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aus Verkehrsrecht Aktuell (VA) 2003, 153

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VA" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VA" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Abstandsmessung

Worauf Verteidiger besonders achten müssen

von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

Neben der Geschwindigkeitsüberschreitung und dem Rotlichtverstoß sind Verstöße gegen § 4 StVO, der den Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden regelt, in der Praxis die mit am häufigsten begangenen Verkehrsordnungswidrigkeiten. Für den Betroffenen sind sie von großer Bedeutung, weil bei erheblicher Abstandsunterschreitung nach der Tabelle 2 der BußgeldkatalogVO ein Fahrverbot verhängt werden kann. Das gilt besonders für die Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes auf der BAB, wo häufig zu nah aufgefahren wird. Wir stellen Ihnen die am häufigsten verwendeten Abstandsmessverfahren vor und zeigen Ihnen, worauf Sie als Verteidiger besonders achten müssen. Der Beitrag beschränkt sich auf Abstandsunterschreitungen außerorts.

Checkliste: Allgemeines

Frage Antwort
1. Ist in der StVO konkret geregelt, welcher Abstand zum Vordermann eingehalten werden muss?

Nein, die StVO enthält in § 4 StVO keine genauen Regelungen für den Abstand zum Vordermann.

Praxishinweis: In § 4 Abs. 3 StVO ist aber bestimmt, dass Lkw über 3,5 t oder Omnibusse, wenn mehr als 50 km/h auf Autobahnen gefahren wird, 50 m Mindestabstand einhalten müssen.

2. Wie wird der erforderliche Sicherheitsabstand bestimmt?

Die Praxis hilft sich allgemein mit der "Faustregel" des "halben Tachoabstandes". Das ist allerdings nur ein unverbindlicher Maßstab (AG Homburg/Saar DAR 98, 31).

3. Wie berechnet die
Rspr. den Sicherheitsabstand?

Der Sicherheitsabstand darf auf einer Schnellstraße zwischen zwei Kfz den von dem nachfolgenden Kfz in 1,5 Sekunden zurückzulegenden Weg grundsätzlich nicht unterschreiten (vgl. u.a. OLG Hamm VRS 55, 211; OLG Köln VRS 67, 286; OLG Düsseldorf VRS 74, 451; Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl., Rn. 450 m.w.N. aus der Rspr., Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 4 Rn. 6 m.w.N.).

Praxishinweis: Nach der Tabelle 2 der BußgeldkatalogVO ist bei der Bemessung des Sicherheitsabstandes im Rahmen der Bußgeldbemessung aber vom halben Tachowert auszugehen (BayObLG NJW 88, 273 m.w.N.); daran ist der Tatrichter gebunden.

4. Was ist der "gefährdende Abstand"?

Der "gefährdende Abstand" muss vom "Sicherheitsabstand" unterschieden werden. Er liegt vor, wenn der Abstand geringer ist als die in 0,8 Sekunden durchfahrene Strecke (OLG Köln NZV 92, 371).

5. Sind weitere Voraussetzungen für einen bußgeldbewehrten Verstoß gegen § 4 StVO erforderlich?

Ja, und zwar darf der erforderliche Abstand nicht nur ganz vorübergehend unterschritten worden sein (OLG Hamm NZV 94, 70). Bei höheren Geschwindigkeiten ist insoweit eine Strecke von 250 bis 300 m erforderlich (OLG Köln DAR 83, 364; OLG Celle VRS 55, 448; OLG Zweibrücken VRS 85, 217; OLG Düsseldorf NZV 93, 242; AG Homburg/Saar DAR 98, 31 = zfs 97, 393; s. aber OLG Celle NZV 91, 281).

Praxishinweis: Das gilt allerdings nicht für Lkw und Omnibus im Fall des § 4 Abs. 3 StVO (s. oben Ziffer 1). Das Unterschreiten des hier vorgeschriebenen 50 m-Abstandes ist vielmehr grundsätzlich auch dann , wenn es nur vorübergehend geschieht (OLG Zweibrücken NZV 97, 283), ordnungswidrig.

Außerdem muss der zu geringe Abstand den Vordermann konkret gefährdet haben. Das ist jeweils Tatfrage und erfordert die Berücksichtigung aller Umstände (Hentschel, a.a.O., § 4 Rn. 6 a.E.).

Checkliste: Messverfahren

Frage Antwort
1. Welche Abstandsmessverfahren gibt es?

Die in der Praxis häufigsten Messverfahren sind die Brückenabstands-messverfahren (vgl. dazu Ziffer 2 ff.) , das Video-Abstand-Messverfahren (VAMA; vgl. dazu Ziffer 6 ff.), die Messung mit dem Police-Pilot-System (vgl. dazu Ziffer 9 ff.) und die Messung durch Polizeibeamte ohne technische Geräte (vgl. dazu Ziffer 12 ff.); zu weiteren Messverfahren s. Beck/Berr, a.a.O.; Rn. 452 ff.).

2. Wie wird beim Brückenabstandsmessverfahren gemessen?

Es gibt das Traffipax und das Distanova-Verfahren. Bei diesen wird das Abstands- und Geschwindigkeitsverhalten des überwachten Fahrzeugs im Fernbereich entweder visuell durch Polizeibeamte oder durch ein Lichtbild festgestellt. Im Nah- bzw. Auswertbereich wird dann unter Zuhilfenahme entsprechender Fahrbahnmarkierungen die gefahrene Geschwindigkeit entweder mit geeichten Stoppuhren oder auch mit Lichtbildern festgestellt.

3. Sind die Brückenabstandsmessverfahren als zuverlässig anerkannt?

Ja, die h.M. in der Rspr. hält die Verfahren für ausreichend zuverlässig (vgl. OLG Düsseldorf DAR 85, 87; OLG Oldenburg VRS 67, 54; Hentschel, a.a.O., § 4 StVO Rn. 15 m.w.N.).

Praxishinweis: Der BGH hat über die Zuverlässigkeit des Abstandsmessverfahrens (noch) nicht entschieden. Nach seiner Auffassung muss diese Frage allein der Tatrichter beurteilen (BGH DAR 83, 56).

4. Auf welche Fehlerquellen muss der Verteidiger achten?

Eventuelle Abstandsveränderungen bei den beobachteten Fahrzeugen lassen sich wohl nicht immer zweifelsfrei wahrnehmen. Es ist also ohne weiteres möglich, dass der Abstand des gemessenen Kfz während der entscheidenden Strecke von 250 bis 300 m durch Gaswegnehmen den Abstand vergrößert hat (Beck/Berr, a.a.O., Rn. 460).

5. Welcher Sicherheitsabschlag muss gemacht werden?

Die Rspr. verlangt grundsätzlich einen 15-prozentigen Abzug von dem in 0,8 Sekunden zurückgelegten Fahrweg (BayObLG VRS 59, 264; s. aber OLG Celle VRS 58, 264 [unterliegt der freien Beweiswürdigung]).

6. Wie wird beim Video-Abstands-Messverfahren (VAMA) gemessen?

Die Messanlage wird auf einer Brücke aufgebaut. Kameras erfassen den ankommenden Verkehr ohne Unterbrechung in zwei Aufzeichnungen. Die eine Kamera nimmt den Fernbereich auf, die andere den Nahbereich. Die Aufzeichnungen werden später als Schnittbild zusammengesetzt, in das Datum, Zeit und Stoppzeit eingeblendet werden. Die Auswertung erfolgt anhand der Videoaufnahme. Es werden Standbilder des Videofilms erzeugt und die geeichte, eingeblendete Messzeit abgelesen. Anhand der Zeitdifferenz wird die Geschwindigkeit errechnet und der Abstand in Sekunden ermittelt. Durch die errechnete Geschwindigkeit kann dann der Abstand in Metern festgestellt werden (zu allem auch Beck/Berr, a.a.O.; Rn. 455 ff.).

Praxishinweis: Ggf. muss sich der Verteidiger das Videoband, das sich häufig nicht bei der Akte befindet, besorgen. Dazu muss er die Aushändigung einer Kopie desjenigen Teils des Videobandes beantragen, der den Verkehrsvorgang enthält, an dem der Mandant beteiligt gewesen ist (BayObLG NJW 91, 1070). M.E. muss er dafür nicht zunächst eine Leerkassette übersenden (so aber OLG Koblenz VA 00, 41, Abruf-Nr. 000702).

7. Ist VAMA als zuverlässig anerkannt?

Ja, dieses Verfahren ist zur Abstandsmessung geeignet (grundlegend OLG Hamm NZV 94, 120; OLG Hamm DAR 96, 382 bei Burhoff; Beck/Berr, a.a.O., Rn. 457 a).

8. Welche Toleranzabzüge sind ggf. zu machen?

Bis zu einer Geschwindigkeit von 154 km/h ist kein Sicherheitsabschlag auf den im Nahbereich ermittelten Abstand erforderlich (Beck/Berr, a.a.O.).

9. Wie wird mit dem Police-Pilot-System (PPS) gemessen?

Bei dem PPS handelt es sich ebenfalls um ein Videomessverfahren. Es werden Streckenlänge und Geschwindigkeit gemessen, und die Verkehrssituation wird auf einem Videoband aufgezeichnet.

10. Ist das PPS als zuverlässig anerkannt?

Ja (vgl. OLG Celle VRS 81, 210; vgl. auch OLG Düsseldorf VA 00, 49, Abruf-Nr. 000877). Das Gericht ist nämlich bei der Feststellung von Abständen nicht auf Schätzungen von Polizeibeamten angewiesen, sondern diese können, sofern geeignete Fixpunkte vorhanden sind, zuverlässig berechnet und die Ergebnisse vom Gericht durch Augenschein überprüft werden (vgl. OLG Celle, a.a.O.).

Das PPS ist für Abstandsmessungen kein sog. standardisiertes Messverfahren (OLG Düsseldorf VA 00, 49). Das hat Auswirkungen auf die erforderlichen Feststellungen im tatrichterlichen Urteil.

11. Worauf muss der Verteidiger achten?

Da beim PPS die gefahrene Geschwindigkeit digital gemessen wird, ist ein Abzug für eventuelle Ablesefehler nicht erforderlich (OLG Stuttgart DAR 90, 392). Bei der Auswertung des Videofilms muss aber auf Abstandsschwankungen geachtet werden (Beck/Berr, a.a.O., Rn. 402).

12. Wie wird bei der Abstandsmessung durch Polizeibeamte ohne technische Geräte gemessen?

Bei dieser Messmethode stellen die Polizeibeamten durch Beobachtung die Unterschreitung des erforderlichen Abstandes fest, und zwar entweder durch Nachfahren auf einem anderen Fahrstreifen (OLG Düsseldorf DAR 00, 80) oder auch durch Vorausfahren. In diesem Fall wird der Abstand zum nachfolgenden Fahrzeug durch Umschauen oder durch den Innenspiegel festgestellt (OLG Köln VRS 60, 62; OLG Celle NZV 93, 490; BayObLG zfs 97, 20).

13. Ist diese Methode als zuverlässig anerkannt?

Grundsätzlich ja, es sind allerdings dieselben Fehler möglich wie bei der Geschwindigkeitsmessung durch Vorausfahren oder Nachfahren (vgl. dazu Beck/Berr, a.a.O.; Rn. 461). Im Übrigen muss zwischen Nachfahren und Vorausfahren unterschieden werden:

  • Für das Nachfahren auf einem anderen Fahrstreifen geht die Rspr. davon aus, dass erfahrene Polizeibeamte bei längerer gleichbleibender Messstrecke einen auffällig verkürzten Abstand des Vorausfahrenden zu dessen Vordermann ausreichend schätzen können (OLG Düsseldorf DAR 00, 80 m.w.N.). Für ungeübte Polizeibeamte gilt das nicht unbedingt (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Auch ist eine Beobachtung aus 100 m Entfernung nicht ausreichend (OLG Hamm NStZ-RR 97, 379). Auch gegen Schätzungen bei Nachfahren auf demselben Fahrstreifen bestehen Bedenken (OLG Düsseldorf VA 02, 155, Abruf-Nr. 021137).

    Praxishinweis: Eine festgestellte Länge der überprüften Fahrstrecke von 600 m und ein Abstand des Überwachungsfahrzeugs von ca. 40 m zum Vorausfahrenden sind ausreichend (vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 64, 376, 379; VRS 56, 57, 58).

  • Die Feststellungen des zu geringen Abstandes aus einem vorausfahrenden Kfz sieht die Rspr. als Tatfrage an. Sie geht davon aus, dass sichere Beobachtungen kaum möglich sein werden (BayObLG zfs 97, 20). Das gilt insbesondere bei Dunkelheit (OLG Celle NZV 93, 490). Jedenfalls dürfen sich Schätzfehler nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken (OLG Hamm DAR 96, 382 bei Burhoff).
14. Ist ein Sicherheitsabschlag zu machen?

Ja. Wegen der erheblichen Fehlerquellen ist ggf. ein großer Sicherheitsabschlag zu machen. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf reichen 33,3 % nicht aus (vgl. VRS 68, 229).


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