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aus Verkehrsrecht Aktuell (VA)

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VA" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VA 2001, 59" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Geschwindigkeitsmessung


Geschwindigkeitsmessung mit dem Police-Pilot-System

Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem ProViDa-System – auch Police-Pilot-System genannt – gibt es je nach Einsatz unterschiedliche Anforderungen an die Bedienung und unterschiedliche Fehlerquellen. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Anforderungen an die amtsgerichtlichen Urteilsgründe. Worauf Sie als Verteidiger achten müssen, können Sie den nachfolgenden Checklisten entnehmen.

Hinweise: Beim Police-Pilot-System ist das für die Messung verwandte Messgerät im Poli-zeifahrzeug eingebaut. Es besteht aus einem geeichten digitalen Tachometer, einem Steuergerät (Police-Pilot) und einer Videoanlage zu Dokumentationszwecken. Die gemessenen Daten werden auf einem Monitor angezeigt und bei der Videoaufnahme gespeichert.

Die Geschwindigkeitsermittlung mittels Police-Pilot-Systems ist als standardisiertes Mess-verfahren i.S.d. BGH-Rechtsprechung (BGHSt 39, 219 = DAR 93, 474; NJW 98, 321 = DAR 98, 110) anerkannt (für die ProViDa-Anlage OLG Celle NZV 97, 188 = VRS 92, 435; OLG Hamm 15.11.00, 2 Ss Owi 1057/00; OLG Hamm 11.1.01, 2 Ss Owi 1163/00; für das Proof Speed Messgerät BayObLG DAR 98, 360; vgl. ferner zum Police-Pilot-System: KG VRS 88, 473; OLG Brandenburg DAR 00, 278; OLG Braunschweig NZV 95, 367 = DAR 95, 371; OLG Stuttgart DAR 90, 392; OLG Zweibrücken DAR 00, 225 = VRS 98, 394).

 

1. Einsatzmöglichkeit: Die Messung erfolgt auf vorher festgelegter und ausgemessener Wegstrecke.

Messmethode: Die Wegstrecke wird in den Zähler des Steuergeräts eingegeben. Start und Beendigung der Zeitmessung erfolgen jeweils durch Tastendruck; es wird die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet.

Besonderheiten berücksichtigt? In Frage kommen Fehler bei der Bestimmung der Länge der Messstrecke und Reaktionsfehler des Polizeibeamten bei der Betätigung der Zeitmessung (siehe im Übrigen Plöckl DAR 91, 236). Letztere müssen anhand der gefertigten Videoaufnahme überprüft werden. Insoweit muss der Verteidiger ggf. einen Beweisantrag stellen.

Beispiel für einen Beweisantrag: "Zum Beweis der Tatsache, dass die der Messung am ... um ... zu Grunde gelegte Messstrecke nicht – wie im Messprotokoll/von den Polizeibeamten angegeben – .... m betragen hat, sondern nur ....m, wird die Einholung eines durch einen Vermessungsingenieur zu erstellendes Sachverständigengutachtens beantragt. Durch die um ... m geringere Messstrecke verringert sich die dem Betroffenen zur Last gelegt gefahrene Geschwindigkeit. Es wird weiterhin behauptet, dass wegen dieser Messfehler ein höherer Toleranzabzug von ... Prozent von der gemessenen Geschwindigkeit zu machen ist. Zum Beweis dieser Tatsache wird ebenfalls die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt."

Toleranzabzug: Bei Geschwindigkeiten bis 100 km/h sind 5 km/h als Toleranz abzuziehen. Bei Messwerten oberhalb 100 km/h erfolgt ein Abzug von 5 Prozent der gemessenen Geschwindigkeit.

Hinweis: Eine Auswertung des Videofilms kann dazu führen, dass der vorgegebene Toleranzabzug nicht ausreicht, um alle Unwägbarkeiten des Messverfahrens zu berücksichtigen (Plöckl DAR 91, 236). Dann ist ein höherer Abzug vorzunehmen.

 

2. Einsatzmöglichkeit: Die Messung erfolgt durch Nachfahren hinter einem zu kontrollierenden Fahrzeug mit konstantem Abstand.

Messmethode: Während des Nachfahrens wird die Geschwindigkeit vom digitalen Tachometer abgelesen.

Besonderheiten berücksichtigt? Bei der Auswertung des Videofilms ist auf Abstandsschwankungen und Brennwinkelveränderungen bei der Messung zu achten (Plöckl DAR 91, 236).

Toleranzabzug: Ein Abzug für Ablesefehler ist nicht erforderlich, da ein digitaler Tachometer Ablesefehler ausschließt (OLG Stuttgart DAR 90, 392; OLG Celle NZV 91, 281= VRS 81, 210).

 

3. Einsatzmöglichkeit: Die Messung erfolgt durch Nachfahren mit variabler Wegstrecke.

Messmethode: Sobald das zu messende Fahrzeug einen bestimmten – vom Polizeibeamten festgelegten – ersten Punkt (z.B. ein Verkehrszeichen oder Leitpfosten) erreicht, wird die Zeitmessung eingeschaltet. Hat das Polizeifahrzeug denselben Punkt erreicht, wird die Wegstreckenzählung gestartet. Der Polizeibeamte legt einen weiteren markanten Punkt zur Beendigung der Messung fest. Passiert das zu kontrollierende Fahrzeug diesen zweiten Punkt, wird die Zeitmessung beendet und sobald das Polizeifahrzeug diesen Punkt erreicht hat, die Wegstreckenzählung. Anhand der gemessenen Werte wird die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnet.

Besonderheiten berücksichtigt? In Frage kommen Bedienungsfehler des Polizeibeamten, der viermal zu bestimmten Zeitpunkten eine Zeit-/Wegtaste betätigen muss (Löhle/Beck DAR 94, 465, 476; Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl., Rn. 403a).

Toleranzabzug: Der Toleranzabzug wird grundsätzlich wie bei der 1. Einsatzmöglichkeit vorgenommen. Ein darüber hinausgehender Abzug ist in der Regel nicht notwendig (OLG Celle, NZV 91, 281). Bei ungünstigen Messbedingungen, wie z.B. zur Nachtzeit, wird allerdings ein weiterer Abzug von mehr als 2 Prozent als erforderlich angesehen (OLG Celle a.a.O.).

Hinweis: Von anderen Gerichten wird zum Ausgleich aller Fehlerquellen ein Abschlag von
8 Prozent vorgenommen (OLG Frankfurt NJW 90, 1308 = DAR 90, 272). Ist das Messgerät nicht mehr geeicht, beträgt der Sicherheitsabschlag 20 Prozent (KG NZV 95, 37). Bei einem Reifenwechsel ist jedoch ein Toleranzabzug von 5 Prozent ausreichend, falls ein Reifenwechsel innerhalb einer Reifengröße vorgenommen wurde oder ein Wechsel von Sommer- auf Winterreifen erfolgte (OLG Celle NZV 97, 188 = VRS 92, 435). Ein Übergang von Winter- auf Sommerreifen ohne neue Eichung ist hingegen unzulässig; entsprechendes gilt für die Ausrüstung des Polizei-Pkw mit Reifen unterschiedlicher Größe (OLG Celle a.a.O.).

 

4. Einsatzmöglichkeit: Die Messung erfolgt über eine variable Wegstrecke. Bei Beginn der Messung und nach Erreichen einer ausreichenden Messstrecke werden die Zeittaste und die Wegstreckentaste jeweils gleichzeitig bestätigt.

Messmethode: Es wird die Durchschnittsgeschwindigkeit anhand der gemessenen Wegstrecke errechnet.

Besonderheiten berücksichtigt? Das Polizeifahrzeug muss den Sicherheitsabstand als Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhalten, um auszuschließen, dass sich der Fahrer des vorausfahrenden Fahrzeugs durch das nachfolgende Fahrzeug bedrängt fühlt (Plöckl DAR 91, 236). Außerdem muss bei Auswertung des Videofilms auf Abstandsveränderungen geachtet werden. Wird das vorausfahrende Fahrzeug im Laufe des Films kleiner, wirkt sich das zugunsten des Betroffenen aus (Plöckl DAR 91, 236).

Toleranzabzug: Es gelten die Ausführungen zur 3. Einsatzmöglichkeit.

 

5. Einsatzmöglichkeit: Die Messung erfolgt aus einem stehenden Fahrzeug.

Diese Messmethode ist möglich und zulässig. Der Standort des Polizeifahrzeugs muss allerdings so gewählt werden, dass die Videokamera des Police-Pilot-Systems die gesamte Messstrecke erfasst (Löhle/Beck DAR 94, 465, 476).

  1. In der Regel genügt es, wenn sich der Amtsrichter bei einer Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf die Mitteilung des Messverfahrens und die nach Abzug der Messtoleranz ermittelte Geschwindigkeit stützt.

    Anzugeben ist also (vgl. OLG Köln, DAR 99, 516 = VRS 97, 442):

    • dass nach dem Police-Pilot-System bzw. PoViDa-System gemessen wurde, welche der denkbaren Einsatzmöglichkeiten angewandt wurde und
    • welcher Toleranzwert zugrundegelegt worden ist (OLG Braunschweig, OLG Düsseldorf, OLG Köln, jeweils a.a.O). Insoweit ist in der Regel ein Toleranzwert von 5 Prozent ausreichend (OLG Köln a.a.O.; BayObLG DAR 98, 360 [10 Prozent für Proof Speed Messgerät ausreichend]).

    Hinweis: Nicht ausreichend ist es, wenn sich dem Urteil nur entnehmen lässt, dass die Geschwindigkeit mit Hilfe eines nachfahrenden Messfahrzeugs festgestellt worden ist. Das legt eine Messung mit Police-Pilot-System zwar nahe, teilt aber nicht mit, mit welcher der nach dem System möglichen Einsatzmöglichkeiten gemessen wurde (OLG Brandenburg DAR 00, 278).

  2. Darüber hinausgehende Angaben, z.B. zur Nachfahrstrecke und zu den ermittelten Mess-ergebnissen, sind nach der neueren BGH-Rechtsprechung (NJW 98, 321) nicht (mehr) erforderlich (so ausdrücklich OLG Köln a.a.O., unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung; a.A. wohl noch OLG Zweibrücken DAR 00, 225; zur früheren Rechtslage siehe OLG Braunschweig NZV 95, 367).

  3. Weiterer Angaben zu den technischen Einzelheiten des Messvorgangs bedarf es im Urteil des Amtsrichters nicht (OLG Köln a.a.O.). So sind insbesondere weder Angaben zum konkreten Abstand der Fahrzeuge zu Beginn und am Ende der Messung, zur gleichbleibenden Einhaltung dieses Abstandes noch dazu erforderlich, ob und ggf. wie die diesbezüglichen Feststellungen getroffen und kontrolliert worden sind (OLG Braunschweig NZV 95, 367; OLG Köln a.a.O.; OLG Zweibrücken DAR 00, 225; zu darüber hinaus erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bei gleichzeitig erfolgenden Geschwindigkeits- und Abstands-messung siehe OLG Düsseldorf VA 00, 49, Abruf-Nr. 000877).

  4. 4. Der Amtsrichter muss nur dann die Zuverlässigkeit der – in einem standardisierten Messverfahren erfolgten – Messung überprüfen und sich damit in den Urteilsgründen befassen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen (BGHSt 39, 291, 300 f.).

    Praxishinweis: Zu möglichen Messfehlern und Zweifeln an der Funktionstüchtigkeit des Messgeräts müssen Sie als Verteidiger also vortragen und dazu ggf. einen Beweisantrag stellen. Dieser wird sich insbesondere auf eine der oben angeführten Fehlerquellen beziehen, also z.B. auf einen Reifenwechsel ohne neue Eichung, einen Fehler bei der Bedienung des Messgerätes o.ä. Als Beweismittel kommen die die Messung durchführenden Polizeibeamten in Betracht oder das von der Messung vorliegende Videoband, das ggf. in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen ist.

    Praxishinweis: Haben Sie in der Hauptverhandlung Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung geltend gemacht, müssen Sie diese in der Rechtsbeschwerde mit der Verfahrensrüge weiterverfolgen (BGHSt 39, 291, 300). Es reicht nicht nur die allgemeine Sachrüge.

    Bei der Begründung der Verfahrensrüge muss der Verteidiger die strengen Voraussetzungen der §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG beachten. Das heißt: Der in der Hauptverhandlung gestellte Beweisantrag und der darauf ergangene Ablehnungsbeschluss des AG müssen – am besten – wörtlich wiedergegeben werden.


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