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aus VRR 2012, 251

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Der „Gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr“ (§ 315b StGB) in der Rechtsprechung des BGH

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D. Münster /Augsburg

Der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b StGB spielt in der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere auch der des BGH, wie die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen zeigen, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Vorschrift ist in der Anwendung nicht einfach. Zu ihr ergangene Rechtsprechung hat zudem auch Auswirkungen auf die Straßenverkehrsgefährdung in § 315c StGB, weil die Vorschriften teilweise wortgleich formuliert sind. Die nachfolgenden Ausführungen sollen die wesentliche Rechtsprechung zu § 315b StGB vorstellen (vgl. auch Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Auflage, 2011, Teil 6 Rn. 222 ff. [im Folgenden kurz: Ludovisy/Eggert/Burhoff,).

I. Geschützes Rechtsgut

Von § 315b StGB wird die Sicherheit im Straßenverkehr im Hinblick auf die Rechtsgüter Leben, Gesundheit sowie Eigentum ge schützt. Primäres Schutzgut ist somit die Sicherheit des Straßenverkehrs, die Rechtsgüter der einzelnen Verkehrsteilnehmer sind nur nachgeordnet vom Schutz erfasst (BGH NZV 1999, 172 = DAR 1999, 174 = VRS 96, 272; König JA 2003, 818, 823; Fischer, StGB, 59. Aufl., 2013, § 315b Rn. 2). § 315b StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt (Fischer, a.a.O.,).

Hinweis:

§ 315b ist ähnlich wie § 315c StGB aufgebaut. Während § 315c StGB jedoch die sog. „verkehrsinternen“ Vorgänge erfasst, betrifft § 315b StGB grds. die von außen kommenden verkehrsfremden Eingriffe in den Straßenverkehr, bei denen das Fahrzeug nicht als Fortbewegungsmittel, sondern als Waffe benutzt wird. Man spricht insoweit von der „Perversion des Verkehrsvorgangs“ (vgl. dazu unten).

II. Objektiver Tatbestand des § 315b StGB

1. Tatgeschehen im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs

Die Tathandlung des § 315b StGB muss im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs unternommen werden. Hinsichtlich der straßenverkehrsrechtlichen Grundbegriffe „Straßenverkehr“ und „Öffentlichkeit“ gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. dazu Ludovisy/Eggert/Burhoff, Teil Rn. 91 ff., 161; zuletzt BGHSt 49, 128 = NJW 2004, 1965 = NZV 2004, 479; StV 2012, 218 = VRR 2012, 31 = StRR 2012, 68).

2. Tathandlungen

§ 315b StGB sieht in Abs. 1 drei verschiedene Tatmodalitäten vor.

a) Verkehrsfeindliche Einstellung des Täters/Stichwort „Perversion“

Für alle drei Tatbestandsalternativen gilt: Ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten wird nur dann von § 315b StGB erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kfz in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, der Fahrer mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, durch diese Verhaltensweise in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen (vgl. grundlegend BGHSt 48, 233 = NJW 2003, 1613 = DAR 2003, 228; s. auch noch BGHSt 41, 231, 234 = NJW 1996, 203 = DAR 1995, 492 m.w.N.; OLG Hamm DAR 2001, 135 = VRS 100, 22 = zfs 2001, 89; NZV 2008, 261 = zfs 2008, 291 = VRR 2008, 2008 [LS] = StRR 2008 [LS]). Der Täter muss eine verkehrsfeindliche Einstellung haben bzw. es muss sich um einen „verkehrsfremden Eingriff“ handeln (vgl. dazu auch Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 9 ff.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 315b Rn. 10 ff., 17 ff. jeweils m.w.N.).

Das gilt aber nur, wenn die Tathandlung nicht im Rahmen der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgt, es sich also um einen „Außeneingriff“ handelt (BGH NZV 2006, 483 = NZV 2006, 483 = NStZ 2007, 34). Unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise ein Verkehrsvorgang im fließenden Straßenverkehr zu einem „Eingriff“ in den Straßenverkehr „pervertiert“, hat der BGH in der Vergangenheit für verschiedene „Fallgruppen“ entschieden (vgl. die Zusammenstellung der Kasuistik bei Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 9 ff.). Die dazu ergangene Rechtsprechung hat der BGH inzwischen geändert (vgl. BGHSt 48, 233 = NJW 2003, 1613 = DAR 2003, 228). Er ist jetzt in inzwischen ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommen muss, dass das Fahrzeug mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht wird. Erst dann liegt eine – über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende – „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr i.S.d. § 315b Abs. 1 StGB vor (so inzwischen auch KG VRS 111, 185; OLG Hamm NZV 2008, 261 = zfs 2008, 291 = VRR 2008, 2008 [LS] = StRR 2008 [LS] für einen Fluchtfall; OLG Jena, VRS 111, 87; AG Bochum, VRR 2009, 114). Nach dieser einschränkenden Auslegung können die Fälle verkehrswidrigen Verhaltens, die innerhalb des Verkehrs nur mit Gefährdungsvorsatz ausgeführt worden sind, noch nicht als „Perversion“ des Verkehrsvorgangs angesehen werden (BGHSt 48, 233; DAR 2004, 230 = VRS 106, 198 = StV 2004, 136; vgl. wegen des Zufahrens auf einen Polizeibeamten auch noch BGH DAR 2006, 30; so jetzt auch OLG Hamm VRR 2006, 33 für das Ziehen der Handbremse durch den Beifahrer während der Fahrt). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Täter seine Fahrt nach dem Eingriff fortsetzen will (BGH StV 2010, 525).

Hinweis:

Danach reicht für den subjektiven Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB Gefährdungsvorsatz nicht aus, vielmehr ist Schädigungsvorsatz erforderlich (BGH, a.a.O.; Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 20; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 315b Rn. 17 ff.). Entscheidend ist, dass der Täter die Schädigung des Opfers zumindest billigend in Kauf genommen hat (OLG München, NJW 2006, 3794 = NZV 2006, 46, 218). Verteidigungsziel muss es sein, diesen Schädigungsvorsatz zu widerlegen.

b) Zerstören, Beschädigen oder Beseitigen von Anlagen oder Fahrzeugen (Nr. 1)

Der Begriff der Anlagen i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst alle Vorrichtungen, die der Leitung und Sicherung des Verkehrs im öffentlichen Verkehrsraum dienen. Das sind Verkehrszeichen, Absperrvorrichtungen, Leitplanken und -zeichen (Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 6; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 315b Rn. 4). Unter den Anlagenbegriff fallen aber auch Brücken und Unterführungen sowie einzelne den Verkehr sichernde Bestandteile dieser (z.B. Geländer; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, a.a.O.). Auch die Beschaffenheit der Straße ist für die Verkehrssicherheit von erheblicher Bedeutung, sodass der Straßenkörper selbst auch unter § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB fällt (Fischer; a.a.O.) und Beschädigungen der Fahrbahn die Tatbestandsalternative der Nr. 1 erfüllen: In Betracht kommen kann z.B. auch das Entfernen eines am Fahrbahnrand befindlichen Gullydeckels (BGH, NZV 2002, 517 = DAR 2002, 519 = VRS 103, 378).

Hinweis:

Für den Begriff des Fahrzeugs gelten die allgemeinen Regeln. Auch i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB sind Fahrzeuge also alle Personen- und Güterbeförderungsmittel die am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen (vgl. wegen der Einzelheiten Rn. Ludovisy/Eggert/Burhoff, Teil 6 Rn. 85 ff.).

Die Anlagen oder Fahrzeuge müssen zerstört, beschädigt oder beseitigt worden sein. Für „Zerstören“ und „Beschädigen“ gilt dasselbe wir für § 303 StGB (vgl. Fischer, a.a.O. § 315b Rn. 6). „Beseitigen“ bedeutet Verhinderung des bestimmungsmäßigen Gebrauchs durch örtliche Veränderung (Fischer, § 315 Rn. 8 f.). Das kann z.B. für die Entfernung der Nachtbeleuchtung an einer Baustelle (König, JA 2003, 818 f. m.w.N.) in Betracht kommen. Die Handlung ist aber nur dann tatbestandsmäßig i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn die Zerstörung, Beschädigung oder Beseitigung selbst geeignet ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu beeinträchtigen (vgl. dazu BGH NJW 1985, 1063 = DAR 1985, 63). Die Tathandlung darf sich nicht nur in der Gefährdung des Opfers erschöpfen (vgl. dazu BGHSt 48, 119 = NJW 2003, 836 = DAR 2003, 223).

c) Hindernisse bereiten (Nr. 2)

Vom „Hindernisbereiten“ i.S. des § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB werden alle verkehrsfremden Vorgänge erfasst, die geeignet sind, den reibungslosen Verkehrsablauf zu stören, insbesondere also die Einbringung von verkehrsfremden Gegenständen, wobei jedoch eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht vorliegen muss (BGHSt 41, 231, 237 = NJW 1996, 203 = DAR 1995, 492; vgl. auch StV 2002, 361 [nicht, wenn sich der Angeklagte mit einer Schreckschusspistole in die Mitte der Fahrbahn stellt, um Fahrer zum Anhalten zu bewegen, da die Fahrzeugführer dem Angeklagten hatten ausweichen können]).

Hinweis:

Verbotswidrige Verkehrsvorgänge aus dem Verkehr selbst, wie z.B. falsches Parken oder eine aus dem Fahrzeug ragende Ladung, fallen grds. nicht unter § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Falsche Verhaltensweisen im Straßenverkehr außerhalb der sog. „sieben Todsünden“ des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB sind lediglich Ordnungswidrigkeiten und werden nicht von § 315b StGB erfasst (BGHSt 23, 4 = NJW 1969, 144; Fischer, § 315b Rn. 9; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, a.a.O., 315b Rn. 9; vgl. auch BGHSt 48, 233 = NJW 2003, 1613 = DAR 2003, 228).

Rechtsprechungsbeispiele

  • Grds. kann das Hindernisbereiten durch Fußgänger ein Hindernis i.S.d. Norm darstellen, indem sie auf die Fahrbahn laufen (s. aber BGHSt 41, 231 = NJW 1996, 203 = DAR 1995, 492 [nicht, wenn es dem Fußgänger darauf ankommt, dass der Verkehr langsam um ihn herumfährt]),
  • absichtliches Schneiden, um anderen Verkehrsteilnehmern den Weg zu versperren (BGHSt 23, 4, 7 f. = NJW 1969, 144),
  • Spannen eines Drahtes über die Straße (OLG Hamm NJW 1965, 2167),
  • Errichten von Straßensperren (OLG Frankfurt am Main VRS 28, 423),
  • Umlegen einer Telegrafenstange auf die Fahrbahn (BGH VRS 13, 125),
  • zu Boden Stoßen einer Person auf der rechten Spur einer stark befahrenen BAB (BGH NZV 2006, 483 = VRS 111, 138 = VA 2006, 161),
  • Werfen von Holzscheiten auf die Autobahn (BGH VRS 45, 38; zu den Werferfällen Obermann VRR 2005, 208).
d) Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff (Nr. 3)

Der ähnliche, ebenso gefährliche Eingriff i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist ein Auffangtatbestand. Er erfasst alle sonstigen Vorgänge, die in ihrer (Verkehrs-) Gefährlichkeit den in § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB genannten Tathandlungen gleichkommen (zur Verfassungsmäßigkeit BGHSt 22, 365, 366 ff. = NJW 1969, 1218 m.w.N.). Erfasst werden sog. verkehrsfremde Außeneingriffe.

Rechtsprechungsbeispiele (vgl. i.Ü. auch Fischer, a.a.O., § 315b Rn. 8, 12 m.w.N.):

Verschütten von Altöl auf der Straße (BGH DAR 1978, 148).

Werfen einer gefüllten Getränkedose auf ein anderes Fahrzeug (OLG Hamm VRS 95, 28).

Das Zufahren auf einen Polizeibeamten oder eine andere Person, wenn der Täter nicht nur mit Gefährdungsvorsatz handelt („Polizeiflucht“; vgl. dazu die neuere Rspr. des BGH in BGHSt 48, 233 m.w.N. auch zur früheren teilweise anderen Rspr.; OLG Hamm NZV 2008, 261 = zfs 2008, 291; krit. dazu König, NStZ 2004, 175).

3. Konkrete Gefahr

 

a) Zeitliche Abfolge von abstrakter und konkreter Gefahr

Nach dem Wortlaut des § 315b StGB ist eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person oder für eine fremde Sache von bedeutendem Wert erforderlich. Diese konkrete Gefahr (oder der Schaden) muss „dadurch“, also durch die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit als deren Folge herbeigeführt werden. Abstrakte Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs und konkrete Gefährdung eines der genannten Rechtsgüter müssen in der Tathandlung nach § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB miteinander verknüpft sein. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 48, 119 = NJW 2003, 836 = DAR 2003, 124) ist (jetzt) für alle Tatbestandsalternativen des § 315b StGB erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Verkehrssicherheit bewirkt, welche sich zu einer konkreten Gefahr für eines der Schutzobjekte verdichtet. Nicht erforderlich ist eine zeitliche „Abfolge“ der Gefährdungserfolge. Es reicht aus, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt, sofern dieser Erfolg sich als Steigerung der abstrakten Gefahr darstellt (BGH, a.a.O.; vgl. dann auch BGH NZV 2006, 483 = NZV 2006, 483 = NStZ 2007, 34 für den Stoß eines Menschen auf eine BAB; NZV 2006, 270 = NStZ-RR 2006, 127 m. Anm. König, NZV 2006, 432; NZV 2009, 155 = VRR 2009, 110 = StRR 2009, 191 für Schüsse im Straßenverkehr).

Hinweis:

Das hat zur Folge: Von § 315b StGB nicht (mehr) erfasst werden Handlungen, die zwar die allgemeine Verkehrssicherheit beeinträchtigen, jedoch eine konkrete Gefahr noch nicht verursacht haben. Erfasst werden hingegen Tathandlungen, welche die Verkehrssicherheit abstrakt gefährden und „in zeitlich dichter Reihenfolge oder sogar sich zeitlich überschneidend“ eine aus der abstrakten Gefahr resultierende konkrete Gefahr verursachen. Der Schaden muss dabei jedoch Folge einer durch den Eingriff verursachten verkehrsspezifischen Gefahr sein, welche vorliegt, wenn eine innere Verbindung zur Dynamik des Straßenverkehrs besteht, d.h. die Gefahr muss auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sein (krit. zur Rechtsprechung des BGH Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 315b StGB Rn. 26, der nicht zu Unrecht darauf hinweist, dass die Rechtsprechung zu „Zufallsergebnissen“ führen kann; zu den Auswirkungen der Rechtsprechung Ludovisy/Eggert/Burhoff, Teil 6 Rn. 241 ff.).

In der Praxis sind die sog. „Werfer-Fälle“ von Bedeutung. Nach seiner neueren Rechtsprechung (BGHSt 48, 119 = NJW 2003, 836 = DAR 2003, 124; NZV 2009, 155 = VRR 2009, 110 = StRR 2009, 191) bejaht der BGH bei Außeneinwirkungen, die nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik seines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, eine verkehrsspezifische konkrete Gefahr, wenn durch den Eingriff die sichere Beherrschbarkeit eines im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeugs beeinträchtigt und dadurch – mit der Folge eines „Beinahe-Unfalls“ – unmittelbar auf den Fahrvorgang eingewirkt wird. Dem stellt er die Fälle gleich, in denen der Fortbewegung des Fahrzeugs mittels eines Hindernisses oder eines anderen, ebenso gefährlichen Eingriffs in der Weise entgegengewirkt wird, dass eine konkrete Gefahr für Fahrzeuginsassen oder Fahrzeug entsteht. An einer verkehrsspezifischen Gefahr fehlt es – so der BGH – nur dann, wenn der Eingriff zwar zu einer abstrakten Gefährdung des Straßenverkehrs führt, die sich hieraus entwickelnde konkrete Gefahr aber in keiner inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht (zu allem BGH, a.a.O.).

Beispiele:

Der Täter wirft von einer Brücke Steine auf einen Pkw, dessen Scheiben zerstört werden. Der Fahrer kann den Pkw anhalten. Der BGH hat § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht (BGHSt 48, 119).

Der Täter wirft von einer Brücke aus Farbbeutel auf einen Pkw, die beim Auftreffen zerplatzen. Der BGH hat § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint, da eine konkrete Gefahr i.S. eines „Beinahe-Unfalls“ nicht angenommen werden konnte. Der durch die Verschmutzung an dem betroffenen Fahrzeug eingetretene Sachschaden stehe mit der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt in keinem relevanten Zusammenhang (BGH, a.a.O.).

Der Täter schießt auf den Pkw des anderen Verkehrsteilnehmers, trifft diesen auch, was aber keine Auswirkungen auf das Fahrverhalten des diesen Pkw führenden Kfz-Führers hat. Der BGH hat § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint (NZV 2009, 155 = VRR 2009, 110 = StRR 2009, 191).

Der Täter wirft einen etwa faustgroßen, brüchigen Sandstein von einer Brücke auf eine BAB, der Stein zersplittert, hat aber keine Auswirkungen auf das Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer. Der BGH hat § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint (BGH NStZ 2010, 572).

Folge der Tathandlungen des § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB muss die Hervorrufung einer konkreten Gefahr sein (BGHSt 18, 271 = NJW 1963, 1068; NJW 1996, 329 = NZV 1996, 37; vgl. auch König, JA 2003, 818 f.). Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 48, 119 = NJW 2003, 836 = DAR 2003, 124) ist § 315b StGB schon dann vollendet, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einem bedeutenden Fremdsachschaden führt und sich dieser als Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt. Nicht erforderlich ist eine zeitlichen Zäsur (BGH, a.a.O.). Für die konkrete Gefahr i.S. von § 315 b StGB gilt dasselbe wie bei § 315c StGB, insbesondere auch zum sog. „Beinaheunfall“ (vgl. Ludovisy/Eggert/Burhoff, a.a.O., Teil Rn. 162 ff.; BGH NJW 1995, 3131= NZV 1995, 325 = DAR 1995, 296; zuletzt u.a. NZV 2010, 261 = VRR 2010, 150 = StraFo 2010, 170, jeweils m.w.N.).

Hinweis:

Können für einen „Beinaheunfall“ keine ausreichenden Feststellungen getroffen werden (vgl. dazu z.B. BGH StRR 2010, 71 = VRR 2010, 70 = VA 2010, 29 [Ausweichen des anderen Verkehrsteilnehmers]; BGH, Beschl. v. 9. 2.2010 – 4 StRR 556/09; zuletzt auch BGH VRR 2012, 266 [in diesem Heft]), kommt die Strafbarkeit wegen eines Versuchs nach § 315b Abs. 2 StGB in Betracht. Anders als in § 315c Abs. 2 StGB sind hier aber alle Tatbestandsalternativen des Abs. 1 erfasst (BGH NZV 2010, 261 = VRR 2010, 150 = StraFo 2010, 170).

Die Gefahr muss für Leib oder Leben einer anderen Person oder für eine fremde Sache von bedeutendem Wert. eintreten. Insoweit gilt dasselbe wie bei § 315c StGB (vgl. Ludovisy/Eggert/Burhoff, Teil 6 Rn. 169 ff.). Bei § 315b ist darauf zu achten, dass eine durch den Eingriff erfolgte Beschädigung eines anderen Kfz für die Annahme eines vollendeten Delikts des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht ausreicht, wenn der angerichtete Sachschaden in keinem relevanten Zusammenhang mit der Eigendynamik der beteiligten Fahrzeuge steht, sondern ausschließlich auf die Dynamik der von außen in den Kfz-Verkehr eingebrachten Gegenstände zurückzuführen ist. Ein solcher Schaden ist keine spezifische Folge des Eingriffs in die Sicherheit des Straßenverkehrs (vgl. BGHSt 48, 119 = NJW 2003, 836 = DAR 2003, 124 für von einer Autobahnbrücke geworfene Farbbeutel; BGH, NZV 2009, 155 = VRR 2009, 110 = StRR 2009, 191 für Schüsse auf einen Pkw).

III. Subjektiver Tatbestand

§ 315b Abs. 1 bis 3 StGB setzen sowohl hinsichtlich der Verletzung als auch hinsichtlich der Gefährdung Vorsatz voraus. Für den Eingriff in den Straßenverkehr selbst ist bedingter Vorsatz jedoch ausreichend. Ausreichend ist, auch nach der neuen Rechtsprechung des BGH (BGHSt 48, 233 = NJW 2003, 1613 = DAR 2003, 228), im Rahmen des subjektiven Tatbestandes des § 315b Abs. 1 StGB Gefährdungsvorsatz. Dieser muss nur die „Absicht“, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, konkretisieren (BGH, a.a.O.). Bei Eingriffen im fließenden Verkehr reicht Gefährdungsvorsatz nicht. Erforderlich ist dann Schädigungsvorsatz (BGHSt 48, 233 = NJW 2003, 1613 = DAR 2003, 228; BGH, DAR 2006, 30; 09.02.2010 – 4 StR 556/09; zum bedingten Schädigungsvorsatz s.a. BGH, NStZ-RR 2010, 373 für das Werfen von Gegenständen auf eine BAB).


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