerdem auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund sowie an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen (BVerfG, Beschl. v. 4. 6. 2012 - 2 BvR 644/12, JurionRS 2012, 19277; Beschl. v. 17. 1. 2013 - 2 BvR 2098/12, StRR 2013, 228 m. Anm. Herrmann). Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen die Gerichte bei der Abwägung der Angemessenheit der Verfahrensdauer vorrangig auf objektive Kriterien wie die Komplexität der Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung abstellen (zur Fortdauer über sechs Monate hinaus bei Verdacht der Mitgliedschaft eines deutschen Staatsangehörigen in der Gruppierung "Islamische Bewegung Usbekistan" s. BGH NStZ-RR 2012, 10). Bei der Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit (weiterer) U-Haft ist auch verfahrensfremde Untersuchungshaft eines früheren Verfahren anzurechnen/zu berücksichtigen, wenn zwischen diesem und dem Verfahren, in dem die Untersuchungshaft vollzogen wird, eine auch nur potentielle Gesamtstrafenfähigkeit besteht (OLG Naumburg StraFo 2012, 32 = StRR 2012, 402 [Ls.]). Zu würdigen sind außerdem die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, die im Raum stehende konkrete Straferwartung und - für den Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe - das hypothetische Strafende (BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 2013 - 2 BvR 2098/12, StRR 2013, 228 m. Anm. Herrmann). Der Pflicht zur beschleunigten Durchführung der Hauptverhandlung genügt das Gericht regelmäßig nicht, wenn es in dem jeweiligen Verfahren - ungeachtet einer möglichen mehrwöchigen Unterbrechung wegen Urlaubs - durchschnittlich nur ca. einen Sitzungstag pro Woche durchführt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht an einer nennenswerten Zahl von Verhandlungstagen nur kurze, den Sitzungstag nicht ausschöpfende Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend fördert (BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 2013 - 2 BvR 2098/12, StRR 2013, 228 m. Anm. Herrmann). Der Beschleunigungsgrundsatz erfordert jedoch nicht, dass in einem Umfangsverfahren die Pflichtverteidiger ausgewechselt werden, wenn sich zwar der Beginn der Hauptverhandlung aufgrund der terminlichen Verhinderung der Verteidiger zwar - um wenige Wochen verzögert, aber ein früherer Verhandlungstermin mit anderen Verteidigers aufgrund der erforderlichen Einarbeitung in die Verfahrensakten nicht gewährleistet werden kann (OLG Frankfurt am Main StV 2012, 612).
Hinweis:
Bei der Abwägung, ob die weitere Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis steht, kommt es nur auf die Tat an, die Gegenstand des Haftbefehls ist, nicht auch darauf, ob der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung für eine andere Freiheitsstrafe in Betracht kommt (vgl. OLG Naumburg NStZ-RR 2011, 123; vgl. auch schon OLG Hamm StV 1998, 553).
Der Haftbefehl und die ihn später bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen, also auch die des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO, dürfen nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden dürfen, die dem Beschuldigten vorher bekannt waren und zu denen er sich äußern konnte. Das führt im Haftprüfungsverfahren dazu, dass diesem nur der Haftbefehl zugrunde gelegt werden darf, der dem Beschuldigten ordnungsgemäß im Sinn des § 115 StPO bekannt gemacht worden ist. § 115 StPO ist grundsätzlich auch anzuwenden, wenn ein bestehender Haftbefehl geändert wird. Dies gilt jedoch nur, wenn der geänderte Haftbefehl gegenüber dem bisherigen Haftbefehl eine zusätzliche Beschwer enthält, z.B. der Haftgrund geändert wird, sich die rechtliche Bewertung ändert oder sich die tatsächlichen Grundlagen geändert haben (OLG Hamm, Beschl. v. 13. 9. 2012 - III-1 Ws 469/12, JurionRS 2012, 27753; ähnlich OLG Koblenz NStZ-RR 2012, 93; vgl. aber OLG Oldenburg Nds.Rpfl. 2006, 329). Die Pflicht zur Verkündung eines (geänderten) Haftbefehls gilt unabhängig davon, ob der Ursprungshaftbefehl lediglich durch einen ergänzenden Beschluss geändert oder ob der alte Haftbefehl aufgehoben und durch einen neuen Haftbefehl ersetzt wird (OLG Koblenz, a.a.O.).
Hinweis:
Der Beschuldigte kann aber auf die mündliche Verkündung des Haftbefehls verzichten (OLG Hamm, a.a.O.).
Die Zeit, in der sich ein vom Vollzug der U-Haft verschonter Heranwachsender in einer nicht geschlossenen Einrichtung zur Haftvermeidung aufgehalten hat, ist nicht in die Sechs-Monats-Frist einzurechnen (OLG Köln NStZ-RR 2011, 121). Die Zeit, in der ein Beschuldigter sich auf Grund eines Unterbringungsbefehls nach § 275a Abs. 5 StPO in der JVA befunden hat, ist nicht auf die Sechs-Monats-Frist anzurechnen, wenn es sich in beiden Verfahren nicht um dieselbe Tat handelt, das Verfahren zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vielmehr auf einer Straftat aus dem Jahr 1994 beruht, während der Unterbringungsbefehl nach § 126a StPO der Vorbereitung der Unterbringung wegen einer neuen Tat dient (OLG Köln, Beschl. v. 26. 11. 2010 - III-2 Ws 742/10, JurionRS 2010, 33509).
Durch die Erweiterung eines Haftbefehls wird die Sechs-Monats-Frist des 121 StPO nicht ohne weiteres erneut in Lauf gesetzt (vgl. OLG Karlsruhe StV 2011, 293; s. auch StV 2003, 517). Entsteht im weiteren Verlauf der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht wegen einer anderen Tat, beginnt die Frist des § 121 StPO zu dem Zeitpunkt, an dem sich bei ordnungsgemäßer Ermittlungstätigkeit der dringende Tatverdacht und somit die Möglichkeit einer Haftbefehlserweiterung erstmals ergeben hat. Dies gilt aber nur, wenn die weitere Tat, um die der Haftbefehl ergänzt wird, auch für sich allein den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigt (OLG Celle StraFo 2012, 138 = StV 2012, 421 = StRR 2012, 276 m. Anm. Herrmann).
Hinweis:
Wird eine begonnene Hauptverhandlung mit der Folge ausgesetzt, dass sie später neu durchgeführt werden muss, läuft die Frist des § 121 Abs. 1 StPO bei einem weiterhin inhaftierten Angeklagten erst von der Aussetzung an weiter. Die Aussetzung hat nicht zur Folge, dass das Ruhen der Frist rückwirkend entfällt (OLG Rostock, Beschl. v. 16. 9. 2009 - 2 HEs 6/09 I 4/09).
Die h. M. in der Rechtsprechung legt den Begriff dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO weit aus (OLG München StraFo 2011, 394). Der Begriff umfasst danach alle Taten von dem Zeitpunkt an, in sie als tatsächlich bekannt in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (OLG Celle StraFo 2012, 138 = StV 2012, 421 = StRR 2012, 276 m. Anm. Herrmann; OLG München, a.a.O.; OLG Jena StV 2011, 748).
Hinweis:
Die Zurückhaltung von Tatvorwürfen durch die Staatsanwaltschaft zur Erlangung eines gesonderten Haftbefehls ist jedenfalls dann unzulässig, wenn die Taten ohne weiteres bereits Gegenstand eines parallel als Haftsache geführten Strafverfahrens hätten sein und abgehandelt werden können (OLG Dresden StV 2009, 366 = StV 2009, 537 = NJW 2010, 952).
Allgemein ist darauf zu achten, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft schon dann nicht gerechtfertigt ist, wenn hinreichend deutlich absehbar ist, dass das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung weiterbetrieben werden kann, auch wenn bisher keine Verfahrensverzögerungen eingetreten sind (StV 2011, 749 = NStZ-RR 2012, 62). Auch dann, wenn nach einer Haftprüfung gem. §§ 121, 122 StPO die in Strafsachen gebotene Beschleunigung des Verfahrens missachtet wird, ein Haftbefehl wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot ggf. auch schon vor Ablauf der weiteren Prüfungsfrist des § 121, 122 StPO aufzuheben ist (OLG Nürnberg StV 2011, 294 = StRR 2010, 443 [Ls.]). Allerdings kann nach der Rechtsprechung auch bei einer vermeidbaren, den Strafverfolgungsbehörden zuzurechnenden Verfahrensverzögerung die Haftfortdauer gerechtfertigt sein, wenn die dadurch verursachte Verfahrensverlängerung in Relation zu dem bei wertender Betrachtung erforderlichen Zeitbedarf geringfügig ist und entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat als unerheblich angesehen werden kann (OLG Nürnberg StraFo 2011, 150 = StRR 2011, 238 m. Anm. Hunsmann). Nach Auffassung des OLG Jena kann auch trotz vermeidbarer schwerwiegender Verfahrensverzögerungen die Anordnung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr rechtmäßig sein, sofern die Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO noch nicht abgelaufen ist; es sind dann allerdings erhöhte Anforderungen an die Art und die Intensität der Wiederholungsgefahr zu stellen (hochrangige Rechtsgüter, hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung) (vgl. OLG Jena StV 2011, 735m. abl. Anm. Tsambikakis).
Auf folgende Entscheidungen ist hinzuweisen:
Die Haftprüfung durch das OLG findet nicht (mehr) statt, wenn ein auf Freiheitsstrafe erkennendes Urteil erster Instanz ergangen ist. Das gilt auch dann, wenn die erstinstanzliche Entscheidung durch das Berufungsgericht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit aufgehoben und die Sache an das zuständige Gericht zurückverwiesen worden ist (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2010, 325 [Ls.]).
Ggf. sind im Haftprüfungsverfahren dienstliche Äußerungen der beteiligten Richter abzugeben. Dafür gilt: Wenn die verspätete Rückkehr einer Richterin aus dem Urlaub zur Aussetzung der Hauptverhandlung geführt hat, müssen die dienstlichen Erklärungen über die nicht rechtzeitige Rückkehr der Richterin so präzise sein, dass eine Beurteilung möglich ist, ob die gebotenen zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der mit einer Aussetzung der Hauptverhandlung notwendig verbundenen Verfahrensverzögerung ergriffen worden sind (OLG Hamburg StraFo 2010, 381 für Flugausfälle wegen eines Vulkanausbruchs).
Die Gerichte sind gehalten, sich in Haftfortdauerentscheidungen eingehend mit den einzelnen Voraussetzungen der Untersuchungshaft auseinandersetzen. Insbesondere müssen sie auf die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, auf die im Raum stehende konkrete Straferwartung und für den Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe auf das hypothetische Strafende eingehen. Dabei sind auch die Möglichkeiten der Anrechnung einer Freiheitsentziehung nach § 51 StGB sowie der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zu berücksichtigen (BVerfG, Beschl. v. 4. 6. 2012 - 2 BvR 644/12, JurionRS 2012, 19277; Beschl. v. 17. 1. 2013 - 2 BvR 2098/12, StRR 2013, 228 m. Anm. Herrmann).
Hat das OLG bereits eine Haftprüfung nach §§ 121, 122 Abs. 1 StPO durchgeführt, die Haftfortdauer angeordnet und die Haftprüfung gemäß § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO befristet dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen, so ist dieses bis zum Ende des Übertragungszeitraums für die antragsgebundene Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO zuständig sowie unabhängig davon zur laufenden Prüfung der Haftfrage von Amts wegen (zumindest) nach §§ 120 Abs. 1 Satz 1, 116 Abs. 1 bis 3 StPO berufen und verliert seine Prüfungs- und Entscheidungskompetenz nicht bereits mit dem Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft, die Akten dem Oberlandesgericht zur Durchführung der besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 Abs. 4 StPO vorzulegen (KG, Beschl. v. 6. 3. 2012 (2) 131 HEs 1/11 (13/12), 2 Ws 83/12, JurionRS 2012, 30171).
Gem. § 120 Abs. 3 StPO muss der Amtsrichter im Ermittlungsverfahren einen Haftbefehl aufheben, wenn dies die Staatsanwaltschaft beantragt. Das folgt aus der Stellung der Staatsanwaltschaft als "Herrin des Ermittlungsverfahrens (LG Amberg StV 2011, 421).
Während laufender Hauptverhandlung besteht bei einer Vielzahl von Anklagevorwürfen keine Verpflichtung, fortlaufend aufgrund von Zwischenergebnissen den Haftbefehl an die jeweilige Beweissituation anzupassen, solange Bestand und Vollzug des Haftbefehls nicht berührt werden (OLG Köln StRR 2012, 2 [Ls.] = NStZ-RR 2012, 125 [Ls.]).
Hinweis:
Über Haftprüfungsanträge während laufender Hauptverhandlung ist i.d.R. ohne Mitwirkung der Schöffen in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden (OLG Hamburg StraFo 2010, 383).
Ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268b StPO bedarf jedenfalls dann, wenn die Verurteilung deutlich von den Vorwürfen des ursprünglichen Haftbefehls abweicht, einer Begründung, aus der hervorgehen muss, welcher Taten der Angeklagte dringend verdächtig ist und worauf die richterliche Überzeugungsbildung beruht. Das Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ersetzt das Erfordernis der Neufassung des Haftbefehls grundsätzlich nicht (OLG Hamm StRR 2012, 317; JurionRS 2012, 13582; Beschl. v. 5. 7. 2012 III-3 Ws 159/12, JurionRS 2012, 19621; Beschl. v. 11. 12. 2012 - III - 5 Ws 353/12, JurionRS 2012, 31117).
Auch bei einer hohen Straferwartung kommt eine Haftverschonung in Betracht, wenn das Verhalten des Angeklagten im Verfahren die Annahme zulässt, dass er sich dem weiteren Verfahren einschließlich einer etwaigen Strafvollstreckung stellen wird. Diese Annahme kann gerechtfertigt sein, wenn sich der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte ungeachtet eines für ihn ungünstigen Verlaufes der Beweisaufnahme der weiteren Durchführung der Hauptverhandlung stellt und insbesondere ungeachtet des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Verhängung einer hohen Gesamtfreiheitsstrafe und Erlass eines Haftbefehls auch nach einer mehrstündigen, zum Zwecke der Urteilsberatung eintretenden Verhandlungspause erneut vor Gericht erscheint (KG StV 2012, 609). Auch ist die Fluchtgefahr wegen einer hohen Strafandrohung bei einem Beschuldigten, der in Kenntnis der seit Jahren anhängigen Ermittlungen, nach Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und in Kenntnis eines mit der Anklageerhebung angebrachten Haftbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft keine Anstalten gemacht hat, sich dem Verfahren zu entziehen, mit der Eröffnung des Hauptverfahrens und der geplanten zeitnahen Terminierung der Hauptverhandlung nicht so hoch, dass Untersuchungshaft vollstreckt werden müsste. Das lässt sich auch nicht mit Sprachkenntnissen und Auslandsbeziehungen des Beschuldigten begründen, wenn es sich um einen Geschäftsmann handelt. der die Auslandskontakte im Rahmen seiner geschäftlichen Betätigung schon mehrere Jahre vor der Zeit der im vorgeworfenen Taten geknüpft und seither unterhalten hat (KG StRR 2013, 356). Wer jedoch wiederholt mit bedingtem Tötungsvorsatz "aus Jux" Leitpfosten von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn wirft, handelt nicht vernunftgesteuert. Da eine weitere Tatwiederholung deshalb nicht sicher ausgeschlossen werden kann, kommt eine Verschonung von der mit dem Haftgrund der schweren Tat begründeten Untersuchungshaft gegen Auflagen nicht in Betracht (OLG Oldenburg StRR 2010, 163 [Ls.]).
Im Rahmen der Anordnung einer Sicherheitsleistung i.S. des § 116 Abs. StPO sind bei der Anordnung einer Eigenhinterlegung" die ggf. aus einem Privatinsolvenzverfahren folgenden rechtlichen Wirkungen zu beachten. Dabei ist insbesondere von Belang, dass der Beschuldigte gehindert ist, aus eigenen Mitteln wirksam eine Sicherheit zu hinterlegen (BVerfG StV 2013, 96 = wistra 2013, 59 = StRR 2013, 33 m. Anm. Buhlmann). Wird die festgelegte Sicherheitsleistung ganz oder teilweise von Familienangehörigen aufgebracht, stellt dies ein zusätzlich stabilisierendes Moment dar, das den in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz mildert (OLG Zweibrücken StV 2011, 164).
Hinweis:
Der nicht vollzogene Haftbefehl wird mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils nicht gegenstandslos; er bildet nach wie vor die Grundlage für die die Vollstreckung sichernden Haftverschonungsauflagen (KG NStZ 2012, 230 = StV 2011, 740 = StraFo 2011, 369 = StRR 2012, 72 m. Anm. Hunsmann).
Der Widerruf der Außervollzugsetzung eins Haftbefehls ist an enge Voraussetzungen geknüpft (BVerfG StV 2013, 94; vgl. dazu Herrmann StRR 2013, 12 ff.). Grds. kann aber auch ein nach einer Haftverschonung ergangenes Urteil kann geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung bzw. die Invollzugsetzung eines Haftbefehls nach § 116 Abs. 4 Nr. StPO zu rechtfertigen. Erforderlich ist aber, dass die vom Gericht verhängte Strafe von der früheren Prognose, die zur Aussetzung geführt hat, erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht, und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht. War dagegen zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der späteren Strafe zu rechnen, und hat der Angeklagte die ihm erteilten Auflagen korrekt erfüllt und sich dem Verfahren gestellt, darf die Haftverschonung nicht widerrufen werden. Das gilt selbst dann, wenn der um ein günstiges Verfahrensergebnis bemühte Angeklagte durch das Urteil die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, sofern der Angeklagte die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Verfahrensausganges während der Zeit der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen gehabt hat und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachgekommen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 7. 8. 2012 III 2 Ws 252/12, JurionRS 2012, 20961; zu allem auch BVerfG, a.a.O). Auch dann, wenn der Haftbefehl außer Vollzug bleibt, obwohl die StA die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anstrebt, kann er nicht allein deshalb in Vollzug gesetzt werden, weil das Urteil die Sicherungsverwahrung anordnet (OLG Zweibrücken StraFo 2012, 186).
Ist ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede neue haftrechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO möglich. Dies gilt auch für die (nachträgliche) Anordnung einer Sicherheitsleistung (OLG Frankfurt StV 2010, 586). Die engen Voraussetzungen gelten auch dann, wenn ein Haftbefehl außer Vollzug gesetzt worden ist, und das Gericht in derselben Sache einen neuen "Haftbefehl" erlässt, der sich auf dieselben Haftgründe stützt und inhaltlich auf neu hervorgetretene Umstände i.S. des § 116 Abs. 4 Nr. 3 abstellt, weil dieser neue Haftbefehl die Funktion einer Anordnung des Vollzugs des ausgesetzten Haftbefehls (OLG Celle StRR 2012, 112 m. Anm. Hunsmann).
Der Verteidiger eines Mitbeschuldigten hat kein Anwesenheitsrecht bei Vernehmungen eines anderen Beschuldigten im Haftprüfungsverfahren (OLG Köln NStZ 2012, 174 = NStZ 2012, 174 = StRR 2011, 446 [Ls.] = NJW 2012, 1240 [Ls.]).
Wird die U-Haft nicht mehr aufgrund des angegriffenen Haftbefehls vollzogen, sondern auf der Grundlage eines neuen/um zusätzliche Tatvorwürfe erweiterten Haftbefehls, liegt prozessuale Überholung vor, die zur Unstatthaftigkeit der gegen den ursprünglichen Haftbefehl erhobenen Beschwerde führt. Für die Beschwerde gegen den ursprünglichen Haftbefehl besteht dann auch unter dem Gesichtspunkt eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses kein Rechtsschutzbedürfnis, da der erweiterte Haftbefehl vollumfänglich angegriffen werden kann (BGH, Beschl. v. 4. 1. 2013 StB 10/12, 11/12, 14/12 und 15/12). Die (Haft)Beschwerde gegen eine Haftentscheidung ist prozessual überholt und deswegen für erledigt zu erklären, wenn gegen den Betroffenen in derselben Sache mittlerweile Strafhaft vollstreckt wird. Das gilt auch dann, wenn die Untersuchungshaft nicht durch Eintritt der (Teil )Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung unmittelbar in Strafhaft übergegangen ist, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht vollzogen worden ist, sondern wenn ihr Vollzug erst später angeordnet worden ist und die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde sodann die Strafvollstreckung förmlich durch ein wirksames Aufnahmeersuchen eingeleitet hat (OLG Celle StRR 2012, 112 m. Anm. Hunsmann). Bei mehreren aufeinander folgenden Haftentscheidungen kann in der Regel nur die letzte angefochten werden, sofern sie eine Entscheidung über den Bestand des Haftbefehls beinhaltet, denn es widerspräche einem sinnvollen Verfahrensablauf, wenn der Beschwerdeführer beliebig auf frühere, denselben Sachvorgang betreffende Haftentscheidungen zurückgreifen könnte, obwohl deren Begründung möglicherweise bereits überholt ist (KG, Beschl. v. 28. 1. 2013 - 4 Ws 12-13/13, JurionRS 2013, 34343).
Der Prüfungsumfang für eine Haftbeschwerde ist während laufender Hauptverhandlung erheblich eingeschränkt, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist oder unmittelbar vor dem Abschluss steht oder sich auf Bewertungsaspekte bezieht, die nach Aktenlage nicht zu beurteilen sind. Verneint das (Tat)Gericht in dieser Situation den dringenden Tatverdacht, kann das Beschwerdegericht nur eingreifen und die Beurteilung durch eine eigene abweichende Bewertung ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung grob fehlerhaft ist und den dringenden Tatverdacht aus Gründen verneint, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind (BGH NStZ-RR 2013, 16; 2013, 86; OLG Dresden, Beschl. v. 24. 8. 2012 2 Ws 418/11). Entsprechendes gilt für die Zeit nach abgeschlossener Hauptverhandlung (OLG Hamburg, Beschl. v. 21. 3. 2013 2 Ws 45/13). Dann ist der dringende Tatverdacht auch für das Beschwerdegericht i.d.R. durch das ergangene Urteil hinreichend belegt (OLG Hamburg, a.a.O.).
Vergehen zwischen dem Erlass eines Haftbefehls und der darauf folgenden Haftbeschwerde des Angeschuldigten und der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung mehrere Monate (hier: fünf Monate), so entspricht diese Vorgehensweise nicht dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen; der Haftbefehl ist schon deshalb aufzuheben (KG StraFo 2011, 91).Das gilt auch für den Fall, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wurde
Hinweis:
Im Beschwerdeverfahren können Verfahrensverzögerungen dadurch verursacht werden, wenn die Beschwerde nicht in der Dreitagesfrist des § 306 Abs. 2 StPO dem Beschwerdegericht vorgelegt wird (OLG Naumburg StV 2011, 39 = StraFo 201, 464 = NStZ-RR 2011, 123 = StRR 2011, 35).
Die Frage, ob die Ladung eines dauernd im Ausland lebenden Angeklagten die in § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeschriebene Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens enthalten darf oder nicht, ist in der Rechtsprechung umstritten. Teilweise wird das unter Hinweis darauf, dass dies eine Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Rechtsstaates darstellt, verneint (vgl. KK-Gmel, StPO 6. Aufl., § 216 Rn. 5 m.w.N.; LR-Jäger, § 216 Rn. 7). Teilweise wird jedoch in neuerer Rechtsprechung eine modifizierte Warnung des im Ausland auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten dann für zulässig erachtet, wenn diese den eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahme ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (KG [3. Senat] NStZ 2011, 653; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; OLG Rostock NStZ 2010, 412). Der 6. Strafsenat des KG ist der Auffassung, dass die Ladung eines dauernd im Ausland lebenden Angeklagten die Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens nicht enthalten darf, wenn, wie z.B. im Falle eines in der Mongolei lebenden Angeklagten, die Zwangsmittelandrohung im Rahmen internationaler Rechtshilfevereinbarungen nicht vorgesehen ist. In einem solchen Fall darf auch keine modifizierte Warnung im Sinne der Nr. 116 Abs. 1 Satz 2 RiVASt ergehen, dass die Zwangsmittel ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung vollstreckt werden (KG, Beschl. v. 15. 4. 2013 [1] 3 StE 6/11-1 [3/11]). Die Problematik hat Bedeutung für Frage der ordnungsgemäßen Ladung des ausländischen Angeklagten.
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