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Hinweis: Dies ist ein Zeitschriftenbeitrag aus dem Jahr 2014. Der Inhalt ist ggf. nicht mehr aktuell.
aus ZAP Heft 14/2014, F 22 R, S. 843
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die
freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage
einstellen zu dürfen.)
Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger
(II/2014)
Am 1. 5. 2014 ist das Fünfte Gesetz zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze v. 28. 8. 2013 (BGBl. I S.
3313) in Kraft treten. Es hat die in den letzten Jahre lange und heftig unter
dem Stichwort Punktereform diskutierte Änderung des geltenden
Rechts des sog. Punktesystems/VZR mit einem (neu eingeführten)
Fahreignungsregister und einem Fahreignungsbewertungssystem, das das alte
Punktesystem und das Verkehrsregister ablöst, gebracht. Die Punktereform
soll das System einfacher, gerechter und transparenter machen. Ob
das erreicht wird, wird in Zukunft die Praxis zeigen. Einen ersten
Überblick über das (neue) Fahreignungsregister (FAER)
und das Fahreignungsbewertungssystem (FABS) geben meine
Ausführungen in ZAP F. 9, S. 855 (vgl. auch schon Albrecht/Kehr DAR 2013,
437 ff.; Gübner VRR 2014, 53 ff. und 89 ff.; Burhoff VA 2014, 51 u. 69;
Reisert zfs 2013, 249).
Entscheidungen zu Durchsuchung und Beschlagnahme haben vor einige
Jahren die Rechtsprechung zum Ermittlungsverfahren beherrscht, inzwischen ist
die Flut aber deutlich zurück gegangen. Das bedeutet allerdings nicht,
dass wie das Verfahren Edathy beweist Durchsuchungen nicht immer
noch von erheblicherBrisanz sind bzw. sein oder haben
können. Das gilt sicherlich vor allem auch dann, wenn es um die
Durchsuchung von Rechtsanwaltskanzleien und oder um Durchsuchungen bei
unbeteiligten Dritten, wie z.B. einem Insolvenzverwalter geht. Da spielen die
mit der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung
zusammenhängenden Fragen eine erhebliche Rolle (zur Durchsuchung einer
Rechtsanwaltskanzlei s. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche
Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 1064 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff,
EV]; zur Durchsuchung beim Insolvenzverwalter s. Burhoff, EV, Rn. 1066 ff.).
Hinzuweisen ist dazu auf den LG Dresden, Beschl. v. 27. 11. 2013 (5 Qs 113/13),
der die Durchsuchung bei einem Insolvenzverwalter betraf. Das LG betont
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der
Insolvenzverwalter hätte nämlich, was nicht geschehen war, habe nach
§ 95 StPO zur Herausgabe der gesuchten Unterlagen
aufgefordert werden können. Eine Durchsuchung müsse im
Hinblick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck nicht nur
erfolgversprechend, sondern zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat
auch erforderlich sein; das sei nicht der Fall, wenn andere, weniger
einschneidende Mittel zur Verfügung stünden. Schließlich
müsse der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der
Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit gebiete in jedem Verfahrensstadium das
jeweils mildeste Mittel anzuwenden. Könne ein Ermittlungserfolg auf
unterschiedliche Art und Weise erreicht werden, so müsse dasjenige Mittel
gewählt werden, welches den Betroffenen unter den Umständen des
Einzelfalles bestmöglich schone. Vorliegend wäre ein auf § 95
StPO gestütztes Herausgabeverlangen ausreichend und gleich
erfolgversprechend gewesen. Ein Vorgehen der Ermittlungsbehörden nach
§ 95 StPO biete sich so das LG - immer dann als strafprozessuales
Instrument an, wenn anzunehmen sei, dass der Herausgabepflichtige die gesuchten
Beweisgegenstände freiwillig herausgebe und weder das Gebot der
Verfahrensbeschleunigung entgegenstehe noch ein das Ermittlungsverfahren
bedrohender Verlust der begehrten Sache oder gar Verdunkelungsmaßnahmen
zu besorgen seien. Ein Insolvenzverwalter als geschäftskundige,
unabhängige Rechtsperson (§ 56 Abs. 1 InsO), die Amtspflichten
treffe, sei verpflichtet, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Es
wären vorliegend weder ein Verlust der gesuchten Unterlagen noch
Verdunkelungsmaßnahmen zu befürchten gewesen. Auch rechtfertige
allein der Wunsch nach einem zeitgleichen Vorgehen gegen alle (vermeintlichen)
Gewahrsamsinhaber von Beweismitteln es wegen des betroffenen Grundrechts aus
Art. 13 Abs. 2 GG nicht, ohne vorheriges Herausgabeverlangen nach § 95
StPO die Durchsuchung der Geschäftsräume des betroffenen
Insolvenzverwalters anzuordnen.
Hinweis:
Beim Insolvenzverwalter geht die landgerichtliche
Rechtsprechung davon aus, dass die Durchsuchung quasi ultima
ratio ist und ein Herausgabeverlangen vorgeht (vgl. LG Berlin, ZInsO
2008, 865; LN Neubrandenburg NJW 2010, 691; LG Potsdam ZInsO 2007,
1162).
Ich hatte in
ZAP F. 22 R, S. 759 ff. über aktuelle Rechtsprechung zu
Pflichtverteidigungsfragen berichtet. An die Zusammenstellung schließen
die nachfolgende Rechtsprechung-Übersicht an (vgl. i.Ü. eingehend zu
den mit der Pflichtverteidigung zusammenhängenden Problemen Burhoff, EV,
Rn. 2082 ff.)
Auswahlkriterien, Allgemeines: Auch nach der Neufassung
des § 142 Abs. 1 StPO gehört die Ortsnähe des
Rechtsanwalts zu den durch den Vorsitzenden bei der Auswahl eines
Pflichtverteidigers bzw. Rechtsbeistands zu berücksichtigenden
Gesichtspunkten (OLG Hamburg NStZ-RR 2013, 153 = StRR 2013, 82 [Ls.]
m.w.N.; s. auch Anschluss an OLG Köln StRR 2011, 63 m. abl. Anm. Burhoff).
Durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind
wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht
unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch
auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers
seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach
Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das
Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer
Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss. OLG Braunschweig
StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612). Die Bestellung zum
Pflichtverteidiger ist abzulehnen, wenn sich der von dem Angeklagten
gewünschte Verteidiger als ungeeignet erweist und damit der
ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet ist. Das
bisherige Verhalten als Wahlverteidiger kann eine solche Ablehnung nur
rechtfertigen, wenn das Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht
war (§ 142 Abs. 1 Satz 2 StPO) (KG, Beschl. v. 29. 7. 2013
2 Ws 369/13 141 AR 390/13, StRR 2013, 401 [Ls.]).
Auswahlkriterien, Nebenklägerbeistand: Die
gleichzeitige Vertretung mehrerer Nebenkläger durch denselben
Rechtsbeistand ist grds. zulässig. In Fällen
gleichgelagerter Interessen zahlreicher Nebenkläger kann es im Rahmen des
gem. § 397a Abs. 3 S. 2, 142 Abs. 1 StPO durch den Vorsitzenden
auszuübenden Ermessens bei der Auswahl des Rechtsbeistands zulässig
sein, die Bestellung jeweils eigener Rechtsbeistände für die
Nebenkläger abzulehnen, wenn ein sachlicher Grund für die Bestellung
personenverschiedener Rechtsbeistände nicht vorliegt und die Wahrnehmung
der Interessen der Nebenkläger in dem Verfahren auch durch einen einzelnen
Rechtsbeistand sachgerecht erfolgen kann (Gruppenvertretung) (OLG Hamburg
NStZ-RR 2013, 153 = StRR 2013, 82 [Ls.]). ).
Auswahlverfahren: Nach § 142 Abs. 2 StPO soll einem
Angeschuldigten vor Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit gegeben werden,
innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner
Wahl zu bezeichnen. Die Soll-Vorschrift kommt als Ausfluss des
Anspruchs auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör einer
Anhörungspflicht gleich, von der nur in seltenen Ausnahmefällen
abgewichen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Angeschuldigte im
Zeitpunkt der Beiordnung des neuen Verteidigers bereits über einen
Pflichtverteidiger seines Vertrauens verfügt. Andererseits kann das
Beschleunigungsgebot in Haftsachen dem Wunsch eines Angeschuldigten, durch
einen bestimmten Rechtsanwalt verteidigt zu werden, ausnahmsweise
entgegenstehen. Den widerstreitenden Interessen ist im Rahmen einer
Abwägung Rechnung zu tragen. Diese kann im Einzelfall dazu
führen, dass dem Angeschuldigten eine sehr kurze Stellungnahmefrist
zuzumuten ist (OLG Stuttgart, 28.06.2013, 5 Ws 42/13, StV 2014, 11). Der
Beschuldigte hat nicht nur bei der erstmaligen Beiordnung, sondern auch bei der
auf eine Entpflichtung des Verteidigers folgende Beiordnung eines
anderen Pflichtverteidigers ein Recht auf zu vorige Anhörung (OLG
Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612; vgl. auch OLG
Brandenburg, Beschl. v. 5. 3. 2014 1 Ws 18/14). Im Ermittlungsverfahren
ist grds. ein Antrag der Staatsanwaltschaft für die
Beiordnung eines Verteidigers erforderlich, das die Prüfung nach §
141 Abs. 3 StPO in erster Linie der Staatsanwaltschaft obliegt. Allein auf
Antrag des Beschuldigten ist ein Verteidiger zu bestellen, wenn anderenfalls
die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären
(LG Limburg NStZ-RR 2013, 87 = StRR 2013, 106 = StV 2013, 625). Die in § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte
Benennungsfrist, innerhalb der der Beschuldigte einen Verteidiger
seiner Wahl bezeichnen kann, der zum Pflichtverteidiger bestellt werden soll,
ist keine Ausschlussfrist. Vielmehr ist auch ein Vorschlag des Beschuldigten,
der nach Fristablauf eingeht, bei der Auswahlentscheidung zu
berücksichtigen, solange eine Pflichtverteidigerbestellung noch nicht
ergangen ist oder eine bereits ergangene Entscheidung noch keine
Außenwirkung erlangt hat (LG Magdeburg, Beschl. v. 26. 3. 2013 - 21 Qs
22/13, StRR 2013, 282 [Ls.]).
Bestellung, Schwere der Tat: Bei einer Straferwartung
um ein Jahr Freiheitsstrafe wird - auch wenn es sich hierbei nicht um
eine starre Grenze handelt - unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat die
Bestellung eines Pflichtverteidigers i.d.R. geboten sein, selbst wenn deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (OLG Saarbrücken StR
2014, 145 = VRR 2013, 469). Als schwerwiegender
mittelbarer Nachteil, den der Angeklagte infolge der Verurteilung zu
gewärtigen hat und der die Bestellung eines Verteidigers geboten
erscheinen lassen kann, ist unter anderem der drohende Widerruf einer
Bewährung in anderer Sache anerkannt (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Auch
wenn sich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung eine schematische
Zusammenrechnung der im zu beurteilenden Verfahren zu erwartenden Strafe mit
einer zur Bewährung ausgesetzten Vorstrafe verbietet, kann auch bei einer
verhältnismäßig geringen Straferwartung in dem aktuellen
Verfahren, von z.B. deutlich unter einem Jahr wegen Schwarzfahrens) die
Bestellung eines Verteidigers geboten sein, wenn das drohende
"Gesamtstrafübel" deutlich über eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr (hier: drohender Widerruf der hinsichtlich mehrerer verhängter
Freiheitsstrafen von insgesamt 3 Jahren, 5 Monaten und 2 Wochen gewährten
Strafaussetzung) hinausgeht (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Ein Fall der wegen
der Schwere der Tat notwendigen Verteidigung gemäß § 140
Abs. 2 StPO liegt in der Regel bereits dann vor, wenn der Angeklagte in erster
Instanz zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung
verurteilt worden ist, nur er Berufung eingelegt hat und für den
Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung mit dem Widerruf einer zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten rechnen muss, die
insgesamt drohende Freiheitsstrafe somit ein Jahr beträgt (OLG
Nürnberg Beschl. v. 16. 1. 2014 - 2 OLG 8 Ss 259/13, StRR 2014, 82 [Ls.] =
StV 2014, 275 [Ls.]; s. i.Ü. Burhoff, EV, Rn. 2193). Bei Verfahren
vor dem Schöffengericht ist, sofern sich die
Zuständigkeit dieses Spruchkörpers nicht allein wegen der einem
Mitangeklagten zur Last gelegten Tat(en) ergibt, stets gem. § 140 Abs. 2
StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen (OLG Naumburg StraFo 2013, 338 = StV
2014, 20). Drohen dem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die
letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine
Höhe erreicht, welche das Merkmal der "Schwere der Tat" i.S. des §
140 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig (OLG
Naumburg StraFo 2013, 337 = StV 2014, 11 = StRR 2013, 322 [Ls.]).
Bestellung, Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage:
Soll ein eine Verständigung im Sinne von § 257 c StPO
zustande kommen, ist die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2
StPO, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen
Verfahrensweise i.d.R. nicht selbst wirksam verteidigen kann (OLG Naumburg,
Beschl. v. 4. 12. 2013 - 2 Ss 151/13, StraFo 2014, 21 = NStZ 2014,
116 m. abl. Anm. Wenske = StV 2014, 274 = StRR 2014, 70). Beim
Vorwurf eines Diebstahls mit Waffen gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1
a StGB ist die Mitwirkung eines Verteidigers insbesondere dann geboten, wenn
die Frage des Vorsatzes zum Tatzeitpunkt hinsichtlich des Beisichführens
der Waffe streitig ist (LG Bonn, Beschl. v. 7. 1. 2013 - 21 Qs-222 Js
347/12-98/12 82 Ds 439/12; zur (verneinten) Bestellung eines
Pflichtverteidigers beim Vorwurf der Unterhaltspflichtverletzung (LG
Kleve, Beschl. v. 3. 4. 2014 - 120 Qs-401 Js 948/13-33/14 12 Ds 887/13). Bei
einem umfangreichen Ermittlungsverfahren (acht Zeugen und drei Bände Akten
und ein Ordner Sonderhefte beim AG in einem Verfahren wegen Vorenthaltung und
Veruntreuung von Arbeitsentgelt ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen
schon wegen des des umfangreichen aufzuklärenden Sachverhaltes aber auch
dann, wenn zur Aufklärung der Frage, ob Angeklagte Strohfrauen fungierten
und faktisch die Geschäfte geführt haben umfangreiche
tatsächliche Aufklärung betrieben und verschiedenste Zeugen
gehört werden müssen (LG Braunschweig, Beschl. v. 11. 6. 2014 - 13 Qs
88/14, www.burhoff.de. Die Schwierigkeit der Sachlage (§ 140 Abs. 2 StPO)
macht die Mitwirkung eines Verteidigers an der Berufungshauptverhandlung in
einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation notwendig, wenn aus weiteren
Indizien allein nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des
einzigen Belastungszeugen geschlossen werden kann, so dass eine besondere
Glaubwürdigkeitsprüfung erforderlich ist, und weitere, die
Beweiswürdigung zusätzlich erschwerende Umstände hinzukommen. In
dieser Konstellation kann eine sachgerechte Verteidigung, insbesondere das
Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen in den Angaben des
Belastungszeugen, nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes
gewährleistet werden. Dieser ist aber auch nach der Neufassung des
§ 147 StPO nur dem Verteidiger zugänglich, so dass in diesem
Falle die Bestellung des Pflichtverteidigers unumgänglich ist (KG, Beschl.
v. 25. 9. 2013 (4) 121 Ss 147/13 (184/13), StRR 2014, 2 [Ls.]; zu den
Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO
bei Berufung gegen ein Verwerfungsurteil nach § 412
StPO KG, Beschl. v. 10. 5. 2012 -2 Ws 194-195/12). Als schwierig .S. des §
140 Abs. 2 StPO ist die Sachlage eines Verfahrens u. a. dann zu bewerten, wenn
die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet
werden kann (LG Waldshut-Tiengen, Beschl. v. 19. 9. 2013 1 Qs 62/13,
StRR 2013, 402 [Ls.] = StV 2014, 270 [Ls.]). Die Beiordnung eines Verteidigers
für das Revisionsverfahren gem. § 140 Abs. 2 StPO immer dann
(nur) geboten, wenn zu besorgen ist, dass der als Urkundsbeamte tätige
Rechtspfleger mit der Abfassung einer besonders schwierigen
Revisionsbegründung überfordert sein könnte (LG Gießen,
Beschl. v. 8. 7. 2013 - 7 Qs 108/13; vgl. auch noch OLG
Hamm, Beschl. v. 17. 1. 2013 - III-3 Ws 349/12). Eine Bestellung kommt auch
dann in Betracht, wenn das Revisionsverfahren, auf das allein eine
Pflichtverteidigerbestellung sich ggf. noch auswirken kann, Schwierigkeiten
aufweist, die durch die Verfahrensweise des LG eine Bestellung nach
§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO geboten erscheinen lassen, was der Fall sein
kann, wenn es rechtskundiger Prüfung und Erörterung bedarf, ob durch
die Ablehnung der Verteidigerbestellung oder das Vorgehen der
Kammervorsitzenden beim LG bei der Entscheidung über den Antrag des
Angeklagten, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, dessen
Verfahrensrechte in entscheidungserheblicher Weise verletzt
wurden (KG, Beschl. v. 31. 3. 2014 - 4 Ws 27/14 141 AR 114/14,
wwwburhoff.de).
Bestellung, Unfähigkeit der Selbstverteidigung:
Eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen
Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ist schon dann notwendig, wenn an der
Fähigkeit zur Selbstverteidigung (nur) erhebliche Zweifel bestehen (OLG
Nürnberg, Beschl. v. 2. 5. 2014 - 1 St OLG Ss 43/2013, www.burhoff.de).
Ist bei mehrerenAngeklagte, die eine Tatbeteiligung jeweils
bestreiten, zu besorgen, dass die Angeklagten sich in der Hauptverhandlung
gegenseitig belasten könnten, gebietet der Grundsatz der
Waffengleichheit" grds. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn
auch dem anderen Mitangeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden ist
(§ 140 StPO) (OLG Köln NStZ-RR 2012, 351 [Ls.]; OLG Hamburg, Beschl .
v. 31. 1. 2013 - 3 Ws 5/13, StRR 2013, 82 [Ls.]; OLG Stuttgart StraFo 2013, 71
= StRR 2013, 105 [Ls.]; LG Hannover, Beschl. v. 21. 12. 2013
40 Qs 135/12). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich aber anhand einer
umfassenden Würdigung der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall
(u.a. OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. 5. 2014 - 1 St OLG Ss 43/2013,
www.burhoff.de). Dass ein Angeklagter durch einen Verteidiger vertreten wird,
ein anderer hingegen nicht, begründet für sich allein noch nicht eine
notwendige Verteidigung. Es müssen vielmehr weitere Umstände
hinzutreten, die im konkreten Fall eine Beiordnung geboten erscheinen lassen
(OLG Köln, OLG Hamburg und OLG Stuttgart, jeweils a.a.O.; ähnlich LG
Dessau Roßlau, Beschl. v. 15. 1. 2013 - 2 Qs 8/13). Mit der
Beurteilung eines Sachverständigengutachtens ist der
unverteidigte Angeklagte regelmäßig überfordert, so dass ein
Fall des § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist. Auch die erforderliche
Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne
der §§ 20, 21 StGB macht die Bestellung eines Verteidigers
erforderlich (AG Backnang, Verf. V. 20. 11. 2013 - 2 Ds 93 Js 42049/13, StRR
2014, 2 [Ls.]). Ein Pflichtverteidiger kann auch dann beigeordnet werden, wenn
mehrere Besonderheiten des Einzelfalls die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte
werde sich nicht selbst verteidigen können. Dies kann der Fall sein, wenn
Hauptbelastungszeugin eine kindliche Zeugin ist, die zum angeklagten
Tatzeitpunkt gerade erst vier Jahre alt war, wenn der Angeklagte Ausländer
ist und nach Angaben seines Verteidigers die Mitwirkung eines Dolmetschers in
der Hauptverhandlung erforderlich ist und wenn die Anklageschrift ihm bislang
nicht durch das Gericht übersetzt worden ist. Für eine solche
Beiordnung eines Pflichtverteidigers kann zudem sprechen, wenn die Akte
Hinweise darauf enthält, dass der Angeklagte phasenweise aggressiv und
gewalttätig ist und sich nicht unter Kontrolle hat. Dies stellt seine
Fähigkeit zur Selbstverteidigung in Frage (LG Flensburg, 20. 11. 2012 - II
Qs 68/12). Nach Auffassung des OLG Nürnberg führt dann, wenn die
Mitwirkung eines Verteidigers weder aufgrund der Schwere der Tat noch wegen der
Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten, auch der Umstand, dass der
Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig
ist, nicht generell zu einer notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs.
2 StPO, da dessen Rechte auf Ausgleich der mit den sprachbedingten
Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch die
mit Wirkung vom 06.07.2013 neu gefasste Vorschrift des § 187 GVG
hinreichend gewahrt werden (OLG Nürnberg, Beschl. v. 3. 3. 2014 - 2 Ws
63/14).
Bestellung, Strafvollstreckungsverfahren: Im
Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2
S. 1 StPO dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Sach- und
Rechtslage schwierig oder sonst ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht
selbst verteidigen kann. Das kann der Fall sein, wenn die Auseinandersetzung
mit einem Sachverständigengutachten erforderlich ist und das
Gutachten etwa psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder auch
kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung ein
Verurteilter überfordert ist (OLG Naumburg, Beschl. v. 2. 10. 2013 - 1 Ws
591/13, StRR 2013, 443 [Ls.]; vgl. auch noch OLG Hamm, Beschl. v. 29. 4. 2013 -
5 Ws 113 - 115/13). Wenn es im strafvollstreckungsrechtlichen
Beschwerdeverfahren nicht nur um den Widerruf der Strafaussetzung einer
Gesamtstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten, sondern auch um den Widerruf der
Aussetzung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt geht und
es rechtlich zu beurteilen ist, ob im konkreten Fall der Abbruch einer
stationären Therapie bereits einen beharrlichen und gröblichen
Verstoß gegen die dem Verurteilten erteilte Weisung darstellt, liegt eine
besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren
vor, die die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebieten (LG Landau, Verf. v.
11. 9. 2013 - 1 Qs 72/13). Die Bestellung eines Verteidigers kommt auch schon
im Verfahren mit dem Ziel des Widerrufs der Strafaussetzung nach §
56f StGB in Betracht (AG Backnang, Verf. v. 4. 7. 2013 - 2 BWL 117/12,
StRR 2013, 428 = StV 2014, 39 [Ls.]). Die Beiordnung im
Zurückstellungsverfahren nach §§ 35, 38 BtMG ist in
analoger Anwendung von § § 140 Abs. 2 StPO möglich (AG Arnstadt,
Beschl. v. 27. 6. 2013 - 506 Js 6476/12 1 Ls, StRR 2013, 363 [Ls.]). Die
Klarstellung einer offensichtlichen Verwechslung des Verurteilten mit einer
anderen rechtfertigt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers entsprechend
§
140 Abs. 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren nicht (OLG Hamm, Beschl. v.
29. 4. 2013 - 5 Ws 113 - 115/13).
Bestellung, Strafbefehlsverfahren, Die Beiordnung eines
Pflichtverteidigers hat im Strafbefehlsverfahrens jedenfalls dann zu
erfolgen, wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte ein Rechtsmittel einlegt
und die Durchführung einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist (LG
Berlin StraFo 2013, 285). Die Bestellung nach § 408b StPO bezieht sich nur
auf das Strafbefehlsverfahren und gilt nicht für die Hauptverhandlung (KG,
Beschl. v. 29. 5. 2012 1 Ws 30/12).
Bestellung, Jugendgerichtsverfahren: Für das
JGG-Verfahren gelten nach der Rechtsprechung des KG folgende
Grundsätze: Nach §§ 68 Nr. 1, 109 Abs. 1 Satz 1
JGG ist dem heranwachsenden Angeklagten ein Pflichtverteidiger zu bestellen,
wenn einem Erwachsenen ein Verteidiger zu bestellen wäre. Für die
Beurteilung der Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung im
Jugendstrafverfahren gelten daher zunächst die Grundsätze, die auch
bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafverfahren gegen Erwachsene
gelten. Liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO nicht vor, ist
gem. § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers in der
Hauptverhandlung und die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich,
wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage
die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist,
dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. In § 68 Nr. 1 JGG
wird hinsichtlich der Voraussetzungen für eine
Pflichtverteidigerbestellung uneingeschränkt auf das allgemeine Strafrecht
verwiesen. Die zur näheren Konkretisierung und Auslegung der unbestimmten
Rechtsbegriffe des § 140 Abs. 2 StPO im ErwachsenenrechtergangeneRechtsprechung findet daher auch im Jugendstrafrecht
Anwendung; den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens ist jedoch
Rechnung zu tragen. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist nicht allein deshalb
notwendig, weil Anklage vor dem Jugendschöffengericht erhoben worden oder
überhaupt die Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten ist. Die
Schwere der Tat gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers
grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht jedenfalls dann, wenn nach den
Gesamtumständen eine Freiheitsentziehung von mindestens einem Jahr zu
erwarten ist oder jedenfalls angesichts konkreter Umstände in Betracht
kommt. Bei der Straferwartung von einem Jahr handelt es sich jedoch nicht um
eine starre Grenze, sondern es sind vielmehr auch sonstige Umstände zu
berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der verhängten bzw.
drohenden Strafe dazu führen können, dass die Mitwirkung eines
Verteidigers auch bei einer niedrigeren Strafe geboten erscheint. Neben der
Frage eines möglichen Bewährungswiderrufs wegen der zu
verhängenden Strafe können dabei auch, gerade im Jugendstrafrecht,
andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Denn gerade im Jugendstrafrecht ist
wegen der in der Regel geringeren Lebenserfahrung des jugendlichen oder
heranwachsenden Angeklagten und seiner daher größeren
Schutzbedürftigkeit eher die Beiordnung eines Pflichtverteidigers
erforderlich als im Erwachsenenstrafrecht (KG, Beschl. v. 26. 11. 2012
(4) 161 Ss 226/12 (286/12), StRR 2013, 98; Beschl. v. 7. 5. 2013
4 Ws 47/13, NStZ-RR 2013, 357 = StRR 2014, 140 = StV 2013, 771
[Ls.]).
Bestellung/Entpflichtung, Zuständigkeit: Zur
Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Vorliegen
der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist gem. § 141
Abs. 4 2. Hs. StPO das nach § 126 StPO (oder nach § 275a Abs. 6 StPO)
zuständige Gericht, im Vorverfahren der Haftrichter berufen; das gilt auch
für die Aufhebung der Bestellung (KG, Beschl. v. 2. 10. 2013 4 Ws
126-128/13).
Entpflichtung, Allgemeines: Das Vertrauen des
Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts
hinsichtlich der Notwendigkeit der Verteidigung ist grds.
schutzwürdig, es sei denn die für die
Pflichtverteidigerbestellung maßgeblichen Umstände haben sich
wesentlich geändert (KG, Beschluss vom 20. 9. 2013 4 Ws 122/13
141 AR 474/13). Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene
positive Entscheidung des Gerichts ist jedoch z.B. dann nicht
schutzwürdig, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter
Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat (KG, Beschl.
v. 10. 9. 2013 4 Ws 116/13 141 AR 450/13, StRR 2013, 442 [Ls.]).
Zum Teil wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, eine auf Antrag
erfolgende einvernehmliche Umbeiordnung" sei dann zulässig,
wenn der bisherige beigeordnete Verteidiger zustimme, das Verfahren durch den
Verteidigerwechsel nicht verzögert werde und der Staatskasse keine
Mehrkosten entstünden (so z.B. OLG Bremen RVGreport 2013, 434 =
StRR 2014, 142; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210; OLG Frankfurt NStZ-RR
2008, 47; OLG Braunschweig StraFo 2008, 428; OLG Bamberg NJW 2006, 1536). Dabei
gehen die Gerichte davon aus, dass der ursprünglich beigeordnete
Verteidiger alle Gebühren aus der Staatskasse erhält, die gesetzlich
vorgesehen und bis dahin angefallen sind. Der an seiner Stelle beigeordnete
Verteidiger hat als Voraussetzung für die Umbeiordnung"
den Verzicht auf diejenigen Gebühren zu erklären, die
ansonsten durch seine Beiordnung doppelt anfielen. Das ist zutreffend, dieser
Auffassung stehen vor allem keine gebührenrechtlichen Gründe entgegen
(s. zuletzt LG Osnabrück, Beschl. v. 12. 2. 2014 - 10 Qs - 1366 Js
49405/13 - 4/14, StRR 2014, 257; a.A. u.a. OLG Köln StV 2011, 659; OLG
Jena JurBüro 2006, 365; zu den Voraussetzungen einer unrichtigen
Sachbehandlung i.S. von § 21 GKG im Hinblick auf eine nicht erfolgte
Entpflichtung eines Pflichtverteidigers (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.
3. 2013 1 Ws 47/13).
Entpflichtung, Fehler im Auswahlverfahren: Ist die
Anhörung (§ 142 Abs. 1 Satz 1 StPO) des Angeschuldigten vor der
Beiordnung eines Pflichtverteidigers unzulässig unterblieben, muss
die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich
für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann,
wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt. Durch Verhinderung des
Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind
wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht
unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch
auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines
Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung
zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den
Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine
Rücksicht genommen werden muss (OLG Braunschweig StraFo 2013, 115 = StRR
2013, 102 = StV 2013, 612).
Entpflichtung, Verfahren: Vor der Entscheidung
über die Rücknahme der Bestellung gem. § 143 StPO ist dem
Pflichtverteidiger und dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren
(OLG Brandenburg, Beschl. v. 5. 3. 2014 - 1 Ws 18/14, www.burhoff.de).
Inhaftierter Mandant, Entpflichtung: In Fällen, in
denen das Anhörungsverfahren nach
§
142 Abs. 1 S. 1 StPO zwar eingehalten wurde, dem Beschuldigten aber wegen
der Gegebenheiten des Verfahrens zur Haftbefehlseröffnung eine nur sehr
eingeschränkte Überlegungszeit für die Auswahl eines
Verteidigers eingeräumt werden konnte, dürfen die Anforderungen an
die Darlegung eines gestörtenVertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und
Verteidiger nicht überspannt werden. (BGH StraFo 2013, 23 =
StV 2013, 610). Hat der inhaftierte Beschuldigte ausdrücklich
erklärt, die Auswahl des Pflichtverteidigers dem
Ermittlungsrichter zu überlassen und hat er selbst keinen
gewünschten Verteidiger benannt, verbleibt es i.d.R. bei der Auswahl der
Ermittlungsrichters, und zwar auch dann, wenn sich später ein anderer
Verteidiger meldet, diese Meldung den Ermittlungsrichter vor der Bestellung des
Pflichtverteidigers nicht mehr erreicht (LG Dresden, Beschl. v. 4. 2. 2013 - 1
Qs 1/13, StRR 2013, 122 [Ls.]).
Mehrere Pflichtverteidiger: Die Bestellung eines
zweiten Pflichtverteidigers setzt ein unabweisbares
Bedürfnis voraus, eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des
Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu
gewährleisten. Das besteht unter anderem bei einer besonderen
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie dann, wenn sich die
Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum erstreckt und zu ihrer
ordnungsgemäßen Durchführung sichergestellt werden muss, dass
auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt
werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich
ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger
beherrscht werden kann (KG, Beschl. v. 20. 9. 2013 4 Ws 122/13
141 AR 474/13).
Rechtsmittel, Allgemeines: Eine
Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels
Beschwer grds. nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht
bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus
§ 142 Abs. Satz 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des
Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht
beachtet hat (OLG Braunschweig, Beschl. v. 11. 3. 2013 - Ws 2/13, StraFo 2013,
115 = StRR 2013, 102 = StV 2013, 612). Die Beschwerde gegen die
Ablehnung der Bestellung eines bestimmtenRechtsanwalts zum Pflichtverteidiger durch den Vorsitzenden des
erkennenden Gerichts ist jedenfalls dann statthaft, wenn gegen den Angeklagten
ein Haftbefehl (auch ein außer Vollzug gesetzter) besteht (OLG Hamm,
Beschl. v. 25. 2. 2014 - 1 Ws 98 u. 100/14). Zur Entscheidung über
die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist gemäß § 141 Abs. 4 2. Hs. StPO
das nach § 126 StPO (oder nach § 275a Abs. 6 StPO) zuständige
Gericht, im Vorverfahren der Haftrichter berufen; das gilt auch für die
Aufhebung der Bestellung (KG, Beschl. v. 2. 10. 2013 4 Ws 126-128/13).
Hat das LG den Entpflichtungsbeschluss des Haftrichters auf die
Beschwerde des Beschuldigten aufgehoben und den Verteidiger selbst
entpflichtet, ist die hiergegen eingelegte (weitere) Beschwerde des
Beschuldigten nicht statthaft. Der Irrtum des Landgerichts eröffnet keine
dritte Instanz, weil dieses nach der wahren Rechtslage für die
Beschwerdeentscheidung, die eine eigene Sachentscheidung darstellt,
zuständig gewesen und nach § 310 Abs. 1 StPO der weitere Rechtsweg
nicht gegeben ist. (KG, a.a.O.). Dem früheren Pflichtverteidiger steht
weder gegen seine Entpflichtung noch gegen die Bestellung eines neuen
Pflichtverteidigers ein eigenes Beschwerderecht zu, auch wenn er den
Beschuldigten als Wahlverteidiger weiter betreut (KG, a.a.O.). Der (nicht
rechtskräftige) Abschluss des Verfahrens in der Berufungsinstanz steht der
Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Berufungsverfahren erfolgte
Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen (KG, Beschl.
v. 31. 3. 2014 - 4 Ws 27/13, www.burhoff.de).
Rückwirkende Bestellung: Es wird in der
obergerichtlichen Rechtsprechung daran festgehalten, dass die
nachträgliche Bestellung eines Pflichtverteidigers nach
Verfahrensbeendigung nicht möglich ist (vgl. u.a. OLG Hamm,
Beschl. v. 24. 10. 2012 - 3 Ws 215/12). Dies soll auch dann gelten, wenn
das Gericht erster Instanz die prozessuale Überholung durch (grob)
unrichtige Sachbehandlung provoziert und der Verteidiger es aber aus
offensichtlicher Unkenntnis versäumt hat, dem durch die Einlegung einer
Untätigkeitsbeschwerde entgegenzuwirken (OLG Hamm, a.a.O.). Von dem
Grundsatz, dass eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene
Pflichtverteidigerbestellung unzulässig ist, ist jedoch jedenfalls dann
abzuweichen, wenn ein rechtzeitig beantragten Beiordnungsantrag nicht zeitnah
beschieden und aus nicht nachvollziehbaren Gründen über Monate hinweg
von der Entscheidung abgesehen worden ist (LG Potsdam, Beschl. v. 31. 1. 2014 -
25 Qs 8/14, StRR 2014, 146; ähnlich LG Hamburg, Beschl. v. 3. 12. 2013 -
632 Qs 31/13). Das Gericht verstößt gegen den Grundsatz des
fairen Verfahrens, wenn es über einen zeitgleich mit der Einlegung
der Revision gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers
für das Revisionsverfahren erst nach Ablauf der
Revisionsbegründungsfrist entscheidet (OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.
11. 2013, 1 Ws 366/13, NStZ-RR 2014, 51; s. auch noch KG, Beschl. v. 31. 3.
2014 - 4 Ws 27/13, www.burhoff.de; vgl. wegen weiterer Nachw. ZAP F. 22 R, S.
679 und Burhoff, EV, Rn. 2323 ff.).
Umfang der Bestellung: Die im Ursprungsverfahren
erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers wirkt bis zu einem
rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens fort (vgl.
KG, Beschl. v. 15. 2. 2013 4 Ws 25/13).
Verhalten in der Hauptverhandlung/Verteidigungslos
Stellen: Wird der Antrag, den Verteidiger als Pflichtverteidiger
beizuordnen, zu Unrecht abgelehnt, liegt in dem Verhalten des Verteidigers,
sich während der Hauptverhandlung in den Zuschauerraum zu setzen, wodurch
der Angeklagte zweitweise unverteidigt war, keine Pflichtwidrigkeit,
weil ihm anderenfalls die Möglichkeit genommen wird, die in der
Nichtbeiordnung liegende Rechtsverletzung im Revisionsverfahren zu beanstanden
(OLG Naumburg StraFo 2013, 338 = StV 2014, 20, s. auch ZAP F 22 R, S. 819 f.).
Wiedereinsetzung: Einem unter Betreuung stehendem
Angeklagten, dem aus diesem Grund ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden
ist, kann von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des
Wiedereinsetzungsantrages gewährt werden, wenn sein Verteidiger schuldhaft
die Rechtsmittelfrist versäumt hat und der vom Verteidiger daraufhin
gestellte Wiedereinsetzungsantrag mangels Begründung unzulässig war
(§§ 44, 45, 140 StPO) (OLG Naumburg, Beschl. v. 16.10.2013 - 2 Ws
66/13, StRR 2014, 42 [Ls.]). Verstößt das Gericht gegen den
Grundsatz des fairen Verfahrens bei einem Antrag auf Beiordnung eines
Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren und ist wegen des
Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens die Revision nicht
rechtzeitig begründet, ist er über die Möglichkeit der
Wiedereinsetzung zu belehren (OLG Braunschweig, Beschl. v. 20. 11. 2013, 1 Ws
366/13, NStZ-RR 2014, 51).
In ZAP F 22 R, S. 832 ff. hatte ich über zwei Entscheidungen
berichtet, die sich mit der Verletzung der Belehrungsvorschriften der
§§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO befassen (vgl. OLG Nürnberg StRR
2014, 105 = VRR 2014, 107 bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort bzw. LG
Saarbrücken StRR 2014, 109 = VRR 2014, 108 bei einer Trunkenheitsfahrt).
In dem Zusammenhang ist dann noch hinzuweisen auf den LG Gießen, Beschl.
v. 9. 12. 2013 (7 Qs 196/13, VRR 2014, 189), dem folgender Sachverhalt
zugrunde gelegen hat: Dem Beschuldigten wurde ein Verstoß gegen
§§ 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgeworfen. Er soll infolge
Übermüdung (Sekundenschlafs) einen Auffahrunfall mit erheblichem
Sachschaden verursacht haben. Deswegen ist dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis
vom AG gem. § 111a StPO vorläufig entzogen worden. Der dringende
Verdacht eines kurzzeitigen Einschlafens des Beschuldigten hatte das AG u.a.
auf Angaben des Beschuldigten gegenüber einem POK X. gestützt, wonach
er wohl kurz eingeschlafen zu sein. Die Beschwerde des Beschuldigten, mit der
u.a. die Unverwertbarkeit dieser Angaben geltend gemacht worden ist, hatte beim
LG keinen Erfolg.
Das LG (a.a.O.) hat die Angaben des Beschuldigten gegenüber
dem Polizeibeamten als verwertbar angesehen. Die Angaben seien nicht wegen
eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht der §§ 136 Abs. 1,
163a Abs. 4 StPO über das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten
unverwertbar. Der Beschuldigte sei nämlich bei der Erstbefragung durch den
Polizeibeamten. nochnicht in der Eigenschaft als
Beschuldigter vernommen. Denn der zur Unfallaufnahme
eingesetzte Beamte habe lediglich von einem Auffahrunfall gewusst, als er zur
Unfallstelle gekommen sei und den Beschuldigten als ersten der beteiligten
Kraftfahrer zum Hergang befragt habe. Es sei nicht zu beanstanden, dass sich
der Polizeibeamte durch die Befragung Informationen verschaffen wollte, um
einen möglichen Tatverdacht und die Person des Beschuldigten beurteilen zu
können. Auch wenn bei einem Auffahrunfall bereits aufgrund der Tatsache
des Auffahrens gegen den Hintermann der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gem.
§§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO, 24 StVG bestehen
könne, begründe dieser allgemeine Verdacht noch keine Verpflichtung
des Vernehmungsbeamten zur Belehrung gem. §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4
StPO schon vor der ersten Befragung des Auffahrenden. Angesichts des ansonsten
noch völlig unklaren Unfallverlaufs diene die erste Befragung in einen
solchen Fall vielmehr der notwendigen Klärung, ob sich der Verdacht bis
zum Grad der naheliegenden Möglichkeit erhärten lasse. Die
Beurteilung durch den Polizeibeamten, es gehe noch um Informationsgewinnung,
sei jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft oder missbräuchlich. Dies zeige
sich auch darin, dass er den Beschuldigten sofort nach dessen
Äußerung zum Einschlafen gemäß § 136 Abs. 1 StPO
belehrt habe.
Hinweis:
Das LG übersieht, dass dem Beschuldigten nicht nur der
Vorwurf des späteren Strafverfahrens mit einem Verstoß gegen §
315c StGB gemacht wurde, sondern ggf. auch der Vorwurfs einer
Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO,
24 StVG. Insoweit hätte er auf jeden Fall belehrt werden müssen. Die
Entscheidung des LG legt daher die Belehrungsschwelle
zuweit nach hinten. Die Entscheidung ist daher nicht richtig.
Zutreffend und richtig haben es in der Vergangenheit das OLG Nürnberg
(StRR 2014, 105 = VRR 2014, 107) bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort
bzw. das LG Saarbrücken (StRR 2014, 109 = VRR 2014, 108) bei einer
Trunkenheitsfahrt gemacht. Auf die Anmerkungen zu den Entscheidungen wird
verwiesen.
An dieser Stelle ist länger nicht mehr über
Beweisantragsfragen berichtet worden, obwohl diese in der Rechtsprechung des
BGH eine doch recht große Rolle spielen. Daher jetzt der Hinweis auf zwei
BGH-Entscheidungen, die die Abgrenzung von Beweis- und Beweisermittlungsantrag
behandeln (BGH, Beschl. v. 15.1.2014 (1 StR 379/13, StV 2014, 257 = StRR 2014,
122 m. Anm. Grube) und zudem (noch einmal) zum Erfordernis der sog.
Konnexität Stellung nehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2014 (1 StR 379/13,
StV 2014, 257 m. Anm. Grube; BGH, Beschl. v. 24.3.2014 5 StR 2/14; dazu
auch BGHSt 52, 284 = NJW 2008, 3446 = StRR 2008, 425)
a) Abgrenzung von Beweis- und Beweisermittlungsantrag
Der BGH, Beschl. v.
15.1.2014 (1 StR 379/13, StV 2014, 257 = StRR 2014, 122 m. Anm. Grube) hat u.a.
die Abgrenzung des Beweis- vom Beweisermittlungsantrag zum Gegenstand. In
einem Verfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt und
Steuerhinterziehung spielten u.a. Scheinrechnungen eine Rolle, in denen unter
dem Namen von Firmen, Subunternehmerleistungen abgerechnet worden waren, die
tatsächlich nicht tätig geworden waren. In der Hauptverhandlung hatte
der Verteidiger u.a. die zeugenschaftliche Einvernahme von Herrn H
( ) zum Beweis der Tatsache, dass die Firma F-GmbH als
Subunternehmer für die J-GmbH auf den Baustellen Ha. und L.
tätig war beantragt. Das LG hatte diesen als
unzulässig abgelehnt. Der BGH (a.a.O.) hat das beanstandet, da
es sich nicht nur um einen Beweisermittlungsantrag, sondern um einen
Beweisantrag gehandelt habe. Der Antrag bezeichnete insbesondere keine
Schlussfolgerung oder Wertung, sondern eine hinreichend bestimmte
Beweistatsache. Für die Beweisbehauptung sei es ausreichend, wenn sie mit
dem einfachen Rechtsbegriff der Subunternehmertätigkeit der
auf bestimmten Baustellen eingesetzten Firmen umschrieben werde, da diese dem
Beweis durch die Aussagen der namentlich bezeichneten Zeugen zugänglich
sei (zum Inhalt des Beweisantrages Burhoff, HV, Rn. 876 ff. m.w.N.).
Hinweis:
Trotz der angeklagtenfreundlichen Tendenz des
BGH sollte der Verteidiger bei der Formulierung des Beweisantrags von der
Verwendung rechtlicher Begriff absehen und stattdessen oder zumindest auch die
der Wertung zugrundeliegenden Tatsachen näher darlegen (s.
auch Grube, a.a.O.; vgl. auch Burhoff, HV, Rn. 881).
b) Konnexität zwischen Beweistatsache
und Beweismittel
Der BGH äußert sich in dem BGH, Beschl. v. 15.1.2014 (1
StR 379/13, StV 2014, 257 = StRR 2014, 122 m. Anm. Grube) zudem auch zur Frage
der sog. Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel. Das LG hatte
die Ablehnung des Beweisantrages nämlich auch darauf gestützt, dass
dem Antrag nicht zu entnehmen sei, weshalb die benannten Zeugen Bekundungen zu
den genannten Tatsachen ( ) machen können bzw. welche konkreten
Wahrnehmungen die benannten Zeugen bekunden sollen. Angesichts der
fortgeschrittenen Beweisaufnahme sei die Wahrnehmungssituation der
Zeugen unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse der Beweisaufnahme
näher darzulegen. Der BGH hält das für rechtsfehlerhaft. Die
nähere Begründung des verbindenden Zusammenhangs zwischen
Beweisbehauptung und Beweismittel im Beweisantrag sei nur dann notwendig, wenn
sich der Konnex nicht von selbst verstehe. Im konkreten Fall sei nach Aktenlage
offenkundig und allen Verfahrensbeteiligten bekannt gewesen, dass es sich bei
den benannten Zeugen um Geschäftsführer und/oder Gesellschafter der
als Subunternehmer in Frage kommenden Firmen gehandelt habe. Da es auf der Hand
liege, dass Verantwortliche eines Unternehmens aufgrund beruflicher Kenntnis
Angaben darüber machen können, ob und in welchem Umfang das
Unternehmen - ggf. auch als Subunternehmer - tätig sei, habe es keiner
Konkretisierung der Wahrnehmungssituation der angegebenen Zeugen
bedurft.
Hinweis:
Das Fazit aus dem BGH, Beschl. (a.a.O.): Der BGH hält
grds. an seiner Rechtsprechung zur Konnexität fest (vgl. dazu und auch zur
Kritik Burhoff, HV, Rn. 872 ff.). Allerdings will er sie offenbar auf
Ausnahmefälle beschränken und sieht sie
nicht als ein Instrument, um Beweisanträge mit einer in der StPO nicht
vorgesehenen Begründung abzulehnen (s. dazu auch demnächst Deutscher
in StRR 2014 in der Anm. zu BGH, Beschl. v. 24.3.2014 5 StR 2/14), was
zu begrüßen ist (s. auch noch OLG Schleswig, Beschl. v. 6. 11. 2013
- 1 Ss 124/13 [198/13], www.burhoff.de). Dennoch wird ein
vorsichtiger Verteidiger nach Möglichkeit in allen Fällen
zur Konnexität vortragen (vgl. Burhoff, HV, Rn. 872 ff.; Grube,
a.a.O.).
2. Entfernung des Angeklagten aus der
Hauptverhandlung (§ 247 StPO)
Im der letzten Zeit mehren sich Entscheidungen (des BGH), die sich
mit dem Verfahren der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach
§ 247 StPO befassen (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 1355 ff.). Das zeigt, dass
die Einschätzung, dass dieses Verfahren im Hinblick auf die Revision
fehleranfällig ist und für die Gerichte dort Fallen
lauern, die dann in der Revision zur Aufhebung führen. Allerdings: Es sind
m.E. bekannte Fallen, die man in der Hauptverhandlung an sich ohne große
Probleme aus dem Weg räumen können müsste. Warum das nicht
passiert, leuchtet nicht ein. Das gilt gerade im Hinblick auf die
Entlassung des Zeugen ohne den aus der Hauptverhandlung entfernten
Angeklagten (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschl. v. 11.03.2014 1
StR 711/13 ; dazu u.a. BGH, Beschl. v. 05.12.2013 2 StR 387/13 und BGH,
Beschl. v. 19.11.2013 2 StR 379/13, NStZ-RR 2014, 53).
In dem dem BGH, Beschl. v. 11.03.2014 (1 StR 711/13)
zugrundeliegenden Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung war die
Nebenklägerin zweimal als Zeuginvernommen worden.
Während der Vernehmungen wurde der Angeklagte jeweils gem. § 247 StPO
aus dem Sitzungssaal entfernt. Auch die Verhandlung über die Entlassung
der Nebenklägerin als Zeugin erfolgte jeweils in Abwesenheit des
Angeklagten. Nach der ersten Vernehmung der Nebenklägerin wurde sie im
allseitigen Einverständnis entlassen. Erst dann wurde der Angeklagte
wieder in den Sitzungssaal gelassen und vom Vorsitzenden über den Inhalt
der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin informiert. Nach der Vernehmung der
Mutter der Nebenklägerin wurde die Nebenklägerin erneut vernommen.
Auch bei dieser zweiten Vernehmung und der anschließenden Verhandlung
über die Entlassung der Zeugin war der Angeklagte nach § 247 StPO
ausgeschlossen.
Der Verteidiger hat den absolutenRevisionsgrund
gem. § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen Abwesenheit des
Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin
gerügt und hatte damit Erfolg. Der BGH weist nochmals darauf hin, dass
über die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen
ist grds. ein wesentlicherTeil der Hauptverhandlung. Die
währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder
Satz 2 StPO entfernten Angeklagten sei deshalb regelmäßig geeignet,
den absoluten Revisionsgrund zu begründen (BGHSt 55, 87, 92 = NJW 2010,
2450 = StRR 2010, 340). Ob ein Verfahrensteil als wesentlich einzuordnen
sei, bestimme sich nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie
danach, in welchem Umfang ihre sachliche Bedeutung betroffen sein kann. Nach
dem Zweck des § 247 StPO sei aber die Entlassungsverhandlung in
Anwesenheit des Angeklagten grds. als wesentlich anzusehen. Die das
Anwesenheitsrecht und die Anwesenheitspflicht des Angeklagten
betreffenden Vorschriften bezweckten auch, dem Angeklagten eine allseitige und
uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere durch
Vornahme von Verfahrenshandlungen aufgrund des von ihm selbst wahrgenommenen
Verlaufs der Hauptverhandlung. Das werde dem Angeklagten durch seinen
Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen erschwert,
weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder
Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen
können (BGH, a.a.O.).
Etwas anderes hat der BGH (vgl. Beschl. v. 11.03.2014 - 1 StR
711/13) nicht ausnahmsweise deshalb angenommen, weil es sich bereits um
die zweite Vernehmung der Zeugin handelte. Auch einer ergänzenden
Vernehmung einer Opferzeugin komme grds. erhebliche Bedeutung für das
Verfahren zu, sodass der Angeklagte auch nach einer solchen stets die
Möglichkeit haben muss, ergänzende Fragen oder Anträge zu
stellen, die das Verfahren beeinflussen können (BGHSt 55, 87, 92 = NJW
2010, 2450 = StRR 2010, 340). Beim Vorwurf von Sexualstraftaten liege es
sogar nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert
werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Vernehmung der Opferzeugin komme,
weil eine für sich genommen neutrale Frage zum Randgeschehen
noch geklärt werden muss. Auch in einem solchen Fall sei kein
Verfahrensbeteiligter rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber
zur Sache gehörende also den gesamten Anklagevorwurf betreffende
Fragen zu stellen (vgl. zu § 171b GVG: BGH, Beschl. v. 19. 12. 2006
1 StR 268/06 Rn. 9, in BGHSt 51, 180 nicht abgedruckt).
Hinweis:
Die Ausschließung eines Angeklagten von der Anwesenheit
in der Hauptverhandlung rechtfertigt nur die Verhandlung in seiner Abwesenheit
während der Zeugenvernehmung, nicht bei der Erhebung von
Sachbeweisen (zuletzt BGH, Beschl. v. 19.11.2013 2 StR 379/13,
NStZ-RR 2014, 53; s. auch BGH StV 2005, 6). Handelt es sich bei der
Betrachtung eines Luftbildes vom Tatort um eine Beweiserhebung durch
"Augenschein" und nicht lediglich um einen Vernehmungsbehelf bei der Befragung
eines Zeugen, so stellt dies einen Fall des Augenscheinsbeweises dar, der in
Anwesenheit des Angeklagten zu erheben ist (BGH, a.a.O.). Wird das nicht
beachtet und erfolgt während der weiteren Hauptverhandlung keine Heilung
dieses Verfahrensfehlers, so führt dies zwingend zur Urteilsaufhebung
(BGH, a.a.O.)
Manchmal naht, wenn Fristen versäumt sind, Hilfe an
bzw. von einer Stelle, von der aus man sie nicht erwartet, ggf. sogar
übersehen hat. Das zeigt anschaulich der BGH, Beschl. v. 6. 3. 2014 (4 StR
553/13, NJW 2014, 1686). Das LG hatte die Angeklagte am 13. 8. 2013 wegen
Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes in zwei Fällen verurteilt.
Nachdem der Urteilstenor der Nebenklägerin am 21. 8. 2013 zugestellt
worden war, legte sie mit am 2. 9. 2013 beim LG eingegangenem Schreiben gegen
das Urteil Revision ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in die
Revisionseinlegungsfrist. Das LG hat die Revision der Nebenklägerin
gemäß § 346 Abs. 1 StPO als verspätet und deshalb
unzulässig verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen.
Dagegen hat die Nebenklägerin eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach
§ 346 Abs. 2 StPO beantragt und hatte damit beim BGH Erfolg.
Der BGH (a.a.O.) verweist darauf, dass die für die
Revisionseinlegung maßgebliche Wochenfrist (§ 341 Abs. 1 Satz 1
StPO) erst mit Zustellung des (vollständigen) Urteils an die
Nebenklägerin am 3. 9. 2013 in Lauf gesetzt worden sei (vgl. Gericke in
Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2014, § 341 Rn. 19, 20). Dem
stehe nicht entgegen, dass ihr der Urteilstenor nebst Rechtsmittelbelehrung
bereits am 21. 8. 2013 förmlich zugestellt worden sei (§ 401 Abs. 2
S. 2 StPO). Diese Zustellung sei nämlich unwirksam. Die Wirksamkeit
einer förmlichen Zustellung setze voraus, dass sie auf einer (wirksamen)
Zustellungsanordnung des Vorsitzenden beruhe (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO
(vgl. BGH bei Holtz, MDR 1976, 814; NStZ 1986, 230 jeweils m.w.N.; NStZ 2011,
591, 592). Die Anordnung sei zwar nicht an eine besondere Form gebunden und
könne folglich sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden.
In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung
müsse sie aber im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer
mündlichen Anweisung daher jedenfalls in einem Vermerk der
Geschäftsstelle festgehalten sein. Denn die Rechtssicherheit gebiete es,
dass von vornherein auch für Dritte erkennbar sei, ob im Zeitpunkt der
Zustellung eine dem § 36 Abs. 1 StPO entsprechende Anordnung vorlag.
Anderenfalls ließe sich wenn überhaupt unter
Umständen erst nach längeren Nachforschungen klären, ob der
Zustellung eine wirksame Anordnung zugrunde gelegen habe, die Rechtsmittelfrist
demnach in Lauf gesetzt worden sei. Die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit
kann aber nicht hin-genommen werden (OLG Zweibrücken MDR 1986, 1047; LG
Zweibrücken NStZ-RR 2013, 49; vgl. LR-StPO/Graalmann-Scheerer, 26. Aufl.,
§ 36 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau, § 36 Rn. 4; KK-StPO/Maul, a.a.O.,
§ 36 Rn. 2; Pollähne in HK-StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 5; vgl. auch
Meyer-Goßner/Schmitt, § 36 Rn. 3: stets schriftlich; a.A.
SSW-StPO/Mosbacher, § 36 Rn. 5, wonach die Dokumentation im Zeitpunkt der
Zustellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt). Daran fehlte es, da den
Verfahrensakten eine den Urteilstenor betreffende Zustellungsanordnung des
Vorsitzenden nicht zu entnehmen war. Der Zustellungsmangel sei so der
BGH - auch nicht gem. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch den
tatsächlichen Zugang geheilt worden. Dies würde voraussetzen, dass
eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigen
Organ im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden
beabsichtigt war (MüKo-ZPO/Häublein, 4. Aufl., § 189 Rn. 3;
LR-StPO/Graalmann-Scheerer, a.a.O., § 37 Rn. 95). Sei ein solcher
Zustellungswille des zuständigen Organs mangels Zustellungsanordnung nicht
feststellbar, so trete keine Heilung gemäß § 37 Abs. 1 StPO
i.V.m. § 189 ZPO ein (OLG Celle NStZ-RR 2011, 45 [Ls.]).
Hinweis:
Die Zitate in der o.a. Entscheidung zeigen, dass der BGH mit
seinem Beschluss kein Neuland betreten hat, sondern sich auf den Pfaden der
h.M. bewegt. Die Entscheidung zeigt aber sehr schön auf, auf welche
Nebenkriegsschauplätze man als Verteidiger eben manchmal
achten muss/sollte, wenn es um Fristversäumnisse geht. Dann ist zwar
das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, aber Rettung kann
dann an einer Stelle auftauchen, an der man mit ihr gar nicht rechnet.
Nämlich bei allgemeinen formellen Fragen wie hier der (fehlenden)
Zustellungsanordnung. Deshalb sollte man in solchen Fällen als Verteidiger
bzw. wie hier als Nebenklägervertreter immer noch einmal Akteneinsicht
nehmen, um solche Dinge zu prüfen und auf sie dann hinweisen zu
können. Die Rettung ist dann häufig um vieles einfacher als der Weg
über den Wiedereinsetzungsantrag. Den sollte man allerdings
vorsorglich immer auch stellen. Das schadet nicht. Hat der Antrag nach §
346 Abs. 2 StPO Erfolg, ist der nämlich gegenstandslos.
Schweigen ist Gold, Reden ist Silber, wer kennt als
Strafverteidiger den Spruch nicht?. Und er beschäftigt ja auch immer
wieder die Rechtsprechung. Dann geht es aber meistens um die Frage, dass der
Beschuldigte zu früh oder zu viel "geredet" und er sich "um Kopf und
Kragen geredet" hat. In dem
OLG
Hamm, Beschl. v. 08.04.2014 (1 RVs 104/13) geht es nun nicht um die
Problematik, aber auch um ein zu Viel, und zwar um zu viel "Gerede" in
der Revision zur Begründung der Sachrüge. Der Verteidiger hatte die
von ihm erhobene Sachrüge zunächst mit der allgemeinen Rüge
begründet, aber mitgeteilt, dass weitere Ausführungen folgen. Und die
folgten dann. Aus ihnen ergab sich nach Auffassung des OLG Hamm (a.a.O.)
jedoch, dass mit der als Sachrüge" bezeichneten Rüge
tatsächlich nicht die fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts (§ 337
StPO) auf den festgestellten Sachverhalt behauptet werden sollte oder dass aus
dem Urteil selbst hervorgehende Feststellungsmängel wie Widersprüche,
Unklarheiten oder Verstöße gegen die Denkgesetze, die ebenfalls mit
der Sachrüge hätten beanstandet werden können, geltend werden
sollten, sondern dass das Beweisergebnis, zu dem die Strafkammer gelangt ist,
sowie die darauf basierenden Urteilsfeststellungen selbst in Frage gestellt
werden sollten. Denn das Vorbringen des Verteidigers erschöpfte sich
ausschließlich in unzulässigen Angriffen gegen die
Beweiswürdigung des LG in dem angefochtenen Urteil.
Hinweis:
Mit Ausführungen zur Beweiswürdigung muss der
Verteidiger also auf jeden Fall vorsichtig sein bzw. deutlich machen, dass bei
der Begründung der allgemeinen Sachrüge die zunächst allgemein
erhobene Sachrüge durch die Ausführungen nicht eingeschränkt
werden, sondern allgemein erhoben bleiben soll und die Ausführungen nur
"erläuternd" oder "insbesondere" gemacht werden.
Für manche Fehler in landgerichtlichen Entscheidungen hat man
nur wenig Verständnis. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um
Anfängerfehler handelt. Ein solcher liegt m.E.
der Aufhebung eines Urteils des LG Stralsund durch den
BGH, Beschl. v. 20.03.2014 (3 StR 353/13) zugrunde. Das LG
hatte seine Überzeugung von den getroffenen Feststellungen in erster Linie
aufgrund der Angaben eines Zeugen W. gewonnen. Dieser machte zu allen vom LG
abgeurteilten Fällen Angaben, die die schweigenden Angeklagten des
Verfahrens belasteten. Zu einem Fall der Urteilgründe gab er u.a. an,
einem Auftrag des Angeklagten L. entsprechend den Angeklagten B. am Tag der
gefährlichen Körperverletzung, dem 6. 7. 2012, von D. nach S. in die
Nähe des Tatorts gefahren zu haben. Die dem entgegenstehenden Angaben der
Eltern des Angeklagten B., dieser habe sich zur Tatzeit auf dem elterlichen
Grundstück aufgehalten, hat das LG als vorsätzliche Falschaussage
gewertet. Diesen Schluss hat sie vor allem aus dem langen, von
beiden elterlichen Zeugen nicht plausibel erklärten Schweigen zum Alibi
ihres Sohnes gezogen. Es widerspräche jeglicher Lebenserfahrung, dass
Eltern einen entlastenden Umstand gegenüber den
Strafverfolgungsbehörden verschweigen und ihren Sohn über sechs
Monate in Untersuchungshaft verbringen lassen. Auf Frage, warum sie diese
Angaben nicht früher gemacht habe, habe die Mutter des Angeklagten B. mit
der Gegenfrage geantwortet, warum man sie nicht früher gefragt habe.
Der BGH (a.a.O.) sieht diese Würdigung zutreffend
als rechtsfehlerhaft an: Die Eltern eines Angeklagten seien zur Aussage
nicht verpflichtet (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Der unbefangene Gebrauch
dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der
verweigerungsberechtigte Zeuge die Prüfung und Bewertung der Gründe
für sein Aussageverhalten befürchten müsste (s. schon BGHSt 22,
113, 114). Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der nur
anfänglichen Zeugnisverweigerung dem Angeklagten nachteilige Schlüsse
gezogen werden (BGH NStZ 1985, 87). Letzterem stehe es gleich, wenn es ein zur
Zeugnisverweigerung Berechtigter zunächst unterlasse, von sich aus Angaben
zu machen (BGH NStZ 1987, 182, 183). Einer Würdigungzugänglich sei allein das nurteilweiseSchweigen des Zeugen zur Sache (BGHSt 34, 324, 327 ff.).
Hinweis:
Ergibt sich der Beweiswürdigungsfehler aus den
Urteilsgründen selbst, ist der Fehler auf die Sachrüge
hin zu beachten (vgl. zum Schweigen des Angeklagten BGH NStZ 1997, 147;
KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 337 Rn. 30).
Auch im Bußgeldverfahren stellt sich immer wieder die Frage
der Zulässigkeit einer Durchsuchung (§§ 98, 102, 106 StPO i.V.m.
§ 46 OWiG). Deshalb ist auf den LG Berlin (Beschl. v. 16. 4. 2014 - 510 Qs
49/14), hinzuweisen, der eine Durchsuchung im Bußgeldverfahren zumindest
dann zur weiteren Aufklärung von Ordnungswidrigkeiten als zulässig
ansieht, wenn es sich um den Verdacht eines wiederholten und hartnäckigen
Gesetzesverstoßes handelt. Das entspricht im Wesentlichen der h.M. in der
Rechtsprechung. Allerdings wird in der Rechtsprechung, vor allem der des
BVerfG, bei Durchsuchung und Beschlagnahme in Bußgeldverfahren besonderer
Wert auf die Prüfung der
Verhältnismäßigkeit gelegt (vgl. dazu EGMR
NJW 2006, 1495; BVerfG HRRS 2005, 313; vgl. auch oben II,
1)). Hinzuweisen ist auf BVerfG StraFo 1999, 192 betreffend
einen geringfügigen Verstoß gegen das AuslG oder auf BVerfG
NJW 2006, 3411 betreffend geringfügige Verkehrs-OWi
(Parkverstöße) mit Geldbußen von je 15,00 (vgl.
auch noch LG Erfurt zfs 2006, 349; LG Zweibrücken
NZV 1999, 222 und AG Landau NStZ-RR 2002, 220 [keine
Durchsuchung bei geringfügiger OWi]; VRS 102, 378 [geständiger
Betroffener]); Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das
straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2012, Rn.
601 ff.). Auch stellt das BVerfG (wistra 2008, 339)
erhöhte Anforderungen an die Stärke des Tatverdachts, wenn wegen
einer OWi durchsucht werden soll, für die nur ein niedriges Ordnungsgeld
von 10.000 in Betracht kommt.
Hinweis:
Inwieweit diese Vorgaben vom LG Berlin beachtet worden sind,
lässt sich anhand der nur fragmentarisch mitgeteilten Sachverhaltes nicht
beurteilen. Allerdings erscheint im entschiedenen eine Geldbuße in
Höhe von 10.000 nicht sehr wahrscheinlich. Dem Betroffenen wurden
lediglich (mehrfache) Verstöße gegen die Gewerbeordnung sowie das
Berliner Straßengesetz zur Last gelegt.
In der Rechtsprechung der OLG ist vor einiger Zeit die Frage
diskutiert worden, ob im Bußgeldverfahren ein rechtlicher Hinweis (§
265 StPO) erteilt werden muss, wenn die im Bußgeldbescheid festgesetzte
Geldbuße erhöht werden soll. Das hatten das OLG Hamm (VRR 2010, 75 =
DAR 2010, 99 m. abl. Anm. Sandherr = StRR 2010, 224 = DAR 2009, 99 ) und das
OLG Jena (VRS 112, 330) bejaht. Anders haben das das OLG Stuttgart (DAR 2010,
590 = VA, 11 52) und das OLG Bamberg (DAR 2011, 214 = VRR 2011, 155 = zfs 2011,
232) gesehen. Vor kurzem hat jetzt das KG (vgl. Beschl. v. 10. 3. 2014 3
Ws (B) 78/14) (auch) darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft sei, ob der
Bußgeldrichter entsprechend § 265 StPO einen Hinweis erteilen muss,
wenn er beabsichtigt, die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße
zu.
Das KG hat die Frage dann aber letztlich offen gelassen.
Denn der Verteidiger hatte die behauptete Verletzung des rechtlichen
Gehörs nicht in zulässiger Weise über die Verfahrensrüge
begründet (§§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2
StPO). Dazu verweist das KG auf OLG Stuttgart VRR 2013, 473, wonach die
ordnungsgemäße Erhebung der Verfahrensrüge der Verletzung des
rechtlichen Gehörs auch der Darlegung der mit dem Bußgeldbescheid
übermittelten Rechtsbehelfsbelehrung bedarf.
Hinweis:
Das ist m.E. zweifelhaft. Was soll die mit der
Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs in der
Hauptverhandlung zu tun haben? Dafür bleibt das KG eine Begründung
schuldig. Der Verweis auf die Entscheidung des OLG Stuttgart (a.a.O.)
bringt nichts. Denn auch da ist dieser Begründungsaufwand nicht
ausreichend begründet, sondern nur behauptet gewesen. Man sieht aber mal
wieder, wie schnell sich solche Dinge verselbständigen.
3. Keine Zustellungsvollmacht durch Vorlage
einer Blankovollmacht
Für die Frage der wirksamen Zustellung des
Bußgeldbescheides an den Verteidiger ist für die Unterbrechung der
Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG von Bedeutung. Hat der
Verteidiger/Rechtsanwalt nämlich keine (Zustellungs)Vollmacht
(§§ 145a StPO, 51 Abs. 3 OWiG), ist die an ihn bewirkte Zustellung
nicht wirksam und hat die Verjährung nicht unterbrochen. Wenn dann
Verfolgungsverjährung eingetreten ist, muss das Verfahren eingestellt
werden (vgl. zu den Vollmachtsfragen Burhoff, EV, Rn. 3245; Burhoff, HV.
3402 ff. und Stephan in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das
straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., 2012, Rn. 2785 ff.; zu
den Verjährungsfragen Gutt/Krenberger DAR 14, 187).
Hinweis:
Die Vorlage einer sog. "Blankovollmacht" eines
Rechtsanwalts in einem Bußgeldverfahren, in der lediglich die Anschrift
der Kanzlei im Kopf der Vollmacht angegeben, jedoch keine Rechtsangelegenheit
benannt ist, für die die Vollmacht erteilt wurde, führt nicht zu
einer wirksamen Zustellungsvollmacht i.S.d. §§ 145a StPO, 51 Abs. 3
OWiG (AG Diez, Beschl. v. 21. 3. 2014 - 11 Owi 69457/13; vgl. auch noch zuletzt
auch AG Neuruppin VRR 2013, 397 = StRR 2013, 233 = VA 2013,
123).
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