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aus StRR 2016, Heft Nrn. 5 und 6, jeweils S. 4 ff.

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Rechtsprechungsübersicht zur Pflichtverteidigung in den Jahren 2012 – 2015 (§§ 140 ff. StPO)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg

Pflichtverteidigungsfragen spielen in der Praxis eine große Rolle. Daher stellt dieser Beitrag die dazu in den letzten Jahren ergangenen Entscheidungen in einem ABC alphabetisch zusammen. Die Rechtsprechungsübersicht hat den Stand von Ende März 2016 (vgl. zu den Pflichtverteidigungsfragen a. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl., 2015, Rn. 2759 ff.).

Auswahlkriterien, Allgemeines:

Auch nach der Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO gehört die Ortsnähe des Rechtsanwalts zu den durch den Vorsitzenden bei der Auswahl eines Pflichtverteidigers bzw. Rechtsbeistands zu berücksichtigenden Gesichtspunkten (OLG Hamburg NStZ-RR 2013, 153 = StRR 2013, 82 [Ls.] m.w.N.; s. auch Anschluss an OLG Köln StRR 2011, 63 m. abl. Anm. Burhoff). Die Ortsferne des Kanzleisitzes des Verteidigers steht der Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger aber nicht entgegen, wenn nicht ersichtlich ist, dass hierdurch eine sachdienliche Verteidigung des Angeklagten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet würden (OLG Brandenburg StRR 2015, 181; OLG Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612; OLG Jena, Beschl. v. 10.10.2014 – 1 Ws 453/14; LG Duisburg, Beschl. v. 3. 9. 2012 - 35 Qs 716 Js 9/12 – 102/12). Daher tritt im Bestellungsverfahren der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung grds. gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger zurück (OLG Brandenburg, a.a.O.). Auch haben fiskalische Interessen an der Entstehung möglichst niedriger Verteidigerkosten (insbesondere Fahrtkostenersatz) angesichts der hohen Bedeutung des Rechts eines Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, zurückzutreten (OLG Brandenburg, a.a.O.). Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist aber abzulehnen, wenn sich der von dem Angeklagten gewünschte Verteidiger als ungeeignet erweist und damit der ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet ist. Das bisherige Verhalten als Wahlverteidiger kann eine solche Ablehnung nur rechtfertigen, wenn das Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht war (§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO) (KG StRR 2013, 401 [Ls.]).

Auswahlkriterien, Nebenklägerbeistand:

Die gleichzeitige Vertretung mehrerer Nebenkläger durch denselben Rechtsbeistand ist grds. zulässig. In Fällen gleichgelagerter Interessen zahlreicher Nebenkläger kann es im Rahmen des gem. § 397a Abs. 3 S. 2, 142 Abs. 1 StPO durch den Vorsitzenden auszuübenden Ermessens bei der Auswahl des Rechtsbeistands zulässig sein, die Bestellung jeweils eigener Rechtsbeistände für die Nebenkläger abzulehnen, wenn ein sachlicher Grund für die Bestellung personenverschiedener Rechtsbeistände nicht vorliegt und die Wahrnehmung der Interessen der Nebenkläger in dem Verfahren auch durch einen einzelnen Rechtsbeistand sachgerecht erfolgen kann (Gruppenvertretung) (OLG Hamburg NStZ-RR 2013, 153 = StRR 2013, 82 [Ls.]).

Bestellung, Schwere der Tat:

Bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe, die sich aus einer wertenden Gesamtschau ergeben kann, wird - auch wenn es sich hierbei nicht um eine starre Grenze handelt - unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers i.d.R. geboten sein (vgl. u.a. OLG Saarbrücken StR 2014, 145 = VRR 2013, 469; LG Berlin, Beschl. v. 17. 6. 2015 – 504 Qs 67/15 [sog. Gesamtstrafübel]; LG Braunschweig, Beschl. v. 8. 1. 2016 – 13 Qs 258/15; LG Kleve NStZ-RR 2015, 51 = StRR 2015, 183; AG Backnang StRR 2015, 184) oder die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (OLG Saarbrücken StR 2014, 145 = VRR 2013, 469). Als schwerwiegender mittelbarer Nachteil, den der Angeklagte infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat und der die Bestellung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen kann, ist die ggf. in einem anderen Verfahren drohende Unterbringung nach § 64 StGB von Bedeutung (LG Braunschweig, Beschl. v. 20.3.2015 – 14 Qs 21/15) oder der drohende Widerruf einer Bewährung in anderer Sache anerkannt (OLG Celle StRR 2012, 424; OLG Saarbrücken, a.a.O.; vgl. a. OLG Nürnberg StRR 2014, 82 [Ls.] = StV 2014, 275 [Ls.]). Ist im vorliegenden Verfahren lediglich eine Geldstrafe zu erwarten, so ist eine Pflichtverteidigerbestellung nicht allein deswegen unter dem Gesichtspunkt „Schwere der Tat“ anzuordnen, weil der Bewährungswiderruf hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder höher droht (LG Kleve, a.a.O.). Bei Verfahren vor dem Schöffengericht ist, sofern sich die Zuständigkeit dieses Spruchkörpers nicht allein wegen der einem Mitangeklagten zur Last gelegten Tat(en) ergibt, stets gem. § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen (OLG Naumburg StraFo 2013, 338 = StV 2014, 20). Drohen dem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der "Schwere der Tat" i.S. des § 140 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig (OLG Naumburg StraFo 2013, 337 = StV 2014, 11 = StRR 2013, 322 [Ls.]).

Bestellung, Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage:

Für die Frage, ob eine schwierige Sach- und Rechtslage nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist, ist auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Pflichtverteidigerbestellung abzustellen (LG Nürnberg-Fürth StRR 2015, 183). Kann die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden, begründet das die Schwierigkeit der Sachlage (OLG Köln StraFo 2011, 508 = StRR 2012, 2 [Ls]; LG Cottbus (StV 2012, 526 [Ls.]; LG Köln StV 2015, 20; LG Leipzig, Beschl. v. 25. 6. 2013 - 8 Qs 22/13 [Insolvenzstrafverfahren]; LG Magdeburg, Beschl. v. 2.6.2015 - 25 Qs 828 Js 75909/13 [schwierige Beweiswürdigung]; LG Essen, Beschl. v. 2. 9. 2015 - 56 Qs 1/15 für das Steuerstrafverfahren, wenn um die Tatvorwürfe zu prüfen, die Kenntnis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung von Geschäftsunterlagen erforderlich ist; LG Waldshut-Tiengen StRR 2013, 402 [Ls.] = StV 2014, 270 [Ls.]; vgl. aber auch LG Frankfurt am Main StV 2015, 20). Bei einem umfangreichen Ermittlungsverfahren (acht Zeugen und drei Bände Akten und ein Ordner Sonderhefte beim AG in einem Verfahren wegen Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt) ist ein Pflichtverteidiger schon wegen des umfangreichen aufzuklärenden Sachverhaltes beizuordnen aber auch dann, wenn zur Aufklärung der Frage, ob Angeklagte Strohfrauen fungierten und faktisch die Geschäfte geführt haben umfangreiche tatsächliche Aufklärung betrieben und verschiedenste Zeugen gehört werden müssen (LG Braunschweig, Beschl. v. 11. 6. 2014 - 13 Qs 88/14; s. auch noch OLG Hamm NStZ-RR 2012, 82). Ob dann, wenn eine Verständigung im Sinne von § 257 c StPO zustande kommen soll, die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO ist (so OLG Naumburg StraFo 2014, 21 = NStZ 2014, 116 m. abl. Anm. Wenske = StV 2014, 274 = StRR 2014, 70) ist umstritten (verneinend OLG Bamberg StraFo 2015, 67 = StRR 2015, 102 m. abl. Anm. Burhoff). Bejaht worden ist die Schwierigkeit des Verfahrens bei einem Geldwäschevorwurf in Zusammenhang mit einer Verfallsanordnung sowie Fragen eines Täter-Opfer-Ausgleichs und eines Akteneinsichtsrechts des Verteidigers (LG Traunstein, Beschl. v. 19. 1. 2015 - 2 Qs 332/14) und beim Vorwurf eines Diebstahls mit Waffen gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB insbesondere dann, wenn die Frage des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt hinsichtlich des Beisichführens der Waffe streitig ist (LG Bonn, Beschl. v. 7. 1. 2013 - 21 Qs-222 Js 347/12-98/12 82 Ds 439/12). Beim Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) ist ebenfalls ein Pflichtverteidiger zu bestellen, da der Richter Unterhaltsberechnungen anstellen muss, die der Angeklagte nachvollziehen können muss, wozu er grds. – wie im Zivilverfahren – der Hilfe eines Rechtsanwalts bedarf (LG Bielefeld FamRZ 2012, 117; a.A. LG Kleve, Beschl. v. 3. 4. 2014 - 120 Qs-401 Js 948/13-33/14 12 Ds 887/13). Das LG Duisburg (Beschl. v. 3. 9. 2012 - 35 Qs 716 Js 9/12 – 102/12) hat einen Pflichtverteidiger bestellt, wenn ggf. die Subsumtion des Sachverhalts unter die Voraussetzungen des § 268 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB Schwierigkeiten bereitet. Im Steuerstrafrecht, bei dem es sich um Blankettstrafrecht handelt, kann die Rechtslage nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden. Damit ist ein Angeklagter regelmäßig überfordert, vor allem vertiefte Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erforderlich sind, so dass dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (LG Essen, Beschl. v. 2. 9. 2015 - 56 Qs 1/15). Ist der Verurteilte im Verfahren nach dem DNA-IFG nicht in der Lage, die Bedeutung der für die Prognose i.S. des § 81g StPO maßgeblichen Kriterien inhaltlich zu erfassen und selbst hierzu umfassend vorzutragen, ist ihm ein Pflichtverteidiger beizuordnen (LG Cottbus, Beschl. v. 24.7.2014 - 24 Qs 33/13). Von einem Fall der notwendigen Verteidigung ist auszugehen, wenn in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich ist, ob das Ergebnis eines Blutalkoholgutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts einem Verwertungsverbot unterliegt (§ 81a-StPO-Problematik; s. LG Gera, Beschl. v. 5.8.2015 - 9 Qs 313/15 m.w.N. aus der h.M. in der Rechtsprechung; LG Münster StV 2012, 525 [Ls.]). Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO ist auch bei einer Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil nicht geboten, wenn erst in der Berufungsverhandlung eine alle Beweismittel ausschöpfende Beweisaufnahme stattfindet, die eigentlich in I. Instanz geboten gewesen wäre (OLG Köln NStZ-RR 2012, 215 = StRR 2012, 162 [Ls.]; ähnlich OLG Dresden StRR 2015, 83 [Ls.] = StV 2015, 541 [Ls.]). Die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers ist i.d.R. aber nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten, wenn das Berufungsverfahren allein die Frage zum Gegenstand hat, ob der Einspruch gegen einen Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen wurde (KG JurBüro 2015, 547). Die Beiordnung ist auch bei einer Berufung der StA gegen ein freisprechendes Urteil nicht geboten, wenn in der Berufungsverhandlung die alle Beweismittel ausschöpfende Beweisaufnahme stattfindet, die eigentlich in I. Instanz geboten gewesen wäre (OLG Köln NStZ-RR 2012, 215 = StRR 2012, 162 [Ls.]). Die Schwierigkeit der Sachlage (§ 140 Abs. 2 StPO) macht die Mitwirkung eines Verteidigers an der Berufungshauptverhandlung aber in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation notwendig, wenn aus weiteren Indizien allein nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden kann, so dass eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erforderlich ist, und weitere, die Beweiswürdigung zusätzlich erschwerende Umstände hinzukommen (KG StRR 2014, 2 [Ls.]). Die Beiordnung eines Verteidigers für das Revisionsverfahren gem. § 140 Abs. 2 StPO immer dann (nur) geboten, wenn zu besorgen ist, dass der als Urkundsbeamte tätige Rechtspfleger mit der Abfassung einer besonders schwierigen Revisionsbegründung überfordert sein könnte (LG Gießen, Beschl. v. 8. 7. 2013 - 7 Qs 108/13; vgl. auch noch OLG Hamm, Beschl. v. 17. 1. 2013 - III-3 Ws 349/12). Eine Bestellung kommt auch dann in Betracht, wenn das Revisionsverfahren, auf das allein eine Pflichtverteidigerbestellung sich ggf. noch auswirken kann, Schwierigkeiten aufweist, die durch die Verfahrensweise des LG  eine Bestellung nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO geboten erscheinen lassen, was der Fall sein kann, wenn es rechtskundiger Prüfung und Erörterung bedarf, ob durch die Ablehnung der Verteidigerbestellung oder das Vorgehen der Kammervorsitzenden beim LG bei der Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, dessen Verfahrensrechte in entscheidungserheblicher Weise verletzt wurden (KG, Beschl. v. 31. 3. 2014 - 4 Ws 27/14 – 141 AR 114/14). Revisionshauptverhandlungen dürfen i.d.R. nicht ohne Anwesenheit des vom Angeklagten gewählten Verteidigers durchgeführt werden. Ist der verhindert, wird i.d.R. ein Pflichtverteidiger zu bestellen sein, um das Recht des Angeklagten auf Verteidigung aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK zu wahren (BGH NJW 2014, 3527 = StRR 2015, 25).

Bestellung, Unfähigkeit der Selbstverteidigung:

Eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung (nur) erhebliche Zweifel bestehen (OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. 5. 2014 - 1 St OLG Ss 43/2013; LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15). Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. Eine Bestellung eines notwendigen Verteidigers kommt daher insbesondere in Betracht, wenn der Angeklagte unter Betreuung steht (LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26. 6. 2015 – 2 Qs 118/15; LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 – 534 Qs 142/15; s.a. KG, Beschl. v. 23. 2. 2016 – 3 Ws 87/16; OLG Hamm NJW 2003, 3286) oder bei ihm eine „schwere andere seelische Abartigkeit vorliegt und zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzistischen und selbstunsicheren Zügen“ (LG Dresden, Beschl. v. 7. 12. 2015 – 3 Qs 118/15). Ist der Beschuldigte aufgrund eines Morbus Parkinson, der zu einer motorischen Sprachstörung geführt hat, in seiner sprachlichen Kommunikationsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ist er als sprachbehindert im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 2 StPO anzusehen (LG Berlin, Beschl. v. 14.12.2015 - 534 Qs 142/15). Bei einem Drogenabhängigen mit polytoxem Abhängigkeitsmuster versteht es sich aber nicht von selbst, dass er verteidigungsunfähig ist (KG, a.a.O.). Auch die erforderliche Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB macht die Bestellung eines Verteidigers erforderlich (AG Backnang, Verf. V. 20. 11. 2013 - 2 Ds 93 Js 42049/13, StRR 2014, 2 [Ls.]). Ist bei mehreren Angeklagten, die eine Tatbeteiligung jeweils bestreiten, zu besorgen, dass die Angeklagten sich in der Hauptverhandlung gegenseitig belasten könnten, gebietet der Grundsatz der „Waffengleichheit" grds. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn auch dem anderen Mitangeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist (§ 140 Abs. 2 StPO) (OLG Hamburg StRR 2013, 82 [Ls.]; OLG Köln NStZ-RR 2012, 351 [Ls.]; OLG Stuttgart StraFo 2013, 71 = StRR 2013, 105 [Ls.]; LG Berlin, Beschl. v. 11. 7. 2011 - 512 Qs 74/11; LG Braunschweig StRR 2015, 462 = StV 2015, 543 [Ls.]; LG Hannover, Beschl. v. 21. 12. 2013 – 40 Qs 135/12; LG Itzehoe, Beschl. v. 12. 1. 2012 - 1 Qs 3/12; ähnlich für das JGG-Verfahren LG Köln StraFo 2015, 163); zur Bestellung in den Fällen der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung s. Burhoff, EV, Rn. 2901 ff.). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich aber anhand einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall (u.a. OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. 5. 2014 - 1 St OLG Ss 43/2013). Dass ein Angeklagter durch einen Verteidiger vertreten wird, ein anderer hingegen nicht, begründet für sich allein aber noch nicht eine notwendige Verteidigung (OLG Köln, OLG Hamburg und OLG Stuttgart, jeweils a.a.O.; ähnlich LG Dessau –Roßlau, Beschl. v. 15. 1. 2013 - 2 Qs 8/13). Liegt nicht der gesetzlich geregelte Fall einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenbeistands nach den §§ 397a, 406g Abs. 3, 4 StPO vor, sondern bedient sich der Nebenkläger auf eigene Kosten in der Hauptverhandlung des Beistands eines Rechtsanwalts, spricht keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung (KG StV 2012, 714 = StRR 2012, 260; vgl. a. LG Braunschweig StRR 2014, 462). Das gilt auch nach der Einfügung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO (KG, Beschl. v. 27. 8. 2015 – 4 Ws 81/15). Hat ein Angeklagter als Ausländer Verständigungsschwierigkeiten, so ist ihm wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung regelmäßig ein Verteidiger beizuordnen. Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos (OLG Nürnberg NStZ-RR 2014, 183 = StRR 2014, 343 m. Anm. Hillenbrand). Insbesondere hat dies jedoch dann zu gelten, wenn ein Fall tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten von Gewicht aufweist, die unter Heranziehung eines Dolmetschers nicht ohne weiteres ausräumbar erscheinen (LG Flensburg, 20. 11. 2012 - II Qs 68/12; LG Freiburg, Beschl. v. 18. 8. 2015 - 8 Qs 7/15; LG Hannover Nds.Rpfl. 2015, 138).

Bestellung, Bußgeldverfahren:

Auf Grund der Verweisung des § 46 Abs. 1 OWiG gelten die Vorschriften über die notwendige Verteidigung nach §§ 140, 141 OWiG auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren. Das gilt insbesondere auch für § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (LG Ellwangen StV 2012, 462 [Ls.] = StV 2012, 3 Ls.]).

Bestellung, Jugendgerichtsverfahren:

Für das JGG-Verfahren gilt – nach der Rechtsprechung des KG – grundsätzlich, dass gem. § 68 Nr. 1, 109 Abs. 1 Satz 1 JGG dem heranwachsenden Angeklagten ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn einem Erwachsenen ein Verteidiger zu bestellen wäre. den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens ist jedoch Rechnung zu tragen (KG StRR 2013, 98; NStZ-RR 2013, 357 = StRR 2014, 140 =  StV 2013, 771 [Ls.]).

Bestellung, Strafvollstreckungsverfahren: Nach § 109 Abs. 3 StVollzG n.F. stellt die Pflichtverteidigerbestellung den Regelfall dar (KG NStZ-RR 2015, 123 [Ls.] m. Anm. Neumann StRR 2015, 73). Im Vollstreckungsverfahren ist im Übrigen in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann (vgl. u.a. OLG Köln, Beschl. v. 29.12.2015 – 2 Ws 834/15 für Lernschwäche). Das kann regelmäßig dann der Fall sein, wenn eine Entscheidung gem. § 57a StGB oder über den Beginn und die Fortdauer der Vollstreckung einer unbefristeten stationären Maßregel gem. §§ 63, 66 StGB ansteht. Ist dagegen allein über den (weiteren) Vollzug einer befristeten Strafe oder Maßregel zu befinden, so kann nach den Umständen des Einzelfalles eine Beiordnung geboten sein. In anderen, weniger gewichtigen Fällen, in denen insbesondere auch nicht über die (längere) Vollstreckung von freiheitsentziehenden Rechtsfolgen zu entscheiden ist, wird eine Beiordnung eher fernliegen (KG, a.a.O.). Im Vollstreckungsverfahren ist dem Verurteilten ein Verteidiger ggf. dann zu bestellen, wenn eine Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten erforderlich ist und das Gutachten etwa psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder auch kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung ein Verurteilter überfordert ist (OLG Naumburg StRR 2013, 443 [Ls.]; vgl. auch noch OLG Hamm, Beschl. v. 29. 4. 2013 - 5 Ws 113 - 115/13; OLG Köln, Beschl. v. 29.12.2015 – 2 Ws 834/15). Für eine analoge Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO in Vollzugssachen ist allerdings kein Raum (KG, Beschl. v. 19. 1. 2016 – 2 Ws 15/16 Vollz). Droht dem Verurteilten nach einem Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung die Verbüßung einer fast zweijährigen Freiheitsstrafe, so ist ihm Strafvollstreckungsverfahren jedenfalls dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er unter Betreuung steht (LG Magdeburg, Beschl. v. 19. 9. 2014 - 21 Qs 68/14, StraFo 2015, 116 = StRR 2015, 3 [Ls.]; StRR 2015, 202 [Ls.]; vgl. auch noch LG Kiel, Beschl. v. 29. 7. 2014 – 2 Qs 41/14, StRR 2014, 322 zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren, wenn nach einem Bewährungswiderruf Freiheitsentzug von rund 4 Jahren und 3 Monaten zu vollstrecken ist; zum Widerruf der Aussetzung einer Unterbringung LG Landau, Verf. v. 11. 9. 2013 - 1 Qs 72/13). Im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abweichende Rechtsauffassungen vertreten (LG Nürnberg-Fürth StRR 2015, 183; AG Backnang StV 2015, 47 = StRR 2014, 363 [Ls.]) oder wenn es sich bei dem Verurteilten um einen Ausländer handelt (OLG Frankfurt am Main StV 2015, 229 = NStZ-RR 2015, 229). Im Maßregelvollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung der §§ 140 Abs. 2, 141ff. StPO nicht in allen Fällen der Überprüfung gem. § 67d und § 67e StGB die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, sondern nur dann, wenn insbesondere aufgrund von Besonderheiten oder Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich es als evident erscheint, dass sich der Verurteilte angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann, oder wenn sonst die Würdigung aller Umstände - wobei der Dauer der weiteren Freiheitsentziehung besonderes Gewicht zukommt - das Vorliegen eines schwerwiegenden Falles ergibt (OLG Braunschweig RuP 2015, 116; ähnlich OLG München StV 2015, 46). Die Bestellung eines Verteidigers für das Vollstreckungsverfahren kann geboten sein, wenn eingeschränkte deutsche Sprachkenntnisse des Verurteilten mit einer erörterungswürdigen Rechtslage (Widerruf der Strafaussetzung ohne rechtskräftige Verurteilung hinsichtlich der Anlasstat für den Widerruf) zusammentreffen (OLG Hamm, Beschl. v. 9. 12. 2014 - 3 Ws 431/12). Die Beiordnung im Zurückstellungsverfahren nach §§ 35, 38 BtMG ist in analoger Anwendung von § § 140 Abs. 2 StPO möglich (AG Arnstadt StRR 2013, 363 [Ls.]). Die Klarstellung einer offensichtlichen Verwechslung des Verurteilten mit einer anderen rechtfertigt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers entsprechend § 140 Abs. 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 29. 4. 2013 - 5 Ws 113 - 115/13). Die Bestellung eines Verteidigers kommt auch schon im Verfahren mit dem Ziel des Widerrufs der Strafaussetzung nach § 56f StGB in Betracht (AG Backnang StRR 2013, 428 = StV 2014, 39 [Ls.]).

Bestellung, Strafbefehlsverfahren:

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat im Strafbefehlsverfahrens jedenfalls dann zu erfolgen, wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte ein Rechtsmittel einlegt und die Durchführung einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist (LG Berlin StraFo 2013, 285). Die Bestellung nach § 408b StPO bezieht sich nur auf das Strafbefehlsverfahren und gilt nicht für die Hauptverhandlung (KG JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 358), ggf. kommt aber eine stillschweigende Bestellung in Betracht (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Dass sich die Beiordnung nach § 408b StPO nur auf das Strafbefehlsverfahren und nicht auf eine Hauptverhandlung erstrecke, ändert aber nichts an einem Gebührenanspruch des Rechtsanwalts im Hinblick auf eine ggf. durch seine Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens entstandenen zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG. Dieser knüpft denklogisch nicht an eine Hauptverhandlung an (AG Tiergarten, Beschl. v. 1. 9. 2015 - (271 Cs) 234 Js 217/13 [167/13]).

Bestellung, Antrag/Verfahren:

Im Ermittlungsverfahren ist grds. ein Antrag der Staatsanwaltschaft für die Beiordnung eines Verteidigers erforderlich, da die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO in erster Linie der Staatsanwaltschaft obliegt (BGH NJW 2015, 3383 = StRR 2015, 458 m. Anm. Barton; OLG Celle Nds.Rpfl. 2013, 24 = StRR 2013, 362; LG Stendal, Beschl. v. 26. 11. 2015 – 501 AR 9/15; s. aber auch LG Limburg NStZ-RR 2013, 87 = StRR 2013, 106 = StV 2013, 625). I.d.R. muss aber im Ermittlungsverfahren nicht schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls wegen Mordverdachts ein Pflichtverteidiger bestellt werden (BGHSt 60, 38 = NJW 2015, 265 = StRR 2015, 23). Der Beschuldigte hat kein eigenes Antragsrecht (BGH NJW 2015, 3383 = StRR 2015, 458 m. Anm. Barton). Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann auch konkludent erfolgen (vgl. zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 4. 11. 2014 - 1 StR 586/12, StraFo 2015, 37). Erklärt ein Verurteilter bei einer mündlichen Anhörung, er überlasse die Auswahl des Pflichtverteidigers dem Gericht, kann auf die Bestimmung einer Überlegungsfrist i.S.d. § 142 Abs. 1 S. 1 StPO regelmäßig verzichtet werden. Etwas anderes gilt, wenn Zweifel daran bestehen, ob dem Verurteilten die Bedeutung und Reichweite seiner Erklärung bewusst ist (KG, Beschl. v. 8. 7. 2014 – 2 Ws 239/14).

Bestellung, Frist:

Die Soll-Vorschrift des § 142 Abs. 2 StPO kommt als Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör einer Anhörungspflicht gleich, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Angeschuldigte im Zeitpunkt der Beiordnung eines (neuen) Verteidigers bereits über einen Pflichtverteidiger seines Vertrauens verfügt. Andererseits kann das Beschleunigungsgebot in Haftsachen dem Wunsch eines Angeschuldigten, durch einen bestimmten Rechtsanwalt verteidigt zu werden, ausnahmsweise entgegenstehen. Den widerstreitenden Interessen ist im Rahmen einer Abwägung Rechnung zu tragen. Diese kann im Einzelfall dazu führen, dass dem Angeschuldigten eine sehr kurze Stellungnahmefrist zuzumuten ist (OLG Stuttgart StV 2014, 11). Der Beschuldigte hat nicht nur bei der erstmaligen Beiordnung, sondern auch bei der auf eine Entpflichtung des Verteidigers folgende Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers ein Recht auf zu vorige Anhörung (OLG Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 5. 3. 2014 – 1 Ws 18/14). Die in § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte „Benennungsfrist“ ist keine Ausschlussfrist (OLG Köln StV 2015, 20 = StRR 2014, 497). Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten, der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine Außenwirkung erlangt hat (LG Magdeburg StRR 2012, 122 [Ls.] = StV 2012, 525 [Ls.]; StRR 2013, 282 [Ls.]). Das Anhörungsschreiben, in dem dem Beschuldigten vor Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit gegeben wird, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, muss dem Beschuldigten förmlich zugestellt werden, da die Fristbestimmung eine (gerichtliche) Entscheidung i.S.v. § 35 Abs. 2 StPO darstellt (LG Bochum StV 2012, 526).

Bestellung, rückwirkende Bestellung:

Die rückwirkende Bestellung eines Strafverteidigers ist unzulässig; daran hält die obergerichtliche Rechtsprechung fest (vgl. OLG Celle Nds.Rpfl. 2013, 23 = StRR 2012, 362; OLG Braunschweig RuP 2015, 116; OLG Hamm, Beschl. v. 24. 10. 2012 - 3 Ws 215/12; OLG München VRR 2012, 346; OLG Stuttgart StRR 2015, 182; s. auch BGH StRR 2010, 29; LG Halle StRR 2015, 389 m. abl. Anm. Barton; Beschl. v. 18. 1. 2016 - 3 Qs 383 Js 32247/14 [2/16]LG Stendal, Beschl. v. 26.11.2015 – 501 AT 9/15; a.A. Burhoff, EV, Rn. 3040). Dies soll auch dann gelten, wenn das Gericht erster Instanz die prozessuale Überholung durch (grob) unrichtige Sachbehandlung provoziert und der Verteidiger es aber aus offensichtlicher Unkenntnis versäumt hat, dem durch die Einlegung einer Untätigkeitsbeschwerde entgegenzuwirken (OLG Hamm, a.a.O.). Von dem Grundsatz ist jedoch jedenfalls dann abzuweichen, wenn ein rechtzeitig beantragten Beiordnungsantrag nicht zeitnah beschieden und aus nicht nachvollziehbaren Gründen über längere Zeit hinweg von der Entscheidung abgesehen worden ist (LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26. 6. 2015 – 2 Qs 118/15; LG Potsdam StRR 2014, 146; LG Trier StRR 2015, 346; s. auch/ähnlich OLG Celle, Beschl. v. 4.8.2015 – 2 Ws 111/15; ähnlich LG Hamburg, Beschl. v. 3. 12. 2013 - 632 Qs 31/13; wohl auch LG Stendal, Beschl. v. 26.11.2015 – 501 AR 9/15; a.A. LG Oldenburg, Beschl. v. 4. 1. 2016 - 1 Qs 473/15). Übergeht das Gericht einen deutlichen und unübersehbaren Beiordnungsantrag des Verteidigers und lässt es seine Mitwirkung in der Folge ohne Hinweis auf ein eigenes Kostenrisiko zu, so kann aber eine schlüssige Bestellung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen (OLG Karlsruhe StraFo 2015, 36; OLG Stuttgart, a.a.O.; ähnlich LG Arnsberg StRR 2015 43 [Ls.]). Die stillschweigende Bestellung kann nachträglich festgestellt werden. Das Gericht verstößt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn es über einen zeitgleich mit der Einlegung der Revision gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entscheidet (OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 51; s. auch noch KG, Beschl. v. 31. 3. 2014 - 4 Ws 27/13). Auch in dem Verfahrensstadium nach Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO kann die Mitwirkung eines Verteidigers – so z.B. zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei der Auflagen- und Weisungserfüllung oder auch zur Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung bei drohendem Scheitern der vorläufigen Einstellung – geboten sein, so dass auch in diesem Verfahrensstadium die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommen kann (OLG Hamm NStZ-RR 2012, 82).

Bestellung, Rücknahme:

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO kann das Gericht aufheben, wenn sich die für die Anordnung maßgeblichen Umstände wesentlich verändert haben (hier: Haftentlassung in anderer Sache). Das Gericht hat insofern aber einen Ermessensspielraum (LG Magdeburg, Beschl. v. 19. 6. 2014 - 21 Qs 44/14; s.a. OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653 = StV 2011, 658). Im Rahmen des insoweit eingeräumten Ermessens ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Angeklagten in seinen originären Verteidigungsrechten und -möglichkeiten entfallen ist oder diese Einschränkung des Angeklagten trotz Aufhebung der Haft fortbesteht und deshalb eine weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erfordert (OLG Düsseldorf, LG Magdeburg, jeweils a.a.O.). Ds AG Halle (Saale) geht in diesen Fällen davon aus, dass es aus rechtsstaatlichen Gründen unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens trotz § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO kaum angängig erscheint, dem Angeklagten einen einmal bestellten Verteidiger wieder zu entziehen, da es nicht, von der Zufälligkeit, ob der Angeklagte zwei Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin entlassen wird, abhängen könne, ob der Angeklagte einen Verteidiger hat oder nicht (AG Halle, Beschl. v. 09.11.2015 – 302 Cs).

Entpflichtung, Allgemeines:

Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung ist grds. schutzwürdig, es sei denn die für die Pflichtverteidigerbestellung maßgeblichen Umstände haben sich wesentlich geändert (KG, Beschluss vom 20. 9. 2013 – 4 Ws 122/13141 AR 474/13; LG Hamburg, Beschl. v. 4. 11. 2015 – 628 Qs 34/15). Das ist aber nicht allein deshalb der Fall, wenn bei einer aus Gründen der „Waffengleichheit“ erfolgten Bestellung das Verfahren gegen den Mitangeklagten eingestellt wird. Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts ist auch dann nicht schutzwürdig, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat (KG StRR 2013, 442 [Ls.]). Allein die Flucht des Angeklagten während laufender Hauptverhandlung und der sich daraus ergebende Kontaktabbruch mit dem Verteidiger stellt keinen wichtigen Grund zur Entpflichtung dar (§ 143 StPO) (OLG Hamm, Beschl. v. 25.8.2015 - 3 Ws 307/15). Es ist allgemein anerkannt, dass der fehlende Besuch eines Pflichtverteidigers über einen längeren Zeitraum in der Untersuchungshaft bzw. einstweiligen Unterbringung das fehlende Vertrauen des Beschuldigten zu dem beigeordneten Verteidiger rechtfertigt und deshalb einen wichtigen Grund für die Entpflichtung darstellt (zuletzt LG Ingolstadt StV 2015, 27 = NStZ-RR 2015, 117 [Ls.]; ähnlich LG Siegen, Beschl. v. 20. 8. 2015 – 10 Qs 57/15; zur Entpflichtung s. a. Burhoff, EV, Rn. 2912). Nach Auffassung des OLG Koblenz werden die Rechte des Angeklagten nicht verletzt, wenn in einer Haftsache mit mehreren Angeklagten die gerichtliche Bestellung des vom Angeklagten bezeichneten Vertrauensanwalts zum Verteidiger wegen dessen Verhinderung an den vorgesehenen Hauptverhandlungsterminen widerrufen und ihm unter Beachtung von § 142 Abs. 1 S. 1 StPO ein anderer Rechtsanwalt als Verteidiger beigeordnet wird (OLG Koblenz NStZ-RR 2015, 117 [Ls.]). Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss (OLG Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612; zur Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes und des Umstandes der bisherigen mangelnden Verfahrensförderung bei der Entpflichtung des Pflichtverteidiger in einer Nichthaftsache LG Lüneburg, Beschl. v. 10.11.2015 - 31 Qs 19/15). Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und seinem Pflichtverteidiger ist zu besorgen, wenn der Beschuldigte den begründeten Eindruck gewinnt, dass der Pflichtverteidiger bei Besprechungen vergesslich erscheint und häufig den faden verliert (LG Trier StV 2012, 591). Die Zurücknahme der Beiordnung wegen einer ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses kommt in Betracht, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten ungeachtet dessen erklärter Ablehnung wiederholt bedrängt, eine schriftliche Vereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss dieser Vereinbarung sei seine Motivation, für den Angeklagten tätig zu werden, eingeschränkt (KG RVGreport 2012, 318 = StRR 2012, 261 = NStZ-RR 2012, 287 [Ls.]). Ähnlich hat das LG Marburg entschieden (StV 2012, 282 m. abl. Anm. Burhoff = NStZ-RR 2012, 317 [Ls.]). Ein wichtiger Grund für die Auswechselung eines Pflichtverteidigers, insbesondere wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, liegt aber nicht allein darin, dass ein früherer Mitangeklagter von einem in der Bürogemeinschaft des Pflichtverteidigers tätigen Anwalt vertreten war und den Angeklagten in seinem eigenen Verfahren belastet hat, wenn nicht ein konkret erkennbarer Interessenwiderstreit des Pflichtverteidigers vorliegt (KG, Beschl. v. 28. 3. 2012 - 4 Ws 28/12). Grundsätzlich kann nicht einmal der Umstand, dass als Mittäter Beschuldigte durch Rechtsanwälte derselben Sozietät vertreten werden, ohne konkrete Anhaltspunkte, einen Interessenkonflikt begründen. Dies muss umso mehr für Mitglieder einer Anwaltsbürogemeinschaft gelten, bei der jeder Anwalt wirtschaftlich für sich alleine arbeitet (KG, a.a.O.). Nimmt ein Pflichtverteidiger trotz mehrfachen Hinweisen des Gerichts auf eine drohende Entpflichtung an einem erheblichen Teil der Hauptverhandlung nicht teil, kann seine Bestellung zurückgenommen werden, da zu befürchten ist, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verhandlungsablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - 2 Ws 203/15).

Entpflichtung/Umbeiordnung:

Zum Teil wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine auf Antrag erfolgende „einvernehmliche Umbeiordnung" sei dann zulässig, wenn der bisherige beigeordnete Verteidiger zustimme, das Verfahren durch den Verteidigerwechsel nicht verzögert werde und der Staatskasse keine Mehrkosten entstünden (so z.B. OLG Bremen RVGreport 2013, 434 = StRR 2014, 142; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.12.2015 - 2 Ws 582/15; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; zur „Umbeiordnung“ im Verfahren zur Prüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung s. OLG Nürnberg, Beschl. v. 3. 2. 2016 – 2 Ws 748/15). Dabei gehen die Gerichte davon aus, dass der ursprünglich beigeordnete Verteidiger alle Gebühren aus der Staatskasse erhält, die gesetzlich vorgesehen und bis dahin angefallen sind. Der an seiner Stelle beigeordnete Verteidiger hat — als Voraussetzung für die „Umbeiordnung" — den Verzicht auf diejenigen Gebühren zu erklären, die ansonsten durch seine Beiordnung doppelt anfielen. Das ist zutreffend, dieser Auffassung stehen vor allem keine gebührenrechtlichen Gründe entgegen (s. zuletzt OLG Karlsruhe, a.a.O.;  LG Osnabrück StRR 2014, 257; a.A. u.a. OLG Köln StV 2011, 659; OLG Jena JurBüro 2006, 365; zu  den Voraussetzungen einer unrichtigen Sachbehandlung i.S. von § 21 GKG im Hinblick auf eine nicht erfolgte Entpflichtung eines Pflichtverteidigers OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11. 3. 2013 – 1 Ws 47/13). Die von Gerichts wegen vorgenommene Einschränkung der Pflichtverteidigerbestellung im Rahmen der Auswechselung des Pflichtverteidigers, dass damit der Staatskasse keine zusätzlichen Kosten entstehen (dürfen), entbehrt einer gesetzlichen Grundlage (LG Hagen, Beschl. v. 3. 8. 2015 - 31 Qs-400 Js 157/15-1/15 67 Gs 992/15).

Entpflichtung, Verfahren:

Vor der Entscheidung über die Rücknahme der Bestellung gem. § 143 StPO ist dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren (OLG Brandenburg, Beschl. v. 5. 3. 2014 - 1 Ws 18/14).

Inhaftierter Mandant, Allgemeines:

§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO gilt auch dann, wenn gegen den Beschuldigten in einem anderen Ermittlungsverfahren Untersuchungshaft vollstreckt wird (LG Trier StRR 2015, 346; enger LG Bonn NStZ-RR 2012, 15 = StRR 2012, 103 m. Anm. Heydenreich; LG Halle, Beschl. v. 18. 1. 2016 - 3 Qs 383 Js 32247/14 [2/16]). Die im Bestellungsbeschluss gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ausgesprochene Begrenzung der Verteidigerbestellung "für die Dauer der Untersuchungshaft" hat als auflösende Bedingung oder als Befristung keinen Bestand. Die Verteidigerbestellung bedarf zur Beendigung eines gerichtlichen Aufhebungsbeschlusses (OLG Hamburg StraFo 2015, 149 = StV 2015, 535). Zur Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist gem. § 141 Abs. 4 2. Hs. StPO das nach § 126 StPO (oder nach § 275a Abs. 6 StPO) zuständige Gericht, im Vorverfahren der Haftrichter berufen; das gilt auch für die Aufhebung der Bestellung (KG, Beschl. v. 2. 10. 2013 – 4 Ws 126-128/13).

Inhaftierter Mandant, Beiordnungsverfahren:

Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es auch im Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dem Angeschuldigten - wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen - einen Verteidiger seines Vertrauens zu bestellen (OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213 = StRR 2012, 202 [Ls.]; LG Siegen StRR 2012, 104 [zugleich auch zur Umgehung des Rechts des Beschuldigten auf den Verteidiger seines Vertrauens]). Dem Beschuldigten ist auch bei dem Ermittlungsrichter eine angemessene Frist zu geben, innerhalb derer er einen Verteidiger seiner Wahl benennen kann. Dem steht § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht entgegen (KG StRR 2012, 202 [Ls.]). Das Gebot der „Unverzüglichkeit“ der Pflichtverteidigerbestellung in zeitlichem Zusammenhang mit der Verkündung eines Haftbefehls besagt nur, dass die Entscheidung ohne schuldhaftes Zögern zu ergehen hat. Eine Orientierung hierfür ergeben die Gemeinsamen Empfehlungen der Strafverteidigervereinigungen, wonach einem Beschuldigten eine Regelfrist von zwei Wochen eingeräumt werden sollte (LG Stendal StV 2015, 543).

Inhaftierter Mandant, Entpflichtung:

In Fällen, in denen bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht des Beschuldigten bzw. sein Recht, innerhalb einer angemessenen Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, nicht beachtet worden ist, kann auf Antrag des Beschuldigten der bestellte Pflichtverteidiger gegen den von dem Beschuldigten nunmehr benannten Verteidiger seines Vertrauens ausgewechselt werden, ohne dass es auf eine Störung der Vertrauensbeziehung zu dem bestellten Pflichtverteidiger ankommt (OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213 = StRR 2012, 202 [Ls.]). Wurde das Anhörungsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO zwar eingehalten, dem Beschuldigten aber wegen der Gegebenheiten des Verfahrens zur Haftbefehlseröffnung eine nur sehr eingeschränkte Überlegungszeit für die Auswahl eines Verteidigers eingeräumt, dürfen die Anforderungen an die Darlegung eines gestörten Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und Verteidiger nicht überspannt werden. (BGH StraFo 2013, 23 = StV 2013, 610). Hat der inhaftierte Beschuldigte ausdrücklich erklärt, die Auswahl des Pflichtverteidigers dem Ermittlungsrichter zu überlassen und hat er selbst keinen gewünschten Verteidiger benannt, verbleibt es i.d.R. bei der Auswahl des Ermittlungsrichters, und zwar auch dann, wenn sich später ein anderer Verteidiger meldet, diese Meldung den Ermittlungsrichter vor der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht mehr erreicht (LG Dresden StRR 2013, 122 [Ls.]). Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn dem Beschuldigten keine ausreichende Gelegenheit gegeben wurde, zur Bestellung des Pflichtverteidigers Stellung zu nehmen (LG Landau StV 2015, 23 = NStZ-RR 2015, 117 [Ls.]; LG Siegen, Beschl. v. 20. 8. 2015 – 10 Qs 57/15).

Mehrere Pflichtverteidiger:

Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers setzt ein unabweisbares Bedürfnis voraus, eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Das besteht u.a. bei einer besonderen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann (OLG Jena, Beschl. v. 7. 10. 2011 - 1 Ws 433/11), oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann (KG, Beschl. v. 20. 9. 2013 – 4 Ws 122/13). Ein aktiver (Konflikt)Verteidiger ist kein Grund, neben ihm einen Verteidiger zur Sicherung des Verfahrens zu bestellen (LG Köln StraFo 2015, 376). Nach dem Abschluss des Tatsachenrechtszugs ist es aber nicht mehr notwendig, mit der Aufrechterhaltung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers den Fortgang der Hauptverhandlung zu sichern. Die Rücknahme der Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nach Beendigung der Hauptverhandlung ist daher nicht zu beanstanden, wenn nicht ausnahmsweise besondere weitere Gründe für den Fortbestand der zusätzlichen Bestellung eines Pflichtverteidigers ersichtlich sind (KG, Beschl. v. 10. 7. 2015 - 1 Ws 44/15). Werden einem Angeklagten aufgrund des Verfahrensumfangs zwei Pflichtverteidiger beigeordnet, sind beide - mit Ausnahme vereinzelter, näher zu begründender Verhinderungen - zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung verpflichtet (OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 - 2 Ws 203/15).

Rechtsmittel, Allgemeines:

Eine Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels Beschwer grds. nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. Satz 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat (OLG Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612). Ist der Rechtsanwalt vom erkennenden Gericht mit einer gebührenbezogenen Einschränkung zum Pflichtverteidiger bestellt worden, kann er dagegen Beschwerde einlegen. § 305 StPO steht dem nicht entgegen (OLG Hamburg StRR 2012, 282 [Ls.]). Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines bestimmten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger durch den Vorsitzenden des erkennenden Gerichts ist jedenfalls auch dann statthaft, wenn gegen den Angeklagten ein Haftbefehl (auch ein außer Vollzug gesetzter) besteht (OLG Hamm, Beschl. v. 25. 2. 2014 - 1 Ws 98 u. 100/14). Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers ist statthaft (OLG Jena, Beschl. v. 7. 10. 2011 - 1 Ws 433/11). Auch die Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung ist wegen § 48 Abs. 2 BRAO, der ein eigenes Recht des Verteidigers auf Aufhebung der Beiordnung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vorsieht, zulässig (OLG Hamm, Beschl. v. 25.8.2015 - 3 Ws 307/15). In erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG ist der ablehnende Beschluss auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers unanfechtbar (BGH StraFo 2015, 203). Dem früheren Pflichtverteidiger steht weder gegen seine Entpflichtung noch gegen die Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers ein eigenes Beschwerderecht zu, auch wenn er den Beschuldigten als Wahlverteidiger weiter betreut (KG, Beschl. v. 2. 10. 2013 – 4 Ws 126-128/13). Der (nicht rechtskräftige) Abschluss des Verfahrens in der Berufungsinstanz steht der Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Berufungsverfahren erfolgte Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen (KG, Beschl. v. 31. 3. 2014 - 4 Ws 27/13). Wird vom Gericht eine Pflichtverteidigerbestellung unterlassen, kann das angefochten werden, wenn der Unterlassung die Bedeutung einer Sachentscheidung im Sinne einer endgültigen Ablehnung und nicht einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidung zukommt (LG Dresden, Beschl. v. 7. 12. 2015 – 3 Qs 118/15).

Rechtsmittelrücknahme:

Die Rücknahme eines Rechtsmittels durch den unverteidigten Angeklagten selbst ist bei Vorliegen der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung unwirksam (vgl. OLG Celle StRR 2012, 424 = StV 2013, 12 [Ls.]).

Revision, Verfahrensrüge:

Die Rüge der Verletzung von § 140 Abs. 2 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO berücksichtigt das Revisionsgericht selbst dann, wenn diese zwar nicht in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt ist, bei zugleich zulässig erhobener Sachrüge sich die die Verfahrensrüge ausfüllenden Tatsachen aber vollständig aus dem Urteilsinhalt ergeben (vgl. OLG Celle StRR 2012, 424 = StV 2013 [Ls.]).

Umfang der Bestellung:

Die im Ursprungsverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers wirkt bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens fort (vgl. KG, Beschl. v. 23. 5. 2012 - 4 Ws 46/12 m.w.N.; Beschl. v. 15. 2. 2013 – 4 Ws 25/13). Die Beiordnung gilt auch für die im Erkenntnisverfahren unterlassene nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe gem. § 460 StPO, § 55 StGB fort, weil in die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung eingegriffen und eine erneute Strafzumessung ausgeübt wird (KG StraFo 2011, 43 = NStZ-RR 2011, 86 = StV 2012, 616 [Ls.]; s. auch OLG Köln NStZ-RR 2010, 283 = StV 2011, 219). Eine das Hauptverfahren betreffende Verteidigerbestellung wirkt im Verfahren über die Aussetzung der Jugendstrafe gem. § 57 JGG fort (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 11. 8. 2015 - 3 Ws 275/15).

Verhalten in der Hauptverhandlung/Verteidigungslos Stellen:

Wird der Antrag, den Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen, zu Unrecht abgelehnt, liegt in dem Verhalten des Verteidigers, sich während der Hauptverhandlung in den Zuschauerraum zu setzen, wodurch der Angeklagte zweitweise unverteidigt war, keine Pflichtwidrigkeit, weil ihm anderenfalls die Möglichkeit genommen wird, die in der Nichtbeiordnung liegende Rechtsverletzung im Revisionsverfahren zu beanstanden (OLG Naumburg StraFo 2013, 338 = StRR 2013, 428 = StV 2014, 20).

Wiedereinsetzung:

Einem unter Betreuung stehendem Angeklagten, dem aus diesem Grund ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, kann von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages gewährt werden, wenn sein Verteidiger schuldhaft die Rechtsmittelfrist versäumt hat und der vom Verteidiger daraufhin gestellte Wiedereinsetzungsantrag mangels Begründung unzulässig war (§§ 44, 45, 140 StPO) (OLG Naumburg StRR 2014, 42 [Ls.]). Verstößt das Gericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bei einem Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren und ist wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens die Revision nicht rechtzeitig begründet, ist er über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu belehren (OLG Braunschweig NStZ-RR 2014, 51).


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