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aus ZAP Heft 24/25/2014, F 22 R, S. 859

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (III/2014)

Inhalt

I. Hinweis
II. Ermittlungsverfahren
  1. Pflichtverteidigungsfragen
    a) Aufhebung der Bestellung nach Entlassung des Angeklagten aus der U-Haft
    b) Exkurs: Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren
  2. Haftfragen
    a) Unzureichende personelle Ausstattung des Gerichts
    b) Rechtsprechungsübersicht
  3. Beschleunigungsgrundsatz im verkehrsstrafrechtlichen Verfahren
  4. Umfang der Löschung von Aufzeichnungen nach rechtswidriger Überwachungsmaßnahme
III. Hauptverhandlung
  1. Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO
    a) Angehöriger des Vorsitzenden als Zeuge
    b) Rügepflicht bei unzureichender Dokumentation von Verständigungsgesprächen
  2. Rechtlicher Hinweis (§ 265 StPO)
IV. Gebührenfragen
  1. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG und Rückgewinnungshilfe
  2. Bemessung der Terminsgebühr

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Hinweis

Der NSU-Untersuchungsausschuss hatte im Jahr 2013 in seinem Abschlussbericht (BT-Drucks. 17/14600, dort insbesondere S. 861 ff.) fraktionsübergreifend Korrekturen und Reformen auch für den Bereich der Strafverfolgung dringend empfohlen und als Ergebnis seiner Arbeit, Empfehlungen an die Gesetzgebung ausgesprochen. Die Bundesregierung hat nun am 27. 8. 2014 den vom Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf eines “Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages” beschlossen (vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/20140827_NSU_Kabinettbeschluss.pdf;jsessionid=1F7D930A328957D5E0AA92219EC09119.1_cid334?__blob=publicationFile). Im Einzelnen:

  • Der Gesetzentwurf sieht u.a.  vor, dass künftig rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Tatmotive bei der konkreten Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt werden sollen. Die explizite gesetzliche Erfassung in § 46 Abs. 2 StGB soll die Bedeutung dieser Beweggründe für die gerichtliche Strafzumessung verdeutlichen und zugleich unterstreichen, dass bereits die Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungen auf solche für die Bestimmung der Rechtsfolgen bedeutsamen Motive zu erstrecken haben.
  • Laut Gesetzentwurf soll außerdem bei rassistischen oder fremdenfeindlichen Taten künftig verstärkt die Erfahrung des Generalbundesanwalts nutzbar gemacht werden können. Dieses zentrale Ermittlungsorgan soll früher als bislang beteiligt werden, wenn bei einer Tat rassistische oder fremdenfeindliche Motive eine Rolle spielen und dies auf einen staatsfeindlichen Hintergrund hindeutet. Bei besonders bedeutenden Staatsschutzdelikten, wie fremdenfeindliche Taten es häufig sein können, soll der Generalbundesanwalt leichter die Ermittlungen übernehmen können. Schließlich soll er künftig entscheiden, wenn die Staatsanwaltschaften zweier Bundesländer untereinander uneinig sind, wo die Ermittlungen zu führen sind. So soll verhindert werden, dass zügige Ermittlungen an Zuständigkeitsstreitigkeiten scheitern.

Inhaltsverzeichnis

II. Ermittlungsverfahren

1. Pflichtverteidigungsfragen

a) Aufhebung der Bestellung nach Entlassung des Angeklagten aus der U-Haft

Befindet sich der Beschuldigte mindestens drei Monate in U-Haft, muss ihm nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Nach § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO kann diese Bestellung aufgehoben werden, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird. Von dieser Vorschrift/Möglichkeit machen die Gerichte immer wieder vorschnell Gebrauch. So auch in dem dem LG Magdeburg, Beschl. v. 19. 6. 2014 (21 Qs 44/14) zugrunde liegenden Verfahren. Dort war der Angeklagte mehr als zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der U-Haft entlassen worden, was das AG veranlasst hatte, daraufhin die Bestellung des dem Angeklagten nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beigeordneten Pflichtverteidigers zurückzunehmen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg.

Das LG Magdeburg (a.a.O.) weist darauf hin, dass das AG nicht ausreichend geprüft habe, ob die Voraussetzungen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO vorliegen. § 140 Abs. 3 Satz 1 StPO ordne nämlich nicht die uneingeschränkte Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen an. Vielmehr werde für das mit der Frage befasste Gericht ein Ermessensspielraum eröffnet. Das Gericht sei gehalten, dieses Ermessen fehlerfrei zu gebrauchen. Im Rahmen des insoweit eingeräumten Ermessens sei stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Angeklagten in seinen originären Verteidigungsrechten und -möglichkeiten entfallen sei oder diese Einschränkung des Angeklagten trotz Aufhebung der Haft fortbestehe und deshalb eine weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erfordere. Das Gericht sei verpflichtet, insoweit nachvollziehbare Erwägungen anzustellen und diese zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen.

Hinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Sie entspricht der übrigen Rechtsprechung und auch der Auffassung der Literatur ((vgl. OLG Bremen StraFo 2002, 231. OLG Düsseldorf StV 1995, 117, 2000, 408; OLG Celle StV 1992, 151; StV 2011, 84 = StRR 2011, 22; LR-Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 140 Rn. 136; Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 140 Rn. 15 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl. 2013, Rn. 2155 [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]). Wird aufgehoben, muss das Gericht dem Angeklagten dann auch genügend Zeit lassen, sich ggf. um einen neuen Verteidiger zu bemühen. Das gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens.

Inhaltsverzeichnis

b) Exkurs: Bestellung im Strafvollstreckungsverfahren

Im Strafvollstreckungsverfahren wird § 140 Abs. 2 StPO nur entsprechend angewendet, was dazu führt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren immer noch die Ausnahme ist (zur Beiordnung s. Burhoff, EV, Rn. 2133 ff.). Daher sind Entscheidungen der Instanzgerichte, in denen dem Verurteilten in diesem Verfahrensstadium ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Auf folgende Entscheidungen soll daher hingewiesen werden:

Von Bedeutung ist zunächst der LG Kiel, Beschl. v. 29. 7. 2014 2 Qs 41/14, durch den dem Verurteilten im Verfahren über den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung ein Pflichtverteidiger mit der Begründung beigeordnet worden ist, dass nach einem Bewährungswiderruf Freiheitsentzug von rund 4 Jahren und 3 Monaten zu vollstrecken sein wird. Das LG Kiel ( a.a.O.) weist zutreffend darauf hin, dass zwar die Höhe der drohenden Strafe für sich genommen nicht immer ausreichend für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren sei. Sie sei aber ein starkes Indiz dafür, dass die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten ist. Im Erkenntnisverfahren dürfe nach einhelliger Auffassung jedenfalls eine Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers verhängt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 23 m. w. N.). Zwar seien die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren enger auszulegen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 33). Der Widerruf der (hier drei) Bewährungsstrafen könne hier allerdings zu einem mehr als doppelt so langen Freiheitsentzug führen. Hinzu kam für das LG, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB bzw. des § 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG vorlagen, nicht einfach zu beantworten war.

Hinzuweisen ist außerdem auf die AG Backnang, Verf. v. 13. 8. 2014 (2 BWL 90/11). Das hat die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Bewährungswiderrufsverfahren mit einer schwierige Sach- und Rechtslage begründet. Diese liege im Widerrufsverfahren vor, wenn in tatsächlicher und oder rechtlicher Hinsicht Fragen aufgeworfen werden, die über die Probleme hinausgehen, die in einem solchen Verfahren regelmäßig zu beurteilten seien (KG NStZ-RR 2006, 211). Im Verfahren war zu prüfen, ob eine Ziffer des Bewährungsbeschluss überhaupt eine Weisung im Sinne des § 56c StGB darstellte, gegen die der Verurteilte verstoßen haben sollte. Das AG und die Staatsanwaltschaft vertraten hierzu unterschiedliche Auffassungen; welcher dieser Ansichten das Rechtsmittelgericht folgen würde, sei nicht absehbar. Vertreten aber Justizorgane unterschiedliche Rechtsauffassungen, begründe dies die Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers (Burhoff, EV, Rn. 2205).

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2. Haftfragen

a) Unzureichende personelle Ausstattung des Gerichts

Immer wieder müssen sich die (Ober)Gerichte mit der Frage der ausreichenden personellen Ausstattung der Instanzgerichte befassen. So vor einiger Zeit auch noch einmal das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2014 (2 BvR 1457/14, StRR 2014, 323), das zu einer Entscheidung des OLG München, ergangen im Rahmen der Sechs-Monats-Haftprüfung beim OLG (§§ 121 ff. StPO) deutliche Worte gefunden hat. Dort war mit einer Überlastung der Strafkammer beim LG München I argumentiert worden. Das BVerfG beanstandet u.a., dass mit der Hauptverhandlung nicht binnen drei Monaten nach Eröffnung des Hauptverfahrens begonnen worden ist. Darüber hinaus moniert es, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt des geplanten Beginns der Hauptverhandlung schon deutlich länger als ein Jahr in Untersuchungshaft befunden haben werde. Vor diesem Hintergrund sei eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nur ausnahmsweise möglich; ihre Fortdauer hätte daher besonders sorgfältig begründet werden müssen. Soweit das OLG ausführe, die Fortdauer der Untersuchungshaft sei trotz ihrer langen Dauer deswegen nicht zu beanstanden, weil das Präsidium des LG München I im Rahmen seiner Möglichkeiten auf die sich zuspitzende Belastungssituation der Jugendkammer reagiert habe, ist das nach Auffassung des BVerfG ebenfalls kein verfassungsrechtlich tragfähigen Grund für die Haftfortdauer dar. Allenfalls kurzfristige, unvermeidbare und unvorhersehbare Belastungssituationen eines Gerichts seien im Einzelfall geeignet, eine Verzögerung in der Verfahrensförderung zu rechtfertigen. Die Ausführungen des OLG sprächen aber dafür, dass sich die Überlastungssituation schon über längere Zeit aufgebaut habe. Eine solche Überlastung des Gerichts falle in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft; sie sei dem Angeklagten in keinem Fall zuzurechnen. Könne dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht Rechnung getragen werden, weil der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nicht nachkomme, hätten die mit der Haftprüfung betrauten Fachgerichte die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen, indem sie die Haftentscheidung aufheben; ansonsten verfehlen sie die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen (vgl. BVerfGK 6, 384, 397 = NJW 2006, 668).

Hinweis

Im Grunde nichts wesentlich Neues aus Karlsruhe zum Beschleunigungsgrundsatz, aber mal wieder eine Entscheidung, in der das BVerfG seine Grundsätze zum Beschleunigungsgrundsatz „festzurrt“ und bestätigt (vgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 1665 ff.).

Inhaltsverzeichnis

b) Rechtsprechungsübersicht

Ich hatte in ZAP F. 22 R, S. 805 ff. über aktuelle Rechtsprechung zu Haftfragen berichtet. An die Zusammenstellung schließen die nachfolgende Rechtsprechung-Übersicht an (vgl. i.Ü. eingehend zu den mit der Untersuchungshaftfragen zusammenhängenden Problemen Burhoff, EV, Rn. 1656 ff., 2839 ff.)

  • Akteneinsicht, Aufhebung des Haftbefehls: Der Grundsatz eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens und der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör gebieten es, dem Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten Einsicht zumindest in die Aktenbestandteile zu geben, auf welche der Haftbefehl gestützt ist. Allein die Tatsache, dass dem Beschuldigten eine effektive Verteidigung im Ermittlungsverfahren vor der gerichtlichen Haftentscheidung mangels Akteneinsicht seines Verteidigers nicht möglich ist, gebietet die Aufhebung des Haftbefehls (AG Magdeburg StraFo 2014, 73 = StRR 2014, 42 [Ls.]). Das sieht das AG Frankfurt an der Oder (Beschl. v. 24. 3. 2014 - 45 Gs 48/14) anders. Es geht davon aus, dass in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren vor einem Haftprüfungstermin die Akteneinsicht zwar nicht versagt, aber faktisch wegen Nichtverfügbarkeit der Akte vor dem Termin auch nicht gewährt, der Haftbefehl nicht allein wegen der unterbliebenen Akteneinsicht aufzuheben sei (a.A. AG Halle StV 2013, 216; AG Halberstadt StV 2004, 549). Den Vorschriften der StPO, der grundrechtlichen Garantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und den einschlägigen Garantien der EMRK sei bei Vorliegen eines derartigen Sachverhalts nicht nur Rechnung getragen, wenn der Verteidiger vor dem Haftprüfungstermin Akteneinsicht erhalten habe, sondern bereits dann, wenn der Verteidiger und der Beschuldigte im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Haftprüfungsantrag in der Weise informiert seien oder sich in zumutbaren Weise dahin hätten informieren können, dass der getroffenen gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen dem Beschuldigten und dem Verteidiger Gelegenheit gegeben war.
  • Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Überwachung des Schriftverkehrs: Für die Entscheidung über Anträge nach § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO ist bei Anhängigkeit der Sache in einem Kollegialgericht der gesamte Spruchkörper und nicht der Vorsitzende zuständig. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 119 Abs. 5 Satz 1 StPO, der weder ausdrücklich noch durch seine Begründung eine Rechtsverletzung substantiiert geltend macht, ist entsprechend dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 24 EGGVG als unzulässig zu verwerfen (KG NStZ-RR 2014, 50).
  • Außervollzugsetzung des Haftbefehls: Beschränkungen, denen ein Beschuldigter durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist. Denn auch dann, wenn Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, kann allein schon die Existenz eines Haftbefehls für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem (erneuten) Vollzug verbindet (LG Dresden, Beschl. v. 17. 7. 2014 - 5 Qs 84/14, StRR 2014, 323).
  • Außervollzugsetzung, Widerruf, Voraussetzungen: Ein nach der Haftverschonung ergangenes (nicht rechtkräftiges) Urteil oder ein hoher Strafantrag der Staatsanwaltschaft können zwar geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung und die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass von der Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters oder die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6. 12. 2013 - 2 Ws 584/13, StRR 2014, 42 [Ls.]; vgl. auch OLG Nürnberg StV 2013,. 519). "Neu" i.S. des § 116 StPO sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass der Aufhebung/Außervollzugsetzung des früheren Haftbefehls bekannt gewordene Umstände nur dann, wenn sie die Grundlage des Aufhebungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass eine Aufhebung nicht erfolgt wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären; maßgeblich ist insoweit, ob die Vertrauensgrundlage der Aufhebungs- oder Aussetzungsentscheidung erschüttert ist (OLG Nürnberg, a.a.O.).
  • Beschleunigungsgebot, Allgemeines: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung; er erfordert es, die notwendigen Ermittlungen mit der erforderlichen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten ohne vermeidbare und dem Staat zuzurechnende Verfahrensverzögerungen herbeizuführen (BVerfG, Beschl. v. 22. 1. 2014 - 2 BvR 2301/13; zum Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen bei längerer Flucht und Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland (KG, Beschl. v. 16. 4. 2014 – 2 Ws 152/14). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits andauert (BVerfG, a.a.O.). Die in § 121 Abs. 1 StPO bestimmte Frist stellt eine Höchstgrenze dar (KG, Beschl. v. 9. 8. 2013 – [4] 141 HEs 44/13 [23/13], StRR 2013, 403 [Ls.]). Im Jugendstrafverfahren findet das Beschleunigungsgebot eine noch einmal gesteigerte Ausprägung (KG StraFo 2013, 502 =  StRR 2014, 155). Kann dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht Rechnung getragen werden, weil der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen personellen Ausstattung der Gerichte nicht nachkommt, haben die mit der Haftprüfung betrauten Fachgerichte die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen, indem sie die Haftentscheidung aufheben; ansonsten verfehlen sie die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen (BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2014 - 2 BvR 1457/14, StRR 2013, 323; vgl. oben 2, 1).
  • Beschleunigungsgebot, Ermittlungsverfahren/Zwischenverfahren: Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gilt auch für das Zwischenverfahren nach §§ 199 ff. StPO (BVerfG, Beschl. v. 22. 1. 2014 - 2 BvR 2301/13). Auch wenn der Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung noch vor dem Ablauf der in § 126 Abs. 2 StPO normierten Sechsmonatsfrist liegt, führen Versäumnisse im Ermittlungsverfahren, die dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen widersprechen, zur Unverhältnismäßigkeit der Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft (OLG Nürnberg StraFo 2014, 72). Um dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu genügen, hat die Staatsanwaltschaft möglichst früh alle erforderlichen Untersuchungen in Auftrag zu geben; dies gilt auch und insbesondere für die Einholung forensisch-psychiatrischer Gutachten zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten (KG, Beschl. v. 9. 8. 2013 – [4] 141 HEs 44/13 [23/13], StRR 2013, 403 [Ls.]). Zu den vom Gericht möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens gehört u.a. auch die Anfertigung von Doppelakten (KG StraFo 2013, 506).
  • Beschleunigungsgebot, Hauptverhandlung: In lang dauernden Großverfahren ist die reine Durchschnittsfrequenz von Verhandlungstagen nur der Ausgangspunkt der Bewertung der Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen. Der Verlauf eines sog. Umfangverfahrens hängt von einer Vielzahl im Einzelfall festzustellender Parameter ab, die bei der Bewertung der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen sind. Das Hauptsachegericht ist in Haftsachen gehalten, während laufender Hauptverhandlung die Verfahrensentwicklung kontrollierend im Auge zu behalten und die Terminierungsdichte stetig und dynamisch an die aktuelle Prozesslage - unter Beachtung der Dauer der bereits vollzogenen Untersuchungshaft - anzupassen (§§ 121, 122 StPO; OLG Nürnberg, Beschl. v. 22.5.2014 - 1 Ws 153-154/14, StRR 2014, 282 [Ls.]; ähnlich OLG Köln StraFo 2013, 356 = StV 2014, 32 = StRR 2013, 358; zur Terminierung in Haftsachen, wenn die Stellung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines (mutmaßlich) schwierig herbeizuschaffenden Auslandszeugen eine Terminierung in größerem Abstand erfordert (OLG Hamm, Beschl. v. 26. 6. 2014 - 1 Ws 324/14). Für die Frage, ob der Grundsatz der Beschleunigung bei der Durchführung der Hauptverhandlung ausreichend beachtet wurde, ist nicht eine ausschließlich retrospektive Beurteilung des tatsächlichen Verhandlungsablaufs und gar eine rein rechnerische Betrachtung der Hauptverhandlungszeiten entscheidend. Auch hinsichtlich der Dauer der einzelnen Sitzungen kommt es vielmehr grundsätzlich auf die Planung der Hauptverhandlung durch das Gericht an. Dem Einflussbereich des Gerichts entzogene Umstände können den Verlauf umfangreicher Hauptverhandlungen mit zahlreichen Beteiligten maßgeblich bestimmen sowie erheblich verzögern, weshalb nachträgliche, rein rechnerische Überlegungen zur tatsächlichen (Netto-) Verhandlungszeit ohne die Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe in der Hauptverhandlung im Regelfall nicht überzeugend sind. Haben einzelne Verfahrensbeteiligte durch ihr Prozessverhalten dazu beigetragen, dass die Verhandlungsdichte im Verlaufe einer länger dauernden Hauptverhandlung absinken musste, erscheint es widersprüchlich, wenn sie dem Gericht nachträglich vorhalten, sich unter Beschleunigungsaspekten falsch verhalten zu haben (KG, Beschl. v. 7. 3. 2014 – 4 Ws 21/14; vgl. auch noch KG StraFo 2013, 502 =  StRR 2014, 155). Bei nicht absehbar umfangreicheren Verfahren genügt ein Verhandlungstag pro Woche dem Beschleunigungsgebot (OLG Stuttgart Justiz 2013, 367). Die Pflicht zur beschleunigten Durchführung einer Hauptverhandlung in Haftsachen steht zwar deren Unterbrechung für eine angemessene Zeit zum Zwecke des Erholungsurlaubs der Verfahrensbeteiligten nicht grundsätzlich entgegen. Das Beschleunigungsgebot führt aber dazu, dass sich diese Unterbrechungszeiten in einem angemessenen Rahmen zu halten haben. In einem Umfangsverfahren sind die Urlaubszeiten der notwendigen Verfahrensbeteiligten durch eine entsprechend vorausschauende Terminplanung im Sinne eines zügigen Verlaufes der Hauptverhandlung zu koordinieren (OLG Hamm StV 2014, 30 = StRR 2013, 357 unter Hinweis auf BVerfG StV 2008, 198). Eine nicht vorhersehbare, lang andauernde Erkrankung eines Richters, die der planmäßigen Fortführung der Hauptverhandlung entgegen steht, stellt einen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO dar, der die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz der hierdurch eingetretenen Verzögerung rechtfertigt (KG, Beschl. v. 24. 9. 2013 – [4] 141 HEs 62/13 [35-37/13]).
  • Beschleunigungsgebot, Rechtsmittelverfahren: Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot erfasst das gesamte Strafverfahren und gilt demgemäß auch nach dem Urteilserlass; Verzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil fallen aber geringer ins Gewicht (KG, Beschl. v. 7. 3. 2014 – 4 Ws 21/14).
  • Beschleunigungsgebot: Überhaft: Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot gilt auch, wenn der Betroffene von dem Vollzug der Untersuchungshaft verschont ist oder die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird, weil sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet und für das anhängige Verfahren lediglich Überhaft notiert ist. Der Umstand, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird und die notierte Überhaft keine faktischen Auswirkungen auf den Angeklagten hat, führt allerdings dazu, dass das Beschleunigungsgebot noch weiter abgeschwächt gilt, als bereits bei neben Strafhaft notierter Überhaft (§§ 120 ff. StPO; BVerfG, Beschl. v. 22. 1. 2014 - 2 BvR 2301/13; KG, Beschl. v. 7. 3. 2014 – 4 Ws 21/14; Beschl. v. 8. 5. 2014 – 4 Ws 32 und 42/14).
  • Dringender Tatverdacht, Beurteilung während laufender Hauptverhandlung: Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung durch das Tatgericht unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Die Anforderungen an die Darlegungspflicht des erkennenden Gerichts dürfen hierbei nicht überspannt werden (KG OLGSt StPO § 112 Nr. 17).
  • Fluchtgefahr, Allgemeines: Bei der Prognoseentscheidung über das Vorliegen von Fluchtgefahr ist jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe unzulässig. Das Verhalten des Angeklagten im Verlauf einer Haftverschonung ist im Rahmen dieser Prognoseentscheidung zu berücksichtigen; die Frage eines Vertrauensschutzes für den Angeklagten ist dabei nicht maßgeblich (KG OLGSt StPO § 112 Nr. 17). Hat ein Beschuldigter in Kenntnis der seit Jahren anhängigen Ermittlungen, nach Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und in Kenntnis eines mit der Anklageerhebung angebrachten Haftbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft keine Schritte unternommen, sich dem Verfahren zu entziehen, so vermag die Eröffnung des Hauptverfahrens und eine geplante zeitnahe Terminierung der Hauptverhandlung die Bejahung von Fluchtgefahr nicht zu tragen, wenn der Beschuldigte auch nach Kenntnis von dieser Entscheidung keinerlei Anstalten gemacht hat, sich dem Verfahren zu entziehen, sondern im Gegenteil mehrmals von Auslandsreisen wieder zu seinem Wohnsitz zurück gekehrt ist (KG StraFo 2013, 375 = StV 2014, 26 = StRR 2013, 356). Gegen die Annahme von Fluchtgefahr spricht insbesondere, wenn der Beschuldigte nach ausreichender Kenntnis der gegen ihn erhobenen Vorwürfe keinerlei Anstalten zur Flucht unternommen hatte, obwohl er seit Beginn des Ermittlungsverfahrens über die zur Ausreise erforderlichen Papiere verfügte. Dies gilt insbesondere dann, wenn die vom Beschuldigten gestellte Kaution über 1 Mio. Euro wegen Pfändung wertlos für ihn geworden war, und die Staatsanwaltschaft die Zahlungsunfähigkeit des vom Beschuldigten vertretenen Unternehmens ebenso wie seine persönliche Zahlungsunfähigkeit vermeiden wollte, und daher zugunsten des Beschuldigten Mittel freigegeben hatte, die gewährleisteten, dass er und seine Familie ihr tägliches Leben ohne erhebliche Einschränkungen fortführen konnten (OLG Köln StV 2013, 518).
  • Fluchtgefahr, Auslandskontakte: Der Umstand, dass ein Geschäftsmann über Auslandskontakte verfügt und mehrere Fremdsprachen spricht kann in der Zusammenschau mit anderen Gesichtspunkten zur Bejahung weiterhin bestehender Fluchtgefahr führen (KG StraFo 2013, 375 = StV 2014, 26 = StRR 2013, 356).
  • Fluchtgefahr, soziale Bindungen: Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) kann bestehen, wenn der Angeschuldigte wegen des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens (hier: des Werbens in Deutschland für Mitglieder einer terroristischen Vereinigung im Ausland - Al Qaida -) mit nicht unerheblichem Freiheitsentzug zu rechnen hat und wenn er nicht über ausreichende Bindungen, die den hiervon ausgehenden Fluchtanreizen verlässlich entgegenwirken könnten, Insoweit reicht allein der Umstand, dass seine Ehefrau, die ihn erst vor kurzem aus der Wohnung gewiesen hat, nunmehr offenbar bereit ist, ihn wieder bei sich aufzunehmen, nicht aus (BGH, Beschl. v. 3. 4. 2013, AK 6/13, StRR 2013, 202 [Ls.]).
  • Fluchtgefahr, Straferwartung: Der Haftgrund der Fluchtgefahr kann nicht allein auf die Straferwartung gestützt werden (st.Rspr. der OLG, vgl. u.a. OLG Köln StV 2013, 518 [Ls.]). Bei der Frage der für die Beurteilung von Fluchtgefahr i.S. des § 112 StPO bedeutsamen Frage der Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; zu berücksichtigen ist daher, ob Untersuchungshaft angerechnet wird und ob der Angeklagte mit einer Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB rechnen kann (OLG Frankfurt a.M. StraFo 2014, 73 = StRR 2014, 243 [Ls.]; ähnlich KG, Beschl. v. 7. 3. 2014 – 4 Ws 21/14; zur Annahme von Fluchtgefahr wegen einer hohen Straferwartung in einem Verfahren wegen Körperverletzung eines Polizeibeamten durch Gewaltanwendung von Mitgliedern einer Hooligangruppierung OLG Hamm StRR 2013, 296 m. Anm. Hillenbrand). Der Haftgrund der Fluchtgefahr eines in Deutschland lebenden verheirateten polnischen Beschuldigten bei einer nur 20-monatigen Straferwartung zu verneinen (OLG Koblenz StV 2013, 518).
  • Haftbeschwerde, Nebenkläger: Die Beschwerde eines Nebenklägers gegen die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls ist unzulässig, da er durch die Entscheidung in seiner Stellung als Nebenkläger nicht beschwert ist (OLG München StV 2014, 28).
  • Haftfortdauerentscheidung, Begründungsanforderungen: Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft steigen die Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen. Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich in einer Fortdauerentscheidung mit jeder der Voraussetzungen der Untersuchungshaft auseinanderzusetzen und diese bezogen auf den Einzelfall und auf den Zeitpunkt der Entscheidung zu begründen ( BVerfG, Beschl. v. 22. 1. 2014 - 2 BvR 2301/13).
  • Haftprüfung, OLG, Erlass eines neuen Haftbefehls: Hat das Oberlandesgericht den Haftbefehl mangels Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO aufgehoben, darf weder das Oberlandesgericht selbst noch das Haftgericht diese Entscheidung abändern. Das gilt auch bei einer wesentlichen Änderung der Sach- und Erkenntnislage. Die Aufhebungsentscheidung entfaltet vielmehr Sperrwirkung bis zum Erlass des Urteils. Die früher vertretene gegenteilige Ansicht (NStZ 1985, 282) gibt der Senat ausdrücklich auf (OLG Frankfurt am Main StV 2013, 520 = NStZ-RR 2014, 49 = NStZ 2014, 357).
  • Haftprüfung, OLG, Haftfortdauerentscheidung, Begründungsanforderungen: Die (zweite) Fortdauerentscheidung eines OLG nach §§ 121, 122 StPO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, wenn sie keine Ausführungen dazu enthält, dass trotz bereits seit zehn Monaten andauernder Untersuchungshaft und seit längerem bestehender Entscheidungsreife noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden worden ist. Dies gilt insbesondere, wenn als einziger Beleg einer gerichtlichen Tätigkeit im Zwischenverfahren eine über mehrere Monate verzögerte Anfrage der Strafkammer an die Verteidiger wegen möglicher Hauptverhandlungstermine angeführt wird und eine Überlastung der Kammer bereits längerfristig absehbar war ( BVerfG, Beschl. v. 22. 1. 2014 - 2 BvR 2301/13; ähnlich BayVGH NStZ-RR 2014, 50StRR 2014, 157 m. Anm. Kotz).
  • Haftfortdaueranordnung des OLG, Zulässigkeit der Gehörsrüge: Wird die gegen den Beschuldigten vollzogene und nach den §§ 121, 122 StPO durch das OLG aufrechterhaltene Untersuchungshaft später dadurch unterbrochen, dass der Haftbefehl durch das zur Entscheidung über die Anklage zuständige Gericht außer Vollzug gesetzt und der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen wird, kommt eine Entscheidung über die gegen die Haftfortdauerentscheidung des OLG erhobene Gehörsrüge nach § 33 a StPO infolge Erledigung nicht mehr in Betracht (OLG Bamberg, Beschl. v. 3. 6. 2014 - 1 Ws 101/14).
  • Pflichtverteidigerbeiordnung, inhaftierter Beschuldigter: Nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn gegen den Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung U-Haft nach den §§ 122 ff. StPO vollstreckt wird. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist dabei dahingehend zu verstehen, dass die Vorschrift nur dann gilt, wenn U-Haft tatsächlich vollstreckt wird. Dann gilt sie aber für alle gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren, ohne dass es darauf ankommt, in welchem die U-Haft vollzogen wird (vgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 2163 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 StPO Rn. 14 m. w. N).
  • Sechs-Monats-Frist, (Neu)Beginn bei Haftbefehlserweiterung: Wird erst nach dem Erlass des ersten Haftbefehl eine neue Tat - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von sechs Monaten in Gang gesetzt (OLG Rostock StRR 2013, 475; a.A. OLG Karlsruhe StV 20111, 293). Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzung für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben. Dies ist regelmäßig der Tag der neuen Haftbefehlsentscheidung, es sei denn, der neue Haftbefehl bzw. die Haftbefehlserweiterung ist verzögert beschlossen worden (OLG Rostock, a.a.O.; s. auch StV 2004, 496).
  • Verhältnismäßigkeit, Dauer der Untersuchungshaft: Ebenso wie bei der Berechnung der Vorlagefrist nach § 121 StPO kommt es für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Dauer der Untersuchungshaft nicht auf den tatsächlichen Erlass eines Haftbefehls und den Beginn dessen Vollzuges an, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die Taten des Beschuldigten – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind, weshalb ein neuer Haftbefehl hätte erlassen oder ein bestehender Haftbefehl hätte erweitert werden können. Die Tatsache, dass ein Haftbefehl – aus welchen Gründen auch immer – erst zu einem späteren Zeitpunkt erlassen wird, führt nicht dazu, dass sämtliche Fristen, die bei seinem unverzüglichem Erlass nach Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen bereits in Gang gesetzt wären, erst jetzt beginnen würden. Denn durch eine solche Vorgehensweise könnten die gesetzlichen und von der Rechtsprechung entwickelten Fristen sowie auch das Beschleunigungsgebot umgangen werden (KG StraFo 2013, 507 = StV 2014, 233 =  StRR 2014, 76 m. Anm. Herrmann).
  • Vollzug der U-Haft, Weitergabe eines Briefes: Gibt ein Rechtsanwalt einen an seinen in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten gerichteten Brief des Hauptbelastungszeugen, der für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen von Bedeutung ist, im Rahmen seiner Tätigkeit als Verteidiger an den Gefangenen weiter, handelt er nicht unbefugt im Sinn des § 115 Abs. 1 OWiG (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2014, 224 =  StV 2014, 551 =  StRR 2014, 243).
  • Wiederholungsgefahr, Haftgrund: Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr i.S. des § 112 ist nur zu bejahen, wenn die Umstände eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr besteht, er werde gleichartige Taten wie die Anlasstaten bis zur rechtskräftigen Verurteilung begehen (OLG Koblenz StraFo 2014, 295StV 2014, 550StRR 2014, 282 [Ls.]). Der Versuch einer Katalogtat des § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO ist ausreichend (Graf in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 112 a Rn. 15; OLG München, Beschl. v. 3. 4. 2014 - 3 Ws 269/14). Hinsichtlich der vorangegangenen Katalogtat reicht dringender Tatverdacht aus, eine Verurteilung muss nicht rechtskräftig sein (KK-Graf, a.a.O., § 112 a Rn. 13; OLG München, a.a.O.). Bei Straftaten des Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 StGB liegt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO in der Regel unabhängig vom Wert des schließlich erlangten Diebesguts vor (OLG Celle NdsRpfl 2014, 127 =  StRR 2014, 42 [Ls.]).

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3. Beschleunigungsgrundsatz im verkehrsstrafrechtlichen Verfahren

Immer wieder muss sich die Rechtsprechung mit den Fragen befassen, die sich im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis stellen, wenn die Anlasstat schon länger zurückliegt (vgl. dazu zuletzt LG Berlin, Beschl. v. 17. 7. 2014 - 525 Cs 74/14, StRR 2014, 397 = VA 2014, 155 = VRR 2014, 432). In Zusammenhang gilt: Nach allgemeiner Meinung der Obergerichte ((vgl. u.a. OLG Düsseldorf StV 1994, 233; OLG Köln StV 1991, 248; OLG Nürnberg StV 2006, 685; StV 2006, 685; ähnlich LG Stuttgart VA 2013, 83) sind Verfahren, in denen dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig nach § 111a StPO entzogen worden ist, beschleunigt zu führen. Das BVerfG formuliert in dem Zusammenhang: Ermittlungsverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, seien mit besonderer Beschleunigung zu führen. Es sei durch eine effektive Verfahrensgestaltung eine rasche Klärung der Dauerhaftigkeit des Ausschlusses vom Straßenverkehr zu gewährleisten und - mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung - der Gefahr eines übermäßigen "Vorwegvollzuges" der Maßregel vor der erstinstanzlichen tatrichterlichen Entscheidung zu begegnen (BVerfG zfs 2005, 622; OLG Hamm zfs 2002, 199; OLG Karlsruhe StV 2005, 429; LG Frankfurt StV 2003, 69; LG Würzburg StV 2005, 545). Das OLG Hamburg hat darauf vor einiger Zeit noch einmal hingewiesen, allerdings mit der Einschränkung, dass das Beschleunigungsgebot nicht so weit gehe wie das in Haftsachen (OLG Hamburg zfs 2007, 409). Allerdings sei ein Stillstand des (Berufungs)Verfahrens nicht hinnehmbar (OLG Hamburg, a.a.O.). Das Verfahren war in der Zeit von Anfang Oktober 2006 bis Februar 2007 nicht gefördert worden.

Das LG Berlin hat in seinem Beschl. v. 17. 7. 2014 (525 Cs 74/14, StRR 2014, 397 = VA 2014, 155 = VRR 2014, 432) eine Verletzung des Beschleunigungsgebots angenommen. Nach seiner Auffassung war bereits bedenklich, dass erst mit Verfügung vom 21. 10. 2013 Hauptverhandlungstermin auf den 20. 3. 2014 anberaumt worden sei, nachdem gegen einen am 9. 8. 2013 erlassenen Strafbefehl am 17. 8. 2013 Einspruch eingelegt worden sei. Der Umstand, dass die Akte zwischenzeitlich wegen einer bereits damals gegen den § 111a - Beschluss eingelegten Beschwerde an das LG versandt war, habe einer früheren Terminierung nicht entgegen gestanden. Es hätte nach Auffassung des LG unschwer ein Beschwerdeband angelegt werden können oder aber die Verzögerung bei der Terminierung durch einen auf einen früheren Zeitpunkt anzuberaumenden Hauptverhandlungstermin ausgeglichen werden müssen. Aber jedenfalls, nachdem die am 23. 3. 2014 begonnene Hauptverhandlung fortgesetzt werden sollte, dann aber wegen Verhinderung des Verteidigers ausgesetzt worden sei, habe es das AG an einer beschleunigten Bearbeitung vermissen lassen. Nach der Aussetzung habe der Verteidiger mit Schriftsätzen vom 24. und 30. 4. 2014 jeweils um Mitteilung eines neuen Termins gebeten. Ein neuer Hauptverhandlungstermin sei indessen erst am 18. 6. 2014 auf den 5. 8. 2014 angesetzt worden. Dies offenbar erst, nachdem mit Schriftsatz vom 11. 6. 2014 erneut Beschwerde gegen den § 111 a - Beschluss eingelegt worden sei. Angesichts dieses Verfahrensganges könne auch nicht damit argumentiert werden, dass das Verfahren längst hätte abgeschlossen sein können, wenn der Verteidiger nicht auf der Aufhebung des Fortsetzungstermins vom 3. 4. 2014 bestanden hätte.

Hinweis

Abzulehnen ist in dem Zusammenhang eine Entscheidung des OLG Hamm. Dort hatte ein Verfahrensstillstand in der Berufungsinstanz von rund sechs Monaten das OLG nicht veranlasst, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzunehmen (OLG Hamm VRR 2007, 233). Abzulehnen ist m.E. auch eine Entscheidung des OLG Zweibrücken (OLG Zweibrücken BA 2009, 284.), das die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis 14 Monate nach der Tat durch das Berufungsgericht nicht beanstandet hat. Dabei hat es darauf abgestellt, dass ein Gutachten erst spät vorgelegt worden sei; auch sei der Vertrauensschutz durch die späte Antragstellung nicht verletzt (vgl. im Übrigen auch die Rechtsprechungsübersicht in VRR 2014, 208, 213 ff.).

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4. Umfang der Löschung von Aufzeichnungen nach rechtswidriger Überwachungsmaßnahme

§ 160 a StPO verbietet grds. Überwachungsmaßnahmen gegen Angehörige privilegierter Berufsgruppen/sog. Berufsgeheimnisträger, darunter Rechtsanwälte/Verteidiger (vgl. dazu eingehend Burhoff, EV, Rn. 722.). Ist dennoch überwacht und sind Erkenntnisse erlangt worden, sieht § 160 a Abs. 1 Satz 3 StPO einen Löschungsanspruch vor. Um dessen Umfang ging es im LG Dresden, Beschl. v. 5. 6. 2014 (14 Qs 56/14, StRR 2014, 389).

Gegen den Beschuldigten war ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des (besonders) schweren Raubes u. a. anhängig. Im Rahmen der gegen den Beschuldigten erfolgten Telefonüberwachungsmaßnahmen wurde auch ein zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger geführtes Telefonat vom 25. 3. 2014 sowie eine an diesem Tag vom Beschuldigten an den Verteidiger versandte SMS aufgezeichnet. Über deren Inhalt wurde ein Vermerk gefertigt, der sich ebenfalls in den Akten befand. Der Verteidiger beantragte neben der Feststellung, dass die entsprechenden TKÜ-Maßnahmen rechtswidrig seien, die Löschung der entsprechenden Aufzeichnungen sowie des hierzu gefertigten Vermerks. Diesen Anträgen kam der Ermittlungsrichter des AG im Wesentlichen nach, lehnte aber den Antrag auf Löschung des Vermerks und dessen Entfernung aus der Ermittlungsakte ab.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Verteidigers hatte Erfolg. Das LG Dresden (a.a.O.) hat das einen vollständigen Löschungsanspruch bejaht. Die Löschung von Aufzeichnungen nach § 160 a Abs. 1 Satz 3 StPO habe sich nicht lediglich auf die Speicherung der Daten, die unmittelbar durch die TKÜ-Maßnahmen erlangt wurden, zu erstrecken, sondern auch auf entsprechende Niederschriften (siehe etwa Meyer-Goßner/Schmitt, § 101 Rn. 28). Mithin sei sämtliches insoweit angefallenes Material, insbesondere auch ein über den Inhalt des Telefonats bzw. der Kurznachricht gefertigter Vermerk, vollständig zu löschen. Dies verstehe sich von selbst, da andernfalls der besondere Schutz, den die entsprechende grundrechtssichernde Verfahrensregelung nach § 101 Abs. 8 StPO sowie der hier einschlägigen - noch weitergehenden - Vorschrift des § 160 a Abs. 1 StPO bieten soll, nicht effektiv gewährleistet werden könnte. Den vom AG geäußerten Bedenken sei daher nur insoweit Rechnung zu tragen, als die entsprechenden Aktenbestandteile nicht kommentarlos entfernt werden dürfen, sondern durch Fehlblätter mit einem entsprechenden Vermerk - etwa unter Hinweis auf den die Entfernung anordnenden Beschluss - zu ersetzen seien. Schon um die spätere Nachvollziehbarkeit im Rahmen von Rechtsschutzbegehren Betroffener zu sichern, müssen die Tatsache der Erlangung unverwendbarer Erkenntnisse, aber natürlich nicht diese selbst (Meyer-Goßner/Schmitt, § 160a Rn. 6), ohnehin nach § 160 a Abs. 1 S. 4 StPO dokumentiert werden.

Hinweis

Der Beschluss ist zutreffend. Denn selbstverständlich muss vollständig alles gelöscht werden, aus dem sich inhaltliche Rückschlüsse auf die rechtswidrige Überwachungsmaßnahmen ziehen lassen. Wie sonst – darauf weist das LG zutreffend hin – soll sonst der Schutz der Sphäre Verteidiger/Beschuldigter sicher gestellt werden?

Das richtige Rechtsmittel in diesen Fällen ist die sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 StPO.

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III. Hauptverhandlung

1. Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO

Entscheidungen, in denen die Vorschrift des § 238 Abs. 2 StPO eine Rolle spielt, sind m.E. für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Die Vorschrift hat ja im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO erhebliche Auswirkungen aus und in der Revision (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2013, Rn. 2908 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]). Daher hier der Hinweis auf folgende Entscheidungen:

a) Angehöriger des Vorsitzenden als Zeuge

Eine in der Praxis sicherlich nicht so häufige Konstellation, die aber zu interessanten verfahrensrechtlichen Fragestellungen geführt hat, hat dem BGH, Beschl. v. 06.08.2014 (1 StR 333/14) zugrunde gelegen. In der Hauptverhandlung bei der Strafkammer ist nämlich die Ehefrau des Vorsitzenden der Strafkammer als Zeugin vernommen worden. Während der Vernehmung der Zeugin hat dann aber nicht der Vorsitzende, sondern der Berichterstatter die Verhandlungsleitung übernommen. Das wird mit der Revision beanstandet, allerdings ohne Erfolg. Der BGH behandelt –folgende Punkte:

Gerügt war zunächst ein Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO. Den lehnt der BGH (a.a.O.) mit der Begründung ab, dass die zeitweise Übertragung der Verhandlungsführung auf ein anderes Mitglied des Spruchkörpers ändere nichts an der Tatsache, dass die Strafkammer durchgängig mit den planmäßigen richterlichen Mitgliedern, nämlich dem Vorsitzenden und den beisitzenden Richtern, besetzt gewesen sei und diese auch durchgängig verhandlungs- und erkenntnisfähig gewesen seien.

Gerügt worden ist außerdem die Mitwirkung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, obwohl er sich offenbar selbst als befangen angesehen hat. Insoweit hat der BGH (a.a.O.) den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO verneint. Der scheitere daran, dass keine gerichtliche Entscheidung über die (Selbst-)Ablehnung erfolgt ist. Die Rüge könne nicht damit begründet werden, dass einer der mitwirkenden Richter seine Selbstablehnung nach § 30 StPO hätte erklären müssen (Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 338 Rn. 59). Nachdem dem Verteidiger des Angeklagten bereits vor der Hauptverhandlung mitgeteilt worden sei, dass es sich bei der Zeugin um die Ehefrau des Vorsitzenden Richters K. handelt, hätte ein diesbezügliches Ablehnungsgesuch gem. § 25 Abs. 1 StPO bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen erfolgen müssen.

Verneint hat der BGH dann schließlich auch den relativen Revisionsgrund gem. § 337 Abs. 1 StPO, begründet mit der von der Kammer gewählten Verfahrensweise bei der Vernehmung der Zeugin. Zwar sei darin ein Verstoß gegen § 238 Abs. 1 StPO zu sehen. Der Angeklagte habe jedoch von der Möglichkeit des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO keinen Gebrauch gemacht, weshalb er mit einer entsprechenden Rüge präkludiert ist.

Hinweis

Insbesondere der letzte Hinweis des BGH (a.a.O.) ist interessant und führt zu der Folgerung für die Praxis: Auch das ist eine Konstellation, in der man als Verteidiger vom Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch machen sollte (s. im Übrigen Burhoff, HV, Rn. 2903 ff.).

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b) Rügepflicht bei unzureichender Dokumentation von Verständigungsgesprächen

Es vergeht derzeit kaum eine Woche, in der nicht auf der Homepage des BGH eine Entscheidung veröffentlicht wird, die sich mit der Regelung der Absprache (§ 257c StPO) und der sie begleitenden Verfahrensvorschriften befasst. Absoluter Spitzenreiter ist dabei die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, die die Mitteilungspflicht in der Hauptverhandlung regelt (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 1823 ff.); eine Rechtsprechungsübersicht dazu findet sich bei Deutscher StRR 2014, 288 ff.). Aus der Vielzahl der Entscheidung ist das BGH, Urt. v. 5. 6. 2014 (2 StR 381/13, NJW 2014, 314 = StraFo 2014, 385) von besonderer Bedeutung. Es setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO voraussetzt, dass der Verteidiger zuvor von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat.

Der BGH (a.a.O.) hatte einen Verstoß gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gem. § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO bejaht, weil der Vorsitzende es rechtsfehlerhaft unterlassen, die von der Staatsanwaltschaft in „Verständigungsgesprächen“ geäußerte Straferwartung mitzuteilen. Er hat sich dann allerdings nicht der Auffassung des GBA angeschlossen, der davon ausgegangen war, dass der Angeklagte mit seiner Rüge präkludiert sei, weil er es unterlassen hatte, von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen. Komme der Vorsitzende seiner Pflicht nicht nach, müsse dies nicht entsprechend § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden. Dies gilt nach Auffassung des BGH selbst dann, wenn – wie in dem Verfahren – ausdrücklich Gelegenheit gegeben werde, sich zur Unterrichtung durch den Vorsitzenden zu erklären. § 243 Abs. 4 StPO überantworte die Informationspflicht für außerhalb der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche ausschließlich dem Vorsitzenden. Zur Begründung verweist der BGH auf die Intention sowohl des Gesetzgebers als auch des BVerfG (NJW 2013, 1058 ff.), wonach durch die Regelungen des Verständigungsgesetzes u.a. verhindert werden solle, dass sich ein möglicher Interessengleichlauf von Gericht, StA und Verteidigung zum Nachteil des Angeklagten auswirke, dieser solle vor einem geheimen Schulterschluss zu seinen Lasten geschützt werden. Der BGH misst der Informationspflicht des Vorsitzenden auch die Funktion bei, den Angeklagten vor einer fehlerhaften Beratung durch seine Verteidiger zu schützen. Diese Schutzfunktion wäre eingeschränkt, würde man, etwa nach einem Anwaltswechsel zwischen den Instanzen, die Zulässigkeit der Rüge davon abhängig machen, ob der Instanzverteidiger, der zuvor unter Umständen an einer informellen Absprache hinter dem Rücken des Revisionsführers mitgewirkt habe, eine dies verschweigende Mitteilung des Vorsitzenden gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat.

Hinweis

Die Entscheidung ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Die Verantwortlichkeit für eine ordnungsgemäße Dokumentation einer Verständigung liegt damit allein beim Vorsitzenden. Verstöße können auch nicht dadurch „geheilt“ werden, dass der Verteidiger von einer Beanstandung absieht. Zudem ist die Entscheidung auch deshalb zu begrüßen, weil sie die m.E. in der Rechtsprechung des BGH ansonsten erkennbare Tendenz, den Anwendungsbereich der Rügepräklusion auszuweiten (hierzu Burhoff, HV, Rn. 2910), nicht fortsetzt.

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2. Rechtlicher Hinweis (§ 265 StPO)

Eine ziemlich sichere Bank für die Revision sind Verstöße gegen § 265 StPO, also das Unterlassen eines erforderlichen (rechtlichen) Hinweises. Deshalb soll hier auf den BGH, Beschl. v. 6. 5. 2014 (3 StR 131/13) hingewiesen werden. Das LG hatte den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn die Führungsaufsicht angeordnet. es war aber weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss ein Hinweis darauf enthalten gewesen, dass die Anordnung von Führungsaufsicht in Betracht kommen könnte. Auch in der Hauptverhandlung war ein rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 s StPO nicht erfolgt.

Der BGH (a.a.O.) hat das als rechtsfehlerhaft beanstandet und die Anordnung der Führungsaufsicht aufgehoben. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 StPO sei begründet, da weder die Anklageschrift noch der Eröffnungsbeschluss, die vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen seien (BGH StraFo 2002, 261), noch das Hauptverhandlungsprotokoll die notwendigen Hinweise darauf enthalte, dass die Anordnung der Führungsaufsicht als Maßregel der Sicherung und Besserung nach § 61 Nr. 5 StGB in Betracht komme.

Hinweis

Es ist ein in der Praxis häufiger Fehler, dass in der Hauptverhandlung übersehen wird, den Angeklagten auf eine Verschlechterung der für ihn maßgeblichen Rechts- oder Verfahrenslage hinzuweisen. § 265 StPO zieht insoweit die Grenzen weit und erfasst auch die Maßregeln der Sicherung und Besserung nach den §§ 61 ff. StGB (vgl. eingehend zu den mit § 265 StPO zusammenhängenden Fragen Burhoff, HV, Rn. 1684 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Für die Revision ist darauf hinzuweisen, dass der Verstoß gegen § 265 StPO mit der Verfahrensrüge geltend zu machen ist, was hier nur „inzidenter“ geschehen war. Das Urteil wird auch i.d.R. auf einem Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO beruhen wird. Daher sind zwar Ausführungen zu dieser Frage in der Revisionsbegründung an sich entbehrlich und werden von der Rechtsprechung grds. auch nur in Zweifelsfällen gefordert (Meyer-Goßner/Schmitt, § 265 Rn. 48; BGH NStZ 1992, 450). Es empfiehlt sich aber dennoch, eine auf § 265 StPO gestützte Verfahrensrüge zur Beruhensfrage spätestens dann ausführlich zu begründen, wenn der Revisionsverwerfungsantrag der Staatsanwaltschaft Ausführungen dazu enthält, dass das Urteil nicht auf dem fehlenden Hinweis beruhe zur Beruhensfrage noch BGH NStZ 1995, 247; 1998, 529 f.; StV 2010, 178 f.; StraFo 2008, 385; OLG Oldenburg NJW 2009, 3669).

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IV. Gebührenfragen

Im Gebührenteil ist auf zwei Entscheidungen, von denen die eine ein Umdenken in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung zur Folge haben könnte (vgl. dazu 1), hinzuweisen.

1. Rückgewinnungshilfe und zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG

In der Rechtsprechung ist die Frage, ob anwaltliche Tätigkeiten zur Abwendung eines dinglichen Arrests, der zur Sicherung der Rückgewinnungshilfe angeordnet worden ist (hier: §§ 111b Abs. 2 und Abs. 5, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V. mit §§ 73 Abs. 3, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 Satz 2, 73a StGB) mit der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG honoriert werden, umstritten. Die h.M. verneint das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG (vgl. KG RVGreport 2008, 429 = JurBüro 2009, 30 = StRR 2009, 157 = AGS 2009, 224 = RVGprofessionell 2008, 173; OLG Hamm, Beschl. v. 17. 2. 2009 - 2 Ws 378/08; OLG Köln RVGreport 2007, 273 = StraFo 2007, 131; LG Berlin, Beschl. v. 3. 12. 2007 - 514 - 1/06 KB II; LG Chemnitz AGS 2008, 342 m. zust. Anm. Volpert; LG Mainz AGS 2007, 139; LG Saarbrücken, Beschl. v. 10.01.2012 - 2 Qs 18/11) unter Hinweis daraus, dass ein solcher Arrest lediglich der vorläufigen Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche diene und daher nicht unter die in Nr. 4142 VV RVG aufgeführten Tätigkeiten falle (OLG Hamm, a.a.O., LG Saarbrücken, a.a.O.). a.a.O.). Teilweise (vgl. Burhoff in: Burhoff (Hrsg.) Straf- und Bußgeldsachen, RVG, 4. Aufl. 2014, Nr. 4142 VV Rn. 6 f.) wird differenziert zwischen einerseits dem Verfall, der „Strafcharakter“ habe, und dem Arrest zur Sicherung eines solchen Verfalls - Tätigkeiten im Zusammenhang mit diesen beiden seien von Nr. 4142 VV erfasst (Burhoff/Burhoff, a.a.O.) - und andererseits der Anordnung des Arrests bzw. der Beschlagnahme zum Zweck der Rückgewinnungshilfe (§ 111b Abs. 5 StPO), bei denen Nr. 4142 VV RVG jeweils nicht anwendbar sei (Burhoff/Burhoff, a.a.O.; vgl. dazu auch OLG Hamm AGS 2008, 341  m. zust. Anm. Volpert = wistra 2008, 160). Demgegenüber gehen andere Stimmen in der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Beschl. v. 17. 1. 2008 - 3 Ws 560/07, 592/07; OLG München wistra 2010, 456; vgl. auch LG Koblenz, Beschl. v. 21. 11. 2011 - 9 Qs 144/11) vom Entstehen der Gebühr aus, allerdings ohne dass näher zu begründen.

Das OLG Stuttgart hat sich nun im Beschl. v. 22. 4. 2014 (1 Ws 212/13, RVGreport 2014, 348) der letztgenannten Ansicht angeschlossen und den Anfall der Nr. 4142 VV RVG bejaht . Das begründet es damit, dass die Nr. 4142 VV RVG Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Sicherung der künftigen Einziehung oder des künftigen Verfalls erfasse. Hinsichtlich der diesen Zwecken dienenden Beschlagnahme (§§ 111b Abs. 1, 111c, 111f Abs. 1 und 2 StPO) ergebe sich dies aus der Formulierung „oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme“. Im Ergebnis könne nichts anderes gelten, soweit die Tätigkeit des Anwalts gegen eine vorläufige Maßnahme der Sicherung des Verfalls von Wertersatz (§§ 73, 73a StGB) gerichtet sei. Zwar werde der Verfall von Wertersatz nicht durch Beschlagnahme nach § 111c StPO gesichert, sondern - weil es sich um einen Zahlungsanspruch handelt - durch Anordnung des dinglichen Arrests (§ 111b Abs. 2, 111d Abs. 1 StPO) und darauf gestützte Vollziehungsmaßnahmen, insbesondere Pfändungen (§ 111d Abs. 2 StPO i.V. mit §§ 928, 930 bis 932 ZPO; § 111f Abs. 3 StPO). Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber den dinglichen Arrest in Nr. 4142 VV RVG bewusst ausgenommen habe. Durch den Verweis auf § 442 StPO - und damit auch auf dessen Absatz 2 – habe der Gesetzgeber ausdrücklich den Fall aufgenommen, dass sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf den Verfall von Wertersatz gegen Dritte (§§ 73 Abs. 3, 73a StGB) beziehe; hierin unterscheide sich Nr. 4142 VV RVG von dem bis 30. 4. 2004 geltenden § 88 BRAGO. Der Anspruch auf Verfall von Wertersatz könne nur über einen dinglichen Arrest gesichert werden. Warum Tätigkeiten im Zusammenhang mit der (endgültigen) Anordnung des Verfalls (§ 73 StGB), dessen (vorläufiger) Sicherung durch Beschlagnahme (§§ 111b Abs. 1, 111c StPO) und der (endgültigen) Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§ 73a StGB) sämtlich unter Nr. 4142 VV RVG fallen sollen, nicht aber Tätigkeiten im Zusammenhang mit der (vorläufigen) Sicherung des Verfalls von Wertersatz, erschließe sich nicht. Einer Einbeziehung dieser Tätigkeiten stehe der Wortlaut von Nr. 4142 VV RVG nicht ausdrücklich entgegen, weil über den Verweis auf § 442 Abs. 2 StPO Tätigkeiten des Rechtsanwalts, die gegen die endgültige Anordnung des Verfalls von Wertersatz (§§ 73 Abs. 3, 73a StGB) gerichtet seien, eindeutig erfasst würden, und dem Passus „oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme“ die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde liege, dass auch anwaltliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit vorläufigen Maßnahmen zur Sicherung der Einziehung oder dieser gleichstehenden Rechtsfolgen (§ 442 Abs. 1 und 2 StPO) erfasst sein sollen.

Hinweis

Die Entscheidung kann Verteidigern, da es sich um eine Wertgebühr handelt, viel Geld bringen. Sie sollten sie in der Diskussion um den Anfall der Nr. 4142 VV RVG auf jeden Fall anführen.

Den Gegenstandswert hat das OLG dann mit 1/3 des zu sichernden Hauptanspruchs festgesetzt (so auch OLG Hamm AGS 2008, 341 = wistra 2008, 160; AGS 2008, 175; OLG Köln, Beschl. v. 10. 9. 2004 - 2 Ws 370/04 (zur BRAGO); OLG München AGS 2010, 543 = NStZ-RR 2010, 32 (Ls.). Nach § 2 Abs. 1 RVG werde die Verfahrensgebühr nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit habe. Dabei sei der objektive Wert maßgebend, subjektive Interessen der Arrestschuldnerin seien bei der Bemessung ohne weiteren Belang (OLG München, a.a.O.). Da der dingliche Arrest der Sicherung des Verfalls von Wertersatz diene und damit bloß vorläufigen Charakter hat, sei ausgehend von dem zu sichernden Hauptanspruch ein Abschlag vorzunehmen, so dass der Gegenstandswert des Arrestverfahrens i.d.R. unter dem Betrag des zu sichernden Hauptanspruchs liegt. Im Regelfall ist es angemessen, als Gegenstandswert 1/3 des zu sichernden Hauptanspruchs festzusetzen.

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2. Bemessung der Terminsgebühr

Abschließend ist dann über den OLG Nürnberg, Beschl. v. 27. 8. 2014 (1 Ws 270/14), der sich mit der Frage der Bemessung der Terminsgebühr befasst, zu berichten. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter tätig war. Er hatte in dieser Eigenschaft an drei Hauptverhandlungsterminen beim Schwurgericht teilgenommen. Der erste Hauptverhandlungstermin am 26. 11. 2013 hat von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert, der Hauptverhandlungstermin am 27.11.2013 von 9.00 bis 12.50 Uhr und der am 3.12.2013 von 9.00 bis 14:10 Uhr. Der Angeklagte ist vom Schwurgericht u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm sind die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden. Der Rechtsanwalt hat dann u.a. drei Hauptverhandlungsgebühren Nr. 4120 VV RVG geltend gemacht, und zwar für den Termin am 26.11.2013 744,00 € und für die Termine am 27.11.2013 und am 03.12.2013 jeweils 530,00 €, was jeweils der Mittelgebühr entsprach. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des LG Nürnberg-Fürth hat auch für den Termin am 26. 11. 2013 nur die Mittelgebühr festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Rechtsanwalts hatte beim OLG Erfolg.

Das LG Nürnberg-Fürth hatte im Kostenfestsetzungsbeschluss v. 19. 5. 2014 (5 Ks 109 Js 368/13) seine teilweise Absetzung wie folgt begründet: Die vom Rechtsanwalt vorgenommene Erhöhung der Mittelgebühr für die Hauptverhandlung am 26.11.2013 - mit der Begründung, die Hauptverhandlung sei um 9.00 Uhr terminiert gewesen und habe um 16.35 Uhr geendet - sei in der Gesamtschau aller Hauptverhandlungstage nicht gerechtfertigt. Dieser Aspekt werde kompensiert, durch die Dauer der Hauptverhandlung am 27.11.2013 von 9.00 bis 12.50 Uhr und am 3.12.2013 von 9.00 bis 14.10 Uhr. Insgesamt gesehen seien die Hauptverhandlungen für ein Schwurgerichtsverfahren -mit entsprechend hohen Anforderungen bei der Beurteilung der Kriterien nach § 14 RVG damit nicht als überdurchschnittlich einzustufen, sodass - nachdem der Nebenklageanwalt auch für den zweiten und den dritten Hauptverhandlungstag trotz unterdurchschnittlicher Dauer die Mittelgebühr ansetzt - auch für den ersten Hauptverhandlungstag nur die Mittelgebühr angemessen sei. Die vom Verteidiger bestimmte Gebühr sei deshalb unbillig hoch.

Das OLG Nürnberg (a.a.O.) hat das anders gesehen und den Ansatz der Terminsgebühr von 744,00 € für den ersten Hauptverhandlungstag nicht beanstandet. Bei Rahmengebühren bestimme der Rechtsanwalt nach § 14 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens-und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Angesichts der Dauer der Hauptverhandlung vom 26.11.2013 von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr sei die vorliegende Bemessung nicht als unbillig anzusehen. Insbesondere sei keine Gesamtbewertung der drei Hauptverhandlungstage angezeigt.

Hinweis

Ich bin immer wieder erstaunt, auf welche Ideen Rechtspfleger kommen. Denn: Mir ist bislang keine Entscheidung bekannt, in der im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG eine „Gesamtbetrachtung“ oder „Gesamtbewertung“ vorgenommen wird, mit der Folge, dass nur geringere Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsumfang des Rechtsanwalts in einem Verfahrensabschnitt und/oder in einem Termin zur Minderung der Gebühren für andere Verfahrensabschnitte und/oder Termine führt. Eine solche Kompensation wird zwar teilweise im Bereich der Pauschgebühr nach § 51 RVG vorgenommen - was m.E. ebenfalls nicht zutreffend ist (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 156 f.) -, für § 14 Abs. 1 RVG ist das bislang aber noch nicht vertreten worden. Und m.E. auch mit gutem Grund. Denn eine Kompensation, wie sie hier dem LG Nürnberg-Fürth vorschwebte - widerspricht nicht nur dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 RVG, sondern auch dem Gesamtgefüge der anwaltlichen Abrechnung bei Betragsrahmengebühren. In § 14 Abs. 1 RVG ist die Rede davon, dass der Rechtsanwalt „die Gebühr im Einzelfall … nach billigem Ermessen“ bestimmt. Es kommt also auf die für die jeweilige einzelne Gebühr - „die Gebühr …“ - maßgeblichen Kriterien an. Eine Gesamtbetrachtung findet nicht nur nicht statt, sondern ist danach ausgeschlossen. Für das OLG war das offenbar so klar, dass es auf die Frage nicht mehr als einen Satz verwandt hat.

Im Übrigen: Warum bei einem Termin, der von 09.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert hat, eine Wahlanwaltsgebühr von 744 € unbillig sein soll, erschließt sich mir nicht. Eine Begründung – außer Kompensation – hatte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle/der Rechtspfleger dafür auch nicht.

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