aus ZAP Heft 24/2004, Fach 22 R, S. 361
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm
Diese Programme sind vor kurzem von ZIMMER/SCHMITT/HERBOLD auf ihre Tauglichkeit untersucht worden (BA 2004, 203). Als Resultat lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse der Berechnungen lediglich als Anhaltspunkte dienen können, da z. B. Angaben zum Trinkverhalten von keinem der Programme berücksichtigt werden. Der Verteidiger kann also wegen der individuellen Begutachtung der Alkoholwirkung, der Fahrtüchtigkeit und auch der Schuldfähigkeit auf die Inanspruchnahme eines Sachverständigen nicht verzichten.
Das BVerfG betont in seiner Rechtsprechung, insbesondere in seiner Entscheidung v. 20. 2. 2001 (2 BvR 1440/00, u. a. NJW 2001, 1121; dazu auch BURHOFF, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 539 f. [im folgenden kurz: BURHOFF, EV]), nicht nur immer wieder den Richtervorbehalt (vgl. dazu u. a. BURHOFF ZAP F. 22 R, S. 268 f., 288 f., 321), sondern wiederholt auch immer wieder die Forderung, dass die richterliche Durchsuchungsanordnung keine bloße Formsache sein dürfe. Das Grundgesetz verlange vielmehr eine eigenverantwortliche richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen. Deshalb müsse der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, aber doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Noch deutlicher ist das BVerfG in einem Beschl. v. 23. 1. 2004 geworden (2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143). Dort heißt es: Es ist Aufgabe und Pflicht des Richters, "sich eigenverantwortlich ein Urteil zu bilden und nicht etwa nur die Anträge der Staatsanwaltschaft nach einer pauschalen Überprüfung gegenzuzeichnen. Zur richterlichen Einzelentscheidung gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Angemessenheit des Eingriffs im konkreten Fall. Schematisch vorgenommene Anordnungen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht."
Diese Rechtsprechung erfordert die Beschreibung eines konkreten Tatgeschehens (BVerfG StV 2003, 203 f.). Es reicht also allein eine Tatbeschreibung, wie z. B. der Beschuldigte habe "Betäubungsmittel erworben bzw. mit diesen Handel getrieben", ebenso wenig (BVerfG, a. a. O.; StV 2003, 2005; vgl. aber NStZ 2004, 160 und auch Beschl. v. 19. 7. 2004 2 BvR 868/04) wie bei einem Insolvenzstrafverfahren die bloße Nennung des angenommenen Straftatbestandes der Insolvenzverschleppung (BVerfG, Beschl. v. 8. 4. 2004 2 BvR 1821/03). Entsprechendes gilt bei Steuerdelikten. Hier reicht ebenfalls allein die Angabe "Steuerhinterziehung" im Durchsuchungsbeschluss nicht (BVerfG NJW 2002, 1941 = wistra 2002, 298; s. dazu auch LG Berlin wistra 2004, 319). Erforderlich sind vielmehr Angaben zu den betroffenen Steuerarten und Veranlagungszeiträumen (BVerfG, Beschl. v. 20. 4. 2004 2 BvR 2043/03, PStR 2004, 176; StV 2000, 465 f.). Auch genügt nicht lediglich die Mitteilung des Umstandes der Inhaberschaft von Tafelpapieren und deren Einlieferung zur Verwahrung in ein Depot (BVerfG, Beschl. v. 20. 4. 2004, a. a. O., unter Hinweis auf BFH NJW 2000, 3157). Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn konkrete Hinweise auf anonymisierte Geldüberweisungen ins Ausland vorliegen (BVerfG NStZ 2002, 371; zu Tafelgeschäften vgl. PARK, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn. 38 und BURHOFF, EV, Rn. 536 m. w. N. aus der Rspr.).
Tipp/Hinweis: In dem Zusammenhang darf allerdings nicht übersehen werden, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG die Umschreibung des Tatverdachts immer nur so genau erfolgen muss, "wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist" (BVerfGE, 42, 212, 220; zuletzt Beschl. v. 19. 7. 2004 2 BvR 868/04 m. w. N.). Die mögliche Umschreibung muss aber erfolgen und darf nicht nur durch bloße Schlagworte ersetzt werden (vgl. Beschl. v. 19. 7. 2004 2 BvR 1052/04). So kann, wenn die den Ermittlungsbehörden vorliegenden Hinweise keine weiteren Angaben enthalten für die Angabe des Tatvorwurfs beim BtM-Delikt reichen: "unerlaubter Erwerb und unerlaubtes Abgeben von Rauschgift" (Beschl. v. 19. 7. 2004 2 BvR 868/04). Geht der Durchsuchungsbeschluss (noch) von Beihilfe aus, die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts dann aber von Anstiftung, so hat diese "Umwertung der Teilnahmeform" keine Auswirkungen auf die Frage der ausreichenden Konkretisierung (BVerfG, Beschl. v. 19. 7. 2004 2 BvR 1052/04). |
Die Fragen des Verfalls und die damit zusammenhängenden sichernden Maßnahmen gewinnen in der Praxis, wie die zunehmende Zahl der veröffentlichten Entscheidungen zeigt, immer mehr an Bedeutung. Damit hatte sich vor kurzem auch das BVerfG zu beschäftigen (vgl. BVerfG StV 2004, 411 = NJW 2004, 2443 = PStR 2004, 199 = StraFo 2004, 309 m. Anm. KEMPF StraFo 2004, 299).
Gegen den Beschuldigten wurde wegen verbotener Insidergeschäfte und Kursbetrugs ermittelt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft beschloss das AG Augsburg 2001 ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers die Anordnung des dinglichen Arrests in dessen Vermögen i. H. v. rund 2,1 Mio DM. In Vollziehung des Arrestbeschlusses wurden Konten des Beschwerdeführers bei verschiedenen Banken gepfändet. Der dingliche Arrest und die Pfändung betrafen fast das gesamte Vermögen des Beschwerdeführers. Dem Beschuldigten, gegen den das Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich gegen Zahlung einer Geldbuße von 500 nach § 153a StPO eingestellt worden ist, wurde insbesondere auch im Beschwerdeverfahren vom LG Augsburg keine Akteneinsicht gewährt.
Das BVerfG (a. a. O.) hat seine Verfassungsbeschwerde als begründet angesehen. Es hat ausdrücklich (noch einmal) darauf hingewiesen, dass dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gerade dann besondere Bedeutung zukomme, wenn Eingriffsmaßnahmen vom Gericht im strafprozessualen Ermittlungsverfahren ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet werden (§ 33 Abs. 4 StPO). Dann sei das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren. Die Sicherung gefährdeter Interessen könne es im Ermittlungsverfahren zwar gebieten, den Betroffenen vor der Anordnung einer Eingriffsmaßnahme nicht anzuhören, um ihn nicht zu warnen (vgl. § 33 Abs. 4 S. 1 StPO). Dies sei bei Einschaltung eines Richters grundsätzlich als tragbar anzusehen. Rechtliches Gehör könne und müsse dann aber nachträglich gewährt werden. Der dingliche Arrest zur Sicherung des Verfalls von Vermögensteilen und dessen Vollziehung durch Pfändungsmaßnahmen füge dem Betroffenen einen erheblichen Nachteil zu. Für die Zeit der Aufrechterhaltung der Maßnahme sei seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit gravierend beeinträchtigt. Daher sei dem Betroffenen bereits zu dem Rechtseingriff im Arrestverfahren und nicht erst zur endgültigen (Verfall-) Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Da ein "in camera"-Verfahren mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbar sei, dürfe eine dem Betroffenen nachteilige Gerichtsentscheidung jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nur auf der Grundlage solcher Tatsachen und Beweismittel getroffen werden, über die dieser zuvor sachgemäß unterrichtet wurde und zu denen er sich äußern konnte.
Tipp/Hinweis: Die Entscheidung ist über die Frage der Gewährung von rechtlichem Gehör in den (behandelten) Fällen des dinglichen Arrestes deshalb für die Praxis von allgemeiner Bedeutung, weil das BVerfG ausdrücklich auf seine Rechtsprechung und die des EGMR in Haftfällen Bezug nimmt (BVerfG NJW 1994, 3219 f.; EGMR NJW 2002, 2013 f.; vgl. dazu BURHOFF, EV, Rn. 98 ff. m. w. N.). Danach darf die Entscheidung nur auf solche Umstände gestützt werden, die dem Beschuldigten bekannt sind. Das BVerfG (a.a.O.) hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Akteneinsicht ggf. im Nachverfahren nach § 33a StPO gewährt werden muss (zur ab dem 1. 1. 2005 geplanten Änderung/Erweiterung des § 33a StPO durch das sog. Anhörungsrügengesetz vgl. BT-Drucks. 15/3706). |
Die Auswahl des Pflichtverteidigers steht nach § 142 Abs. 1 StPO im Ermessen des Vorsitzenden (vgl. dazu BURHOFF, EV, Rn. 1192 m. w. N.). Dieser ist nach § 142 Abs. 1 S. 2 und 3 StPO allerdings gehalten, den von dem Beschuldigten gewünschten Verteidiger zu bestellen, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen. Die Fürsorgepflicht des Vorsitzenden kann es jedoch im einzelnen verbieten, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, der die Verteidigung wegen eines Interessenkonfliktes möglicherweise nicht mit vollem Einsatz führen kann. Das kann z. B. der Fall sein, wenn zwei derselben Taten als Mittäter beschuldigte Angeschuldigte durch Anwälte verteidigt werden, die einer Sozietät angehören, weil dann grundsätzlich die Möglichkeit eines Interessenkonfliktes besteht (OLG Hamm, Beschl. v. 1. 6. 2004 2 Ws 156/04). Der Vorsitzende ist allerdings nicht allein deshalb gehalten, die Bestellung von Sozietätsmitgliedern zu Pflichtverteidigern zu unterlassen, weil § 3 Abs. 1, 2 BORA die gleichzeitige Verteidigung von derselben Tat mitbeschuldigten Mitangeklagten durch Sozietätsmitglieder als Interessenkonflikt wertet. Die Einhaltung berufsrechtlicher Pflichten ist nämlich zunächst allein dem Rechtsanwalt und damit auch dem Pflichtverteidiger überantwortet, der als selbständiges Organ der Rechtspflege an dem Ablauf des Strafverfahrens mitwirkt. Folglich stellt die allgemeine Möglichkeit eines Interessenkonfliktes bei als Mittäter verfolgten Angeschuldigten, die derselben Taten beschuldigt werden, noch keine ausreichende Grundlage dar, von dem Grundsatz abzugehen, wonach dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens beizuordnen ist (OLG Hamm, a. a. O.).
Tipp/Hinweis: Diese in der Praxis recht häufige Problematik war auch schon Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Dazu wird verwiesen auf die Entscheidung des BVerfG v. 14. 10. 1997 (vgl. StV 1998, 356 f.). Dort hat das BVerfG eine Grundrechtsverletzung mit dem Hinweis verneint, dass die Berücksichtigung eines Interessenkonfliktes sachgemäß sei und nicht gegen das Willkürverbot verstoße. Der BGH hat die Problematik in einer Entscheidung v. 3. 12. 1991 (vgl. StV 1992, 406) behandelt. Er hat einen konkreten Interessenwiderstreit des beigeordneten Verteidigers bejaht, weil dieser zuvor für die Geschädigten im Rahmen der Schadensregulierung gegenüber dem Beschuldigten tätig geworden war. |
Die Verlesung von Protokollen über einen Atemalkoholtest im Wege des Urkundenbeweises in der Hauptverhandlung ist die Regel (allgemein zum Urkundenbeweis BURHOFF, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl., 2003, Rn. 884 ff. [im folgenden kurz: BURHOFF, HV]). Fraglich ist, inwieweit das ggf. dem Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO widerspricht.
Nach Auffassung des BGH (Beschl. v. 20. 7. 2004 1 StR 145/04, StraFo 2004, 382) können Protokolle über Atemalkoholtests Gegenstand des Urkundenbeweises sein. Die StPO sieht zur Beweiserhebung über den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung gem. § 249 Abs. 1 StPO vor. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit ist bei der Verlesung des Protokolls über einen Atemalkoholtest nicht gegeben. Für die Anwendung des und einen Verstoß gegen § 250 StPO ist entscheidend, dass es sich um den Beweis eines Vorgangs handelt, dessen wahrheitsgemäße Wiedergabe nur durch eine Person möglich ist, welche ihn mit einem oder mehreren ihrer fünf Sinne wahrgenommen hat. Daran fehlt es nach der Rechtsprechung des BGH z.B. bei der maschinellen Herstellung von kaufmännischen Buchungsstreifen (vgl. BGHSt 15, 253, 255), bei den Niederschriften über Tonbandaufzeichnungen (vgl. BGHSt 27, 135, 137) und bei EDV-Ausdrucken (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 67, 71). Dasselbe gilt nach Auffassung des BGH (Beschl. v. 20. 7. 2004, a. a. O.) für das von einem Testgerät ausgedruckte Protokoll über das Ergebnis einer Atemalkoholmessung, wenn es allein um das Ergebnis des Tests als Teil des Urkundeninhalts geht, den das Gericht verwerten will. Der Bediener des Testgerätes hat zwar auch das Messergebnis wahrgenommen und könnte darüber berichten. Jedoch handelt es sich bei der Durchführung eines solchen Tests wie bei den übrigen Beispielsfällen um eine mechanische Verrichtung, die erfahrungsgemäß keinen bleibenden Eindruck in der Erinnerung der damit befassten Person hinterlässt, so dass das verlässlichere Beweismittel im Hinblick auf das Ergebnis i. d. R. die Urkunde ist.
Tipp/Hinweis: Der BGH hat erneut (vgl. auch schon BGH NStZ-RR 2002, 67, 71) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es eine Frage der Aufklärungspflicht ist, ob sich das Tatgericht mit der Verlesung der Urkunde begnügen darf. Bestehen z. B. Zweifel an der Richtigkeit des Zustandekommens eines Messergebnisses, so können im Rahmen der Aufklärungspflicht weitere Beweiserhebungen angezeigt sein. Es ist Aufgabe des Verteidigers, auf diese Zweifel bzw. Mängel in der Hauptverhandlung hinzuweisen. Dazu muss ein Beweisantrag gestellt werden. Wird dieser abgelehnt, kann das in der Revision mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden. Außerdem kann der Angeklagte die Aufklärungsrüge erheben. Bei deren Begründung sind die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zu beachten. |
Die mit der Erteilung eines rechtlichen Hinweises nach § 265 StPO zusammenhängenden Fragen sind an sich strafprozessuales Alltagsgeschäft. Dennoch werden in diesem Bereich von den Tatgerichten immer wieder Fehler gemacht, die dann zur Aufhebung des Urteils durch den BGH führen (allgemein zum rechtlichen Hinweis BURHOFF, HV, Rn. 551 ff.). Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Frage, wann überhaupt ein rechtlicher Hinweis erteilt werden muss und die, welchen Inhalt der Hinweis haben muss.
a) Notwendigkeit eines rechtlichen Hinweises
Nach § 265 Abs. 1 StPO darf ein Angeklagter nicht aufgrund eines anderen Strafgesetzes als in der zugelassenen Anklage aufgeführt verurteilt werden, ohne auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen worden zu sein. Ein rechtlicher Hinweis ist also immer dann erforderlich, wenn von der zugelassenen Anklage abgewichen werden soll. Aus der Rechtsprechung der letzten Zeit ist auf folgende Entscheidungen hinzuweisen (vgl. im übrigen BURHOFF, HV, a. a. O.):
b) Inhalt des rechtlichen Hinweises
Der Inhalt des rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO richtet sich nach dem konkreten Einzelfall. Er genügt nur dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn er es dem Angeklagten ermöglicht, die Verteidigung auf den neuen Gesichtspunkt einzurichten. Erfolgt z. B. der Hinweis dahin, es komme in Abweichung zur zugelassenen Anklage, die von Totschlag ausgegangen war, Mord nach § 211 StGB in Betracht, muss für den Angeklagten auch erkennbar sein, welches Mordmerkmal gemeint ist. Der Hinweis muss erkennen lassen, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Tat als erfüllt ansieht (BGH NStZ 1993, 200; StV 1998, 583; zuletzt Beschl. v. 21. 4. 2004 2 StR 363/03, StV 2004, 522). Der Hinweis muss den Angeklagten vor allem auch ausreichend darüber informieren, welche Tatsachen nach Auffassung des Gerichts Grundlage seiner neuen Bewertung sein könnten. Von einer ausdrücklichen Bezeichnung der Tatsachen darf nur dann abgesehen werden, wenn nach dem Inbegriff der bis dahin durchgeführten Hauptverhandlung kein Zweifel bestehen kann, an welche tatsächlichen Umstände der Hinweis anknüpft (BGH, a. a. O., m. w. N.).
Tipp/Hinweis: Die Erteilung eines rechtlichen Hinweises führt im Strafprozess zu einer schwierigen prozessualen Situation, in der der Verteidiger schnell reagieren muss. Er muss ggf. zunächst Unterbrechung der HV beantragen, um den erteilten Hinweis auf seine Vollständigkeit zu prüfen. Ggf. muss er beim Gericht Nachbesserung bzw. Erläuterung beantragen. Anderenfalls kann er später in der Revision nicht die Unvollständigkeit des Antrags rügen (vgl. BGH NJW 1998, 767). Hat sich die Sachlage durch den rechtlichen Hinweis so zuungunsten des Mandanten verändert, dass die Verteidigung neu gestaltet werden muss, muss der Verteidiger nach § 265 Abs. 3 StPO Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen. Diesem Antrag muss das Gericht nachkommen (BGHSt 48, 183, 189, 2003, 88; vgl. dazu BURHOFF ZAP F. 22 R, S. 287, 294). |
Die weite Verbreitung von Mobiltelefonen führt sicherlich auch zur Zunahme von Störungen durch den Betrieb, insbesondere durch das Klingeln der Geräte. Davor sind auch Gerichtsverhandlungen nicht gefeit. Um solche Störungen zu verhindern, werden zunehmend vor Sitzungssälen Aushänge angebracht, in denen es u. a. heißt: "Vor Betreten des Saals sind Handys abzuschalten! Bei Zuwiderhandlung droht Ordnungsgeld!" Wenn dennoch ein Handy klingelt, stellt sich die Frage, ob dann wegen Ungebühr ein Ordnungsgeld gegen den Eigentümer verhängt werden kann.
Dies hat das OLG Brandenburg in seinem Beschl. v. 21. 8. 2003 (3 W 41/03, NZV 2004, 213) verneint. Die Entscheidung ist zwar in einem Zivilverfahren ergangen, hat aber auch für das Strafverfahren Bedeutung, da es um die Anwendung der §§ 177, 178 GVG geht.
Das OLG hat die (allgemeine) Frage der Ungebühr i. S. d. § 178 Abs. 1 S. 1 GVG offengelassen. Es hat allerdings im Klingeln eines Mobiltelefons in einer abgestellten Aktentasche keine besonders grobe Verletzung der Ordnung der Sitzung gesehen, da es auch auf einem bloßen Versehen beruhen könne. Deshalb sei auch in diesen Fällen die nach allgemeiner Meinung vor Verhängung eines Ordnungsgeldes erforderliche Anhörung des Betroffenen notwendig (vgl. dazu auch OLG Hamm NStZ-RR 2001, 116 f.). Die wird auch nicht etwa durch den o. a. Aushang vor dem Gerichtssaal überflüssig. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Verfahrensbeteiligte diesen Hinweis auch zur Kenntnis nimmt.
Etwas anderes gilt, wenn während der Sitzung ein Telefonat mit dem Handy geführt wird. Nach Auffassung des OLG Hamburg (NJW 1997, 3452) macht sich ein Zeuge, der während einer Vernehmung entgegen der Weisung des Gerichts, das Gerät auszuschalten, einen Anruf auf seinem Handy entgegennimmt und den Sitzungssaal verlässt, um das Gespräch zu führen, einer Ungebühr i. S. v. § 178 GVG schuldig.
Zuletzt ist in ZAP F. 22 R, S. 307, 314 über den Rechtsmittelverzicht in der Hauptverhandlung berichtet worden. Die Frage, inwieweit mit einer angekündigten Haftentscheidung ggf. unzulässig auf den Angeklagten eingewirkt wird, was zur Unwirksamkeit eines danach erklärten Rechtsmittelverzichts führen kann, ist inzwischen (erneut) auch Gegenstand der Rechtsprechung des BGH gewesen (vgl. Beschl. v. 20. 4. 2004 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885 = StraFo 2004, 243 = StV 2004, 360). Der Rechtsmittelverzicht erfolgte als Reaktion des Angeklagten auf die Androhung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die Aufhebung einer unmittelbar zuvor mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Angeklagten für den Fall seiner Verweigerung eines sofortigen Rechtsmittelverzichts zu beantragen. Nach Auffassung des BGH darf die nach § 268b StPO mit Urteilsverkündung zu treffende Haftentscheidung grundsätzlich nicht von der Rechtskraft eines Urteils abhängen, soweit dabei über die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr bzw. über eine Außervollzugsetzung der aus diesem Grunde angeordneten Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Regelmäßig bestehe nämlich kein tragfähiger Grund, einem Angeklagten, der die Überprüfung einer gegen ihn ergangenen Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mit dem Rechtsmittel der Revision erstrebt, eine Außervollzugsetzung der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft deshalb zu versagen, zumal, wenn sie ihm ohne ein solches zulässiges Rechtsmittel gewährt werden könnte (vgl. dazu auch BGHSt 17, 14 = NJW 1962, 598).
Tipp/Hinweis: Der BGH hat die Verfahrensweise der Kammer: Gewährung einer Verhandlungspause, damit der Angeklagte sich die Frage des Rechtsmittelverzichts an Ort und Stelle überlegen kann, gerügt (vgl. NJW, a. a. O.). Der Verteidiger sollte seinem Mandanten von einem Rechtsmittelverzicht in der Hauptverhandlung im übrigen auf jeden Fall abraten (s. auch ZAP F. 22 R, S. 314 m. w. N.). Die Frage, ob und inwieweit ein Rechtsmittelverzicht Gegenstand einer Verfahrensabsprache sein kann, liegt inzwischen dem großen Senat des BGH für Strafsachen zur Entscheidung vor (vgl. Beschl. v. 15. 6. 2004 3 StR 368/02 u. a., NJW 2004, 2536 = NStZ-RR 2004, 266 ff. = StV 2004, 473). |
Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von (weiteren) Verfahrensrügen nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommt, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint, etwa wenn der Beschwerdeführer durch äußere Umstände oder Maßnahmen des Gerichts gehindert worden ist, Verfahrensrügen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend zu machen (vgl. dazu u. a. BGH, Beschl. v. 7. 3. 2003 2 StR 475/02; v. 7. 5. 2004 2 StR 458/03; v. 15. 9. 2004 2 StR 232/04; MEYER-GOßNER, StPO, 47. Aufl., 2004, § 44 Rn. 7 ff. m. w. N. [im folgenden kurz: MEYER-GOßNER]).
Tipp/Hinweis: Es ist auch bereits wiederholt darauf hingewiesen worden (vgl. zuletzt ZAP F. 22 R, S. 307, 315 ff.), dass der Verteidiger an der Revisionsbegründungsschrift gestaltend mitgewirkt haben muss und dass er für das Revisionsgericht erkennbar die volle Verantwortung für den Inhalt der Begründung übernimmt. Das ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Verteidiger die Revision für aussichtslos gehalten und die allgemeine Sachrüge nur erhoben hat, um dem unbedingten Auftrag des Angeklagte zur Einlegung und Begründung nachzukommen (OLG Hamm, Beschl. v. 18. 12. 2003 3 Ss 625/03, NJW 2004, 1189). |
Zur Literatur: Hinzuweisen ist zunächst auf die Zusammenstellung der Rechtsprechung des BGH zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge (SANDER NStZ-RR 2004, 1). Darüber hinaus ist aus der Rspr. der letzten Zeit zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge auf folgende Entscheidungen hinzuweisen (vgl. zu früherer Rechtsprechung BURHOFF ZAP F. 22 R, S. 307, 315 ff. m. w. N.):
Tipp/Hinweis: Bis zur Klärung dieser Frage sollte der Verteidiger daher in diesen Fällen auf jeden Fall die Verfahrensrüge erheben (zu einer Liste von Negativtatsachen für eine solche Verfahrensrüge s. BGH, Beschl. v. 26. 5. 2004 2 ARs 33/04). |
Ist der Mandant wegen eines Verstoßes gegen § 24a StVG (Trunkenheitsfahrt) verurteilt worden, muss sich der Verteidiger mit den Anforderungen auseinandersetzen, die die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung an den Umfang der tatrichterlichen Feststellungen stellt. Grundlage der Überprüfung des Urteils ist die Feststellung des BGH, dass es sich bei der Atemalkoholmessung um ein standardisiertes Messverfahren handelt (BGHSt 46, 358 = NJW 2001, 1952 = NZV 2001, 267 = VA 2001, 85). Bei einem standardisierten Messverfahren müssen aber, wenn weder der Betroffene noch andere Verfahrensbeteiligte Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Messgeräts geltend machen, grundsätzlich keine näheren tatsächlichen Feststellungen zur Meßmethode getroffen werden (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081). Dann reicht allein die Mitteilung der Meßmethode und des ermittelten Messwertes aus.
Ob bei einer Atemalkoholmessung aber ggf. weitere Feststellungen erforderlich sind, ist bzw. war streitig. Teilweise wurden in der Rechtsprechung, vor allem der des OLG Hamm, zusätzliche Feststellungen verlangt. Das ist vom 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm mit dem Leitsatz der angeführten Entscheidung des BGH v. 3. 4. 2001 (BGHSt 46, 358) begründet worden (eingehend OLG Hamm [2. Senat für Bußgeldsachen] DAR 2001, 416; NJW 2002, 2485 = NZV 2002, 414 = VA 2002, 122; bestätigt von OLG Hamm VRS 104, 310 = VA 2003, 30; s. auch HIMMELREICH NStZ 2002, 301, 306; ders. NStZ 2004, 319.). Diese Rechtsprechung des 2. Senats für Bußgeldsachen des OLG Hamm ist in der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung auf Widerspruch gestoßen. Im eigenen Haus wurde sie nicht geteilt vom 3. Senat für Bußgeldsachen (VRS 102, 115 = NZV 2002, 198 = VA 2002, 18) und auch nicht vom 4. Senat für Bußgeldsachen (VA 2004, 158). Auf (ausdrücklichen) Widerspruch ist sie auch gestoßen beim BayObLG (BayObLG NJW 2003, 1752 = DAR 2003, 232) und beim OLG Hamburg (VA 2004, 100). Diese Gerichte haben damit argumentiert, dass es sich bei den vom BGH aufgestellten Anforderungen um Prüfungsanforderungen an den Tatrichter handle, nicht aber um Darstellungsanforderungen an die Urteilsgründe.
Nun hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm seine Rechtsprechung aufgegeben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 13. 9. 2004 2 Ss 462/04, StraFo 2004, 385 = zfs 2004, 532). Auch er sieht es jetzt grundsätzlich als ausreichend an, wenn im tatrichterlichen Urteil die Meßmethode und der festgestellte Atemalkoholwert mitgeteilt werden. Weitere Angaben sind i. d. R. nicht erforderlich. Als derzeit ausreichend wird es auch angesehen, wenn in den tatsächlichen Feststellungen nur mitgeteilt wird, dass eine "Atemalkoholmessung" durchgeführt worden ist und zudem der festgestellte Atemalkoholwert aufgeführt wird. Das Atemalkoholmessgerät muss nicht namentlich genannt werden, da andere Geräte als die der Firma Dräger nicht im Einsatz sind (OLG Hamm, Beschl. v. 13. 9. 2004 2 Ss OWi 442/04, zfs 2004, 535).
Auch in der Frage, ob im Urteil bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 24a StVG die Einzelmeßwerte mitgeteilt werden müssen, hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm jetzt eindeutig Stellung bezogen. In Übereinstimmung mit dem wohl überwiegenden Teil der neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte lässt es die Feststellung des Mittelwerts genügen (so auch zuletzt schon OLG Hamm [3. Senat für Bußgeldsachen] VA 2004, 64 m. w. N.; vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 2002, 523; a. A. BayObLG NJW 2003, 1752 m. w. N.; vgl. auch OLG Zweibrücken DAR 2002, 279).
Tipp/Hinweis: Die Frage nach den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen ist zu trennen von der nach der grundsätzlichen Verwertbarkeit der Atemalkoholmessung. Der Verteidiger muss Fehler bei der Messung durch Befragung des Mandanten klären und dazu dann schon beim Amtsgericht vortragen. Dann muss sich dieses in seinem Urteil auf jeden Fall mit den gegen die Verwertbarkeit der Messung erhobenen Einwänden auseinandersetzen (vgl. BGHSt 46, 358; OLG Hamm, Beschl. v. 26. 8. 2004 4 Ss OWi 562/04). |
Ist der Rechtsanwalt in mehreren Verfahren tätig, stellt sich, wenn diese verbunden werden und der Rechtsanwalt dann zum Pflichtverteidiger bestellt wird, die Frage, ob und welche gesetzlichen Gebühren verdient werden. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Vorverfahrensgebühren nach §§ 83, 84 BRAGO. In dieser Frage hat sich das OLG Jena unter Geltung der BRAGO der dazu in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung angeschlossen (Beschl. v. 26. 1. 2004 ARs 101/03, RVGreport 2004, 433). Das OLG ist davon ausgegangen, dass dem Rechtsanwalt die Vorverfahrensgebühr nach § 84 Abs. 1 BRAGO i. V. m. § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO nicht lediglich einmal, sondern ggf. mehrfach erhält, wenn er in den hinzuverbundenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vor seiner Pflichtverteidigerbestellung bereits als Wahlverteidiger des Angeklagten/Beschuldigten tätig war. Durch die Tätigkeit des Antragstellers in den jeweils selbständig geführten Ermittlungsverfahren ist in jedem dieser Verfahren ein selbständiger Gebührenanspruch entstanden, der als solcher auch nach der Verbindung erhalten bleibt (so auch LG Verden StraFo 2004, 364). Dabei ist es unerheblich, ob die Verbindung vor oder nach der Anklageerhebung stattgefunden hat (zu allem vgl. u. a. aus neuerer Zeit OLG Hamm StV 2003, 178; s. auch die weiteren Nachweise bei BURHOFF/VOLPERT, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 48 Abs. 5 RVG Rn. 14).
Tipp/Hinweis: In dem Zusammenhang ist für das RVG auf den neuen § 48 Abs. 5 S. 3 RVG hinzuweisen, der hier eine Änderung bringen könnte. Er verlangt jetzt ausdrücklich die "Erstreckung" (vgl. dazu BURHOFF/VOLPERT, a. a. O., § 48 Abs. 5 S. 3 Rn. 15 ff. und RVGreport 2004, 411). Es ist dringend zu empfehlen, beim beiordnenden Gericht ausdrücklich die Erstreckung zu beantragen. |
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