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aus Prozessrecht Aktiv (PAK) 2002, 109

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "PAK" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PAK" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)


StPO: Berufungsverwerfung

Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin

von RiOLG Detlef Burhoff, Ascheberg/Hamm

Die Verwerfung der Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung tritt in der Praxis häufig auf. Der Verteidiger muss, wenn sein Mandant in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist und das Gericht die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verwerfen will bzw. verworfen hat, Folgendes beachten:

1. Sind die Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil gegeben?

Voraussetzungen eines Verwerfungsurteils sind zunächst:

Ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten in der durch § 216, § 323 Abs. 1 S. 1 StPO vorgeschriebenen Form. Die Ladung muss insbesondere den Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens enthalten.

Praxishinweis: Ist die Ladungsfrist nicht eingehalten, hindert das die Verwerfung der Berufung nicht (BGHSt 24, 143, 154). Um einen Ladungsmangel handelt es sich aber, wenn die Terminsladung eine widersprüchliche Zeitangabe enthält (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 75) oder das Verfahren, in dem verhandelt werden soll, nicht angegeben ist (OLG Hamburg NStZ-RR 98, 183).

Ausbleiben des Angeklagten bei Beginn der Hauptverhandlung, also nach § 324, § 243 Abs. 1 S. 2 StPO bei Aufruf der Sache.

Das Gericht darf die Berufung nicht unmittelbar nach Beginn der Hauptverhandlung verwerfen, sondern muss damit eine angemessene Zeit (mindestens 10 bis 15 Minuten) warten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 329 Rn. 13; zuletzt OLG Düsseldorf NStZ-RR 01, 303). Ist eine Verspätung angekündigt, muss das Gericht ggf. auch länger warten (OLG Hamm NStZ-RR 97, 368; OLG Köln NZV 97, 494).

Praxishinweis: Streitig ist in der Rechtsprechung, wann die Wartezeit beginnt. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf beginnt sie mit der angesetzten Terminszeit (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Großzügiger ist insoweit das OLG Frankfurt, das auf den tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung mit dem Aufruf der Sache abstellt (OLG Frankfurt NStZ-RR 01, 85). Dieser Streit hat Auswirkungen auf die Begründung des Rechtsmittels gegen die Verwerfungsentscheidung (siehe dazu unten 3.).

2. Liegt eine ausreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen vor?

Die Berufung darf nicht verworfen werden, wenn das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Angeklagte genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (st.Rspr. der Obergerichte, u.a. OLG Hamm 8.8.00, 5 Ws 159/00 bzw. 5 Ss 789/00, "Verkehrsrecht Aktuell" 01, 10, Abruf-Nr. 001320; BayObLG StV 01, 338). Das Gericht hat dazu eine Aufklärungspflicht (BayObLG NJW 98, 172; OLG Hamm NStZ-RR 98, 233; OLG Karlsruhe StraFo 99, 25), der es im Wege des Freibeweises, allerdings nur mit sofort zur Verfügung stehenden Beweismitteln, nachkommen muss (BayObLG StV 01, 338). Ist also zum Beispiel der Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung nicht eindeutig, muss sich das Gericht telefonisch bei dem ausstellenden Arzt erkundigen, ob der Angeklagte verhandlungsunfähig ist (BayObLG, a.a.O.; so auch OLG Hamm 8.8.00, a.a.O.).

Maßgebend für eine ausreichende Entschuldigung ist, ob dem Angeklagten wegen des Nichterscheinens ein Vorwurf (auch subjektiv!) gemacht werden kann (st.Rspr., u.a. OLG Brandenburg NJW 98, 842). Insoweit dürfen aber keine überspannten Anforderungen an den Angeklagten gestellt werden (dazu OLG Hamm 8.8.00 und v. 5.9.00, a.a.O.).

§ 329 Abs. 1 StPO ist nämlich eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die eine weite Auslegung zu Gunsten des Angeklagten gebietet (BayObLG StV 01, 338).

 

Der Angeklagte hat hinsichtlich des Termins auf eine falsche Auskunft seines Verteidigers (OLG Hamm NStZ-RR 97, 113; OLG Köln NStZ-RR 97, 208) bzw. der Geschäftsstelle des Gerichts (OLG Zweibrücken NStZ-RR 00, 111) vertraut.

Der Angeklagte ist rechtzeitig abgefahren, hatte dann aber unterwegs eine Panne (OLG Hamm VRS 97, 44; OLG Karlsruhe NJW 73, 1515).

Der Angeklagte erscheint wegen Verkehrsstörungen zu spät. Allerdings darf die Reisezeit nicht von vornherein zu knapp bemessen sein. Er muss außerdem eine ausreichende Zeitreserve einkalkuliert haben (OLG Bamberg NJW 95, 740; OLG Hamm NZV 97, 493).

Der Angeklagte musste bedeutende und unaufschiebbare berufliche und/oder private Angelegenheiten regeln (Fliesenlegearbeiten aus Gefälligkeit reichen nicht aus, OLG Karlsruhe VRS 89, 130).

Der Angeklagte befindet sich am Terminstag im schon vor Erhalt der Ladung zum Termin gebuchten Urlaub (OLG Düsseldorf NJW 73, 109; KG GA 73, 29).

Der Angeklagte ist so schwer erkrankt, dass ihm nach der Art und den Auswirkungen der Krankheit eine Beteiligung in der Verhandlung unzumutbar ist (OLG Düsseldorf NStZ 84, 331, Abszess in der Mundhöhle; OLG Hamm NStZ-RR 98, 218, eiternde Entzündungen).

Der Angeklagte hat etwa vier Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen im Termin gestellt, über den vor der Hauptverhandlung nicht rechtzeitig entschieden worden ist (OLG Karlsruhe zfs 99, 538).

Der Antrag des Angeklagten auf Entbindung von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung ist trotz Vorliegen der Voraussetzungen abgelehnt worden (KG zfs 99, 536).

Der Angeklagte befindet sich in anderer Sache in Haft (streitig; wie hier: OLG Braunschweig NStZ 02, 163; OLG Düsseldorf StraFo 01, 260 für Widerstandsleistung bei polizeilicher Festnahme in anderer Sache und dabei erlittene Verletzungen). Lehnt der Angeklagte die Vorführung zu der Hauptverhandlung ab, kann sein Nichterscheinen entschuldigt sein, wenn es ihm verweigert worden ist, in eigener Kleidung an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Darin kann eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG liegen (BVerfG NJW 00, 1399).

Der Angeklagte ist umgezogen und wohnt nicht mehr unter der Anschrift, unter der er geladen worden ist, so dass die Terminsladung unwirksam ist (KG 3.3.99, 1 AR 184/99, 5 Ws 115/99).

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Eine Krankheit muss der Angeklagte glaubhaft machen, in der Regel durch Vorlage eines ärztlichen Attests (OLG Düsseldorf StraFo 00, 126). Allein aus dessen Nichtvorliegen ist aber nicht zu schließen, dass der Entschuldigungsgrund nicht der Wahrheit entspricht (OLG Hamm NStZ-RR 97, 240).

Der Verteidiger sollte das Attest vor Einreichung bei Gericht prüfen: Es sollte einen Hinweis auf die Art und Schwere der Erkrankung enthalten und dem Gericht die erforderliche Überprüfung ermöglichen, ob der Arzt die Frage der Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit des Angeklagten zutreffend beantwortet hat.

Praxishinweis: Es ist nicht erforderlich, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig ist (OLG Karlsruhe NJW 95, 2571; OLG Düsseldorf StraFo 00, 126). Es reicht, dass er nicht reisefähig ist (OLG Düsseldorf StV 94, 364).

Das Ausbleiben kann auch unverschuldet sein, wenn der Angeklagte eine seine Verhandlungsunfähigkeit beseitigende Therapie zwar ablehnt, diese aber auf Grund erheblicher Eingriffe in seine körperliche Integrität oder seine Persönlichkeitsrechte unterlässt (BayObLG StV 01, 336).

3. Was ist zu tun, wenn das Gericht die Berufung verworfen hat?

Dem Angeklagten/Verteidiger stehen sowohl der Wiedereinsetzungsantrag (§ 329

Abs. 3 StPO) als auch die Revision als Rechtsmittel zur Verfügung. Es empfiehlt sich, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen, beide einzulegen. Wird Wiedereinsetzung gewährt, ist die Revision allerdings gegenstandslos.

Bei der Begründung der Rechtsbehelfe muss der Verteidiger die unterschiedliche Angriffsrichtung seiner Rechtsmittel berücksichtigen:

Mit der Revision kann nur eine Verletzung des § 329 StPO geltend gemacht werden, also z.B., dass das Gericht nicht alle erkennbaren Entschuldigungsgründe zu Grunde gelegt oder dass es den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" verkannt hat (OLG Hamm StV 97, 347; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rn. 48 m.w.N.). Die Revision unterliegt den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Es müssen also alle Umstände vorgetragen werden, aus denen sich der Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts ergeben soll (vgl. aber OLG Dresden NJW 00, 3295, Sachrüge ggf. ausreichend; s. auch BGHSt 46, 230).

Der Verteidiger muss prüfen, ob sich das Verwerfungsurteil mit den vom Angeklagten vor der Hauptverhandlung vorgebrachten Entschuldigungsgründen ausreichend auseinandersetzt. Das Urteil muss diese anführen, sich damit auseinandersetzen und erkennen lassen, weshalb das Vorbringen des Angeklagten nicht als Entschuldigungsgrund angesehen worden ist (st.Rspr. der Obergerichte, OLG Frankfurt StV 88, 100; StraFo 00, 311; OLG Dresden NJW 00, 3295; OLG Rostock StraFo 01, 417).

Soll geltend gemacht werden, dass die Berufung zu früh verworfen worden ist, muss dies ebenfalls unter Beachtung der strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO begründet werden. Stellt man für den Beginn der Wartezeit auf die angesetzte Terminszeit ab, muss diese in der Rechtsmittelbegründung angegeben werden. Anderenfalls droht die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig (OLG Düsseldorf NStZ-RR 01, 303).

Wird geltend gemacht, dass der Verteidiger nicht zur Berufungshauptverhandlung geladen worden ist, müssen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass der er im Fall der Ladung die gerichtliche Entscheidung zu Gunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können (BayObLG NStZ-RR 01, 375). Dazu gehört vor allem der Vortrag, dass dem Verteidiger Entschuldigungsgründe bekannt waren, die er zu Gunsten des Angeklagten hätte vortragen können (BayObLG, a.a.O.).

Mit einem Wiedereinsetzungsantrag richtet sich der Verteidiger hingegen gegen die "Versäumung der Berufungshauptverhandlung". Nur mit diesem können nachträglich Entschuldigungsgründe geltend gemacht werden (KG GA 73, 29; OLG Frankfurt NJW 74, 1151). Die Entschuldigungsgründe müssen "neu", also dem Berufungsgericht noch nicht bekannt sein (OLG Hamm NStZ-RR 97, 368; OLG München NStZ 88, 377). Es genügt daher nicht, im Wiedereinsetzungsantrag die in der Hauptverhandlung vorgebrachten Entschuldigungsgründe nur zu wiederholen. Wiedereinsetzung kann im Übrigen auch dann beansprucht werden, wenn wegen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Ladung der Angeklagte überhaupt nicht säumig war, ein Verwerfungsurteil also gar nicht hätte ergehen dürfen (OLG Köln NStZ-RR 02, 142, OLG Hamburg NStZ-RR 01, 302).

Praxishinweis: Der Verteidiger muss darauf achten, dass der Wiedereinsetzungsantrag den Anforderungen von § 44, § 45 Abs. 2 StPO entspricht. Dazu gehört auch, dass alle Tatsachen, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, bereits innerhalb der Antragsfrist dargelegt werden (OLG Köln, a.a.O., m.w.N.).


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